30. Oktober 2017

Moderne Familie oder ein Hauch von DDR. Ein Gedankensplitter.

­Stellen Sie sich folgende, vielleicht fiktive(?), Situation vor: Ein Elternpaar geht mit seinem Sprössling zum Tag der offenen Tür einer lokalen Grundschule, um sich dort zu erkundigen, welche Schwerpunkte die Schule setzt, wie das Anmeldeprocedere ist, wieviel Schüler die Schule besuchen und was sonst noch alles wichtig ist. Mit die erste Aussage, die die Eltern von einer anwesenden Lehrkraft bekommen, ist, dass man leider keinen OGS Platz garantieren könne, man aber klar das Ziel verfolge in Zukunft für alle Kinder einen anbieten zu können. Die Eltern haben aber gar nicht nach einem solchen Platz gefragt und entgegnen, dass sie nur nach einer ganz normalen Schulbetreuung suchen, eventuell mit Übermittagsbetreung bis ein Uhr. Die Lehrerin schaut die Eltern an wie ein Auto, braucht ein paar Sekunden um die Information zu verdauen und erklärt, dass man keine solche Betreuung anbietet, sondern nur zwischen OGS Platz und Halbtagsschule unterscheide, und man letzteres natürlich auch(!) anbieten könne.

27. Oktober 2017

Wenn man genau gar nichts verstanden hat

Am Wahlabend zur Bundestagswahl wurden viele mehr oder minder kluge Reaktionen abgegeben. Eine der beliebtesten wie abgedroschensten war die bekannte Formel: Wir haben verstanden.

22. Oktober 2017

Keine Jeanne d'Arc, nirgends: Zur neuen Sexismus-Debatte

Über die derzeitige Sexismus-Debatte (#metoo, Causa Chebli) braucht man eigentlich nicht viele Worte zu verlieren: Bei problemlösungsorientierter Betrachtung ist es völlig sinnlos, ein situationsinadäquates Kompliment mit Vergewaltigungen in einen Topf zu werfen und unterschiedslos mit dem Etikett "Sexismus" zu versehen, weil dadurch der Begriff so ausgehöhlt wird, dass er fast alles oder auch nichts umfassen kann und letztlich in seiner konzeptuellen Beliebigkeit untergeht. Genau darauf scheint es den Promotern dieses neuen Aufschreis jedoch gerade anzukommen: Beweisziel ist, dass nahezu jede Frau in den westlichen Ländern schon einmal mit sexistischem Verhalten konfrontiert war. Das wird natürlich dann richtig, wenn man möglichst viele Handlungsweisen mit dem Negativlabel bestempelt.

18. Oktober 2017

Shitstorm und Kontext

Zu den Kommunikationsformen im Internet gehört seit einiger Zeit der "shitstorm". Jemand reißt eine Äußerung oder einen Vorfall aus dem Zusammenhang, interpretiert ihn in möglichst negativer Weise und zirkuliert das dann mit einem empoörten Kommentar in seinem Netzwerk. Und alle die das entsprechende Welt- oder Feindbild teilen, verbreiten die Empörung mit eigenen Kommentaren weiter. Ab einer gewissen Resonanz gilt dann die häufige Wiederholung der Vorwürfe und die erzielte Reichweite als Beleg dafür, daß es wirklich Grund für Empörung gab.

Aktuell liefert die Berliner Staatssekretärin Chebli ein Beispiel dafür, daß man mit einem Vorfall gleich zwei, und zwar entgegengesetzte, shitstorms auslösen kann.
Einmal der von ihr gewünschte: Wieder einmal ein Beispiel dafür, daß Männer Frauen herablassend behandeln und sie trotz oder wegen ihres beruflichen Erfolgs mit auf die Person zielenden Sprüchen angreifen.
Zum Anderen aber ein gegenläufiger shitstorm der Art, sie solle sich nicht so anstellen, ein Mann dürfe ja wohl einer Frau noch ein Kompliment machen. Wo sie schon dabei sind thematisieren auch viele Beiträge noch die Vermutung, sie hätte ihren Posten ohnehin nur wegen Quote jung/Frau/Migrationshintergrund bekommen.

Imbeziles, kurz kommentiert: Patrick Bahners' intellektueller Offenbarungseid

Es gibt Sätze, Aussagen zumal, bei denen sich eigentlich jeder weitere Kommentar erübrigt: zu offenkundig ist ihre Aussage, stellen sie den, der sie getätigt hat, vor aller Welt bloß. So auch in diesem Fall. Patrick Bahners, seit langem der prominenteste deutscher Vertreter der Deutschen Organisation nichtkommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus (D.O.N.A.L.D.) sowie zahn Jahre als Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und seit dem vorigen Jahr dortselbst für das (einstmals) renommierte Ressort "Geisteswissenschaften" zuständig, hat sich am letzten Tag der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, am letzten Sonntag also, zu einer solchen Offenbarung bemüßigt gesehen. Über den Kurznachrichtendienst Twitter teilte er der Öffentlichkeit folgendes mit:­

 Patrick Bahners‏ @PBahners  15. Okt.
Die Einbildung, ein von Menschen gemachtes Gesetz müsse über den heiligen Büchern der Religionen stehen, ist der wahre Fanatismus.

17. Oktober 2017

Rechtsruck oder Linkskommutation? Eine Nationalratswahlnachlese

Viel dürfte sich beim Ergebnis der österreichischen Nationalratswahl nicht mehr tun: Bis auf diejenigen Wahlkarten, die am Sonntag in fremden Sprengeln abgegeben wurden, es soll sich dabei um circa 36.000 Stück handeln, sind alle Stimmen ausgezählt. Die ÖVP wird mit 31,5 Prozent die deutlich stärkste Kraft. Auf Platz 2 und 3 sind mit hauchdünnem Unterschied (26,9 zu 26,0 Prozent) die SPÖ und die FPÖ zu liegen gekommen. Die NEOS schaffen mit 5,3 Prozent komfortabel, wenn auch nicht mit einem berauschenden Resultat, erneut den Einzug ins Parlament. Die Liste des Grünen-Renegaten Peter Pilz überspringt knapp die 4-Prozent-Hürde, die von ihm verlassene Partei scheitert hingegen an der Untergrenze. Damit Abgeordnete der Ökobewegten doch noch im Hohen Haus Platz nehmen können, müsste es bei den noch nicht berücksichtigten Votumszetteln einen unwahrscheinlich großen Zuspruch für die Alternativen geben.

16. Oktober 2017

Es ist Zeit Geld zu verschenken!

­Lieber deutscher Staat, liebe Regierung und lieber Bürger,
ich habe eine Bitte, bzw. einen Vorschlag an Sie alle. Ich bitte Sie Geld zu verschenken. Und zwar viel Geld. Wenigstens 10 Milliarden Euro, im Idealfall sogar 15 Milliarden. Vielleicht, ja vielleicht sogar 100 Milliarden Euro.

14. Oktober 2017

Nicht der Roboter bedroht uns, sondern?

Vorhersagen treffen meist entweder nicht oder ziemlich anders ein. Wenn jemand fürchtet, die Roboter würden eines Tages die Menschen nicht nur am Schachbrett übertreffen, sondern sich selbständig machen und uns bedrohen, zielt er auf das Gruseln. Bei einem üblen Zusammenspiel von Überwachern und Technik würde ein bürgerliches Bravsein ohne Freiheit erzwungen, das die Rebellion vieler wecken würde. Das Thema deckt auch eine Veränderung in unserem Weltbild auf. Nicht Roboter werden die Menschen besiegen wollen, sondern eine wirkliche Gefahr ist: Der Mensch versteht seine Stärke in der Schwäche nicht mehr, er stuft sich herab auf eine bloß höhere Tierart ohne freien Willen, mit nur automatischen Gefühlen, wie eine langsame Schnecke oder ein seelenloser Affe.

12. Oktober 2017

Von Wählerinnen und Wählern

­Es gibt eine Formulierung, welche man dieser Tage immerfort hört. Eine Formulierung, welche jeder Politiker ganz selbstverständlich nutzt. Von ganz links bis ganz rechts in der parlamentarischen Sitzordnung, obschon diese ja derzeit noch ausgehandelt wird - zumindest soweit es den deutschen Bundestag betriff. Jeder hat sich an diese Formulierung gewöhnt. Sie ist neue, standardisierte Umgangsform. Wer Sie nicht nutzt, macht sich unwählbar bei seiner Klientel. Da scheint sogar der Beelzebub AfD nicht ausgenommen.

„Die Wählerinnen und Wähler“ sind in aller Munde.

11. Oktober 2017

Kurz, Strache, Kern. Am 15. Oktober wählt Österreich

"Ritter, Dene, Voss", heißt eines der Theaterstücke Thomas Bernhards. Die in jenem Titel genannten Namen gehören eigenartigerweise nicht den Bühnenfiguren. Vielmehr hat der wohl wirkmächtigste aller österreichischen Österreich-Kritiker damit den Darstellern der Uraufführung des erwähnten Werkes ein Denkmal gesetzt.

Während der Wahlkampf vor der Abstimmung über den neuen Deutschen Bundestag an den vergeblich erwarteten Godot aus Becketts absurdem Drama erinnerte, hätte Bernhard in der Auseinandersetzung der alpenrepublikanischen Parteien um Sitze im Nationalrat zweifellos Stoff für eines seiner Schauspiele gefunden. Ob er das Opus "Kurz, Strache, Kern" genannt hätte, kann die Nachwelt nicht mit Sicherheit feststellen.

3. Oktober 2017

Zum Umgang mit Dramen

Nach jedem von Mördern verursachten Drama, sei es islamistisch, sei es rechtsextrem, sei es linksextrem oder sei es ohne ideologischen Hintergrund, stellt sich unmittelbar im Anschluss daran die Frage, wie mit Aspekten der Tat umzugehen ist, über die das Land gespalten ist. Das Land, um das es hier geht, sind die USA.

2. Oktober 2017

Mein Katalonien? Nein, Katalonien? Gedanken zur Legalität und zur Legitimität einer Volksabstimmung

Im Verfassungsblog ist im Vorfeld zu dem gestern durchgeführten Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens eine dreiteilige, von dem spanischen Staatsrechtsprofessor Andrés Boix Palop verfasste Serie mit dem Titel "The Catalunya Conundrum" erschienen. Die Artikel-Triologie (Teil 1, Teil 2, Teil 3) hat sich eine Leseempfehlung redlich verdient.

Dass die Volksabstimmung über die Sezession der autonomen Region im Nordosten der iberischen Halbinsel gegen die spanische Verfassung verstößt, war - so Palop - aus früheren Entscheidungen des spanischen Verfassungsgerichtshofs zu erschließen und entspricht auch der ganz herrschenden Meinung in der Lehre. Wenig überraschend fielen die zum nunmehrigen Eigenstaatlichkeitsanlauf gefällten Entscheidungen der Madrider Höchstrichter gegen die Separatisten aus.

Der Zentralregierung wirft Palop vor, auf den Rechtsbruch nicht in der verfassungsmäßig vorgezeichneten Weise zu reagieren: So wäre ein Artikel in der spanischen Verfassung anzuwenden, der eine Art Bundeszwang erlaubt. Stattdessen wurden und werden rechtsstaatlich bedenkliche Maßnahmen der Repression gegen Befürworter der Unabhängigkeit Kataloniens beziehungsweise der Abhaltung eines Referendums ergriffen.

1. Oktober 2017

Haltet den Dieb

Putzmunter startet die abgewählte Regierungspartei in die Opposition. Jetzt werde es "auf die Fresse" geben, verkündet die neue Fraktionsvorsitzende Nahles.
Und es wird darüber diskutiert, ob man denn nun so eine ungehobelte und aggressive Sprache in der Politik verwenden dürfe.

Natürlich darf man das. Früher waren noch ganz andere Ausdrücke üblich, das galt dann als "Sternstunde des Parlamentarismus". Man darf auch ankündigen, die "Regierung jagen" zu wollen, wie AfD-Gauland das getan hat. Ebenfalls eine völlig unproblematische Formulilierung. Problematisch ist nur die Heuchelei, mit der manche die eine Äußerung akzetabel und die andere für eine Gefahr für die Demokratie halten wollen.

Aber was wollte Nahles eigentlich mit dieser plötzlichen Aggressivität ausdrücken?

Kurs auf den Eisberg. Wie sich Claus Leggewie und Daniel Cohn-Bendit die Schwampel zurechtphantasieren

Wie vom Verfasser dieser Zeilen erwartet, werden in den Medien die Trommeln für eine mögliche Schwampel-Koalition auf Bundesebene bereits kräftig gerührt. Der Cicero bildet einmal mehr die löbliche Ausnahme. In der als liberal-konservativ taxierten WELT delektiert sich hingegen Alan Posener unter Beigabe einiger Kalauer an seiner prophetischen Gabe, die soziokulturellen Grundlagen des in Aussicht genommenen Bündnisses schon vor 13 Jahren erkannt zu haben, und fordert die Protagonisten auf, nun endlich Nägel mit Köpfen zu machen. Ulf Poschardt, Chefredakteur des gennanten Springer-Blattes, verkündete am 12.09.2017 noch dezidiert, Jamaika sei "nichts" und "tot", um es 17 Tage später nur noch "irre" zu finden, dass jetzt plötzlich alle das schwarz-gelb-grüne Bündnis herbeisehnen, wobei der Ton des Beitrags die Befürchtung nährt, dass sich Poschardt von der Euphorie für die offensichtliche Mésalliance anstecken lassen könnte. (Randbemerkung: Beim Anblick der im letztverlinkten Artikel enthaltenen Porträtfotos Özdemirs und Lindners musste der endunterfertigte Autor an diese Reflexion Zettels denken, die unverändert Gültigkeit besitzt.)

Die TAZ scheint vor allem zu beschäftigen, dass die Grünen vielleicht zu sehr in ihrer ressentimentgeladenen Selbstgerechtigkeit verhaftet sind, um sich mit der Union und der FDP zu vermählen, wobei die Aussage des Soziologen Armin Nassehi, die Konservativen machten alles schlimmer, falls sie nach rechts rückten, widerspruchslos zitiert wird. Anders formuliert: Eine Schwampel-Koalition ist nur denkbar und wünschenswert, wenn sie Merkels alternativlose Politik unverändert fortsetzt. Dass man zu diesem Zweck eine Crew ins Boot holen muss, deren Stallgeruch nicht in jedem Einzelfall mit dem Biomarkt-Biedermeier harmoniert, ist die ästhetische Kröte, die es dabei zu schlucken gilt.