Was den Umgang mit der
Alternative für Deutschland betrifft, so scheint sich in der hiesigen
Medienlandschaft ein Wandel anzubahnen: Sammelten die Leitpublikationen bislang
hauptsächlich Belege für die mangelnde Salonfähigkeit der jungen Partei, so
wird in mittlerweile bereits mehreren Artikeln – zumeist etwas bang –
gemutmaßt, dass die AfD vielleicht teilweise die richtigen Fragen stelle, aber –
natürlich – die falschen Antworten darauf gebe.
Ein Beispiel für diese
neue Nachdenklichkeit in Bezug auf die als rechtspopulistisch verortete
Gruppierung liefert Jana Hensel auf ZEIT-Online: „Und wenn die AfD Recht hat?“ lautet
der Titel des lesenswerten Essays, der allerdings mit einer kapitalen
Fehleinschätzung beginnt. In einem Nebensatz behauptet die Autorin nämlich,
dass sich die AfD
gerade auf ihrem Parteitag einstweilen zerlegt hat[.]
Dieser Befund kann nicht
geteilt werden. Vielmehr wurde auf der Versammlung zu Köln – wie auch der
Werwohlf in einem zur Lektüre empfohlenen Beitrag feststellt – Geschlossenheit
inszeniert. Was fünf Monate vor der Bundestagswahl zweifellos auch nicht die
törichteste Strategie ist. Folgerichtig blieb Frauke Petrys Zukunftsantrag
unbehandelt und eine unter dem Außenpanzer der Partei vorhandene Bruchlinie weitestmöglich
verdeckt.
Auch die Besetzung des Spitzenteams zeugt von diesem Wunsch nach Einigkeit. Neben Alexander Gauland, der – worauf wiederum der Werwohlf hinweist – momentan die einzige unangefochtene Führungsfigur der Partei darstellen dürfte, wird Alice Weidel die AfD in den Wahlkampf führen. Einen größeren Kontrast kann man sich kaum vorstellen: Während Gauland die Idealverkörperung des rechten, alten, weißen Mannes abgibt, ist Weidel weiblich, jung, lesbisch und gilt als wirtschaftsliberal. Dass sie für Goldman Sachs arbeitete und aufgrund ihrer wahrscheinlich nicht ganz unlukrativen Berufstätigkeiten ein den Sorgen der sogenannten kleinen Leute enthobenes Leben führt, scheint auch nicht zu stören. Man kann es auch anders formulieren: Gauland ist der Kandidat für die Befindlichkeiten der Partei, Weidel die Kandidatin für die Befindlichkeiten der anderen. Gauland vermittelt die Gewissheit, dass die AfD nicht zu einer etwas konservativeren CDU mutiert und sich Merkel als Koalitionspartner andient; Weidel wird als Joker ausgespielt, wenn der Vorwurf ertönt, die Partei sei doch nur ein verstaubter Verein heterosexueller Greise, die sich mit der modernen Welt einfach nicht versöhnen können.
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Kommen wir nun zu Hensels
Analyse.
Als ersten Grund für die
Existenz und den Erfolg der AfD sieht sie die allgegenwärtigen, gegen die junge
Partei aufgefahrenen Ausgrenzungsmechanismen:
"Wir Demokraten" versuchen, die neuen Rechten von "uns" fernzuhalten.
Die Ablehnung durch den
Mainstream ist nach Ansicht des endunterfertigten Verfassers der Katalysator
für die relative Stärke der Rechtspopulisten. Wenn vorbildliche Demokratinnen wie
Henriette Reker und Hannelore Kraft sich darüber echauffieren, dass die AfD mit
der Auswahl des Veranstaltungsortes die Stadt Köln befleckt habe, und die mit anmaßenden Zugangskontrollen hantierenden Anti-Demonstrationen goutieren, dann
gibt es kaum eine bessere Werbung für die Außenseiterpartei. Es ist gerade die
Phalanx aus Politiker- und Publizisten-Establishment und aus der Riege der
frechen Karnevalisten und Kabarettisten, die sich in heldenhaftem Widerstand einer
(nach heutiger Sicht) 10-plus-minus-x-Fraktion entgegenstellt, welche den
Opfermythos in der AfD und die daraus resultierende Einigkeit befeuert.
Der zweite von Hensel
genannte Grund lautet,
dass die Veränderung unserer Gesellschaft in den vergangenen 25 Jahren dauerhaft mit dramatischen Appellen, Krisenszenarien und einer stets zugespitzten Rhetorik beschrieben wurde. Alle Seiten betreiben Geschäfte mit Ängsten, nicht nur die AfD.
Fake-News und alternative
Fakten wurden nicht erst durch Trump in den öffentlichen Diskurs eingeführt.
Auch die politische Linke ist diesbezüglich kein Kind von Traurigkeit, wie das
durch Tatsachen nicht unterfütterte Lamento über die wachsende Armut in
Deutschland oder die diversen Umwelt- und Atomkraftuntergangsszenarien vom
Waldsterben bis zu Fukushima belegen. In gewisser Weise ist der
Rechtspopulismus die Natter, welche das Juste Milieu an seinem stets vor
Alarmismus bebenden Busen genährt hat. Der Form nach unterscheiden sich die
Erregungsposen der AfD einerseits und zum Beispiel der Grünen andererseits
kaum. Inhaltlich beackern die Rechtspopulisten freilich Gefilde (wie etwa die
grenzenlose Migration), bei denen der Mainstream Ruhe als erste Bürgerpflicht
verordnet.
Drittens – so Hensel – stütze sich
der Erfolg der AfD darauf, dass sie zusammenwachsen lasse, was zusammengehöre:
Sie vereint Ostalgie und Westalgie.
Im Hinblick auf die
Westalgie der AfD wird häufig vertreten, dass sich deren Wähler die
Bundesrepublik der Fünfziger- oder Achtzigerjahre zurückwünschten, man müsste
wohl besser sagen: deren gesellschaftliches Klima. Der Werwohlf spricht in
diesem Zusammenhang von
Männer[n], die das leben, was sie für eine ganz normale bürgerliche Existenz halten, diese im Lauf der letzten Jahre aber immer mehr als entbehrlich hingestellt erfahren, während im Gegenzug Lebensentwürfe und Einstellungen als vorbildhaft und herausragend hingestellt werden, die ihren eigenen Werten und Vorstellungen komplett konträr gegenüberstehen.
Dass dies der subjektive
Eindruck des AfD-Publikums ist, erscheint dem Verfasser dieser Zeilen
plausibel. Es trifft auch zu, dass in den Medien in den letzten Jahren vieles
von dem gefeiert wurde, was eine bürgerliche Existenz gerade nicht ausmacht.
Die Sichtweise, dass damit eine Herabwürdigung des traditionellen Lebensstils
verbunden wäre, scheint aber eher der Empfindlichkeit der sich angegriffen
Wähnenden als dem tatsächlichen Bedeutungsgehalt der Elogen auf postmoderne Lebensentwürfe geschuldet zu sein.
Denn tatsächlich hat
unsere Gesellschaft bis
dato keine Alternativen zur Erwerbsarbeit einerseits sowie zu Ehe und Familie
andererseits gefunden. Entsprechende Vorstöße scheitern nicht erst an ihren
technischen Defiziten, sondern schon an ihrer fehlenden politischen Durchsetzbarkeit.
Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Hirngespinst geblieben, weil eine
staatliche Alimentierung des Dolcefarniente leistungsfähiger Personen von der
Bevölkerungsmehrheit nicht gewünscht wird (siehe auch die Diskussionen um den
Hartz-IV-Missbrauch). Und das Vorbild für das Rechtsinstitut „eingetragene
(Lebens-)Partnerschaften Homosexueller“ ist die Heterosexuellen-Ehe.
Nun sind aber – worauf
Hensel zu Recht hinweist – Erwerbsarbeit und Familienbande in den letzten
Jahrzehnten prekär geworden. Man hat keinen Beruf mehr, sondern einen Job. Die
Nachfrage nach einfachen Tätigkeiten für Gering- oder Nichtqualifizierte ist
massiv gesunken. Die Gefahr, auch als besser Ausgebildeter wegrationalisiert zu
werden, mag in Deutschland zwar gegenwärtig geringer sein als in den
Krisenjahren. Die Angst, plötzlich auf der Straße zu stehen, ist gleichwohl
noch in vielen Köpfen gespeichert. Jede zweite bis dritte Ehe wird geschieden.
Getrennte Familien führen häufig zu großen materiellen Herausforderungen,
nicht nur – um den typischen Fall zu zitieren – für die nunmehr
alleinerziehende Mutter, sondern auch für den geldunterhaltspflichtigen Vater.
Von den psychischen Verwerfungen ganz zu schweigen.
Anders formuliert: Das
nach wie vor gültige Ideal einer konstanten Erwerbsarbeit und einer ebenso
stabilen Ehe und Familie wird in der Praxis zunehmend selten als erfüllbar wahrgenommen.
Die Gereiztheit derjenigen, die es dennoch zu leben versuchen, gegenüber den
genannten Medienhypes ist wohl zuvörderst in dieser Verunsicherung begründet.
Das Versprechen der
Rechtspopulisten ist es, das Ideal und die Realität wieder zusammenzuführen.
Wirtschaftlicher Protektionismus und ein gerüttelt Maß an Sozialismus sollen
für stabile Arbeitsplätze (für Autochthone) sorgen. Die Privilegierung der
traditionellen Ehe und die Gegnerschaft zu alternativen Lebensentwürfen sind dazu berufen, die vermuteten Ursachen für das
Auseinanderbrechen von Familien (oder deren unterbleibender Gründung) zu
beseitigen. Wie erfolgversprechend diese Programmatik tatsächlich ist, kann
dabei dahingestellt bleiben. Es kommt auf etwas anderes an, nämlich die
Verheißung, dass die Politik die Erfüllung traditioneller gesellschaftlicher
Ideale ermöglichen will. Dies ist just eine Erscheinungsform der
Kümmerer- und Gesellschaftsingenieurspolitik, die in Deutschland mit Ausnahme
der aus der Mythologie bekannten Minderheit der Liberalen flächendeckend
favorisiert wird.
Zu dem von Hensel als
viertem Grund für den AfD-Erfolg genannten – im Vergleich zum Westen – höheren
Protestpotenzial in Ostdeutschland brauchen nicht viele Worte verloren zu
werden. 40 Jahre DDR-Geschichte sind an den neuen Bundesländern weit weniger
spurlos vorübergegangen, als man dies im Westen im zeitlichen Umgriff der
Wiedervereinigung glauben mochte. Wenn also der Historiker Philipp Ther
Ostdeutschland zu Osteuropa zählt, ist das nicht so überraschend, wie Hensel
dies darstellt. Das Wahlverhalten zwischen Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern
wird nämlich erst dann vollends begreifbar, wenn man von einer osteuropäischen
Mentalität ausgeht, die auf den moralischen Imperialismus westdeutscher Prägung
mit Ablehnung reagiert.
Schließlich erklärt
Hensel den Aufwind der AfD damit, dass sie denjenigen eine Stimme gebe,
die das Gefühl haben, mit ihnen und für sie spreche niemand mehr.
Dies trifft zweifellos
auf die Bürgerlichen zu, die sich vom linken Zeitgeist der publizistischen
Elite (wie oben erörtert) als angegriffen erachten. Es gilt aber auch für
diejenigen, die im Hinblick auf Shitstorms, andere Formen des Ostrazismus und
öffentlich verteilte Maulkörbe befürchten, dass bestimmte Positionen aus dem
politischen Diskurs verbannt werden sollen. Die AfD mag als Hüterin der
Meinungsfreiheit zwar nicht besonders glaubwürdig erscheinen. Die Mehrheit der
Multiplikatoren desavouiert sich allerdings selbst mit ihrer totalitären
Bekämpfung abweichender Ansichten und beschert der AfD dadurch billige Punkte.
Wer eine linke Gesinnungsdiktatur einrichten möchte, um einem angeblich
drohenden, autoritären Regime der Rechten zuvorzukommen, und dies mit von ihm
insgeheim verachteten Etiketten wie „Demokratie“, „offene Gesellschaft“,
„liberaler Rechtsstaat“ verbrämt, hat sich zumindest die Bezeichnung als
Heuchler redlich verdient.
Dies ist vielleicht einer
der wichtigsten Gründe für den Erfolg der AfD: Deren Gegner verhalten sich im
Umgang mit der jungen Partei exakt so, wie sie es dieser vorwerfen. Was mit den
zuvor beschriebenen Ausgrenzungsritualen einhergeht, welche die Anhängerschaft
der AfD nur noch enger zusammenrücken lässt. Kurz: Die AfD lebt nicht
unwesentlich von den Fehlern ihrer Widersacher.
Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ein weniger hysterischer Umgang mit der AfD und ihren Themen, aber auch eine mit einer erneuten Schärfung der ideologischen Lager verbundene Auflösung des großkoalitionären Konsenses (dem sich häufig auch die Grünen und die SED anschließen) dazu beitragen wird, den Nimbus der jungen Partei zum Verblassen zu bringen.
Noricus
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