Morgen wählt natürlich
nicht „der Ossi“. Vielmehr entscheiden nur die Sachsen und die Brandenburger
über die Zusammensetzung ihrer jeweiligen Landtage. Wer nicht das Glück hatte,
in den letzten Wochen von deutschen Feuilleton- und Twitter-Debatten verschont
geblieben zu sein, hat die Anspielung in der Überschrift zweifellos verstanden.
Der SPIEGEL-Titel vom 24.
August „So isser, der Ossi“, illustriert mit einer schwarz-rot-goldenen
Angler-Kopfbedeckung, hat für einige veröffentlichte Erregung gesorgt. Die
einen warfen dem Nachrichtenmagazin Doppelstandards vor, weil dessen Redaktion
im Falle anderer Personengruppen abwertende Pauschalurteile unter keinen
Umständen, also auch nicht mit offenkundig triefender Ironie, aufs Cover
brächte. (Ein Aufmacher „So isser, der Moslem“ oder „So sind sie, die Weiber“ würde
bei dem Hamburger Blatt sicher noch nicht einmal das Stadium eines
unausgegorenen Vorschlags erreichen.) Andere, insbesondere ostdeutsche Linke (gemeint ist das Lager, nicht die Partei), beklagten den
Inhalt der Generalisierung: Wie man an ihnen sehe, seien doch nicht alle Bewohner
der neuen Bundesländer pöbelnde Merkel-Gegner wie das Zerrbild des berühmt
gewordenen Hutbürgers. Man möge den Osten differenzierter betrachten. Eine
Zusammenfassung der Diskussion mit durchaus interessanten Nebensträngen findet
man in der SPIEGEL-Online-Kolumne von Stefan Kuzmany.
In der publizistischen Auseinandersetzung lebten dann auch zwei Karikaturen wieder auf, die im Diskurs der Neunzigerjahre verbreitete Münze waren, seitdem aber weitgehend aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden sind: Der Besserwessi wird nunmehr freilich vornehmlich in den – wie Eric Gujer in der NZZ zu Recht und sehr lesenswert ausführt – westdeutsch dominierten Multiplikatoren-Kreisen, insbesondere bei den Medienschaffenden, verortet. Ein Artikel, der mit den Worten „Ignoriert den Osten!“ beginnt und in der hanseatischen Bobo-Gazette DIE ZEIT erschienen ist, mag dieses Klischee geradezu prototypisch verkörpern.
Auf der anderen
Seite steht der Jammer-Ossi, der sich von seinen Landsleuten aus den alten
Bundesländern über den Tisch gezogen fühlt und sich als Opfer einer habituellen
Verkürzung empfindet. Diese negativistische Einstellung
wurde bis vor kurzem von der Partei Die Linke bewirtschaftet. Solange die
umbenannte SED die Unzufriedenheit im Osten anheizte, hatten Rundfunk und
Presse gegen solche Versuche, das Land wieder geographisch definierbar zu spalten,
nur wenig einzuwenden, sollte und soll die politische Gruppierung, die für die
Mauertoten verantwortlich ist, doch zwecks Ermöglichung einer
Volksfrontregierung rehabilitiert werden, wobei Journalisten des
Zwangsgebührenfernsehens auch vor Geschichtsklitterung nicht zurückschrecken.
Gipfel dieser Verharmlosungstendenzen ist freilich das weichgezeichnete Bild
von der DDR, das mittlerweile in den deutschen Multiplikatoren-Kreisen
vorherrscht. Diesbezüglich hat sich das von der Post-Wende-SED gestreute
Narrativ der „kommode[n] Diktatur“ (Günter Grass), in der es zwar einiges
Abzulehnende gab, die gegenüber dem Westen aber auch Vorzüge besaß und in der
man gut und gerne leben konnte, vollständig durchgesetzt.
Weder die Linkspartei
noch das überwiegend westdeutsche Meinungsestablishment haben bis zum Erstarken
der AfD verstanden, dass die Proteststimmung im Osten nicht (zwingend) mit
einer Sehnsucht nach der Wiederkehr einer – wenn auch in einigen Punkten
modifizierten – DDR verbunden ist. Ironischerweise besteht zwar eine
Kontinuität zwischen dem von der Ex-SED geschürten Misstrauen gegenüber den
Eliten der alten Bundesrepublik und dem gleichgelagerten Argwohn, der einer der
Gründe für die Stärke der sogenannten Rechtspopulisten in den neuen
Bundesländern ist. Doch macht sich die AfD die Ostalgie des Juste Milieu nicht
zu eigen, sondern zeiht dieses vielmehr, durch Beschneidung der Meinungsfreiheit
und Blockparteienbildung eine DDR 2.0 einführen zu wollen. „Vollende die Wende“,
lautet ein vielfach kritisierter Wahlslogan der AfD. Mit ihrer Verniedlichung
des SED-Unrechtsstaates haben sich die Multiplikatoren der Republik dieses
Lindenblatt aber selbst zwischen die Schultern gelegt, was bei einer glaubwürdigen
Distanzierung vom deutschen sozialistischen Experiment des 20. Jahrhunderts
nicht der Fall gewesen wäre.
*
**
Wie wählt er denn nun,
der Ossi? Was die Sachsen und Brandenburger betrifft, so werden wir es morgen
Abend wissen. Laut den letzten Umfragen hat die CDU im Freistaat einen
spürbaren Vorsprung vor der AfD erreicht, während sich in der einstigen Mark
nach demoskopischer Einschätzung die SPD und die sogenannten Rechtspopulisten
ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern werden.
Noricus
© Noricus. Für Kommentare bitte hier klicken.