26. Mai 2009

Zitat des Tages: "Gerade am Religionsunterricht erweist sich der säkulare Charakter unseres Staates". Über Schäubles Integrationspolitik

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat am Dienstag im Berliner Wissenschaftskolleg seine Ansicht bekräftigt, dass das Religionsverfassungsrecht der Bundesrepublik sich bewährt habe und für die Integration der Muslime den geeigneten Rahmen bilde.

In Schäubles pointierter Auffassung erweist sich gerade am Religionsunterricht der säkulare Charakter unseres Verfassungsstaates. Der Staat maßt sich nicht an, Nützliches und Schädliches in den religiösen Überlieferungen gemäß eigenem, überlegenem Wissen zu sortieren, wie es Voraussetzung für eine Umstellung vom Bekenntnisunterricht auf vorgeblich neutrale Religionskunde wäre, sondern kooperiert in der Ausbildung der Religionslehrer mit den Religionsgemeinschaften.


Patrick Bahners in der FAZ über einen Diskussionsbeitrag Wolfgang Schäubles auf einer gemeinsamen Veranstaltung der Berlin- Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, des Wissenschaftskollegs und der Thyssen- Stiftung anläßlich der diesjährigen Carl- Heinrich- Becker- Vorlesung. Diese hielt der amerikanisch- sudanesische Jurist Abdullahi An-Na'im von der Emory University in Atlanta, der sich für einen modernen Islam einsetzt.



Kommentar: Abdullahi An-Na'im ist ein Sudanese, der vor den dort regierenden Islamisten in die USA fliehen mußte. Sein Lehrer Mahmud Muhammad Taha wurde im Januar 1985 von den Islamisten öffentlich gehenkt. Sein Vergehen: Er sei vom Islam abgefallen.

Abdullahi An-Na'im vertritt eine interessante These, die dem entgegengesetzt ist, was hier in Deutschland viele über den Islam zu wissen vermeinen: Die Trennung von Staat und Religion sei dem Islam keineswegs fremd, ja sie liege in dessen Wesen. Bahners:
Das Prinzip des Islams ist nach An-Na'im individualistisch: Nur der einzelne Gläubige kann Gottes Gebote befolgen. Der Staat kann nicht religiös sein; die staatliche Kodifizierung der Scharia verformt das Religionsgesetz, weil staatliche Sanktionen das Wesen des religiösen Gehorsams verfehlen.
Gewiß macht man sich mit solchen Auffassungen bei Islamisten keine Freunde; auch An-Na'im wurde schon mit dem Tod bedroht. Umso mehr sollten wir im liberalen Westen auf Wissenschaftler wie ihn hören.

Die Interpretation des Islam durch die Islamisten benutzt diesen als die Grundlage für eine totalitäre Ideologie. So, wie der Marxismus den Kommunisten, wie den Nazis ihre Rassenlehre die ideologische Basis für einen alle Lebensbereiche durchdringenden totalitären Staat lieferte. Kein totalitäres System kommt ohne eine solche weltanschauliche Fundierung aus; sie ist der Geßlerhut, den alle Bürger als Zeichen ihrer Unterwerfung grüßen müssen.

Nur ist das eben nicht der Islam schlechthin. Es ist eine seiner Interpretationen. In unserem Interesse liegt es, den Einfluß anderer, liberaler Interpretationen wie derjenigen von Abdullahi An-Na'im zu stärken. Mir scheint, daß Wolfgang Schäuble das verstanden hat.



Schäuble hat aber auch verstanden, daß Experimente à la "Schulfach Ethik" das Gegenteil von liberal sind. Denn ein solches Fach braucht ja einen Lehrplan. Indem er diesen aufstellt, maßt der Staat sich an, darüber zu entscheiden, was denn ethisch relevant sei, wie verschiedene Religionen und ethische Haltungen zu betrachten seien usw.

Auch wenn in einem solchen Fach "alle Religionen und Weltanschauungen" (welche?) "gleichberechtigt" behandelt werden sollen, müssen sie doch unter bestimmten Gesichtspunkten, nach bestimmten Kriterien, in einer bestimmten Selektion behandelt werden. Insofern dringt der Staat mit einem solchen obligatorischen Fach in die Privatsphäre des Bürgers ein.

Religionsunterricht ist dagegen nicht obligatorisch (und war es übrigens auch in der Bundesrepublik niemals; auch nicht zur Adenauer- Zeit). Wer den Unterricht seiner Konfession besucht, der tut das freiwillig. Den Staat geht das nichts an. Er stellt den Rahmen zur Verfügung - die Lehrer, die Räume. Er ermöglicht damit Vielfalt, aber er dekretiert sie nicht.

Nur insofern hat der Staat das Recht, sich in den Religionsunterricht einzumischen, als er es nicht dulden kann, daß verfassungsfeindliche Inhalte gelehrt werden. Daß zum Beispiel Anhänger anderer Religionen herabgewürdigt werden oder daß die Trennung von Staat und Religion in Zweifel gezogen wird.

Hier trifft sich dann das, was Schäuble gesagt hat, mit der Position von Prof. An-Na'im.



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