28. Januar 2023

Wenn woke nicht woke genug ist. Anmerkungen zu einer Witzfigur.

Es ist wie bei einem blutigen Verkehrsunfall: Man möchte eigentlich nicht hinsehen, man möchte die Bilder nicht im Kopf haben, man will eigentlich nur weiter gehen, und doch sieht man hin, man sieht die Bilder und man bekommt sie nicht mehr als dem Kopf. Genauso geht es mir, wenn ich die neuesten Eskapaden von "Prinz" Harry wahrnehme, der jetzt mit der Veröffentlichung seiner Autobigraphie einen erneuten Tiefpunkt seiner von Tiefpunkten gesäumten Entwicklung zugesetzt hat. 

26. Januar 2023

James Blish, "Z. K."



„Ich habe den Beweis, daß wir einen Aufschub gewährt bekommen haben,“ erklärte Lord Rogge, an niemanden Bestimmtes gerichtet. „Einen handfesten Beweis.“

Wir hatten in der Bar des Orchideenklubs die Abendnachrichten verfolgt – je nach Temperament entweder entweder angespannt oder resigniert. Jetzt, während die Welt am Abgrund stand, hätte man denken sollen, daß eine solche Ankündigung zumindest auf einiges Interesse treffen würde. Falls Rogge den gleichen Satz vor der Presse geäußert hätte, wäre er in keine halben Stunde apäter über die ganze Welt verbreitet worden.

Was nur wieder zeigt, daß die Welt den alten George nicht genügend kennt. Nach einiger Zeit im Orchideenklub war es uns nicht mehr möglich, ihn für einen der Weltweisen zu halten. Sicher, er ist einer der größten Mathematiker, die die Welt je gesehen hat, aber bei allen anderen Themen kann man darauf wetten, daß er sich restlos blamiert. Die meisten von uns konnten sich schon denken, was für eine Art „Aufschub“ er meinte, und wie sein „Beweis“ aussehen würde – nur eine Menge esoterischer Nonsens.

„Worum geht’s diesmal, George?“ fragte ich. Jemand muß ihn beii solchen Gelegenheiten beiseite nehmen, sonst hört er nicht auf, den Rest von uns zu stören. Diesmal war ich an der Reihe.

„Einen Beweis,“ sagte er, als er neben mir Platz nahm. „Ich habe eine großartige Frau in Soho aufgetrieben – sie kann kaum ein Wort schreiben oder lesen, sie hat keine Ahnung, mit was sie es zu tun hat – aber, Charles, sie hat eine direkte Verbindung zum Überirdischen, so klar und deutlich, wie ich das noch nie gesehen haben. Ich hab‘ den Beweis bei mir.“

22. Januar 2023

Eine Schande für Deutschland





Herr Bundeskanzler!

Ich verkneife mir ausdrücklich, bei dieser Anrede die übliche Form zu wahren. Nach Ihrem gestrigen Auftritt beim Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe in Ramstein sträubt sich in mir alles, Ihnen einen höflichen Gruß wie „Sehr geehrter Herr Bundeskanzler…“ oder „Lieber Olaf Scholz…“ hierherzusetzen. Dazu müßte ich zumindest ein Minimum an Respekt, nicht vor Ihrem Amt, sondern vor Ihnen als Amtsträger aufbringen können.

Ich habe nicht ernsthaft erwartet, daß Sie der Lieferung von Leopard-2-Panzern an die Ukraine zustimmen würden – auch wenn etwa Julian Röpcke von der BILD-Zeitung auf Berufung auf sichere Quellen in hohen Kreisen der Bundesregierung im Vorfeld der Tagung eine Chance „von 90 Prozent“ dafür ausgemacht hatten. Zu offen, zu hartnäckig haben Sie Ihre kategorische Verweigerungshaltung in den letzten Monaten ein um das andere Mal zu erkennen gegeben. Wieder und wieder waren Sie sich nicht zu schade, neue Ausreden zu erfinden, die sich sofort als haltlos oder, schlimmer, als glatte Lügen erwiesen haben.

Aber mit ihrer gestrigen Haltung haben Sie auch weiterhin verhindert, daß andere Staaten, die in der Lage wären, der Ukraine Leopard-Kampfpanzer zur Verfügung zu stellen, dies auch tun können. Das war der Knack- und Angelpunkt des gestrigen Treffens. Ein Dutzend deutscher Leopard werden an der Front im Osten der Ukraine keine Wende des Kriegs herbeiführen; die gut 200 in Deutschland gefertigten Modelle, die andere Armeen zur Verfügung stellen könnten, sehr wohl.

Ich übersehe nicht, daß Deutschland mittlerweile bei der Bereitstellung von anderem Rüstungsmaterial durchaus in führender Position liegt. Aber bis Ihre Regierung Gepard, Marder, Iris-T oder PATRIOT geliefert hat, war es ein zähes, elendes, unwürdiges Zögern, Verzögern, Hinhalten, über Monate hinweg, ein Zögern, das nur der russischen Seite genutzt hat und den Krieg nur verlängert hat.

20. Januar 2023

Zeigt her euren Arm

Vor etlichen Jahren, als Amazon noch nicht 24/7 die Wohnzimmer mit Waren flutete, gab es den etwas platten Begriff des "Sonntagseinkäufers". Damit waren die Herren der Schöpfung gemeint, die ihren weiblichen Hälften die schönsten Dinge zu kaufen versprachen. Aber eben nur am Sonntag, wo die Geschäfte dummerweise halt zu sind.

Das Konzept selber ist natürlich sehr viel tragender: So gibt es (nicht nur in Deutschland) Millionen von Flüchtlings- und Asylbegeisterten. Zumindest so lange das nicht vor der eigenen Haustür oder mit dem eigenen Geld bezahlt werden muss. Als Ron De Santis im letzten Jahr ein paar Dutzend Flüchtlinge nach "Marthas Vineyard" (sozusagen das amerikanische "Blankenese") einfliegen liess, waren die innerhalb von weniger als 24 Stunden wieder weggeschafft worden. Und als vor sieben Jahren in Deutschland die großzügig abgeschlossenen "Flüchtlingspatenschaften" auf einmal nicht mehr dem Steuerzahler sondern den großzügigen Privatpersonen in Rechnung gestellt werden sollten, war das Geschrei auch plötzlich enorm groß. So war das ja nicht gemeint. 

Vom Leben in der Simulation. Nachtrag





„Con alivio, con humillación, con terror, comprendió que él también era una apariencia, que otro estaba soñándolo.“

- Borges, “Las ruinas circulares” (1940)

I.

So schnell kann es gehen.

Gestern nacht habe ich in meinem letzten Beitrag geschrieben, was dafür spricht, daß die „Wirklichkeit,“ die wir um uns herum wahrnehmen, die „Welt,“ nur eine Simulation ist, und woran man das erkennen kann. Und ich habe ausgeführt, warum mir das Datum des 28. Juni, und besonders des 28. Juni 1971, als der bislang schlagendste Hinweis für diese These erscheint.

Ich muß mich korrigieren.

Ich habe die letzten Passagen des Textes weit nach Mitternacht geschrieben und den Beitrag um 3 Uhr 29 ins Netz hochgeladen. Danach habe ich den Rechner ausgeschaltet und die einmal am Tag fällige Auszeit von der Wirklichkeit (oder „Wirklichkeit“) genommen. Und als ich heute Mittag den Rechner wieder hochfuhr, was der erste Eintrag, der mir auf meiner Twitter-Timeline eingespielt wurde, dieser, gepostet 41 Minuten nach meinem Beitrag:



Jim O'Shaughnessy@jposhaughnessy
Curiouser and Curiouser...
“Are We Living in a Computer Simulation, and Can We Hack It?”
4:10 AM · Jan 19, 2023

Offenbar reagiert die Matrix ziemlich zeitnah.

19. Januar 2023

28. Juni 1971. Vom Universum und seinen Erben



I.

Vor einem guten Monat habe ich an dieser Stelle im Zug meiner Begleitung des ersten Flugs des neuen Mondlandeprogramms der NASA die Tatsache erwähnt, daß es der Zufall will, daß bei den beiden anstehenden Artemis-II und Artemis-III Missionen, bei denen zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert wieder Menschen der Erdtrabanten umrunden und wieder auf ihm landen werden, die Chance, daß jemand mit dem Namen McLane an Bord eines Raumschiffs namens „Orion“ dabei ist – ganz wie auf den Patrouillenflügen am Rand der Unendlichkeit im Jahr 1966 - bei 1:2 liegt. Nun neigt man als in der Wolle gefärbter Skeptiker ja dazu, so etwas für einen netten, aber bedeutungslosen Zufall zu halten, der sich irgendwann einmal ergeben muß. Ein Beispiel solcher Launen des Zufalls rahmt etwa Ausbruch wie Ende des Ersten Weltkriegs ein. Der Doppel-Phaeton der Firma Gräf & Stift, in dem am 28. Juni 1914 (ich komme auf das Datum zurück) der österreichische Thronfolger und Franz Ferdinand und seine Gattin Sophie in Sarajewo den Schüssen des Attentäter Gavrilo Princip zum Opfer fielen, trug das Kennzeichen A111 118. Wenn man das „A“ fortläßt und nur die Zahlen liest, ergibt sich 11-11-18: das Datum, an dem im Wald von Compiegne die Kapitulation des deutschen Heeres unterzeichnet wurde.



Erst bei einer bedenklichen Häufung solcher „Reimereien“ beschleicht einen der leichte Verdacht, die Antwort auf die Frage, die der englische Philosoph Nick Bostrom vor jetzt 20 Jahren im Titel seines mittlerweile notorischen Aufsatzes gestellt hat -„Leben wir in einer Simulation?“ – womöglich doch „Ja“ lautet. („Are You Living in a Computer Simulation?“ Philosophical Quarterly, Bd. 53, Nr. 211, S. 243 bis 255). Der Verdacht – oder besser: die Hypothese – die von unseren Sinnen vermittelte „Wirklichkeit“ könnte nichts als eine Illusion sein, reicht in der Philosophiegeschichte natürlich weiter zurück – zum englischen Philosophen und Geistlichen George Berkeley (als Dr. Johnsons Adlatus James Boswell bei einem Spaziergang erklärte, der Gedankengang des Bischofs von Cloyne sei zwar nicht überzeugend, aber nicht zu widerlegen, versetzte Johnson einem Feldstein am Weg Rand einen derben Tritt und erklärte: „I refute it THUS!“), und bis zu John Locke, der im Jahr 1690 das wohl erste Gedankenexperiment im Sinne Albert Einsteins in die Welt entließ: ein Gehirn, das von Körper getrennt in einer Nährlösung am Leben gehalten würde und dem Sinneseindrücke durch Nervenreizung „eingespielt“ würden, wäre nicht in der Lage, diese von einer empirischen Wirklichkeit zu unterscheiden.

16. Januar 2023

Wann ist die Grenze erreicht? Ein Gedankensplitter.

Der Staat kann durchaus schnell durchgreifen, wenn er denn will. Beispielsweise wenn es gegen Corona-Demonstranten geht, deren Verbrechen darin besteht mit Polizisten aneinander geraten zu sein, wie beispielsweise hier. Da geht es dann auch sehr schnell und sehr deutlich, von der Festnahme zum Urteil in einem Tag. Wobei man zur Ehrenrettung der Justiz sagen muss, dass sie nicht nur Regimekritiker schnell bestrafen kann, sondern auch echte Chaoten ab und zu fix verurteilt, so lange diese kein politisches Motiv haben (den  Querverweis auf die Berliner Justiz sei an der Stelle dem Leser als Übung überlassen). Auch hart kann der deutsche Staat ab und zu mal hinlangen, wenn auch mit ähnlicher Schlagseite: Während in Berlin die Silvester-Täter schon nach Stunden auf freiem Fuß gesetzt wurden, so sitzt Michael Ballweg, seines Zeichens eben auch Regierungskritiker, seit mehr als einem halben Jahr in Untersuchungshaft, mit einer Anklagedrohung, von der selbst die Richter nicht so recht wissen, was er eigentlich verbrochen haben soll. Und wenn man halt nicht so richtig auf Kurs ist, dann reicht unter Umständen schon das tausendfache Ausstellen von Maskenattesten dazu aus, ohne Bewährung ein paar Jahre gesiebte Luft zu atmen (ganz im Unterschied zu Messerstechern, die in Düsseldorf auch dann noch Bewährung bekommen, wenn ihr Opfer "nur" fünf Liter Blut verloren hat). 

12. Januar 2023

#Panzerwende



Der polnische Präsident Andrzej Duda hat heute nachmittag um 14 Uhr bei einem treffen mit seinen Amtskollegen aus der Ukraine, Wolodmyr Selenskij und aus Litauen, Gitanas Nausėda, der Ukraine fest zugesagt, ihr zur Verteidigung gegen die russischen Invasoren „ein Bataillion Kampfpanzer des Typs Leopard 2“ zur Verfügung zu stellen. Eine Stunde später erfolgte aus London die Zusage, man habe sich auch zu diesem Schritt entschlossen und werde MBTs (im offiziellen NATO-Jargon für „Main Battle Tanks“ stehend) des Typs Challenger 2 bereitstellen, die seit 1994 das Rückgrat der englischen Landstreitkräfte darstellen. Von der Menge auf den Straßen von Lviv ist Duda heute „wie ein Rockstar“ gefeiert worden.



Im zweiten Fall wurden keine genauen Zahlen genannt, man kann aber davon ausgehen, daß es sich auch hier um 10 bis 14 Panzer handelt. Diese „nackten Zahlen“ mögen sich auf den ersten Blick nicht besonders eindrucksvoll ausmachen, etwa, wenn man im Hinterkopf behält, daß die russische Armee bis heute, dem 11. Januar, nach den Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums 3094 verloren hat. Allerdings täuscht ein solcher Eindruck. Es handelt sich hier um die modernsten und schlagkräftigsten Modelle, die der Westen in seinen Armen einsetzen kann – und die entscheidende Funktion solcher Panzer auf dem Schlachtfeld ist der Einsatz im Rahmen einer Offensive an der Spitze nachrückender Infanterie und unter ausreichender Luftunterstützung. (Der völlig unzureichenden Luftunterstützung auf russischer Seite ist es zu verdanken, daß seit Monaten, seit April, keine ihrer Offensiven einen nennenswerten Erfolg zu verzeichnen hatte.) Die russische Armee kämpft seit dem Sommer an der Frontlinie im Donbass einen Stellungskrieg; die Linien weichen ohne nennenswerte Geländegewinne ein paar Kilometer vor oder zurück; große Abschnitte auf dem linken Ufer des Dnipro und im Nordteil der Krim sind seit dem Herbst zu einem Verteidigungsnetzwerk aus Schützengräben und Panzersperren ausgebaut und – geschanzt worden, eine Konsequenz daraus ist, daß die russische Armee nicht in der Lage sein dürfte, eine wirksame Offensive zu führen, während die Fernwaffen der ukrainischen Seite, wie etwa die HIMARS, bei Geländegewinnen durchaus in der Lage wären, die russische Logistik (etwa Kommandozentralen und Magazine) gezielt unter Beschuß zu nehmen, wie es seit September immer wieder der Fall ist, und die russischen Nachschublinien zu unterbrechen.

8. Januar 2023

"Die Zukunft glaubt an uns"



Liebe FDP,

Da habt ihr nun, nach zwei Jahren Pause durch COVID-19, am Freitag, dem Dreikönigstag, euer traditionelles Dreikönigstreffen im Stuttgarter Opernhaus hinter euch gebracht. Zum einen als der seit Jahrzehnte übliche Start, daß die Pause zwischen den Jahren vorbei ist: die traditionellen zwölf Rauhnächte vorüber und nun der übliche Drehbühnenzauber mit Akklamationen und Slots in den Prime-Time-Medien (wie man im Deutschen sagt) wieder von neuem beginnt – nicht zuletzt als nötige Erinnerung, daß es die Partei auch noch gibt – und nicht nur ihre Vertreter im Ministeramt oder die Bundestagsfraktion. Business as usual (wie man im Deutschen sagt). Mit den üblichen Reden voller irgendwie wohlklingender, aber inhaltsfreier Phrasen, die seit Jahrzehnten beliebig ausgetauscht werden können und schon vergessen sind, bevor sie vom Teleprompter abgelesen werden. Same old, same old (wie man im Deutschen sagt). Und nicht zuletzt als ein öffentlich zelebrierter Auftritt, daß wir jetzt auf Maskenball und Abstandsmessungen im Freien mit dem Zollstock verzichten können.

Liebe FDP, genau solche Rituale waren es, die dazu geführt haben, daß ich auch schon vor 20 Jahren, als ich noch einen Fernseher besaß, solche Zeremonien ebenso ignoriert habe wie die Stunksitzungen anderer Karnevalsvereine. Ganz läßt sich dergleichen im Zeichen der sozialen Medien, die Rundfunk und Fernsehen als Informationsquelle ersetzt haben, nicht außer Sichtweite halten. Und deshalb habe ich auch die Plakate gesehen, auf denen das Motto zu lesen war, unter das ihr dieses Treffen gestellt habt:

„Die Zukunft glaubt an uns.“

5. Januar 2023

Randnotizen der Hoffnung: Die Sache mit der Impfung



Wenn man zuviel in liberalen Kreisen unterwegs ist (und Zettels kleines Zimmer ist ein Paradebeispiel), dann beobachtet man oft in jüngeren Jahren eine zunehmende Tendenz zur Resignation, teilweise bis in die Depression. Der Siegeszug der verschiedenen linken Strömungen der letzten Jahre, manifestiert in der Regierung Merkel und nun fortgesetzt in der bald noch schlimmeren Regierung Scholz, hat so vieles zerstört, was wir für selbstverständlich und richtig gehalten haben, dass selbst Optimisten manchmal der Blick in die Zukunft schwer fällt. 

2. Januar 2023

2022, die Fahrt geht weiter und die Lockführer machen mehr Dampf. Ein Gedankensplitter. In zwei Teilen. Teil 2.

Wie bewertet man nun das Jahr 2022? Nun, vor einem Jahr sprach ich davon, dass 2021 vermutlich das schlimmste Jahr der BRD gewesen ist und diese Einschätzung ist mit aller Sicherheit auch ein Jahr später immer noch korrekt. War nun 2022 besser als das Vorjahr? 

1. Januar 2023

"Дорогі українці! " Die Neujahrsansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij





(Der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskij, hat sich gestern Nacht, gute zwanzig Minuten vor dem Ende des alten Jahres, in einer Fernsehansprache an die Bürger der Ukraine gewendet. Man kann nicht genug daran erinnern, daß es immer noch das erklärte Kriegsziel der russischen Invasoren ist, die staatliche Existenz der Ukraine auszulöschen, daß dieses Volk und diieser Staat im Kampf um seinen eigenständige Existenz, um seine Freiheit steht. Und es steht wohl auch fest, daß Selenskijs Vorbild, seine Haltung und sein persönlicher Mut ihm für das 21. Jahrhundert den Rang einräumen, wie sie im Zweiten Weltkrieg Winston Churchill zugekommen ist. Der Krieg wird auch weiterhin das entscheidende und alles bestimmende Ereignis des jetzt begonnenen Jahres sein. Aus diesem Grund habe ich mich entschlossen, Selenskijs Ansprache an seine Landsleute, an die Bürger der Ukraine, als ersten Beitrag des Jahres 2023 für "Zettels Raum" in voller Länge zu dokumentieren - im ukrainischen Original und in deutscher Übersetzung. Слава Україні! - U.E.)

Liebe Ukrainer!

Dieses Jahr begann am 24. Februar. Ohne Vorwarnung und Auftakt. Plötzlich, früh am Morgen, um vier Uhr.

Es war dunkel; es war laut. Es war für viele schwer und furchtbar. Seitdem sind 311 Tage vergangen. Es kann für uns immer noch dunkel, laut und schwierig sein. Aber wir werden niemals wieder Angst haben. Und wir werden uns nicht dafür schämen.

Es war unser Jahr. Das Jahr der Ukraine; das Jahr der Ukrainer.

Als wir am 24. Februar geweckt wurden, wachten wir in einem anderen Leben auf. Wir waren ein anderes Volk, dieses Land war eine andere Ukraine. Die ersten Raketen haben die Verblendungen zerstört. Wir haben erkannt, wer auf welcher Seite steht; wozu unsere Freunde und wozu unsere Feinde fähig sind – und vor allem: wozu wir selbst fähig sind.

Am 24. Februar haben Millionen von uns eine Wahl getroffen. Wir haben uns nicht für die weißte Fahne entschieden, sondern für die blau-gelbe. Wir haben uns nicht zur Flucht entschlossen, sondern dazu, uns dem Feind entgegenzustellen, Widerstand zu leisten und zu kämpfen.

Die Explosionen vom 24. Februar haben uns wachgerüttelt. Seither haben wir nichts anderes mehr gehört. Und wir hören nicht auf das, was andere uns raten. Man hat uns gesagt: ihr habt keine Wahl, als euch zu ergeben. Wir sagen: wir haben keine Wahl außer zu gewinnen.