31. Mai 2009

Zettels Pfingstplauderei: "Genial daneben". Über Witz, Intelligenz, Infantilität. Wie sie zusammenhängen

Am Lachen habe ich ein ernsthaftes Interesse.

Was bringt uns Menschen dazu, in bestimmten Situationen dieses seltsame Verhalten zu zeigen, das von kaum wahrnehmbarem Schmunzeln bis zu jenem schenkelklopfenden Gedröhne reicht, bei dem uns, wenn wir richtig gut drauf sind, die Tränen über die Wangen laufen? Was also bringt uns zum Lachen?

Warum lachen wir einerseits über Witze, über Komik; andererseits aber auch aus Verlegenheit? Und was hat dieses Verhalten mit Höflichkeit zu tun, so daß wir lächeln, wenn uns zum Beispiel ein Fremder vorgestellt wird oder wenn wir in die Kamera schauen?



Keine Sorge, lieber Leser, ich werde nicht tiefsinnig. Dies ist ja eine Plauderei. Falls es Sie interessiert, was ich zu einigen der obigen Fragen meine, dann haben Sie vielleicht Lust, diesen grundlegenden Artikel über Ursprung und Wesen des Lachens zu lesen. Und falls Sie sich über mich lustig machen wollen, dann lesen Sie doch hier nach, wie ich einmal an der falschen Stelle, oder vielmehr am falschen Ort, lachte.

Jetzt soll es um eine TV-Sendung gehen. Die im Augenblick lustigste, nein witzigste, die es im deutschen Fernsehen gibt: "Genial daneben"; samstags kurz nach zehn bei Sat1 zu sehen.

Der Moderator, oder eher der Dompteur, ist Hugo Egon Balder. Immer dabei sind Hella von Sinnen und Bernhard Hoëcker; zwischen ihnen sitzen wechselnde Gäste: Olli Dittrich zum Beispiel, Oliver Welke oder Herbert Feuerstein. Gestern Abend waren es Eckart von Hirschhausen, Wigald Boning und Altmeister Jochen Busse. Komiker also, die heutzutage nicht mehr so heißen, sondern Comedians.

Das Konzept der Sendung ist genial einfach: Eine Mischung aus Quiz und Blödelei. Zu erraten ist entweder, was ein Begriff bedeutet ("Was ist Stangenarbeit?") oder was es mit einem seltsamen Sachverhalt auf sich hat ("Warum werden in Hannover regelmäßig Papiertaschentücher auf einer Diätwaage gewogen?").

Die Begriffe, die Sachverhalte sind echt; von Zuschauern eingesandt und von der Redaktion verifiziert. Sie werden den fünf Comedians vorgeworfen, ungefähr wie ein Knochen einer Meute junger Hunde. Und nun fallen sie darüber her, einander überbietend, einander ins Wort fallend, aufgeregt wie die Schulkinder.

Ja, wie die Schulkinder. Denn das ist das Geheimnis dieser Sendung: Da sitzen eine Handvoll Erwachsene, die sich wie die Kinder benehmen. Neugierig wie die Kinder. Einfallsreich wie die Kinder. Auch mit einem kindlichen Sinn für Komik.

Die Sendung ist, wenn sie gut ist, unheimlich schnell. Nicht alle kommen da mit. Mancher der Gäste verstummt allmählich, weil er diesem Tempo augenscheinlich nicht gewachsen ist.

Nicht alle schaffen es auch, sich auf diese infantil- intelligente Blödelei einzulassen. Von Sinnen und Hoëcker sind Meister darin. Manchen Gäste, wie Boning und Olli Dittrich, stehen ihnen in nichts nach. Andere, wie Feuerstein, beherrschen zwar das Infantile, es fehlt ihnen aber - vielleicht altersbedingt - die Schnelligkeit.

Wieder andere versuchen gar nicht, auf diesen Stil einzusteigen, sondern geben sich ironisch- distanziert. Wie gestern Busse und auch Eckart von Hirschhausen, der allerdings wohl hauptsächlich mit von der Partie war, um sein Buch zu bewerben.



Gefragt ist Witz, und zwar im doppelten Wortsinn. Ursprünglich bedeutete "Witz" eine geistige Fähigkeit. Aus dem Grimm'schen Wörterbuch erfahren wir:
Schon die frühesten Belege zeigen Witz als intellektuelles Vermögen, vielleicht deutet aber ahd. uuizza sowie die Verwandtschaft mit ai. vidyā́ 'wissen' darauf hin, daß Witz ursprünglich auch gewußte Inhalte umfaßte. (...) Eine neue Aufgabe fällt dem Worte im 17. Jh. zu, als das gesellschaftlich- literarische Ideal des Bel Esprit, 'des aufgeweckten, artigen Kopfes' aufkommt. Witz wird unter Einfluß des franz. Esprit und des engl. Wit Bezeichnung für die Gabe der sinnreichen und klugen Einfälle.
Diese sinnreichen und klugen Einfälle braucht sie, die Ratemannschaft bei Hugo Egon Balder, und sie sprudelt nur so vor Witz.

Gestern zum Beispiel war u.a. zu erraten, was ein "Feuchtreiber" ist.

Autopolitur? Eine Streichholzschachtel, an der man auch im Feuchten noch ein Streichholz entzünden kann? Feuchter Reibeputz am Haus? Ein Vogel, eine Art Sumpfdohle? Eine Gerät zum Reinigen von Fenstern? Eine Wattpflanze? Ein perverser Frottierer, der sich im Schwimmbad seine Opfer sucht? Ein sich am Pfahl schubberndes Schwein? Ein Gletscher, der am Boden reibt? Der Besen beim Curling? Ein Brillentuch? Oder, wie Eckart von Hirschhausen beisteuerte, ein Tuch, mit dem jemand, der angeblich Joggen ging, aber gar nicht joggte, anschließend künstlichen Schweiß auf die Stirn wischt?

In vier Minuten produziert, diese Einfälle. Nur leider alle falsch. Es handelt es sich um eine Walze in Druckmaschinen, die für die gleichmäßige Verteilung von Flüssigkeit sorgt.

Meist aber bekommen sie die Lösung heraus, die fünf - nein, nicht Ratefüchse; eher Ratewelpen. Sogar, was ein "Krallenanschlag" ist, haben sie gestern (fast) erraten. (Das Fixieren einer Kettensäge am Baum während des Sägens mittels einer Kralle).



Gefragt ist also laterales Denken, divergentes Denken. Die Fähigkeit, Einfälle zu produzieren, überraschende Assoziationen. Gefragt ist derjenige Aspekt der Intelligenz, der in den sechziger und siebziger Jahren unter der Überschrift "Kreativität" ausgiebig untersucht wurde. Das Brainstorming wurde damals erfunden und praktiziert. In der Zeit, in der sich die Sitten lockerten, lockerten sich auch die Gedanken.

Diese Art des Denkens scheint nun eng mit Witz im Sinn des Lustigen zusammenzuhängen, und mit Infantilität. Viele "Kinderwitze" ergeben sich aus Äußerungen von Kindern, die es durchaus ernst meinen. Fritzchen, vier Jahr alt, sieht auf dem Dachboden sein altes Laufställchen und fragt: "Kriege ich jetzt ein Brüderchen?" - "Wieso?" - "Na, die Falle ist doch schon aufgestellt".

Warum ist Kreatives, Originelles, oft zugleich lustig? Es ist wohl die Abweichung vom Normalen, die Verletzung der Gesetze der Logik, das Mißachten der Realität, das auf uns witzig wirkt. Das Realitätsprinzip wird einen Augenblick lang gelockert, meinte Freud. Das erspart Hemmungsaufwand oder, wie Freud sagt, Besetzungsaufwand. Es wird psychische Energie frei, deren Abfuhr lustvoll ist.



Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Der Ha Ha Guy; eine Werbefigur, die in den USA für Forbes Dry Plates warb, in der Frühzeit der Fotografie.

Zitat des Tages: "Fortschrittlichste Technologie für einen außerordentlich niedrigen Preis". Opel und die Schröder-Rußland-Connection

"Wir sind daran interessiert, mit Hilfe dieser Erwerbung die Automobil- Branche in Russland restrukturieren zu können", erklärte Sberbank- Chef German Gref gegenüber dem Nachrichtenkanal Vesti am Samstag. Der Einstieg bei Opel sei eine gute Chance "für einen außerordentlich niedrigen Preis einen der vom technologischen Gesichtspunkt her fortschrittlichsten europäischen Produzenten zu erwerben".

Der Informationsdienst "Rußland Aktuell" heute über eine russische Reaktion auf die Entscheidung, Magna bei Opel den Zuschlag zu geben.

Kommentar: Und wer hat's eingefädelt? Dazu die New York Times vom 26. Mai:
Magna has also profited from the support of the former chancellor, Gerhard Schröder, a close friend of Prime Minister Vladimir V. Putin of Russia, according to a person briefed on the lobbying.

The Magna offer would put 35 percent of Opel in the hands of Sberbank, a state- controlled Russian bank, and include cooperation with GAZ, a Russian automaker. Oleg Deripaska, a Russian oligarch who is an ally of Mr. Putin, is the controlling shareholder in GAZ. "There is a plot going on to get the Russians into the German auto industry," the person said, requesting anonymity because the deal was incomplete. "That is not an exaggeration."

Laut einer Person, die Einblick in die Lobby- Vorgänge hat, profitierte Magna auch von der Unterstützung des ehemaligen deutschen Kanzlers Gerhard Schröder, eines engen Freunds des russischen Premierministers Wladimir V. Putin.

Das Angebot von Magna würde 35 Prozent von Opel in die Hände von Sberbank übergehen lassen, einer staatlich kontrollierten Bank, und die Zusammenarbeit mit dem russischen Autobauer GAZ beinhalten. Oleg Deripaska, ein russischer Oligarch mit Verbindungen zu Putin, ist der Hauptaktionär bei GAZ. "Da läuft ein Komplott, um die Russen in die deutsche Autoindustrie hineinzubekommen", sagte die Person, die anonym bleiben wollte, weil der Deal noch nicht komplett sei. "Das ist keine Übertreibung".
Ist Ihnen auch aufgefallen, daß sich in letzter Zeit Frank- Walter Steinmeier eigenartig häufig in Sachen Opel sehen läßt und zu Wort meldet?

Als Außenminister ist er ja eigentlich nicht zuständig. Als Statthalter Gerhard Schröders schon.



Für Kommentare bitte hier klicken. Mit Dank an Conrad.

30. Mai 2009

Marginalie: Die Italiener lieben Angela Merkel - und auch sonst ist sie in Europa Spitze. Eine aktuelle Umfrage

Die französische Presse berichtet heute über eine Umfrage des Instituts OpinionWay für die Zeitung Le Figaro, in der es vor allem darum geht, wie die Einwohner anderer großer europäischer Länder den französischen Präsidenten und seine Politik sehen. Es gab aber auch einige Fragen zu anderen Regierungschefs.

Die Umfrage ist ganz aktuell; sie wurde vom 26. bis 28. Mai durchgeführt. Befragt wurden je rund 1000 Briten, Italiener, Spanier und Deutsche. Die Ergebnisse können als PDF-Datei heruntergeladen werden.

Gefragt wurde unter anderem nach der Beliebtheit der Spitzenpolitiker in den vier Ländern und in Frankreich. Von allen befragten Europäern hatten 65 Prozent von Angela Merkel eine gute oder sehr gute Meinung. Ihr folgte eine Mittelgruppe (Sarkozy 51 Prozent; Brown und Zapatero beide 45 Prozent). Abgeschlagen auf dem letzten Platz lag Berlusconi mit 25 Prozent "gut" oder "sehr gut".

Allerdings ist beim niemandem die Diskrepanz zwischen der Beurteilung im Inland und im Ausland so groß wie bei Berlusconi. Von den Italienern hatten 51 Prozent eine gute oder sehr gute Meinung von ihm; in den drei anderen Ländern lag er unter 20 Prozent.

Berlusconi erreicht damit im eigenen Land den zweithöchsten Wert; nur Angela Merkel liegt in Deutschland mit 62 Prozent noch höher. Zapatero finden in Spanien nur 42 Prozent gut oder sehr gut, und bei Gordon Brown sind es in Großbritannien gar nur 23 Prozent.

Angela Merkel ist in allen Länderen die Beliebeste. Einen Traumwert von 84 Prozent erreicht sie in Italien, gefolgt von 70 Prozent in Spanien. Auf den Wert in Deutschland von 62 Prozent folgen die Briten mit 44 Prozent. Die Briten vergeben insgesamt die schlechtesten Bewertungen, die Italiener die besten.

Wird allerdings nicht nach der Beliebtheit gefragt, sondern nach dem politischen Einfluß, dann liegt Angela Merkel gleichauf mit Nicolas Sarkozy; in Deutschland und Italien leicht vor ihm, in Spanien und Großbritannien etwas hinter ihm. Brown, Berlusconi und Zapatero folgen mit großem Abstand.

Ich hoffe, die Umfrage wird der Kanzlerin vorgelegt. Ein wenig Freude bei all dem gegenwärtigen Ärger gönne ich ihr.



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Zitat des Tages: "Eine große intellektuelle Nähe zur DDR". Das MfS und die DDR-Freundlichkeit in mancherlei Kreisen der Bundesrepublik

Die alte Bundesrepublik wies ein erhebliches politisches Spektrum auf, das eine große intellektuelle Nähe zur DDR hatte. Der Gedanke muss der Staatssicherheit nahegelegen haben, diese Klientel für eigene politische Zwecke zu nutzen. Mich interessiert die Frage, wie der Prozess der sukzessiven politischen und moralischen Aufwertung der DDR in den westlichen Gewerkschaften, in den Kirchen, bei den Studenten und in der außerparlamentarischen Opposition zustande gekommen ist. War das die freie Intuition, oder hat man nachgeholfen?

Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler ("Neues Forum") und heutige stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU im Bundestag Arnold Vaatz gegenüber "Spiegel- Online".

Kommentar: Ich habe mir die Frage, die Vaatz aufwirft, auch schon oft gestellt. Allerdings würde ich den gesellschaftlichen Bereichen, die Vaatz aufzählt, den Journalismus hinzufügen.

Mit wenigen Ausnahmen - vor allem dem von Gerhard Löwenthal und Fritz Schenk moderierten "ZDF-Magazin" - berichteten die westdeutschen Medien ganz überwiegend, sagen wir, kritisch- verständnisvoll über die DDR. Man bemühte sich geradezu ostentativ, ja nicht als "antikommunistisch" wahrgenommen zu werden - so, als sei es etwas Ehrenrühriges, ein Antikommunist zu sein.

Gewiß, man sah Fehler und Mängel. Aber daß die DDR ein Unrechtsstaat war; eine Diktatur, die "ihre Menschen" in Armut und Unterdrückung hielt, das wurde nur selten geschrieben oder gesagt.

Waren diese freundlichen, von Verständnis der Schwierigkeiten getragenen Beurteilungen der DDR sozusagen naturwüchsige Einsichten westdeutscher Journalisten? Oder hat da vielleicht doch das MfS unterstützend nachgeholfen?

Systematisch aufgearbeitet wurde das von der Birthler- Behörde bisher nicht. Ob es daran liegt, wie Vaatz vermutet, daß dort viele Westlinke arbeiten, die an einer solchen Durchleuchtung der Vergangenheit nicht interessiert seien, mag stimmen oder auch nicht.

Jedenfalls scheint das meiste, das bisher herausgekommen ist, nicht durch die Arbeit dieser Behörde aufgedeckt worden zu sein, sondern durch journalistische Recherchen und die Arbeit von Wissenschaftlern außerhalb dieser Behörde. Ein Beispiel war vor einigen Jahren die Untersuchung von Christhard Läpple über die Aktivitäten des MfS beim ZDF.

Ein anderes Beispiel ist das, was der Forschungsverbund SED- Staat an der FU Berlin u.a. über die "Kölner Schule - Institut für Journalistik e.V." herausgefunden hat, wo unter Leitung des MfS- Agenten Heinz D. Stuckmann viele Journalisten ausgebildet wurden, die später in Spitzenpositionen aufstiegen. Ich habe darüber und über Sendungen des WDR, die an DDR- Freundlichkeit kaum zu überbieten waren, im vergangenen Jahr in diesem Artikel berichtet.



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29. Mai 2009

Marginalie: Stell dir vor, es sind Europawahlen und keiner geht hin. Nebst einer Anmerkung zur Lage der FDP

Heute in einer Woche laufen in einigen Ländern schon die Europawahlen; wir in Deutschland wählen dann bekanntlich am Sonntag. Also Endspurt, Wahlfieber? Eine Umfrage nach der anderen?

Ach nein. Stell' dir vor, es sind Europawahlen, und keiner geht hin. Das scheint die allgemeine Stimmung zu sein.

Ein einziges Institut hat eine aktuelle Umfrage publiziert; Infratest dimap für die ARD. Die Werte unterscheiden sich kaum von den Anfang des Monats gemessenen:

Die Union kann auf einen klaren Wahlsieg hoffen (39 Prozent); die SPD ist mit 26 Prozent weit abgeschlagen. Wie schon bei den Umfragen im April, über die ich Anfang des Monats in diesem Artikel berichtet habe, ist das Stärkeverhältnis von FDP und Grünen umgekehrt wie bei Umfragen zur Bundestagswahl: 12 Prozent für die Grünen, nur 9 Prozent für die Liberalen.

Nimmt man allerdings die letzten Europawahlen am 13. 6. 2004 als Vergleichswert, dann dürfte die FDP zulegen (damals nur 6,1 Prozent), während die Grünen sich ungefähr halten würden.

Auch die Werte für die beiden großen Parteien relativieren sich, bezieht man sie auf die letzte Europawahl. Damals war die Regierung Schröder auf einem Tiefpunkt ihrer Popularität. Die SPD erreichte nur 21,5 Prozent, die Union aber traumhafte 44,5 Prozent.

Man kann also unschwer vorhersagen, wie die Kommentare am Wahlabend ausfallen werden: Die Union wird sich freuen, daß sie weit vor der SPD liegt. Die SPD wird argumentieren, daß sie gegenüber 2004 kräftig zugelegt hat, während die Union ebenso deutlich verloren habe.



Und warum liegt die FDP in dieser Umfrage erneut so viel niedriger, als es die national gemessenen Werte weit über 10 Prozent eigentlich erwarten lassen?

Ich habe in dem vorausgehenden Artikel argumentiert, daß unter den Anhängern der FDP besonders viele Euroskeptiker sein dürften, denen die Bevormundung durch Brüssel nicht gefällt.

Vielleicht sollte man die Sache aber auch anders herum sehen: 9 Prozent, das ist für die FDP, betrachtet man Umfragen und Wahlergebnisse über einen längeren Zeitraum, ja eigentlich ein ganz normaler Wert. Vielleicht sollte man sich eher fragen, warum die FDP national im Augenblick deutlich höher liegt.

Dieser Höhenflug begann, wie man hier sehen kann, recht plötzlich im Januar dieses Jahres; bis dahin hatten über viele Monate die Grünen, die Liberalen und die Kommunisten gleichauf bei um die 10 Prozent gelegen. Die Vermutung liegt nahe, daß damals - es begann die Diskussion um staatliche Interventionen, gar um ein Verstaatlichungs- Gesetz - liberal denkende Unions- Wähler zur FDP gewechselt sind.

Aber eben nur auf der nationalen Ebene, aus diesem konkreten Motiv heraus. Sie können ebenso schnell wieder bei der Union sein, wie sie von ihr weg waren. Die Weigerung der FDP, sich auf dem Parteitag in Hannover auf eine Koalition mit der Union festzulegen, könnte das beschleunigen. Wer von der Union zur FDP wechselte, weil die Union ihm nicht mehr liberal genug erschien, der wird schwerlich das Risiko eingehen, mit seiner Stimme indirekt einen Kanzler Steinmeier zu wählen; dazu Minister wie Künast und Trittin.

Sieht man sich die verlinkte Grafik an, dann kann man durchaus den Eindruck gewinnen, daß sich die FDP bereits wieder in Richtung auf ihre traditionellen Werte bewegt. Die nächsten Umfragen werden das genauer zeigen.

In der aktuellen Umfrage zur Europawahl haben Union (39 Prozent) und FDP (9 Prozent) zusammen 48 Prozent. In der letzten nationalen Umfrage desselben Instituts (Infratest dimap vom 15. 5.) hatten Union (35 Prozent) und FDP (13 Prozent) zusammen ebenfalls 48 Prozent. Das bürgerliche Lager ist bemerkenswert stabil. Nur daß Guido Westerwelle es nicht als ein bürgerliches Lager sehen möchte.



Ich habe Anfang des Monats allen Liberalen empfohlen, zur Europawahl zu gehen, um die FDP zu stärken. Ich möchte diese Empfehlung jetzt bekräftigen. Ein Wahlergebnis von 9 Prozent wäre für die FDP ein denkbar schlechter Start in dieses Wahljahr.



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28. Mai 2009

Kurioses, kurz kommentiert: Rauchen im Film ist jugendgefährdend!

Sie haben richtig gelesen: Nicht Rauchen im Kino, sondern Rauchen im Film. Der Umstand also, daß im Film sich, sagen wir, Humphrey Bogart eine Zigarette anzündet.

Gegen Filme, in denen geraucht wird, ist in den USA der Kampf eröffnet. Speziell in Californien, weil da erstens die Filmindustrie sitzt, und weil dort zweitens die Eiferer eifriger sind als anderswo in den USA.

In Californien also, so berichtete es die New York Times, wurde gestern eine Medienkampagne gestartet, "intended to publicly shame movie studios for depicting images of smoking in their mass-appeal movies" - mit dem Ziel, Filmstudios öffentlich an den Pranger zu stellen, die in ihren Filmen für ein Massenpublikum zeigen, wie jemand raucht.

An ein gesetzliches Verbot denkt die Initiative - ihr gehören unter anderem der US- Ärzteverband, das Los Angeles County Department of Public Health und das California Youth Advocacy Network an - offenbar noch nicht. Unter anderem sollen über eine Site im Internet Rauchszenen aus Filmen gesammelt werden; das Studio, das der größte Täter ("biggest offender") ist, wird dann im September öffentlich getadelt.

Im Internet kann man auch eine Petition unterzeichnen, die fordert, daß Filme, in denen "unnötigerweise Bilder des Rauchens" gezeigt werden, automatisch die Freigabe "R" erhalten. Jugendliche unter 17 Jahren würden dann diese Filme nur noch in Begleitung Erwachsener sehen dürfen.

Wer sich den Auftritt der Initiative bei Facebook ansehen will - hier ist er. Der ganz große Knüller scheint die Sache allerdings noch nicht zu sein. Bis jetzt haben sich erst 154 Fans angemeldet.



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Leben wir in einem Multiversum? Über die ständige Erweiterung unseres Weltbilds; im Wortsinn (Teil 2)

Die Umbrüche im Bild von der Beschaffenheit des Universums, die ich im ersten Teil nachgezeichnet habe, erstreckten sich oft über einen langen Zeitraum. Schon früh wurde eine Vermutung geäußert; aber dann dauerte es noch lange, bis sie so gut belegt war, daß sie zum gesicherten Wissen wurde.

Die Idee, daß die Spiralnebel nicht Bestandteile der Milchstraße sind, sondern eigene Milchstraßen, formulierte schon 1755 Immanuel Kant in seiner "Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels" ("Fixsternensystemata, solche Milchstraßen, wenn ich mich so ausdrücken darf, ... die in verschiedenen Stellungen gegen das Auge mit einem ihrem unendlichen Abstande gemäß geschwächten Schimmer elliptische Gestalten darstellen"). Aber erst in den zwanziger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts gelang der eindeutige empirische Nachweis, daß Kant Recht gehabt hatte.

So könnte es auch mit der Idee sein, die jetzt zu besprechen ist; der Idee, daß unser beobachtbares Universum nicht das einzige ist; daß es nur ein Teil eines umfassenderen Multiversums ist.

In gewisser Weise liegt diese Idee in der Logik der Entwicklung unseres Weltbilds, in der erst die Erde, dann die Sonne, dann unsere Milchstraße sich lediglich als ein Teil - von den anderen nicht verschieden - eines jeweils übergeordneten Systems erwiesen. Wenn man das weiterdenkt, stellt sich zwangsläufig die Frage, ob es nicht auch für das beobachtbare Universum gelten könnte.

Freilich scheint hier die Kluft zwischen der Idee und dem Nachweis ihrer Richtigkeit besonders groß zu sein; denn wie will man etwas nachweisen, das definitionsgemäß nicht beobachtbar ist? Nun, vielleicht geht das doch. Jedenfalls gibt es jetzt Ansätze dazu.



An der Arizona State University gibt es einen interdisziplinären, sehr breit angelegten Forschungs- Schwerpunkt "Origins" (Anfänge), der sich mit Fragen wie dem Ursprung des Universums und der Entstehung des Lebens befaßt. Anfang April dieses Jahres fand in seinem Rahmen ein dreitägiges Symposion statt. Eines seiner Themen lautete "The Universe, Multiverse, Physical Laws" - Das Universum, Multiversum, physikalísche Gesetze.

Zu diesem Symposium und allgemein seiner Thematik ist in der aktuellen Ausgabe von Science News (Band 175, Nr. 12, 6. Juni 2009) ein Artikel von Tom Siegfried erschienen, durch den ich auf diese aktuelle Diskussion aufmerksam geworden bin.

Ihr Hintergrund sind eine Reihe von Beobachtungen, die seit den siebziger Jahren zu vielen Debatten Anlaß gegeben haben; sogenannte anthropische Koinzidenzen. Damit ist gemeint, daß unser Universum just so beschaffen ist, daß in ihm der Mensch entstehen konnte. Hätten Naturkonstanten nur geringfügig andere Werte, als sie tatsächlich haben, dann gäbe es keine Menschen, die sie als Wissenschaftler messen können, weil beispielsweise keine Sterne und Planeten hätten entstehen können. (Einen guten Überblick findet man z.B. auf der WebSite von Andrew Thomas).

Was hat das zu bedeuten? Im wesentlichen sind drei Antworten gegeben worden:
  • Es hat gar nichts zu bedeuten, sondern ist trivial. Die bedingte Wahrscheinlichkeit, daß ein Universum, in dem Menschen leben, so beschaffen ist, daß in ihm Menschen leben können, ist 1. Wäre das Universum anders, dann gäbe es uns eben nicht.

  • Zweitens gibt es den Schluß auf ein Design; auf etwas oder jemanden, der planmäßig das Universum so angelegt hat, daß der Mensch entstehen konnte.
  • Diese beiden Antworten sind offensichtlich wissenschaftlich unergiebig; sie ermöglichen keine Forschung, um sie zu überprüfen. Anders die dritte Antwort:
  • Es könnte sein, daß unser beobachtbares Universum nur eines unter vielen ist. Eben just jenes, in dem sich Leben entwickeln konnte. Das ist die Idee des Multiversums.
  • Zunächst erscheint auch das als eine wilde, nicht testbare Spekulation. Aber das ist offenbar nicht so.

    Denn diese Theorie wird inzwischen von namhaften Physikern und Kosmologen vertreten; zum Beispiel von Alan Guth, der am Massachusetts Institute of Technilogy (MIT) forscht und auf den die heute weithin akzeptierte Theorie der Inflation, der schnellen Ausdehnung des Universums als Folge des Urknalls, zurückgeht.

    In dieser Inflation, so meint Guth inzwischen, sind einzelne "Blasen" entstanden, in denen die Ausdehnung der Raumzeit langsamer voranging, so daß sich Materie zusammenballen konnte. Eine dieser Blasen ist unser beobachtbares Universum.

    Diese Theorie trifft sich mit der String- Theorie. Andrei Linde von der Stanford University, auch er ein Pionier der Theorie der Inflation, sagte auf dem Symposion in Arizona, daß die String- Theorie eine unendliche Anzahl solcher Blasen vorhersage, die zwar denselben allgemeinen physikalischen Gesetzen unterworfen seien, aber mit unterschiedlichen Varianten ("different realizations") dieser Gesetze.

    Alles nur Kopfgeburten der theoretischen Physik? Oder gibt es Brücken zur Empirie? Guth, Linde und andere, wie Alex Vilenkin von der Tufts University, suchen solche Brücken zu schlagen.

    Aus der Theorie des Multiversums lassen sich Vorhersagen über die durchschnittliche Temperatur ableiten, und da die Wahrscheinlichkeit am größten ist, daß unser Universum ein durchschnittliches ist, sollte die Temperatur, die wir in ihm messen, nah an der berechneten liegen.

    Auch für die Intensität der Dunklen Materie und die Anzahl der Quarks lassen sich Vorhersagen ableiten. Erste Berechnungen deuten darauf hin, daß sie stimmen könnten. Die Theorie des Multiversums ist heute eine ernstzunehmende Theorie, auf deren Grundlage intensiv geforscht wird.



    Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Spiralgalaxie NGC 3627 (M66), aufgenommen vom Weltraumteleleskop Spitzer. Von der NASA in die Public Domain gestellt.

    Zitat des Tage: "Eine Latina- Frau urteilt häufiger richtig als ein weißer Mann". Sagt eine Latina- Frau, die in den USA Bundersrichterin werden soll

    The aspiration to impartiality is just that -- it's an aspiration because it denies the fact that we are by our experiences making different choices than others. (...) I would hope that a wise Latina woman with the richness of her experiences would more often than not reach a better conclusion than a white male who hasn't lived that life.

    (Das Streben nach Unparteilichkeit ist genau das - es ist ein Streben, weil es die Tatsache leugnet, daß wir aufgrund unserer Erfahrungen andere Wahlen treffen als andere. (...) Ich würde hoffen, daß eine kluge Latina- Frau mit dem Reichtum ihrer Erfahrungen häufiger zu einer richtigen Beurteilung gelangt als ein weißer Mann, der dieses Leben nicht gelebt hat.)

    Sonia Sotomayor, die von Präsident Obama als Richterin am Obersten Bundesgericht der USA nominiert wurde, laut Washington Post in einer Rede im Jahr 2001.


    Kommentar: Wenn der Senat sie bestätigt, dann dürfte Sonia Sotomayor vermutlich das erste Mitglied des Obersten Bundesgerichts der USA sein, das ausdrücklich an der Unparteilichkeit von Richtern zweifelt.

    Zweifel allerdings bestehen in der amerikanischen Öffentlichkeit daran, daß Frau Sotomayor dem Amt gewachsen ist, für das sie Präsident Obama jetzt nominiert hat.

    Als Jeffrey Rosen sich Anfang des Monats für The New Republic bei früheren Kollegen und Mitarbeitern über Sonia Sotomayor erkundigte, erhielt er überwiegend zurückhaltende Beurteilungen ("Nearly none of them raved about her"; kaum einer von ihnen schwärmte für sie). Eine der noch freundlichsten Stimmen einer Kollegin von Sotomayor zitiert Rosen:
    She commands attention, she's clearly in charge, she speaks her mind, she's funny, she's voluble, and she has ownership over the role in a very positive way. She's a fine Second Circuit judge--maybe not the smartest ever, but how often are Supreme Court nominees the smartest ever?

    Sie zieht Aufmerksamkeit auf sich, sie hat eindeutig das Sagen, sie spricht offen, sie ist witzig, sie ist redegewandt und beherrscht ihre Rolle auf eine sehr positive Art. Sie ist eine gute Richterin im Second Circuit [vergleichbar einem Oberlandesgericht; Zettel] - vielleicht nicht die Allerschlauste, aber wie oft sind diejenigen, die für das Oberste Gericht nominiert werden, die Allerschlausten?
    Zu den Allerschlausten muß ein Oberster Bundesrichter vielleicht nicht gehören. Aber ob es wirklich eine Richterin für dieses Amt qualifiziert, daß sie glaubt, eine Frau aus Lateinamerika könne besser urteilen als ein weißer Mann?



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    27. Mai 2009

    Kurioses, kurz kommentiert: Zensursulas Grundhaltung: "Warum dann nicht blockieren?"

    Von der Leyen: ... Und es geht um die Grundhaltung. Welches Argument gibt es zu sagen, diese Bilder sollen in Deutschland zugänglich und sichtbar im Netz sein?

    SPIEGEL ONLINE: Keines. Das ist aber auch nicht die Frage.

    Von der Leyen: Aber warum sie dann nicht blockieren?


    Kommentar: Da haben wir, in a nutshell, das kuriose Rechtsverständnis der Ursula von der Leyen: Es gibt kein Argument für etwas. Also kann man es verbieten.

    Welches Argument gibt es dafür, daß Kinder Süßigkeiten lutschen? Keines. Also verbieten. Welches Argument gibt es dafür, daß Sportschützen mit scharfen Waffen schießen? Keines. Also verbieten. Welches Argument gibt es dafür, daß Menschen Pornografie ansehen? Keines. Also verbieten.

    Natürlich gibt es für alles das ein Argument. Es mag schädlich, es mag unmoralisch sein. Aber der freie Bürger hat das Recht, auf seine eigene Verantwortung auch etwas zu tun, was ihm schädlich oder was unmoralisch ist. Das Argument dagegen, das alles zu verbieten, lautet schlicht, daß der Staat die Freiheit des Einzelnen zu respektieren hat.

    Er hat, dieser freie Bürger, bisher auch die Freiheit, im Internet so zu surfen, wie es ihm gefällt. Ohne befürchten zu müssen, daß der Staat überwacht, wann er welche Site anklickt.

    Ursula von der Leyen scheint von dieser Freiheit keine Ahnung zu haben; jedenfalls kein Verständnis für ihren Wert. Sie scheint gar nicht zu bemerken, was auf dem Spiel steht. Kurios bei einer so weltläufigen Frau.



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    Zitat des Tages: Mehrheiten, Minderheiten. Terroristen, Tamilen

    It can also be important to bear in mind, as in Sri Lanka became crucial, that majorities have rights, too.

    (Es kann auch wichtig sein, sich - in Sri Lanka wurde das der kritische Punkt - vor Augen zu halten, daß auch Mehrheiten Rechte haben.)

    Christopher Hitchens im Internetmagazin Slate zum Sieg der Regierung von Sri Lanka über die Tamilen- Tiger.

    Kommentar: Hitchens macht auf einige an sich triviale Sachverhalte aufmerksam, die aber oft nicht im allgemeinen Bewußtsein sind:
  • In Bürgerkriegen haben nicht unbedingt diejenigen das Recht auf ihrer Seite, die in der Minderheit sind.

  • Der Kampf solcher Minderheiten um ihre Unabhängigkeit ist auch nicht unbedingt moralisch akzeptabel. Die Tamilen- Tiger setzten Kinder- Soldaten und Selbstmord- Attentäter ein. Sie steckten, so Hitchens, auch hinter dem Mord an dem indischen Premier Rajiv Gandhi im Jahr 1991. In ihrem Herrschaftsbereich herrschten die Verhältnisse einer Diktatur.

  • Oft spielen Gelder aus dem Ausland eine entscheidende Rolle für den Terrorismus; hier Zahlungen der vielen und oft wohlhabenden Tamilen, die in Europa, Nordamerika und Ländern des britischen Commonwealth leben.

  • Wenn sie hinreichend erfolgreich sind, dann müssen Guerrilleros irgendwann dazu übergehen, einen dauerhaften Herrschaftsbereich einzurichten, den sie auch mit einer regulären Armee verteidigen müssen. Damit kann ihnen auch, wie jetzt den Tamilen- Tigern, eine reguläre militärische Niederlage bereitet werden.

  • Der auf der Linken verbreitete Glaube, daß solche Befreiungs- Bewegungen "die Geschichte auf ihrer Seite" haben, stimmt schlicht nicht. Aufstände lassen sich niederschlagen.
  • Hier sieht Hitchens eine Lehre, die man für den Irak aus der Niederlage der Tamilen- Tiger ziehen kann.

    Christopher Hitchens ist ein britischer Journalist, der lange Zeit eher auf der Linken stand, der inzwischen aber liberal- konservative Ansichten entwickelt hat. Ich habe ihn in diesem Artikel als einen derer zitiert, die Michael Moores Manipulationen entlarvt haben.



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    26. Mai 2009

    Zitat des Tages: "Gerade am Religionsunterricht erweist sich der säkulare Charakter unseres Staates". Über Schäubles Integrationspolitik

    Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat am Dienstag im Berliner Wissenschaftskolleg seine Ansicht bekräftigt, dass das Religionsverfassungsrecht der Bundesrepublik sich bewährt habe und für die Integration der Muslime den geeigneten Rahmen bilde.

    In Schäubles pointierter Auffassung erweist sich gerade am Religionsunterricht der säkulare Charakter unseres Verfassungsstaates. Der Staat maßt sich nicht an, Nützliches und Schädliches in den religiösen Überlieferungen gemäß eigenem, überlegenem Wissen zu sortieren, wie es Voraussetzung für eine Umstellung vom Bekenntnisunterricht auf vorgeblich neutrale Religionskunde wäre, sondern kooperiert in der Ausbildung der Religionslehrer mit den Religionsgemeinschaften.


    Patrick Bahners in der FAZ über einen Diskussionsbeitrag Wolfgang Schäubles auf einer gemeinsamen Veranstaltung der Berlin- Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, des Wissenschaftskollegs und der Thyssen- Stiftung anläßlich der diesjährigen Carl- Heinrich- Becker- Vorlesung. Diese hielt der amerikanisch- sudanesische Jurist Abdullahi An-Na'im von der Emory University in Atlanta, der sich für einen modernen Islam einsetzt.



    Kommentar: Abdullahi An-Na'im ist ein Sudanese, der vor den dort regierenden Islamisten in die USA fliehen mußte. Sein Lehrer Mahmud Muhammad Taha wurde im Januar 1985 von den Islamisten öffentlich gehenkt. Sein Vergehen: Er sei vom Islam abgefallen.

    Abdullahi An-Na'im vertritt eine interessante These, die dem entgegengesetzt ist, was hier in Deutschland viele über den Islam zu wissen vermeinen: Die Trennung von Staat und Religion sei dem Islam keineswegs fremd, ja sie liege in dessen Wesen. Bahners:
    Das Prinzip des Islams ist nach An-Na'im individualistisch: Nur der einzelne Gläubige kann Gottes Gebote befolgen. Der Staat kann nicht religiös sein; die staatliche Kodifizierung der Scharia verformt das Religionsgesetz, weil staatliche Sanktionen das Wesen des religiösen Gehorsams verfehlen.
    Gewiß macht man sich mit solchen Auffassungen bei Islamisten keine Freunde; auch An-Na'im wurde schon mit dem Tod bedroht. Umso mehr sollten wir im liberalen Westen auf Wissenschaftler wie ihn hören.

    Die Interpretation des Islam durch die Islamisten benutzt diesen als die Grundlage für eine totalitäre Ideologie. So, wie der Marxismus den Kommunisten, wie den Nazis ihre Rassenlehre die ideologische Basis für einen alle Lebensbereiche durchdringenden totalitären Staat lieferte. Kein totalitäres System kommt ohne eine solche weltanschauliche Fundierung aus; sie ist der Geßlerhut, den alle Bürger als Zeichen ihrer Unterwerfung grüßen müssen.

    Nur ist das eben nicht der Islam schlechthin. Es ist eine seiner Interpretationen. In unserem Interesse liegt es, den Einfluß anderer, liberaler Interpretationen wie derjenigen von Abdullahi An-Na'im zu stärken. Mir scheint, daß Wolfgang Schäuble das verstanden hat.



    Schäuble hat aber auch verstanden, daß Experimente à la "Schulfach Ethik" das Gegenteil von liberal sind. Denn ein solches Fach braucht ja einen Lehrplan. Indem er diesen aufstellt, maßt der Staat sich an, darüber zu entscheiden, was denn ethisch relevant sei, wie verschiedene Religionen und ethische Haltungen zu betrachten seien usw.

    Auch wenn in einem solchen Fach "alle Religionen und Weltanschauungen" (welche?) "gleichberechtigt" behandelt werden sollen, müssen sie doch unter bestimmten Gesichtspunkten, nach bestimmten Kriterien, in einer bestimmten Selektion behandelt werden. Insofern dringt der Staat mit einem solchen obligatorischen Fach in die Privatsphäre des Bürgers ein.

    Religionsunterricht ist dagegen nicht obligatorisch (und war es übrigens auch in der Bundesrepublik niemals; auch nicht zur Adenauer- Zeit). Wer den Unterricht seiner Konfession besucht, der tut das freiwillig. Den Staat geht das nichts an. Er stellt den Rahmen zur Verfügung - die Lehrer, die Räume. Er ermöglicht damit Vielfalt, aber er dekretiert sie nicht.

    Nur insofern hat der Staat das Recht, sich in den Religionsunterricht einzumischen, als er es nicht dulden kann, daß verfassungsfeindliche Inhalte gelehrt werden. Daß zum Beispiel Anhänger anderer Religionen herabgewürdigt werden oder daß die Trennung von Staat und Religion in Zweifel gezogen wird.

    Hier trifft sich dann das, was Schäuble gesagt hat, mit der Position von Prof. An-Na'im.



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    Marginalie: Guantánamo wird geschlossen. Wohin kommen jetzt eigentlich gefangene Terroristen? Nebst einer Erinnerung an den Höhepunkt des Irakkriegs

    Auf dem Höhepunkt der Gewalt im Irak, im Januar 2007, als im Irak der Bürgerkrieg drohte, brachte der Senator Barack Obama im US-Senat einen Gesetzesentwurf ein, der zu den unverantworlichsten in der amerikanischen Geschichte gehört.

    Dieser Iraq War De-Escalation Act, den ich in diesem Artikel im Detail analysiert habe, sah vor, daß die USA den vollständigen, einseitigen und bedingungslosen Abzug ihrer Truppen verkünden sollten. Beginn 1. Mai 2007. Vollständiger Abzug aller Kampftruppen bis zum 31. März 2008.

    Es gibt keinen vernünftigen Zweifel daran, daß dieses Gesetz, hätte es der US-Senat gebilligt und wäre ihm der Präsident gefolgt, nicht nur eine schmähliche Niederlage der USA bedeutet hätte, sondern auch den Bürgerkrieg im Irak und die Errichtung einer Herrschaft der Kaida über die Provinz Anbar; mit Ausbildungslagern für Terroristen, wie sie einst in Afghanistan bestanden.

    Dem Senator Obama waren diese Folgen natürlich bekannt. Was ihn veranlaßte, dennoch den Iraq War De-Escalation Act einzubringen, kann man nur vermuten.

    Es ging damals eine Anti- Kriegsstimmung durchs Land, Obama war noch ein weithin unbekannter Senator. Die Vermutung liegt nahe, daß er sich an die Spitze der Bewegung für den Abzug aus dem Irak setzen und damit nationale Bekanntheit erlangen wollte. Die militärischen, die außenpolitischen Folgen seines Gesetzes erschienen ihm offenbar gegenüber diesem Karriereziel weniger bedeutsam.

    Aus dem Gesetz ist damals zum Glück nichts geworden; es blieb schon im Auswärtigen Ausschuß des Senats hängen. Aus dem Senator Barack Obama ist bekanntlich etwas geworden.



    Ich erinnere an diesen Vorgang, weil sich jetzt in Bezug auf Guantánamo etwas Ähnliches abspielt, wenn auch von ungleich geringeren Dimensionen. Nur ist Obama jetzt in einer Position, in der er nicht nur ein Gesetz vorschlagen, sondern in der er Entscheidungen treffen kann.

    Eine solche Entscheidung war der Beschluß zur Schließung des Gefangenenlagers in Guantánamo. Wie der Iraq War De-Escalation Act war es eine populäre Entscheidung, als Obama sie verkündet hat. Wie dieser Gesetzentwurf war es eine Entscheidung, die offenbar ohne Rücksicht auf die Folgen getroffen wurde.

    Daß die USA sich damit das Problem einhandeln würden, wo man denn die Gefangenen aus Guantánamo hinbringen soll, war von vornherein klar; ich habe im November 2008 darüber berichtet. Sie einfach zu entlassen, ist ein schöner, friedfertiger Gedanke. Nur findet man dann nicht wenige der Entlassenen als Terroristen wieder.

    Aber es gibt noch ein viel gravierenderes Problem; darüber haben am vergangenen Wochenende Eric Schmitt und Mark Mazzetti in der New York Times berichtet: Es geht ja nicht nur um die Unterbringung der bisherigen Gefangenen. Es geht auch darum, was man mit neuen Gefangenen macht, die bisher nach Guantánamo kamen. Mit solchen, die im Gefecht gefangen genommen wurden; vor allem aber auch mit Terroristen, denen die Geheimdienste nachspürten und deren Festnahme gelang.

    Unter Präsident Bush kamen sie überwiegend nach Guantánamo. Und jetzt? Die Antwort ist einigermaßen ernüchternd, vermutlich selbst für einen Fan des Präsidenten Obama: Man überläßt sie einfach ausländischen Geheimdiensten; diese sollen sie festhalten, sie verhören, sich halt um sie kümmern.

    Teilweise hatten die USA auch schon gegen Ende der Amtszeit von Präsident Bush mit dieser Praktik begonnen; aber unter Obama ist sie nun derart zum Standard geworden, daß seit dessen Amtsantritt kein einziger Verantwortlicher der Kaida mehr in die USA verbracht worden ist.

    Gejagt und gefangen werden sie wie eh und je. In den vergangenen zehn Monaten wurden beispielsweise nach Informationen der NYT ungefähr ein halbes Dutzend Verantwortliche der Kaida im Nahen Osten gefangen genommen. Sie werden jetzt von den Geheimdiensten von vier Ländern dieser Region festgehalten. In diesem Jahr gelang Pakistan die Gefangennahme von zwei Kaida- Anführern; einem aus Saudi- Arabien und einem Jemeniten. Unter Präsident Bush wären sie nach Guantánamo überstellt worden; jetzt bleiben sie in der Obhut des pakistanischen Geheimdienstes.

    Das also ist der Fortschritt in Sachen Menschenrechte, den Präsident Obama mit der Schließung von Guantánamo zu verantworten hat: Gefangene Terroristen werden jetzt von Geheimdiensten festgehalten, deren Verhältnis zu den Menschenrechten etwas bedenklicher sein dürfte als das, was der Regierung Bush angelastet wurde.



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    25. Mai 2009

    Leben wir in einem Multiversum? Über die ständige Erweiterung unseres Weltbilds; im Wortsinn (Teil 1)

    Jemand wächst in einem abgelegenen Dorf in den Alpen auf. Als Kind darf er mit zum Besuch bei Verwandten und erfährt dadurch, daß es noch andere Dörfer gibt. Später kommt er einmal in die Stadt. Er lernt die Region kennen, dann sein Land; als Erwachsener vielleicht andere Weltgegenden.

    Ständig erweitert sich sein Weltbild. Nicht nur in dem übertragenen Sinn, daß er Neues über die Welt erfährt. Sondern es erweitert sich auch in einem ganz wörtlichen Sinn: Er weiß jetzt, daß sein Heimatdorf nur eines von vielen Dörfern ist, seine Region nur eine von etlichen Regionen, sein Land nur eines von vielen Ländern auf diesem weiten Erdenrund.



    So ist es auch mit dem wissenschaftlichen Weltbild, wenn wir es über die Jahrhunderte, die Jahrtausende verfolgen.

    Die naive Anschauung zeigt uns die Welt, in der wir leben, als die Welt schlechthin. Darüber der Himmel, darunter - nun, das sieht man nicht. Also stellt man es sich vor; als eine Unterwelt, den Orkus, den Hades, die Hölle. Für dieses Weltbild ist die Erde zugleich die Welt. Die beiden Begriffe wurden austauschbar verwendet; und sie werden es ja auch heute noch, wenn wir von "Weltpolitik" sprechen oder dem "Weltklima".

    Die Erweiterung dieses Weltbilds - und damit auch der Prozeß, der es immer weiter von der naiven Anschauung entfernte - begann mit der Entdeckung der Kugelgestalt der Erde in der Antike.

    Schon Pythagoras hat sie vermutet; freilich, weil für ihn die Kugel die vollkommenste Gestalt war. Für Aristoteles war sie bereits selbstverständlich, und jetzt aus wissenschaftlichen Gründen. Als Belege führte er in seinem Werk "Vom Himmel" unter anderem an, daß dann, wenn man gen Süden reist, neue Sternbilder am Horizont auftauchen und immer höher wandern, je weiter man nach Süden gelangt; und daß bei einer Mondfinsternis der Schatten einer runden Erde auf den Mond fällt.

    Aristoteles lebte im vierten vorchristlichen Jahrhundert. Bereits ein Jahrhundert später gelang Eratosthenes - Mathematiker, Naturwissenschaftler und Direktor der Bibliothek von Alexandria - die Messung des Erdumfangs. Er ersann dazu eine geniale Methode, die man zum Beispiel hier beschrieben findet. Sein Ergebnis war, daß der Umfang der Erde ungefähr 252.000 Stadien beträgt. Nimmt man an, daß er mit ägyptischen Stadien rechnete, dann sind das 39.690 km - eine Abweichung von weniger als einem Prozent vom wahren Wert!

    Die Erde also eine Kugel, im Mittelpunkt des Universums, darum herum die Sphären, an welche Sonne, Mond und die Planeten und schließlich, als äußerste Schale, auch die Fixsterne angeheftet sind - das war seit der Antike das Weltbild der Gebildeten. (Für die weniger Gebildeten blieb die Erde bis ins Mittelalter flach, wie man zum Beispiel sehr schön an der Ebstorfer Weltkarte sehen kann).

    So blieb es bis zur Renaissance. Dann aber ging es Schlag auf Schlag:

    Zunächst setzte sich das heliozentrische Weltbild durch. Die Erde war nur noch ein Planet unter anderen; aber immerhin stand unser Zentralgestirn, die Sonne, noch im Mittelpunkt der Welt.

    Dann erwies sich auch das als irrig. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war klar, daß die Sonne nur ein Stern unter vielen ist, die zusammen unsere Milchstraße bilden. So schildert es Alexander von Humboldt in seinem ab 1845 erschienen grandiosen Werk "Kosmos". Sein Universum war die Milchstraße; die damals bekannten Spiralnebel sah er als besondere Gebilde innerhalb der Milchstraße an.

    Es dauerte noch einmal fast ein Jahrhundert, bis auch dieses Weltbild zerbarst. Der Gedanke, daß die Spiralnebel nichts anderes sein könnten als eigene Milchstraßen, war zwar schon früher geäußert worden (sogar schon von Kant im Jahr 1755); aber es fehlten die Belege. Erst in den Zwanziger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts hatten die Teleskope eine solche Auflösung erreicht, daß man in Spiralnebeln einzelne Sterne erkennen konnte.

    Diese und andere Beobachtungen belegten, daß unsere Milchstraße nur eine unter vielen ist. Und zwar unter sehr vielen - die gegenwärtigen Schätzungen bewegen sich in der Gegend von 80 Milliarden bis 125 Milliarden Galaxien.



    Von diesen rund 100.000.000.000 Galaxien ist unsere Milchstraße eine. Mit rund - das ist die aktuelle Schätzung - 200.000.000.000 bis 400.000.000.000 Sternen in dieser Milchstraße.

    Mit anderen Worten: Unsere Sonne ist, grob geschätzt, einer von 20.000.000.000.000.000.000.000 Sternen im uns bekannten, im "beobachtbaren" Universum. In einem Universum, das - so sagt es das Standard- Modell - vor ungefähr 13,7 Milliarden Jahren in dem "Urknall" entstand, dem "Big Bang", von dem inzwischen jeder schon einmal etwas vernommen hat.

    Das ist, nicht wahr, schon ganz schön viel. Nicht unbedingt ein Grund, uns Erdbewohner besonders wichtig zu nehmen. Uns Erdbewohner, die wir immerhin, um zum Eingangsbeispiel zurückzukehren, aus unserem Dorf gestiegen sind, die wir die Region und unser Heimatland kennengelernt haben.

    Unser Heimatland, das ist dieses "beobachtbare Universum" mit seinen vielleicht hundert Milliarden Milchstraßen, jede mit vermutlich mehreren hundert Milliarden Sonnen. Um eine davon kreist unsere Erde.

    Ja, aber gibt es denn nicht Länder außerhalb unseres Heimatlands? Dürfen wir denn das "beobachtbare Universum" mit der Welt gleichsetzen? Oder ist unser Universum vielleicht nur eines unter vielen - so wie unsere Erde nur einer unter vielen Planeten ist, unsere Sonne nur eine unter sehr vielen Sonnen der Milchstraße, unsere Milchstraße nur eine unter sehr vielen Galaxien?

    (Fortsetzung folgt)



    Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Spiralgalaxie NGC 3627 (M66), aufgenommen vom Weltraumteleleskop Spitzer. Von der NASA in die Public Domain gestellt.

    Zitat des Tages: "Wir leben in einem Meer von Drogen". Kokain in einem Colagetränk!!

    Wenn man andere Nahrungsmittel und Getränke auf diesem Level der Empfindlichkeit messen würde, wie jetzt Red Bull Cola, fände man vieles. Dank moderner Analysenmethoden lernen wir immer mehr, dass wir in einem Meer von Drogen und Dopingstoffen leben.

    Der Pharmakologe Fritz Sörgel, Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (IBMP) in Heroldsberg bei Nürnberg, laut FAZ über das Verbot des Cola von Red Bull in etlichen Bundesländern, weil darin Kokainspuren gefunden worden waren.

    Kommentar: Wie kommt Coca ins Cola? Nun, die Idee, einen Extrakt aus Blättern der Coca- Pflanze in ein Limonaden- Getränk zu tun - das war bekanntlich das Geheimnis des ursprünglichen Coca- Cola. Deshalb heißt es ja so. Aber dieser Extrakt darf natürlich heutzutage kein Kokain enthalten.

    Also "dekokainiert" man ihn, den Extrakt. Und das gelingt, wie diese unvollkommene Welt nun einmal beschaffen ist, nicht perfekt. Aliquid semper haeret sagt der Lateiner; etwas bleibt immer hängen. Und das gilt nicht nur für üble Nachrede, sondern offenbar auch für das Kokain in den Coca- Blättern.

    Wir sind halt in der Biologie; und da ist selten etwas perfekt. Prof. Sörgel hat auch den Koffeingehalt des Cola von Red Bull gemessen und nicht unerhebliche Schwankungen gefunden. Weil auch das Koffein, so Sörgel, aus Pflanzenextrakt stammt.

    Und nun wollte es offenbar ein unglückliches Zusammentreffen, daß in einer Charge des Cola von Red Bull die natürliche Schwankung einen etwas höheren Kokain- Rest mit sich gebracht hatte als im Schnitt, und daß just diese Charge in die Krallen des nordrhein- westfälische Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit (LIGA) geriet. Nein, bleiben wir höflich: Daß dieses Institut diese Charge pflichtgemäß in seinem Labor untersuchte.

    So gründlich untersuchte, wie man das mit den empfindlichen Nachweis- Methoden heutzutage kann. Mit dem Ergebnis, daß immer häufiger minimale Restemengen, die früher niemand bemerken konnte, nachgewiesen und damit amtlich dokumentiert werden.

    Es ist ungfähr so, wie ich das als Kind erfahren habe, als ich das erste Mal einen Tropfen Wasser aus einem Teich unters Mikroskop legte: Von wegen nur Wasser! Da wimmelte es ja nur so von Getier. Die heutigen Analyse- Geräten gleichen immer besseren Mikroskopen.

    Also gilt immer öfter: Wer suchet, der findet. Etwas bleibt eben immer hängen.



    Und dann arbeiten sie, die Mühlen der Bürokratie. Pflichtgemäß, wie auch anders. "Unbedenklich" sei sie, die aufgefundene Restmenge Kokain, sagte Thomas Schulz, Sprecher des Thüringer Gesundheitsministeriums, und "nicht gesundheitsgefährdend". Aber egal, Kokain ist Kokain. Durch den Fund verwandelte sich das Colagetränk von Red Bull aus einem Lebensmittel in "ein Betäubungsmittel". Und mußte folglich aus dem Verkehr gezogen werden.

    So beschäftigen wir sie, unsere Bürokraten, die jetzt ausschwärmen und das Betäubungsmittel "Red Bull Cola" einziehen. Und ihre Kollegen, die dieses verbotene Gut nun registrieren und der - vermutlichen - Vernichtung zuführen werden.

    Die Geräte zum Nachweis von Restspuren werden, wie gesagt, immer empfindlicher. Ein gigantisches Programm zur Schaffung von Arbeitsplätzen deutet sich an.



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    24. Mai 2009

    Marginalie: Worum ging es eigentlich auf der Demonstration, auf der Kurras den Studenten Ohnesorg erschoß? Der Schah als multiple Haßfigur

    Im Transatlantic Forum hat Martin Riexinger darauf aufmerksam gemacht, daß man sich im Zusammenhang mit dem Schuß von Kurras auch darum kümmern sollte, worum es auf der Demonstration am 2. Juni 1967 eigentlich ging.

    Um den Besuch des persischen Schahs nämlich. (Man sagte noch "Persien", bevor das Land politisch korrekt in "Iran" umbenannt wurde). Dieser Staatsbesuch löste - ich habe es miterlebt, wenn auch nicht in Berlin - bei vielen Studenten eine ungeheure Wut aus.

    Das "Schah- Regime" galt damals vielen als das schlechthinnige Böse. Das Rowohlt- Bändchen von Bahman Nirumand, das diese Stimmung wesentlich geprägt hatte ("Persien - Modell eines Entwicklungslandes") steht noch in meiner Bibliothek; wenngleich vom Zerfall bedroht, weil der Kleber dieser Taschenbücher aus den sechziger Jahren sich jetzt allmählich zersetzt.

    Das war damals eine der Bibeln der "Bewegung"; so, wie "Die Verdammten dieser Erde" von Frantz Fanon. Es war wenige Wochen vor dem Schah- Besuch erschienen; Nirumand hatte dazu in überfüllten Veranstaltungen in Berlin vor Studenten gesprochen.

    Warum eigentlich Persien? Wieso hefteten sich die Affekte der revoluzzernden Studenten gerade an den Schah und seine Regierung, und nicht an irgendein anderes Land, das ebenfalls autoritär regiert wurde? Schließlich gab es damals ja außerhalb von Europa und europäisch geprägten Ländern kaum irgendwo auf der Welt funktionierende Demokratien.

    Es spielten aus meiner Sicht etliche Faktoren eine Rolle:
  • Erstens die außenpolitischen Interessen der UdSSR. Sie kämpfte mit dem Westen um die Ressourcen Persiens, wie schon das Zarenreich und das Britische Empire um Einflußzonen in Persien gekämpft hatten. Durch den Sturz Mossadeghs hatten die Kommunisten eine empfindliche Niederlage erlitten. Also wurde der Schah als Bösewicht aufgebaut.

    Dabei kam der kommunistischen Tudeh- Partei eine zentrale Bedeutung zu. Ihre Mitglieder agitierten im Ausland. Nirumand war zwar kein Mitglied der Tudeh- Partei; aber er stieß ins selbe Horn.

  • Zweitens war da diese "Dritte- Welt"- Fixiertheit der Revoluzzer. Deutscher Nationalismus war verpönt; also suchte man sich mit den "kämpfenden Völkern der Dritten Welt" zu identifizieren. Ihre Vertreter, die es nach Deutschland verschlagen hatte, genossen folglich von vornherein Promi- Status in der APO und dann der Studentenbewegung; ob Bahman Nirumand oder Gaston Salvatore.

    Was diese "Dritte Welt" anging, herrschte eine nachgerade unfaßbare Verkennung der Realität. Blutige Diktaturen wie die der Kommunisten in China, Vietnam und Kambodscha wurden verherrlicht; während gemäßigt autoritäre Regimes wie dasjenige des Schahs oder etwas später das des Christdemokraten Duarte in El Salvador verteufelt wurden.

  • Drittens war der Schah ein Freund der USA. Diese hatte man im Zug der Identifikation mit der Dritten Welt, speziell mit den vietnamesischen Kommunisten, als die Bösen ausgemacht, die hinter allen Übeln dieser Welt steckten. Indem man gegen den Schah demonstrierte, agierte man zugleich gegen die USA.

  • Und viertens spielte auch der Generationskonflikt eine Rolle, der ja überhaupt jener weltweiten Jugendbewegung in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre und ganz besonders ihrer deutschen Spielart zugrundelag.

    Denn der Schah und seine erste Frau Soraya waren Lieblinge dessen, was damals die "Regenbogen- Presse" hieß; zu der freilich in diesem Punkt auch Illustrierte wie "Quick", "Revue" und "Der Stern" gehörten. Soraya, mit einer deutschen Mutter, hatte in "Quick" im Jahr 1963 ihre Erinnerungen publiziert. Das Drama ihrer Ehe mit dem Schah, die schließlich wegen Kinderlosigkeit geschieden wurde, hatte viele Deutsche zu Tränen gerührt; auch dann die "Märchenhochzeit" mit Farah Diba.

    Noch einige Jahre zuvor hätte ein Besuch dieses Schah in Deutschland deshalb einer Triumphreise geglichen; so wie der Besuch Kennedys im Juni 1963. Aber nun war es just diese Beliebtheit Reza Pahlevis in der Generation ihrer Eltern, die den jugendlichen Revoluzzern den Schah erst recht verhaßt machte. Sie fielen nicht auf die "Fassade" herein. Sie wußten, welch blutiger Tyrann in dem Herrscher aus dem Morgenland steckte.
  • Kein Wunder also, daß der Schahbesuch diesen Ausbruch von Haß auslöste. Die Revoluzzer sahen in ihm ein Symbol zugleich der USA und ihrer eigenen Elterngeneration; im Iran erblickten sie ein ausgebeutetes Land der "Dritten Welt", mit dem sie sich zu identifizieren trachteten. Der Schah war so etwas wie eine multiple Haßfigur.

    Der Tod Benno Ohnesorgs hätte vermutlich auch unter anderen Rahmenbedingungen Entsetzen und Zorn ausgelöst; in der aufgeheizten Atmosphäre des Schah- Besuchs potenzierte sich das aber noch.



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    23. Mai 2009

    Marginalie: In der Bundesversammlung gewonnen haben Horst Köhler, Peter Sodann und Frank Rennicke

    Nicht, daß Horst Köhler wiedergewählt wurde, ist das Interessante an dieser Wahl. Das war zu erwarten gewesen. Sondern daß Gesine Schwan so miserabel abschnitt.

    Hier sehen Sie die Zusammensetzung der heutigen Bundesversammlung.

    Die beiden Parteien, die Horst Köhler unterstützten, hatten zusammen 614 Stimmen. Davon hat er 613 bekommen.

    Die Kommunisten hatten 90 Stimmen. Anwesend waren 89 Abgeordnete. Peter Sodann hat aber 91 Stimmen bekommen.

    Die Rechtsextremen (NPD und DVU) hatten vier Stimmen. Sie entfielen alle auf deren Kandidaten Frank Rennicke.

    Diesen Parteien ist es also gelungen, ihre Abgeordneten bei der Stange zu halten; die Kommunisten haben sogar Stimmen von Nichtkommunisten bekommen.

    Anders sieht es bei den beiden Parteien aus, deren Kandidatin Gesine Schwan war.

    SPD und Grüne hatten zusammen 514 Abgeordnete. Gesine Schwan erhielt nur 501 Stimmen. Auch wenn sie sich jetzt in den Interviews tapfer gab - sie war schon die unglückliche Gesine Schwan.

    Dieser Mißerfolg lag nicht an ihrer Persönlichkeit. Er lag daran, daß ihr von der SPD, als diese die Volksfront anstrebte, die Kandidatur angetragen wurde, und daß die SPD sie dann nur halbherzig unterstützte, als man die Volksfront vorläufig (nämlich für dieses Jahr) wieder abgeblasen hatte.

    Daß Gesine Schwan es dann auch noch abgelehnt hat, die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen, hätte sich vielleicht in einem dritten Wahlgang in Form von Stimmen der Kommunisten ausgezahlt. Im ersten dürfte es sie Stimmen aus dem Lager der Abgeordneten gekostet haben, die den Unrechtsstaat DDR am eigenen Leib erfahren haben.



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    22. Mai 2009

    Morgen wird Horst Köhler vermutlich wiedergewählt. Ein Rückblick auf die Kandidatur der unglücklichen Gesine Schwan

    Was für ein Tag morgen! Das Grundgesetz wird sechzig Jahre alt, und der Bundespräsident kämpft um seine Wiederwahl. Ach ja, und die Spielzeit der Bundesliga geht mit spannenden Kämpfen an der Spitze und im Keller zu Ende. Das wollen wir ja auch nicht vergessen.

    Damit, daß er um seine Wiederwahl kämpfen mußte - zumindest damit -, wird Horst Köhler in die Geschichte eingehen.

    Bisher wurden alle Bundespräsidenten, die sich für eine zweite Amtszeit zur Verfügung stellten, mit einer breiten Mehrheit wiedergewählt. Natürlich gibt es darauf keinen formalen Anspruch; aber es macht schon Sinn. Denn der Präsident soll sein Amt überparteilich ausüben. Ist ihm das gelungen, dann liegt es nahe, daß er auch überparteilich wiedergewählt wird.

    Ist Horst Köhler mit einer einvernehmlichen Wiederwahl gescheitert, weil er sein Amt schlechter, weil er es weniger überparteilich ausgeübt hätte als seine Vorgänger?

    Keineswegs. Er war in seiner jetzt zu Ende gehenden ersten Amtszeit ein selbständiger, ein den Politikern oft unbequemer Präsident. Daß er sein Amt politisch einseitig ausgeübt hätte, wird ihm selbst die SPD nicht vorwerfen können. Er hat die Wiederwahl ebenso verdient wie Theodor Heuß, wie Heinrich Lübke, wie Richard von Weizsäcker.

    Warum also muß er morgen um sein Amt kämpfen? Warum hat die SPD mit der bisherigen Tradition gebrochen, einen erfolgreichen Präsidenten über Parteigrenzen hinweg wiederzuwählen?



    Die Antwort ist einfach: Weil die SPD die Wahl des Bundespräsidenten für ihre politische Strategie einsetzen wollte.

    Die Entscheidung fiel vor gut einem Jahr, Anfang Mai 2008. Damals hatte eine Frau das Sagen in der SPD: Die Linksaußen- Politikerin Andrea Nahles, deren Büro im Augenblick damit beschäftigt ist, bisherige Kommunisten in die SPD zu holen.

    Zwar war der engere Vorstand (Kurt Beck und seine Stellvertreter Steinbrück, Steinmeier und eben Nahles) mehrheitlich keineswegs links. Aber der biedere, sich freilich durchaus auch in täppischem Machiavellismus versuchende Kurt Beck war im heimischen Mainz verwurzelt geblieben und hatte nie in Berlin Fuß gefaßt; er war ja auch hauptamtlich mit dem Regieren in Mainz beschäftigt. Auch Steinmeier und Steinbrück hatten große Ministerien zu verwalten. Andrea Nahles aber konnte sich voll der Partei widmen; sie wurde damit so etwas wie die geschäftsführende Vorsitzende.

    Und als diese fädelte sie den Coup ein, den ich damals, am 20. Mai 2008, im einzelnen beschrieben habe:

    Köhler hatte sich damals noch nicht geäußert, ob er eine zweite Amtszeit anstrebe. Wie bei Heuß, Lübke und Weizsäcker rechnete man damit, daß er das nur tun würde, wenn er des Vertrauens einer breiten Mehrheit in der Bundesversammlung würde sicher sein können.

    Also hatten die Mini- Machiavellis von der SPD sich, angeführt von Andrea Nahles, ein "Geheimtreffen" ausgedacht, das so geheim war, daß es sofort der Presse bekannt wurde. Man hatte sich auf die Kandidatin Gesine Schwan verständigt, teilte das aber nicht mit, weil man ja "Respekt vor dem Amt des Präsidenten" hatte.

    Durchsickern aber ließ man es; in einem breit sickernden Bach, sozusagen. Die Hoffnung war offensichtlich, damit Köhler zum Verzicht auf eine zweite Amtszeit zu bewegen. Gegen einen neuen Kandidaten der Union würde Schwan dann ausgezeichnete Chancen haben.

    Köhler aber reagierte nicht wie erwartet (wie auch ich es erwartet hatte): Er verkündete nun erst recht, daß er für eine zweite Amtszeit kandidieren würde. Er nahm es in Kauf, als erster deutscher Bundespräsident um sein Amt kämpfen zu müssen.



    Warum wollte Andrea Nahles den Präsidenten Köhler weghaben? Sie wollte nicht eigentlich den Präsidenten Köhler weghaben. Sie wollte eine Gegenkandidatin gewählt sehen, und zwar mit den Stimmen der Volksfront aus SPD, Grünen und Kommunisten.

    Damals sollten die Weichen für eine Volksfront- Regierung nach dem 27. September 2009 gestellt werden. Ein "Stück Machtwechsel"; so, wie bei der Wahl Gustav Heinemanns am 5. März 1969 erstmals auf Bundesebene eine sozialliberale Koalition agierte, die dann im Herbst auch die Regierung bildete.

    Kein Wunder, daß die Nominierung Gesine Schwans bei den Anhängern einer Volksfront auf begeisterte Zustimmung stieß; ich habe damals in zwei Artikeln diese Medienkampagne für Schwan kommentiert.

    Alles schien so schön zu laufen; Schwan benahm sich zunächst sehr geschickt, indem sie sich alsbald mit den Kommunisten anlegte. So konnte das Image einer Freundin der Kommunisten gar nicht erst aufkommen; und daß diese sie dennoch aus machtpolitischem Kalkül wählen würden, war der Kennerin des Kommunismus Schwan natürlich klar.

    Alles hätte so schön werden können - wenn nicht Beck gestürzt und damit Nahles entmachtet worden wäre. Wenn nicht damit in der SPD auf einmal nicht mehr die Volksfront für 2009 angesagt gewesen wäre, sondern die Ampel.

    Damit hing nun die Kandidatur Gesine Schwans in der Luft. Sie war unter diesen neuen Auspizien der SPD schon fast genierlich; würde doch eine Stimmabgabe der Kommunisten für die SPD- Kandidatin nur häßliche Befürchtungen nähren, daß die SPD am Ende doch auf eine Volksfront zusteuern könnte.

    Eine Woge der Begeisterung in der ganzen Linken hatte Gesine Schwan ins Amt tragen sollen. Jetzt rührte sich in der SPD kaum noch eine Hand für sie. Ich habe diesen Frust der Kandidatin Gesine Schwan Anfang des Jahres hier und hier kommentiert. Sie konnte einem nachgerade Leid tun, diese Kandidatin, die mit hoch erhobener Fahne vorneweg marschierte; nur folgte ihr kaum noch jemand.



    Und wie wird es nun morgen ausgehen? Ich halte es für wahrscheinlich, daß Horst Köhler schon im ersten Wahlgang gewählt werden wird.

    Gut möglich, daß auch einige aus der SPD für ihn stimmen, die es nicht darauf ankommen lassen wollen, daß am Ende die Kommunisten ihren Peter Sodann zurückziehen und erklären, sie würden für Schwan stimmen. Gut möglich sogar, daß auch die Kommunisten an einer solchen Konstellation nicht mehr interessiert sind. Warum sollen sie noch für eine Kandidatin der Volksfront stimmen, solange die SPD die Volksfront brüsk ablehnt?



    Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: The International Monetary Fund. In der Public Domain, bestätigt durch das Wikimedia OTRS system.

    Marginalie: Der Fall Kurras - muß die "Geschichte jetzt neu geschrieben" werden?

    Der Mann, der am 2. Juni 1967 Benno Ohnesorg erschoß, war also ein Mitarbeiter des MfS. Kein kleiner Spitzel, sondern offenbar eine wichtige Quelle; heute trat im ZDF- Morgenmagazin jemand auf, der ihn gar mit dem Meisterspion Topas verglich.

    Der Tod Benno Ohnesorgs trug, wie man weiß, entscheidend dazu bei, daß sich die Studentenbewegung radikalisierte und schließlich in Teilen in den blanken Terrorismus abglitt. Muß also jetzt die Geschichte neu geschrieben werden?

    Ich sehe das, was den Polizisten Kurras angeht, vorläufig nicht.

    Daß er im Auftrag des MfS auf einen Demonstranten schoß, ist möglich, aber es dürfte nicht nachzuweisen oder zu widerlegen sein. Sollte es dazu Aktennotizen gegeben haben, dann dürften sie vernichtet sein. Ein derart brisanter Befehl hätte aber auch mündlich gegeben werden können. Wenn nicht ein sehr großer Zufall zur Hilfe kommt - oder wenn Kurras, der ja noch lebt, nicht am Ende selbst gesprächig wird -, dürfte dieser Punkt wohl ungeklärt bleiben.



    Aber in einer anderen Hinsicht könnte die überraschende Wende des Falls Kurras vielleicht doch zu einem neuen Blick auf den deutschen Terrorismus der siebziger Jahre führen.

    Damals waren die Meisten - war auch ich - überzeugt, daß die "Rote Armee Fraktion", daß die "Bewegung 2. Juni" und sonstige deutsche Terroristen nichts mit der DDR zu tun hatten. Nichts ist doch, so dachten wir, den dortigen bürokratischen Sozialisten mehr zuwider als Herumballerei und Bombenlegen.

    Wir haben uns damals geirrt. Die DDR sah sehr wohl das Potential des Terrorismus für eine Destabilisierung der Bundesrepublik. Natürlich schätzte man es nicht, wie diese Terroristen ohne Auftrag der Partei der Arbeiterklasse sozusagen privat die Diktatur des Proletariats herbeizuschießen versuchten; gewiß hielt man auch ihre Theorien für naiv. Aber als nützliche Idioten wurden sie offenbar durchaus geschätzt.

    Also hat man sie auf vielfältige Weise gefördert - von Schleusungen über den Flughafen Schönefeld bis hin zum Ruhenstand unter falschem Namen, den man verdienten Terroristen wie Inge Viett ermöglichte.

    Aber die Unterstützung ging noch weiter: Anfang der achtziger Jahre durften Terroristen wie Christian Klar und Adelheid Schulz die DDR regelrecht als Ruhe- und Trainingsraum benutzen. Sie wurden, wie ein damals Verantwortlicher (Walter Lindner, MfS-Abteilung XXII) sagte, für den weiteren Kampf "aufgepäppelt", absolvierten Schießübungen usw. Ein beliebter Aufenthaltsort für die ruhebdürftigen Kämpfer war das Stasi-"Objekt 74", das "Forsthaus an der Flut" in Briesen, idyllisch an der Spree östlich von Berlin gelegen.

    Des weiteren wurden die Terroristen über die MfS-Residentur im Jemen mit für sie nützlichen geheimdienstlichen Informationen versorgt, zum Beispiel über bevorstehende Razzien.

    Daß die DDR ihr gerütteltes Maß an Schuld an den Morden der RAF trägt, ist immer noch wenig in der Öffentlichkeit bekannt. Wenn der Fall Kurras jetzt den Anlaß gibt, daß dieser Aspekt der DDR aufgearbeitet wird, dann wird die Gechichte wenn auch nicht neu geschrieben, so doch vielleicht der Öffentlichkeit besser vermittelt werden.



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    21. Mai 2009

    Marginalie: Britische Moslems zeigen Nulltoleranz gegenüber Homosexualität. Mehr darf ich Ihnen leider nicht verraten

    Die Umfrage wurde schon vor zwei Wochen publiziert; aber erst gestern bin ich durch den Bericht in Islamist Watch darauf aufmerksam geworden.

    Islamist Watch konzentriert sich in seinem Artikel auf die Einstellungen zur Homosexualität, die in dieser Umfrage erhoben wurden.

    Das ist aber nur ein Aspekt einer sehr viel umfangreicheren Umfrage, die von Gallup im vergangenen Jahr durchgeführt wurde; genauer vom Gallup Center for Muslim Studies. Ihr Thema waren die Einstellungen der Gesamtbevölkerung und der Moslems in ausgewählten Staaten insbesondere zu solchen Fragen, die für die Integration relevant sind. Europa war durch Frankreich, Großbritannien und Deutschland vertreten.

    Ich hätte gern ausführlich über diese Untersuchung berichtet, die viele überraschende Ergebnisse enthält. Aber das darf ich nicht. Zwar darf man den Bericht als PDF-Datei herunterladen; aber was ihr Copyright angeht, verstehen die Leute von Gallup keinen Spaß:
    This document contains proprietary research, copyrighted materials, and literary property of Gallup, Inc. It ... is not to be copied, quoted, published, or divulged to others ... (...) ... international and domestic laws and penalties guaranteeing patent, copyright, trademark, and trade secret protection protect the ideas, concepts, and recommendations related within this document.

    Dieses Dokument enthält durch Eigentumsrecht geschützte Forschung, durch Copyright geschütztes Material und geistiges Eigentum von Gallup Inc. Es ... darf nicht vervielfältigt, zitiert, veröffentlicht oder anderen ... zugänglich gemacht werden. ... (...) ... Internationale und amerikanische Gesetze und Strafvorschriften, welche die Patentrechte, das Copyright, Warenzeichen und den Schutz des Geschäftsgeheimnisses garantieren, schützen die Ideen, Konzepte und Empfehlungen, die mit diesem Dokument in Zusammenhang stehen.
    Da äußere ich mich doch lieber gar nicht zu dieser Untersuchung und zitiere nur, was man im britischen Guardian lesen kann:
    Muslims in Britain have zero tolerance towards homosexual acts compared to their counterparts in France and Germany, according to a survey published today. (...) It shows that British Muslims hold more conservative opinions towards homosexual acts, abortion, viewing pornography, suicide and sex outside marriage than European Muslims, polling markedly lower when asked if they believed these things were morally acceptable.

    The most dramatic contrast was found in attitudes towards homosexuality. None of the 500 British Muslims interviewed believed that homosexual acts were morally acceptable. (...) By comparison, 35% of French Muslims found homosexual acts to be acceptable.

    Die Moslems in Britannien haben eine Nulltoleranz gegenüber homosexuellen Handlungen, vergleicht man sie mit denjenigen in Frankreich und Deutschland. Dies ergab eine heute veröffentlichte Untersuchung. (...)

    Sie zeigte, daß die britischen Moslems konservativere Meinungen zu homosexuellen Handlungen, zur Abtreibung, zum Betrachten von Pornographie, zum Selbstmord und zu außerehelichem Geschlechtsverkehr haben als Moslems auf dem europäischen Kontinent. Sie erreichten niedrigere Werte, wenn sie danach gefragt wurden, ob sie glaubten, daß diese Dinge moralisch akzeptabel seien.

    Der drastischste Kontrast wurde bei den Einstellungen zur Homosexualität gefunden. Keiner der 500 interviewten britischen Moslems war der Meinung, daß homosexuelle Handlungen moralisch akzeptabel wären. (...) Hingegen sahen 35% der französischen Moslems homosexuelle Handlungen als akzeptabel an.
    Und in Deutschland? Soviel darf ich, denke ich, verraten, ohne mich der angedrohten Strafverfolgung auszusetzen: 19 Prozent der deutschen Moslems hielten Homosexualität für moralisch akzeptabel (Abbildung 32 auf Seite 31 des Berichts).

    Das mag wenig sein. Aber - und bei diesem Ergebnis bin ich doch ins Grübeln gekommen - auch nur 68 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung hielt Homosexualität für moralisch akzeptabel!



    Wie erwähnt - in der Untersuchung geht es nicht zentral um Homosexualität. Sie befaßt sich mit der Religiosität der Bevölkerungsgruppen, mit ihrer Loyalität zu dem Land, in dem sie leben, und mit vielen anderen Themen im Zusammenhang mit dem allgemeinen Thema der Integration. Ich empfehle sehr, den Bericht zu lesen.

    Die Erhebungen laden meines Erachtens zu methodischen Einwänden ein; sie bieten aber jedenfalls ein ganzes Füllhorn überraschender Ergebnisse.

    Ich bin gespannt auf die Diskussionen dazu in "Zettels kleinem Zimmer". Aber Vorsicht - nur diskutieren, nicht zitieren!



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    20. Mai 2009

    Zitat des Tages: "Wir haben an die Lampe geklopft". Die Kanzlerin über ihr Leben in der DDR

    Wir haben oft in Gaststätten an die Lampe geklopft und gesagt: "Wenn ein Mikrofon drin ist – einschalten!" Es ging darum, sich nicht kirre machen zu lassen."

    Bundeskanzlerin Merkel gestern im Interview mit Sandra Maischberger über ihren Alltag in der DDR.

    Kommentar: Diese Bemerkung kennzeichnet, so scheint mir, sehr gut das Leben, das Angela Merkel ebenso wie die meisten DDR-Bürger geführt hat: Man wußte sich ständig überwacht. Man arrangierte sich irgendwie mit der Unfreiheit. Man hatte das Bestreben, sich seine eigene kleine Freiheit zu bewahren, so gut es ging, sich nicht "kirre machen" zu lassen.

    Den meisten gelang das. Das bedeutete freilich den Verzicht darauf, ehrlich seine Meinung zu sagen und aktiv gegen das Regime Stellung zu nehmen. Wer das tat - wer mutiger, entschlossener, moralischer handelte als die heutige Kanzlerin -, der mußte mit der Vernichtung seiner Existenz rechnen. Mit Gefängnis, der Zerstörung seiner Familie, der Wegnahme seiner Kinder. Sippenhaft für die Angehörigen.

    Daß die meisten DDR-Bürger, auch Angela Merkel, das nicht riskierten, ist für mich nachvollziehbar, ja es erscheint mir naheliegend und richtig. Sehr wahrscheinlich hätte ich genauso gehandelt.

    Die Pharisäer aus dem Westen, die ihr Leben in einem freiheitlichen Rechtsstaat verbracht haben und die nun den Zeigefinger heben und andere, die dieses Glück nicht hatten, dafür tadeln, daß sie ihre Existenz nicht aufs Spiel gesetzt haben, sind mir unerträglich. Was für eine Selbstgerechtigkeit, welche moralisierende Heuchelei!



    Interessanter als das, was die Kanzlerin gesagt hat, ist aber vielleicht der Umstand, daß sie es gesagt hat.

    Die Sendung war ja etwas seltsam: Statt der üblichen Diskussionsrunde bestand sie aus zwei Teilen; erst das Interview mit der Kanzlerin und dann eine Runde u.a. mit Gregor Gysi und Guido Knopp. Offenbar war es der Kanzlerin wichtig gewesen, sich zu dem Thema zu äußern, auch wenn sie vermutlich nicht willens war, ausgerechnet mit Gregor Gysi über das Leben in der DDR zu diskutieren.

    Warum diese Bereitschaft zur Auskunft? Es könnte sein, daß die Kanzlerin einer Schmutzkampagne zuvorkommen will, die, so scheint es, von Oskar Lafontaine und Genossen vorbereitet wird. Ein Kostprobe hat Lafontaine vor einer Woche im Interview mit "Spiegel- Online" gegeben:
    Spiegel-Online: Kanzlerin Angela Merkel will die Linke weiterhin an ihrer Haltung zur DDR- Vergangenheit messen.

    Lafontaine: Ein interessanter psychologischer Fall. Die Menschen neigen dazu, ihre eigenen Fehler anderen vorzuwerfen. Frau Merkel müsste ihre eigene DDR- Vergangenheit aufarbeiten, und die ihrer eigenen Partei. Sie war FDJ- Funktionärin für Agitation und Propaganda. Damit gehörte sie zur Kampfreserve der Partei.
    Während Oskar Lafontaine, im freien Westen, ja bekanntlich immer gegen das kommunistische Regime gekämpft hat.

    Wie zum Beispiel hier dokumentiert:





    Für Kommentare bitte hier klicken. Foto: Deutsches Bundesarchiv, Bild 183-1988-0818-405; frei unter Creative Commons Attribution ShareAlike 3.0 Germany License (CC-BY-SA).

    19. Mai 2009

    Marginalie: Akupunktur wirkt. Auch wenn sie gar nicht stattfindet. Über die Vertracktheit von Placebos

    Neu ist der Befund nicht. Er bestätigt zahlreiche ähnliche Forschungsergebnisse; aber sie scheinen von der Öffentlichkeit nicht recht zur Kenntnis genommen zu werden:

    Akupunktur wirkt, beispielsweise bei der Schmerzbekämpfung. Aber was wirkt, das ist der Glaube des Patienten daran, daß eine Akupunktur- Behandlung stattfindet. Täuscht man diese vor, indem Schein- Nadeln angebracht werden, die gar nicht in die Haut eindringen, aber wie Akupunkturnadeln aussehen und von ihnen auch taktil nicht zu unterscheiden sind - dann ist die Besserung genau so groß wie bei Akupunktur.

    Über die Untersuchung, die das einmal wieder bestätigt hat, berichtete vergangene Woche das Wissenschafts- Magazin Science News; siehe auch den Bericht im Time Magazine.

    Die Autoren (D.C. Cherkin und Mitautoren, Archives of Internal Medicine, May 11, 2009, Vol. 169, p. 858-866) untersuchten 638 Patienten mit chronischen Rückenschmerzen. Sie wurden in vier Gruppen aufgeteilt. Alle setzten ggf. ihre übliche medikamentöse Schmerztherapie fort. Sie unterschieden sich aber in Bezug auf eine zusätzliche Akupunktur- Behandlung:
  • Die erste Gruppe erhielt eine Standard- Akupunktur- Behandlung.

  • Gruppe zwei erhielt ebenfalls Akupunktur; aber diese wurde von einem Akupunktur- Arzt individuell an den Patienten angepaßt. (Dafür gibt die traditionelle chinesische Medizin bestimmte Regeln an; z.B. muß die Zunge untersucht werden).

  • Die dritte Gruppe erhielt (natürlich, ohne das zu wissen), die Schein- Akupunktur. Dabei wurden auf dem Rücken dieselben Röhrchen angebracht, durch die sonst die Akupunktur- Nadeln gesteckt werden. Statt derer wurden aber Zahnstocher eingeführt, die zwar einen Druck auf die Haut ausübten, aber nicht in diese eindrangen. Für den Patienten war das nicht von Akupunktur zu unterscheiden.

  • Die vierte Gruppe war die Kontrollgruppe, die nur ihre übliche medikamentöse Therapie erhielt.
  • Die Patienten, die sich freiwillig für dieses Forschungs- Experiment gemeldet hatten, wurden nach Zufall einer der vier Gruppen zugeteilt. Sie wußten nicht, ob sie echte Akupunktur oder die Scheinakupunktur erhielten. Jeder Patient erhielt zehn Behandlungen innerhalb von sieben Wochen.

    Nach Ende der Behandlungsperiode füllten die Patienten zu verschiedenen Zeitpunkten Fragebögen über ihr Befinden aus; nach acht Wochen, einem halben Jahr und einem Jahr.

    Die Ergebnisse lassen sich kurz zusammenfassen: Bis auf die vierte, also die unbehandelte Kontrollgruppe zeigten alle Patienten- Gruppen deutliche Besserung, und zwischen den drei behandelten Gruppen gab es keine signifikanten Unterschiede. Die Schein- Akupunktur wirkte also genauso gut wie echte Akupunktur.



    Wie läßt sich das erklären? Die nächstliegende Erklärung ist, daß Akupunktur eben gar nicht durch die physiologischen Einflüsse der Nadeln wirkt, sondern durch den Glauben an ihre Wirksamkeit. Ein Placebo- Effekt also.

    Placebo- Effekte sind keine "Einbildung", sondern echte Effekte, deren Besonderheit nur ist, daß sie über psychische Mechanismen vermittelt werden. Nach dem gegenwärtigen Forschungsstand (einen guten Überblick gibt die internationale Wikipedia) werden dabei letztlich dieselben Mechanismen (vor allem die Ausschüttung von Opioiden) aktiviert wie auch durch schmerzlindernde Medikamente; nur ist das zum Teil über andere Gehirn- Mechanismen (vor allem des Frontalhirns) vermittelt und insofern eben "psychisch".

    Mit anderen Worten, der Glaube ist die Therapie. Im Grunde nichts Erstaunliches, denn daß "Psychisches" körperliche Funktionen beeinflussen kann, wissen wir alle; spätestens, seit wir uns als Kind vielleicht vor Angst in die Hose gemacht haben.

    Aber wenn das so ist - nicht nur bei der Akupunktur, sondern beispielsweise auch bei der Homöopathie - , dann stellt sich ein sehr schwieriges ethisches und auch praktisches Problem: Die Wirkung hängt daran, daß der Patient an eben diese Wirkung glaubt. Und er glaubt daran, daß es die Nadeln sind, daß es die Verschüttlungen sind, die wirken, nicht sein Glaube.

    Klärt man den Patienten über den Placebo-Effekt auf, dann verschwindet dieser in der Regel oder wird jedenfalls geringer. Muß man den Patienten also belügen, um ihn erfolgreich zu therapieren?

    Es scheint so. Und nach meinem Eindruck wissen das viele Ärzte auch und handeln danach. Oft aber erleichtern sie sich die Situation, indem sie sich auf den Standpunkt stellen, man kenne ja die Mechanismen noch nicht wirklich. Entscheidend sei doch der therapeutische Erfolg. Wer heilt, hat Recht.

    Auch Cherkin und seine Mitautoren denken offensichtlich so. Sie sehen nämlich in einem Placebo- Effekt nur eine der möglichen Erklärungen für ihre Befunde. Vielleicht, schreiben sie, hätte ja auch die bloße Berührung der Haut durch die Zahnstocher schon physiologisch so gewirkt wie eine Akupunktur.



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    Zitat des Tages: "Der Friedensprozeß ist eine Chimäre". George Friedmans Analyse zu Netanyahus Besuch in Washington

    ... the entire peace process — including the two-state solution — is a chimera. Neither side can live with what the other can offer.

    (... der ganze Friedensprozeß - einschließlich der Zweistaaten- Lösung - ist eine Chimäre. Keine Seite kann mit dem leben, was die andere anbieten kann.)

    George Friedman gestern bei Stratfor zu Netanyahus Besuch in Washington.

    Kommentar: Wie so oft liefert George Friedman eine nüchterne Analyse der Interessen, die hinter den Verlautbarungen für die Medien und das Publikum stecken.

    Aus seiner Sicht ist niemand an einer Zweistaaten- Lösung im Nahen Osten interessiert. Er nennt dafür die folgenden Gründe:
  • First, at present there are two Palestinian entities, Gaza and the West Bank, which are hostile to each other.

  • Second, the geography and economy of any Palestinian state would be so reliant on Israel that independence would be meaningless; geography simply makes the two-state proposal almost impossible to implement.

  • Third, no Palestinian government would have the power to guarantee that rogue elements would not launch rockets at Israel, potentially striking at the Tel Aviv- Jerusalem corridor, Israel’s heartland.

  • And fourth, neither the Palestinians nor the Israelis have the domestic political coherence to allow any negotiator to operate from a position of confidence. Whatever the two sides negotiated would be revised and destroyed by their political opponents, and even their friends.

  • Erstens gibt es im Augenblick zwei palästinensische Gebilde, Gaza und die Westbank, die einander feindlich gegenüberstehen.

  • Zweitens wäre jeder Palästinenser- Staat aus Gründen der Geographie und der Wirtschaft derart auf Israel angewiesen, daß Unabhängigkeit sinnlos wäre; die Geographie macht es so gut wie unmöglich, den Zwei- Staaten- Plan zu realisieren.

  • Drittens hätte keine palästinensische Regierung die Macht, zu garantieren, daß schurkische Elemente nicht Raketen auf Israel abfeuern würden; diese hätten die Möglichkeit, den Korridor Tel Aviv- Jerusalem zu treffen, das Herzland Israels.

  • Und viertens haben weder die Palästinenser noch die Israelis das innenpolitische Einvernehmen, das es einem Verhandlungsführer ermöglichen würde, verbindliche Zusagen zu machen. Was auch immer die beiden Seiten aushandelten, würde von ihren politischen Gegnern, sogar ihre Freunden, revidiert und zerstört werden.
  • Warum also das ganze Verhandlungstheater?

    Die arabischen Staten, schreibt Friedman, hätten zwar kein Interesse an einem Palästinenser- Staat; sie müßten aber auf eine Pro- Palästina- Stimmung in Teilen ihrer Bevölkerung Rücksicht nehmen: "The states’ challenge, accordingly, is to appear to be doing something on behalf of the Palestinians while in fact doing nothing" - die Herausforderung an diese Staaten sei es also, scheinbar etwas für die Palästinenser zu tun, während sie in Wahrheit nichts tun.

    Die USA ihrerseits seien an guten Beziehungen zu diesen Staaten interessiert und bemühten sich deshalb, den Eindruck zu erwecken, sie reagierten auf Druck ihrer Regierungen - "while being careful to achieve nothing"; während sie darauf bedacht seien, nichts zustande zu bringen.

    Was Israel angeht, so sieht Friedman vor allem die innenpolitischen Interessen Netanyahus und den Aspekt der Weltmeinung. Netanyahu hätte, so Friedman, gern eine große Nahost- Konferenz, in der die Araber unisono Israel verurteilen würden:

    "This would shore up the justification for Netanyahu’s policies domestically while simultaneously creating a framework for reshaping world opinion by showing an Israel isolated among hostile states" - das würde Netanyahus Politik innenpolitisch rechtfertigen und in der Weltbildung das Bild von einem isolierten Israel formen, umgeben von Feinden.

    Friedmans Fazit ist nüchtern und klingt zynisch:
    So the peace process will continue, no one will expect anything from it, the Palestinians will remain isolated and wars regularly will break out. The only advantage of this situation from the U.S. point of view it is that it is preferable to all other available realities.

    So wird der Friedensprozeß weitergehen, niemand wird irgend etwas davon erwarten, die Palästinenser werden isoliert bleiben, mit Regelmäßigkeit werden Kriege ausbrechen. Aus der Sicht der USA ist das einzige Vorteilhafte an dieser Situation, daß sie immer noch besser ist als jede andere verfügbare Realität.
    Das sind nur einige Auszüge aus George Friedmans Artikel. Ich empfehle, ihn komplett zu lesen. Es lohnt sich.



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