12. Januar 2023

#Panzerwende



Der polnische Präsident Andrzej Duda hat heute nachmittag um 14 Uhr bei einem treffen mit seinen Amtskollegen aus der Ukraine, Wolodmyr Selenskij und aus Litauen, Gitanas Nausėda, der Ukraine fest zugesagt, ihr zur Verteidigung gegen die russischen Invasoren „ein Bataillion Kampfpanzer des Typs Leopard 2“ zur Verfügung zu stellen. Eine Stunde später erfolgte aus London die Zusage, man habe sich auch zu diesem Schritt entschlossen und werde MBTs (im offiziellen NATO-Jargon für „Main Battle Tanks“ stehend) des Typs Challenger 2 bereitstellen, die seit 1994 das Rückgrat der englischen Landstreitkräfte darstellen. Von der Menge auf den Straßen von Lviv ist Duda heute „wie ein Rockstar“ gefeiert worden.



Im zweiten Fall wurden keine genauen Zahlen genannt, man kann aber davon ausgehen, daß es sich auch hier um 10 bis 14 Panzer handelt. Diese „nackten Zahlen“ mögen sich auf den ersten Blick nicht besonders eindrucksvoll ausmachen, etwa, wenn man im Hinterkopf behält, daß die russische Armee bis heute, dem 11. Januar, nach den Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums 3094 verloren hat. Allerdings täuscht ein solcher Eindruck. Es handelt sich hier um die modernsten und schlagkräftigsten Modelle, die der Westen in seinen Armen einsetzen kann – und die entscheidende Funktion solcher Panzer auf dem Schlachtfeld ist der Einsatz im Rahmen einer Offensive an der Spitze nachrückender Infanterie und unter ausreichender Luftunterstützung. (Der völlig unzureichenden Luftunterstützung auf russischer Seite ist es zu verdanken, daß seit Monaten, seit April, keine ihrer Offensiven einen nennenswerten Erfolg zu verzeichnen hatte.) Die russische Armee kämpft seit dem Sommer an der Frontlinie im Donbass einen Stellungskrieg; die Linien weichen ohne nennenswerte Geländegewinne ein paar Kilometer vor oder zurück; große Abschnitte auf dem linken Ufer des Dnipro und im Nordteil der Krim sind seit dem Herbst zu einem Verteidigungsnetzwerk aus Schützengräben und Panzersperren ausgebaut und – geschanzt worden, eine Konsequenz daraus ist, daß die russische Armee nicht in der Lage sein dürfte, eine wirksame Offensive zu führen, während die Fernwaffen der ukrainischen Seite, wie etwa die HIMARS, bei Geländegewinnen durchaus in der Lage wären, die russische Logistik (etwa Kommandozentralen und Magazine) gezielt unter Beschuß zu nehmen, wie es seit September immer wieder der Fall ist, und die russischen Nachschublinien zu unterbrechen.

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(Financial Times)

Wichtiger aber als der tatsächliche Einsatz im Kampfgebiet dürfte in diesem Fall die symbolische Wirkung, die Signalwirkung ausfallen. Seit Monaten hat die Ukraine ihre westlichen Partner und Verbündeten um solche schlagkräftigen Kampfpanzer gebeten. Immer wieder sind auf Versprechen und Ankündigungen keine Taten gefolgt. Insbesondere der deutsche Bundeskanzler hat sich hier als Zauberer, als aktiver Hemmschuh hervorgetan. Trotz der eindeutigen parlamentarischen Vorgabe durch den deutschen Bundestag vom 26. April hat es Olaf Scholz durch persönliches Intervenieren bislang verhindern können, daß selbst andere Staaten Kampfpanzer der Marke Leopard aus deutscher Produktion an die Ukraine geliefert haben, nachdem sie solche Lieferungen angekündigt haben. Im Fall des spanischen Heers lautete die „offizielle“ Begründung im August, daß die zwischen 1994 und 2008 von Krauss-Maffei gelieferten und die in Spanien in Lizenz gebauten gut 220 Panzer des Typs Leopard 2E sämtlich in einem derart maroden Zustand seien, daß ein Transport und ein tatsächlicher Einsatz im Gefecht nicht in Frage käme.

Angesichts des Zustandes des Geräts der Bundeswehr wäre man vielleicht geneigt, solchen Verlautbarungen noch Glauben zu schenken. Aber die Vorstellung, daß eine Armee ihre gesamte landgestützte Schlagkraft, in die sie fast zweieinhalb Milliarden Euro investiert hat, einfach nur verrosten läßt – um das zu glauben, muß man wohl Olaf Scholz heißen oder deutscher Politiker sein.

Zudem haben sich Scholz und seine Reige – allen voran Verteidigungsministerin Lambrecht, seit April immer wieder darin hervorgetan, neue Ausreden für das Zaubern im Sachen Waffen in die Welt zu setzen, die sich als falsch, als Fehlurteil oder schlicht als glatte Lüge erwiesen haben – etwa die Absurdität des „Ringtausches,“ die in der Militärgeschichte der letzten 3000 Jahre nicht ihresgleichen haben dürfte. Oder die über Monate hinweg vertretene offizielle Haltung, man könne der Ukraine keine modernen westlichen Waffen liefern, weil ihre Soldaten halt zu schlicht und zu unbedarft seien, um sie bedienen zu können. Das ukrainische Militär hat mit seinen Erfolgen das ins Reich der Münchhausen-Geschichten verwiesen. Spätestens nach dem Zurückschlagen der russischen Truppen in der „Schlacht um Kyiv“ Ende März hätte es selbst einem Olaf Scholz klarwerden können, daß man es hier mit einer modernen, schlagkräftigen und motivierten Truppe zu tun hatte, die den Herausforderungen, die Technik, Taktik und Gelände stellen, absolut gewachsen ist.

Immer wieder ist aus dem Kanzleramt, aus den Führungsriegen der Koalitionsparteien und der Hardthöhe betont worden, man wolle auf keinen Fall Russland einen Vorwand zur „Eskalation“ liefern. Gemeint war ein direkter Angriff Russlands auf die NATO-Staaten, unzählige Male als Atomschlag an die Wand gemalt. Tatsächlich ist eine solche Eskalation ebenso oft ausgeblieben, wie sie von den belfernden Lord Haw-Haws im russischen Fernsehen (Waldimir Solowjow etwa) angedroht worden sind. Keine Fernwaffenlieferung, keine Munitionslieferung hat den russischen Invasor bislang dazu gebracht, diese rote Linie zu überschreiten.

Tatsächliche hat sich die deutsche Seite immer nur nach endlosem Zögern, nach endlosem Sich-Winden und immer neuen Vorwänden und Ausreden und erst unter massivem Druck der westlichen Verbündeten dazu durchringen können, doch endlich der Ukrainischen Seiter zur Seite zu stehen. Die Tatsache, daß die mittlerweile erfolgten Lieferungen an militärischen Gerät vom Umfang her Deutschland auf den dritten Platz gebracht haben, kann diesen desaströsen Eindruck, den diese Unwilligkeit und (man muß es so hart sagen) Unfähigkeit hinterlassen hat, nicht wettmachen können.

Nur ein paar Beispiele: erst vor wenigen Tagen hat Scholz der Ukraine die Lieferung von 40 Schützenpanzern des Typs Marder zugesagt (aus griechischen Beständen), während es noch im Juli genau diesen Schritt für eine „furchtbare Eskalation“ erklärt hatte, und nachdem Verteidigungsministerin Lambrecht noch vor wenigen Wochenerklärt hatte, es gäbe keine Bestände, die abzugeben wären (ein internes Papier der Bundeswehrführung von Mai wies das Gegenteil aus). Nachdem Scholz und Regierungssprecher Hebestreit am 20. April erklärten, „die Bundeswehr habe alles geliefert, was sie liefern könne,“ tauchten die Luftabwehrpanzer des Typs Gepard (eben die, die nach Auskunft von Frau Lambrecht keine Panzer sind, weil „sie die Infrastruktur schützen, indem sie mit einem großen Rohr in die Luft schießen“ – Bundestag vom 20. Juni) wenige Wochen später wundersam aus einem intergalaktischen Wurmloch auf, ebenso wie die die Panzerhaubitzen des Typs PzH-2000 wenige Tage danach. Freilich erst, nachdem die französische Regierung unter dem Eindruck der Kriegsverbrechen und Budscha fest zugesagt hatte, Haubitzen vom Typ Cesar zu liefern.

Immer wieder hat Scholz die Notwendigkeit des Gleichschritts mit den Partnern hervorgehoben – und immer wieder mußte das Unterbleiben solcher Lieferungen auf deutschen Druck hin als Entschuldigung dafür dienen, hier nicht als Erster tätig zu werden – ebenso wie da Prinzip, daß Deutschland „keine Waffen in Kriegsgebiete liefert“. Ganz davon abgesehen, daß es sich bei Russland Invasion um einen Angriffskrieg handelt, dessen erklärtes Ziel die Auslöschung der ukrainischen Staatlichkeit ist und dessen Kriegsverbrechen sich gegen die zivile Infrastruktur und die Zivilbevölkerung richten, hatte die Bundesregiering kein Problem damit, im Jahr 2021 für eine Summe von 4,3 Milliarden Euro Rüstungsgüter nach Ägypten zu liefern, die dann von dort aus in den Kriegseinsatz nach Libyen und den Jemen weitergereicht wurden. Mittlerweile hat sich sogar bei den Grünen und der FDP die Erkenntnis breitgemacht, daß dieser Krieg mit militärischen Mitteln entschieden wird und das Sterben erst dann ein Ende haben wird, wenn Russland von sich aus einen Waffenstillstand erklärt und ihn auch einhält und seine Truppen abzieht – oder schlicht nicht mehr in der Lage sein wird, Mord und Terror fortzusetzen.

Hier dürfte der Grund für das Vorgehen der englischen und polnischen Regierungen liegen. Man hat dort wohl schlicht die Geduld mit dem unsicheren Kantonisten Berlin verloren, der verspricht und zaudert und lügt. Finnland und Frankreich haben schon in den letzten Wochen den Druck auf Scholz merklich erhöht. Im Kanzleramt, in dem stets die Abgleichung mit den Bündnispartnern betont worden ist, scheint man heute aus allen Wolken gefallen zu sein.

Immerhin ist es Scholz jetzt nicht mehr möglich, sein eigenes Nichtstun hinter dem Rücken anderer zu verbergen. Ich erwarte zwar, daß die Bundesregierung alles unternehmen wird, um die Lieferung der Leopard 2 aus polnischen Beständen zu verhindern – und formell braucht die polnische Regierung wohl das deutsche Plazet für einen solchen Schritt – aber für die englischen Challenger 2 ist das nicht der Fall. Damit werden aus Sicht der Ukraine und ihrer Verbündeten im Westen gleich drei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: zum einen erhält die Ukraine tatsächlich Waffensysteme, die sie bei den kommenden Offensiven dringend benötigt und die entscheidend sein könnten, um die Invasoren vom eigenen Territorium zu vertreiben. Die Ukraine benötigt diese Waffen JETZT. Nicht in fünf Jahren. Nicht in einem. Zum anderen wird sich die Schutzbehauptung, „hier drohe die Eskalation“ – weshalb man dieses Risiko nicht eingehen dürfe – als das erwiesen, was es seit Beginn des Kriegs immer war: eine Schutzbehauptung, eine Ausrede für unterlassene wirksame Hilfeleistung. Und zum Dritten gibt es dann für Scholz, Lambrecht e tutti quanti nicht mehr die geringste Ausrede, dieses Zögern Monat für Monat fortzusetzen. Das Verhalten der deutschen Regierung hat in den letzten Monaten im Westen bereits zu völligem Befremden geführt; wenn Sholz nun weiterhin der Trotzkopf mimt, stehen er und seine Riege zurecht als blamiert da: als willige Unterstützer der russischen Aggression, die es nur deshalb vermeiden, sich offen dazu zu bekennen, um keinen offenen Bruch mit dem westlichen Bündnis zu provozieren.





U.E.

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