31. August 2019

Wie wählt er, der Ossi?

Morgen wählt natürlich nicht „der Ossi“. Vielmehr entscheiden nur die Sachsen und die Brandenburger über die Zusammensetzung ihrer jeweiligen Landtage. Wer nicht das Glück hatte, in den letzten Wochen von deutschen Feuilleton- und Twitter-Debatten verschont geblieben zu sein, hat die Anspielung in der Überschrift zweifellos verstanden.

Der SPIEGEL-Titel vom 24. August „So isser, der Ossi“, illustriert mit einer schwarz-rot-goldenen Angler-Kopfbedeckung, hat für einige veröffentlichte Erregung gesorgt. Die einen warfen dem Nachrichtenmagazin Doppelstandards vor, weil dessen Redaktion im Falle anderer Personengruppen abwertende Pauschalurteile unter keinen Umständen, also auch nicht mit offenkundig triefender Ironie, aufs Cover brächte. (Ein Aufmacher „So isser, der Moslem“ oder „So sind sie, die Weiber“ würde bei dem Hamburger Blatt sicher noch nicht einmal das Stadium eines unausgegorenen Vorschlags erreichen.) Andere, insbesondere ostdeutsche Linke (gemeint ist das Lager, nicht die Partei), beklagten den Inhalt der Generalisierung: Wie man an ihnen sehe, seien doch nicht alle Bewohner der neuen Bundesländer pöbelnde Merkel-Gegner wie das Zerrbild des berühmt gewordenen Hutbürgers. Man möge den Osten differenzierter betrachten. Eine Zusammenfassung der Diskussion mit durchaus interessanten Nebensträngen findet man in der SPIEGEL-Online-Kolumne von Stefan Kuzmany.

29. August 2019

Anfrage an den Schöpfer- und Erlösungsglauben

Wer in einer einsamen Gegend zum nächtlichen Himmel aufblickt, sieht nicht nur viele Sterne, sondern ein Problem.

Die Größe unseres Universums und die Möglichkeit von weiteren belebten fernen Planeten bedeuten eine Anfrage an die jüdische und christliche Rede von einem Schöpfergott mit Interesse an und Beziehungen zu den Menschen auf unserer Erde und eine spezifisch-kritische Anfrage an den Glauben der Christen: Was wird in ihrem Weltbild aus der Vorstellung von einem Gott, dessen „Sohn“ vor 2000 Jahren als Jude Jesus in Galiläa in der Gestalt eines Gottmenschen aufgetreten sein soll? Muss die Christologie der Kirchen nicht schon jetzt geändert werden oder kann sie noch solange, also lange, bestehen bleiben, nämlich bis es einen Kontakt mit einem Planeten gibt, auf dem eine vergleichbare Gattung mit einer ähnlichen Bewusstseins-, Sprach-, Schuld- und Erlösungsgeschichte lebt?

27. August 2019

Vowärts nimmer: Berlin ruft die DDR aus.

Zugegeben: Es ist inzwischen schwer geworden nur noch auf ein einzelnes "Problem" in Berlin hinzuweisen, denn inzwischen ist der Morast an Problemen und Katastrophen derart dicht geworden, dass das Ganze eine so feste Melange ergibt, dass einem irgendwann nur noch der Begriff des failed state durch den Kopf geht.                                                                     
Die neuste Ausgeburt ist der "Lompsche Mietendeckel", was aber auch schon eine Mogelpackung in Begrifflichkeit ist, denn real handelt es sich um das massiveste Mietkürzungsprogramm, dass die Republik seit 80 Jahren gesehen hat. Das Programm existiert derzeit noch als Entwurf, aber schon dieser Entwurf alleine, vollkommen unabhängig davon, ob er das Gesetzgebungsverfahren erfolgreich durchläuft oder dann von diversen Gerichten wieder kassiert werden könnte, dürfte eine verheerende Wirkung auf dem Berliner Wohnungsmarkt entfalten, die erst einmal ihres Gleichen suchen dürfte. Wer immer eine vermietete Wohnung in Berlin sein Eigen nennt, dürfte damit den besten Zeitpunkt des Verkaufes hinter sich haben und wer immer mit dem Gedanken gespielt haben dürfte, eine solche zu erwerben, wird schleunigst Berlin aus der Karte möglicher Alternativen streichen. Der SED dominierte Senat hat sich entschlossen die Vermieter der Hauptstadt faktisch zu enteignen, praktischerweise in einer Form, wo er meint, dass er keine Entschädigungen zahlen muss, was er bei offenen Enteignung, wenn auch unter sehr viel murren, tun müsste.

10. August 2019

Ai Weiwei hat Recht: Deutschland ist selbstzentriert. Er hätte auch „narzisstisch“ sagen können.

Als ob es dieser Probe aufs Exempel bedurft hätte, fanden in einem Interview (hinter der Bezahlschranke), welches ein Filmredakteur der WELT mit dem chinesischen Künstler Ai Weiwei führte, dessen das Gespräch einleitenden Äußerungen zu seinem bevorstehenden Wegzug aus Deutschland die größte Resonanz bei den Multiplikatoren dieser Republik. Deutschland sei „keine offene Gesellschaft“, sondern „eine Gesellschaft, die offen sein möchte, aber vor allem sich selbst beschützt“. Es gebe „kaum Raum für offene Debatten, kaum Respekt für abweichende Stimmen“, so der Dissident weiter.

Eine schlüssige Begründung für seinen Befund bleibt der bald 62-Jährige schuldig. Denn die von Ai Weiwei als Beispiel für seine Beobachtung angeführten Rauswürfe aus Berliner Taxis – einer davon als Klimax eines Streits über ein geöffnetes Fahrzeugfenster – lassen einen Bezug zu einer Verengung des Meinungskorridors vermissen und könnten nur dann als Beleg für eine mangelnde Offenheit der deutschen Gesellschaft dienen, wenn sie von Ressentiments getragen wären. Der Schluss, dass Ai Weiwei das Verhalten der Taxi-Chauffeure auf Rassismus zurückführt, liegt aufgrund seiner Erwähnung einer Befassung der Antidiskriminierungsstelle nicht allzu fern.