28. April 2017

Der Erfolg der AfD

Was den Umgang mit der Alternative für Deutschland betrifft, so scheint sich in der hiesigen Medienlandschaft ein Wandel anzubahnen: Sammelten die Leitpublikationen bislang hauptsächlich Belege für die mangelnde Salonfähigkeit der jungen Partei, so wird in mittlerweile bereits mehreren Artikeln – zumeist etwas bang – gemutmaßt, dass die AfD vielleicht teilweise die richtigen Fragen stelle, aber – natürlich – die falschen Antworten darauf gebe.

Ein Beispiel für diese neue Nachdenklichkeit in Bezug auf die als rechtspopulistisch verortete Gruppierung liefert Jana Hensel auf ZEIT-Online: „Und wenn die AfD Recht hat?“ lautet der Titel des lesenswerten Essays, der allerdings mit einer kapitalen Fehleinschätzung beginnt. In einem Nebensatz behauptet die Autorin nämlich, dass sich die AfD
gerade auf ihrem Parteitag einstweilen zerlegt hat[.]
Dieser Befund kann nicht geteilt werden. Vielmehr wurde auf der Versammlung zu Köln – wie auch der Werwohlf in einem zur Lektüre empfohlenen Beitrag feststellt – Geschlossenheit inszeniert. Was fünf Monate vor der Bundestagswahl zweifellos auch nicht die törichteste Strategie ist. Folgerichtig blieb Frauke Petrys Zukunftsantrag unbehandelt und eine unter dem Außenpanzer der Partei vorhandene Bruchlinie weitestmöglich verdeckt.

24. April 2017

Feu tricolore (6): Kurzes und Bündiges zur ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl

Als Blogger mit Beruf ist man im realen Leben bisweilen so sehr mit der Erwirtschaftung von Umverteilungsmasse beschäftigt, dass man nicht die Muße hat, von der Muse geküsst zu werden. Da also der Verfasser dieser Zeilen eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Kür des Präsidenten der Französischen Republik (jedenfalls vorerst) schuldig bleiben muss, wird im Folgenden auf das nicht gänzlich unerprobte Mittel der Wahlanalyse durch Aphorismen und ungeordnete Gedanken zurückgegriffen:

18. April 2017

Zeitmarke. Vor 100 Jahren: Die verrücktgewordene Kapelle (瘋狂樂隊)

Die Wochenenden immer den Künsten!

...Flöten schrillen, Banjos wimmern,
Und die Drumm geht schier in Trümmern,
Wütend, daß die Haare fliegen,
Alle Tasten sich verbiegen,
Schlägt der Meister Pianiste
Auf die alte Jammerkiste...
Immer toller wird das Wüten!
In der Instrumente Tüten
Mischt sich noch des Menschen Laut,
Heulend wie des Windes Braut:
Bass, Tenor und Bariton
Grölen zu dem Saxophon.
Ach, der Lärm wird riesengroß!
Hoffnungslos
Weicht der Mensch des Jazzes Stärke
Baff sieht er der Klassik Werke
In dem Chaos untergehn...


Zu den kulturellen Auswirkungen, die der Eintritt der Vereinigten Staaten in den Ersten Weltkrieg vom Frühjahr und Sommer des Jahres 1917 nach sich zog, wird allgemein ein Phänomen gerechnet, bei dem man diese Wechselwirkung wohl zu Recht bezweifeln kann: nämlich die Verbreitung jenes populären Musikstils, der alsbald unter dem Namen "Jazz" seinen Siegeszug durch die westliche Welt antrat. Auf der anderen Seite kann man, wenn man die Sache nicht zu bierernst angeht (eine Haltung, die bei Historikern des Genres eher nicht verbreitet ist), die Entstehung dieser speziellen Art des synkopierten Lärmens durchaus unter die unmittelbaren Folgen der Weltpolitik rechnen. Dieses scheinbare Paradox ist freilich keines. Herausgebildet hatte sich der Darbietungsstil in den Jahren zuvor, im südlichsten Süden der Vereinigten Staaten, in New Orleans - und hier insbesondere in denn Kaschemmen und Etablissements des größten Rotlichtviertels namens Storyville. Im Lauf des Sommers 1917 erfolgte durch die Behörden eine rigorose Schließung all dieser Räuberhöhlen, Bumslokale, Opium dens. Zum einen, weil sich jetzt die Gelegenheit ergab, unter dem Bedingungen des Kriegsrechts von Seiten der Ordnungsbehörden rigoros durchzugreifen, nachdem New Orleans als Versorgungshafen für die alsbald nach Europa übersetzenden Truppen bestimmt worden war. Zum anderen befürchtete man, daß unter dem exponentiellen Anwachsen von Soldaten und Arbeitern für den Nachschub die damals üblichen Maßnahmen zur "Hygienekontrolle" bei den zahllosen Prostituierten - was in diesem Fall, wie in anderen Hafenstädten überall auf der Welt ein kurzes Vorstelligwerden bei einem Arzt umfaßte, der die Damen auf erste Symptome der Syphilis kontrollierte - schlicht versagen würden. Selbstredend waren diese Maßnahmen nicht flächendeckend erfolgreich - ebensowenig wie die Schließung aller Bordelle in Frankreich 1946 oder das Verbot des käuflichen Sex vor ein paar Jahren in Schweden. Dennoch führte der Wegfall dieses Geschäftsektors zu einer Abwanderung der Musiker in andere Großstädte, die von diesem Boykott nicht betroffen waren. Und in denen sich - dies war der entscheidende Faktor - die Gelegenheit bot, mit jener Art des wilden hedonistischen, improvisierten Lärmens in die damals entstehenden Aufnahmestudios gebeten zu werden.  

17. April 2017

Die türkischen Demokraten: Ein paar Streiflichter

Es kam, wie es kommen musste und die deutsche Presse ist sich (mal wieder) einig: "Die Türken" haben die Demokratie abgewählt, Erdogan ist böse und man muss jetzt ganz vorsichtig sein, wie man weiter vorgeht. Die Vokabel des "Warnens" ist mal wieder in aller Politiker-Mund gelegt, obschon ja eigentlich nur das eingetreten ist, was ja ohnhin jeder gewusst hat. Ich möchte dem mal ein paar andere Gedanken hinzufügen, die ich in der öffentlichen Diskussion großenteils vermisse.

13. April 2017

Reine Endlichkeit, ohne Himmel

Die Tiere werden immer mehr der Menschenwürde angenähert und die Menschen immer mehr auf die Tierstufe herabgedrückt. Von Durs Grünbein wurde am 25. März 2017 ein Beitrag mit dem Titel „Unter Affen“ in DIE WELT veröffentlicht. Er ist einer der letzten, der den alten Blick in die Metaphysik mit dem jetzigen Lebensgefühl verbindet, mit einem ironisch-schmerzlichen Stirnrunzeln. Heute gilt der Streit um die Religionen als beendet – wenn man den fundamentalistischen Islam unter die Ideologien und nicht als religiösen Glauben rechnet. Nur der Kampf um die Ideologien dauert noch an. Der Gottesbegriff hat sich verflüchtigt. Selbst die Kirchgänger eines „lebens- und wirklichkeitsnahen“ Christentums benötigen ihn nicht.

11. April 2017

Avanti Dilettanti. Ein Gedankensplitter zu der der Idee, dass jeder studieren muss.

Das Bundesland Hessen hat einen interessanten Modellversuch gestartet: Um an hessischen Fachhochschulen ein Studium aufzunehmen, genügt derzeit eine mittlere Reife mit einer Benotung von besser als 2,5. Also anders gesagt: Ein mittelmäßiger Realschulabschluß. Das Bundesland verspricht sich davon einen vereinfachten Zugang zu Hochschulen und damit die Erleichterung der Möglichkeit auch ohne Abitur ein Studium abzuschliessen.

Zeitmarke: Пломбированный вагон - der versiegelte Zug



Im Gegensatz zu den Ereignissen, auf die vor wenigen Tagen an dieser Stelle auf die hundertjährige Wiederkehr eines für den weiteren Geschichtsverlaufs eminent wichtigen Datums verwiesen wurde - den Eintritt der Vereinigten Staaten von Amerika in den Ersten Weltkrieg - ist das "heutige" Geschehen - die Rückkehr des russischen Revolutionärs Wladimir Iljitsch Uljanov, genannt Lenin, aus seinem Zürcher Exil - durchaus in einigen hiesigen Medien vermerkt worden; so als Kurzbeitrag der heute-Sendung im Zweites Deutschen Fernsehen vor zwei Tagen oder als Fünf-Minuten-Zeitzeichen als "Kalenderblatt" heute im Deutschlandfunk. Während sich das ZDF hierbei auf keine Wertung einließ, konzedierte der DLF immerhin eine durchweg negative Sicht auf Person und Rolle jenes Mannes, der so lange von staatsozialistischen Regimen, von Gläubigen an die vermeintliche Utopie des Kommunismus und von jenen, die der Faszination der durch nichts gehinderten Entfaltung staatlicher Gewalt erlegen sind, als weltlicher Messias, als ein "Weltgeist" - nicht zu Pferde (als den Hegel Napoleon Bonaparte sah), aber ganz im Geist Hegels als "Weltgeist im Panzerwagen" - angesehen wurde.

9. April 2017

葉楓 - 好預兆 (1962)

Die Sonntage immer den Künsten. Auch wenn es sich sich um leichte, seichte Werke handelt und die Verfertiger, nach den Worten des Schutzpatrons dieses Metiers, Heinz Erhardt, nicht von der Muse, sondern der Pampelmuse geküßt wurden.

7. April 2017

Versuchsballons

Große Schlagzeilen, schreckliche Bilder: Assads Luftwaffe hat wieder einmal Zivilisten im "Rebellengebiet" mit Giftgas angegriffen.
Und in üblicher Weise laufen sofort die Islamistenversteher à la Lüders oder Todenhöfer in deutschen Fernsehstudios auf und werfen Nebelkerzen. Parallel in üblicher Weise die Welle der Putintrolle im Internet, die in jeder halbwegs passenden Diskussion die "Russia-Today"-Version der Ereignisse verbreiten.
Man wisse ja angeblich nichts Verläßliches über die Vorfälle und es könnten ja auch die Rebellen selber gewesen sein und vor allem kommt natürlich das "cui bono": So ein Giftgasangriff wäre doch militärisch völlig sinnlos und damit gäbe es überhaupt keine Motivation für Putin/Assad, sich so zu exponieren.

Ach so?
Kleine Rückblende:

Zeitmarke. Vor 100 Jahren: Kriegserklärung der USA an das Deutsche Kaiserreich

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Das historische Gedächtnis - jedenfalls soweit es sich in öffentlichem Gedenken, in der medialen Erinnerung und, im weitesten Sinn, dem, was man das "öffentliche Gedächtnis" nennen könnte - jener historischen Tiefendimension von spezifischen Ereignissen, die zu dem geworden sind, was der französische Historiker Pierre Nora als Liens de la mémoire, als "Gedächtnisorte", charakterisiert hat - dieser Gedächtnisraum hat, was die "Urkatastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts" anbetrifft, in den letzten drei Jahren, also seit der hundertsten Wiederkehr ihres Auftakts, eine seltsame Spaltung durchlaufen. Während die publizistische Evokation der Ereignisse im Sommer 2014, zwischen den Daten des Attentats von Sarajewo am 28, Juni bis zu den "Guns of August" - die Depeschen, halbherzigen Vermittlungsversuche, die Unbekümmertheit, mit der ein ganzer Kontinent sich anschickte, sich in einen historisch nie dagewesenen Schindanger zu verwandeln - sich wie ein basso ostinato gedämpft durch das mediale Rauschen zogen, neben der Ukrainekrise und den ersten Nachrichten über die Tagesordnung der alltäglichen Bestialität des "Islamischen Staates" - nicht zuletzt in den zahlreichen Besprechungen von Christopher Clarks eingehender historischer Studie Die Schlafwandler, die sich der Gemengelage von Blindheiten und historischen Fehlanalogien widmete, die die damaligen politischen und militärischen Führungen in einem noch im Nachheinein lähmenden Automatismus in dieses Desaster hineinstolpern ließ - während also die, man möchte sagen "Prähistorie", jenes endgültige Ende des Alten Europas des "langen neunzehnten Jahrhunderts" Publizisten und TV-Moderatoren präsent war, hat sich über die nachfolgenden Jahre, die eigentliche Urkatastrophe, ein seltsamer Nebel gelegt. Eine Leerstelle des historischen Gedächtnisses ist entstanden, in dem der Verlauf des Kriegs, die daran beteiligten Parteien, die über endlose Monate festgefressenen Materialschlachten mit ihren Hunderttausenden von Toten, die Auswirkungen auf das Leben in den daran beteiligten Ländern, nicht mehr vorkommt.

6. April 2017

Insel im Nebel. Deutschland im Smog.

Viel ist in den vergangenen Wochen zum Brexit geschrieben worden. Warum er kommen wird, warum er nicht kommen wird, dass er schlimm wird, dass er harmlos wird, was er für die NATO bedeuten wird, was er für Europa bedeuten wird, was er nicht für NATO und Europa bedeuten wird und noch vieles mehr. Auch in unserem kleinen Zimmer gab und gibt es eine erregte Diskussion, eher Debatte dazu, die sich vielfach an der Frage entfacht wie geschickt oder ungeschickt der Brexit von Seiten der Briten durchgeführt wird.

4. April 2017

"Osmoderma eremita"



Zur Abwechslung einmal eine ganz schlichte und ganz dumme Frage:

Was ist eigentlich aus den Juchtenkäfern geworden?




(Abb.: Wikimedia)




U.E.

© Ulrich Elkmann. Für Kommentare bitte hier klicken.

3. April 2017

Montag, d. 3. April 2017. "Im Dar al-Harb nichts Neues"







In Sankt Petersburg sind heute um die Mittagszeit durch einen terroristischen Anschlag mit einer Nagelbombe in der U-Bahn elf Menschen getötet und mindestens 47 verletzt worden. Das Bild einer Überwachungskamera zeigt den mutmaßlichen Täter.

(Bildquelle: Thomas Kindler)

Musikalisches Interludium: Shidaiqu. 吳鶯音 - 明月千里寄相思


"Ein Schlager von Rang ist mehr 1950 /
als fünfhundert Seiten Kulturkrise."
- Gottfried Benn, "Kleiner Kulturspiegel"

Um es mit einem Motto aus Michael Klonovskys Netztagebuch acta diurna zu halten: Die Sonntage immer den Künsten!

"Dies ist kein Musikblog", wie der Gründer dieses Webdiariums, dieser kleinen Ecke auf der Allmende des "globalen Dorfs" (Marshall McLuhan), einmal feststellte. Dennoch: am Tag des Herrn, und zumal zu einer Zeit, an dem die vehement ins Lotophagische umgeschlagene Jahreszeit nahelegt, den Ärger über die Verfahrenheiten von Politik und Alltag zugunsten der Illusion des unbekümmerten Seelebaumelnlassens entschlossen hintan zu stellen, sei auch ein Schlenker ins unverbrüchlich Hedonistische verstattet. Zumal wenn sich die Gelegenheit ergibt, dabei auf einen hierzulande völlig unbekannten musikalischen Kosmos hinzuweisen, den auch der Aufbruch der Medien unter dem Signum der "Weltmusik" nicht, zumindest noch nicht, an westliche Ohren hat branden lassen.