18. Mai 2009

Zitat des Tages: "Die SPD hofft auf Überläufer". Über den erstaunlichen Umgang der SPD mit Kommunisten. Nebst Biographischem zu Sylvia-Yvonne Kaufmann

Die SPD hofft auf weitere Überläufer aus der Partei Die Linke. (...) Als Anlaufstelle für Wechselwillige gilt bei den Sozialdemokraten die frühere PDS- Politikerin Angela Marquard, die inzwischen im Stab von SPD-Vizin Andrea Nahles arbeitet.

Aus einer Vorausmeldung zum "Spiegel" dieser Woche (21/2009).

Kommentar: Es ist erstaunlich, mit welcher Nonchalance die SPD offenbar jeden in ihre Arme zu nehmen bereit ist, dem es bei den Kommunisten nicht mehr gefällt.

Sylvia-Yvonne Kaufmann, deren Übertritt vergangene Woche Schlagzeilen machte, beispielsweise, hat eine lupenreine kommunistische Karriere hinter sich:

Eintritt in die SED 1976 im Alter von 21 Jahren. Studium der Japanologie u.a. in Japan; zu einem solchen Studium im KA (Kapitalistischen Ausland) wurden bekanntlich nur absolut zuverlässige Genossen delegiert. Offenbar erfüllte Frau Kaufmann die Erwartungen der SED, denn nach ihrer Rückkehr in die DDR folgte, so ihr Lebenslauf beim Europaparlament,
1981-1988 wissenschaftliche Arbeit an der Humboldt- Universität zu Berlin im Fachgebiet Außenpolitik Japans und internationale Beziehungen in Ostasien. (...) 1988-1990 wissenschaftliche Arbeit am Institut für Internationale Politik und Wirtschaft in Berlin.
Zu diesem Institut gibt es eine Untersuchung von Michael B. Klein. Danach war es
... Teil des SED-Systems. Ausgerichtet auf Westanalyse, parteiisch im totalitären Sinne, ein Instrument des Politbüros, eng verbunden mit dem Ministerium für Staatssicherheit, zugleich aber auch nach Westen ein Element des kontrollierten Dialogs, der angedeuteten Vorfeld- Diplomatie, der Sondierung, der Beeinflussung und der Koordinierung.
Dort also arbeitete Frau Kaufmann bis zur Wende. Ihrer Partei blieb sie auch nach deren Umbenennung treu und machte dort schnell Karriere:

1990 Abgeordnete der Volkskammer, dann des Bundestags. Ab 1991 Mitglied des Parteivorstands der PDS, ab 1993 stellvertretende Vorsitzende. Ab 1991 im EU-Parlament; zunächst mit Beobachterstatus, seit 1990 Mitglied des Parlaments. Von 1999 bis 2004 und erneut von 2007 bis jetzt stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Fraktion der "Europäischen Linken" (EL), in der alle im EU-Parlament vertretenen kommunistischen Parteien zusammengeschlossen sind.

Diese Frau hat im Alter von 54 Jahren entdeckt, daß sie eigentlich gar keine Kommunistin, sondern Sozialdemokratin ist. Sie hat es entdeckt, nachdem sie von ihrer Partei nicht mehr für die Europawahl aufgestellt worden war. Und die SPD hat ihr diesen Gesinnungswandel nicht nur abgenommen, sondern sie hat sogar stolz eine Pressekonferenz mit dem Vorsitzenden Franz Müntefering veranstaltet, um den Übertritt gebührend zu würdigen.



Nun also werden, laut "Spiegel", weitere Namen potentieller Parteiwechsler genannt. Beispielsweise Thomas Falkner:

Studium an der Sektion Journalistik der Karl- Marx- Universität Leipzig, an der die künftigen DDR- Journalisten auf Parteilichkeit gedrillt wurden. Dann von 1985 bis 1990 Redakteur beim Rundfunk der DDR. 1989 im Parteivorstand der SED-PDS. Nach der Wende zeitweise Stellvertretender Chefredakteur der kommunistischen "Jungen Welt". 1999 bis 2002 Leiter des Bereiches Strategie und Grundsatzfragen beim Parteivorstand der PDS. Gilt als enger Vertrauter von Lothar Bisky.

Zwei alte Genossen also von Angela Marquardt, die ihrerseits aus einer Familie von Stasi- Mitarbeitern stammt; ihr selbst wurde aber nicht mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen, wissentlich IM gewesen zu sein. Auch sie war, wie Frau Kaufmann, einst Stellvertretende Vorsitzende der PDS.



Dazu drei Anmerkungen:

Erstens: Es mag durchaus sein, daß diejenigen, die von der PDS bzw. "Die Linke" zur SPD gewechselt sind oder das noch tun werden, mit dem Kurs Oskar Lafontaines unzufrieden sind; daß sie sich von dessen populistischen Krakeelereien vielleicht sogar abgestoßen fühlen. Es mag auch politische Differenzen geben, z.B. in der Europapolitik.

Aber das muß ja nicht bedeuten, daß sie keine Kommunisten mehr wären; daß beispielsweise Frau Kaufmann die politischen Überzeugungen aufgegeben hätte, für die sie seit mehr als dreißig Jahren eingetreten ist. Vielleicht sieht sie ja nur, gegeben die Entwicklung der SPD nach links, inzwischen die Möglichkeit, für diese Ziele innerhalb der SPD zu kämpfen.

Zweitens: Aus meiner Sicht ist es keineswegs zu beanstanden, wenn jemand, der in der SED war, vielleicht auch in ihr aktiv gewesen war, seinen Irrtum nach der Wiedervereinigung einsah, ihn bereute und sich entschloß, in einer demokratischen Partei mitzuarbeiten. So war es ja auch bei ehemaligen NSDAP- Mitgliedern in der alten Bundesrepublik gewesen.

Aber Sylvia- Yvonne Kaufmann und Franz Falkner haben ihren Irrtum ja eben nicht eingesehen. Bis fast zwanzig Jahre nach dem Ende der DDR haben sie der kommunistischen Partei die Treue gehalten; ja in herausgehobener Position für sie gearbeitet. Und jetzt sollen sie über Nacht zu Sozialdemokraten mutiert sein?

Und noch eine dritte Anmerkung: Diese Übertritte mögen der SPD Wähler aus dem Linksaußen- Spektrum zuführen. Zugleich aber bedeuten sie eine weitere Verschiebung der Achse der SPD nach links. Ganz so, wie es der SPD- Altlinke Erhard Eppler schon 2001 konzipiert hat.



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