30. August 2022

“Winnetou und ich.“ Ein Gastbeitrag von Dr. Carl May, Radebeul





(Das Portrait Mays, das ab 1892 als Frontispiz für die 33 Bände des Werkausgabe der Reiseromane des Fehsenfeld-Verlags verwendet wurde.)

(Die vor ein paar Wochen ausgebrochene „Sommerlochdiskussion“ um das Werk und die Person von Karl May anläßlich des Kinostarts des Jugendfilm „Der junge Häuptling Winnetou“ hat mit der Tatsache, daß der Verlag Ravensburger vier Kinderbücher, die er als Begleitprogramm dazu verlegt hat, aus dem Vertrieb genommen hat, nachdem eine kleine Anzahl Berufsempörter dem Film den Transport von rassistischen Klischees vorgeworfen hatte. Gestern hat die ARD erklärt, keinen der 11 Spielfilme, die zwischen 1962 und 1968 mit Pierre Brice und Lex Barker in den Hauptrollen entstanden sind, mehr ins Programm zu nehmen. Vor einer Woche hat der Hamburger „Afrikahistoriker“ Jürgen Zimmermann auf Twitter Mays Westerngeschichten für im Kern #rassistisch und #antisemitisch erklärt. Zimmerer gehört zu jenem kleinen Kreis von Historikern, die die sogenannte „Kontinuitätstheorie“ vertreten und für die sich die Verbrechen des Holocausts unter dem Nationalsozialismus geradewegs aus dem Verhalten der deutschen Kolonialbehörden in Afrika 4 Jahrzehnte zuvor herleiten. (Warum die Engländer, die doch im Burenkrieg kein Jahrzehnt zuvor die ersten als solche bezeichneten „Konzentrationslager“ einrichteten, sich hier nicht anschlossen, sowenig wie die Belgier, deren brutale Ausbeutung der indigenen Bevölkerung im Kongo durch den Report von 1904 durch Roger Casement weltweite Empörung auslösten, wird immer ein Geheimnis solcher „Forscher“ bleiben.) Zwei Tage später hat Zimmerer in der „Berliner Zeitung nachgelegt: „Es ist kein Zufall, dass Adolf Hitler und SS-Chef Himmler große Karl-May-Fans waren“ – und daß „der Rassismus und der Kolonialismus quasi die DNA der Geschichten von Winnetou, Old Shatterhand und Kara ben Nemsi“ ausmachen.“ Die Vorstellung von „einem Land, das man besiedelt, während die Bewohner einfach verschwänden,“ sei das literarische Programm gewesen, daß dann ein halbes Jahrhundert von den Nationalsozialisten im Osten Europas in die Praxis umgesetzt worden sei. In welchen der Orient-Romane um Kara Ben Nemsi die „bisherigen Einwohner einfach verschwinden,“ dürfte freilich ein Geheimnis unseres Beschwerdeführers bleiben. Und daß literarische Werke - ungeachtet ihrer Qualität – gemeinhin nicht zu Anstiftungen für solche Aktionen werden, dürfte sich außerhalb der Wokeness-Blase solcher Leute auch herumgesprochen haben. Aber wen kehren schon solche Petitessen, wenn man sich medienwirksam im Sommerloch ausmähren darf?



Zettels Raum hat aus Anlaß dieser Mißhelligkeit den Verfasser jener Berichte, in denen er uns von seinen Erlebnissen während seiner Reisen in die Neue Welt und seinen Erfahrungen mit den dortigen Ureinwohnern berichtet, Herrn Carl May, wohnhaft in Radebeul, um eine klärende Stellungnahme in eigener Sache gebeten. Dr. May war so freundlich, uns den folgenden Text zur Verfügung zu stellen, den wir gerne mit unserer Leserschaft teilen. Der Titel stammt von der Redaktion.)

29. August 2022

Eine wirkliche Mondrakete. "Hit the Road, Jack!"





(Aufnahme: John Kraus, 26. August 2022)



„Hit the road, Jack
And don’t you come back
No more, no more, no more, no more…!

(Ray Charles)

Vor fast zwei Wochen ist im Zug der fast ∞en Geschichte der „Rückkehr zum Mond“ etwas geschehen, daß ich in all den Jahren, in denen ich nun das „Abenteuer Raumfahrt“ verfolge, noch nie erlebt habe. Statt einer Verzögerung, eines weiteren Hinausschiebens, einer Terminüberschreitung hat sich die Leitung des amerikanischen Luft- und Raumfahrtbehörde NASA am vorigen Montag, dem 15. August, völlig überraschend entschieden, den „Rollout,“ den Transport der Mission Artemis I von VAB, dem Vehicle Assembly Building zur Startrampe 39B des Kennedy Space Centers um zwei Tage vorzuziehen. Und so fand der gut 6,2 Kilometer lange Transport des SLS, des Space Launch System mit der Orion-Raumkapsel, dem Starttisch und dem Startturm, der die 98 m hohe Rakete noch um einiges überragt, vom Abend des 17. August an statt – nach dem Takt der Mitteleuropäischen Sommerzeit von kurz nach 4 Uhr morgens bis kurz nach 14 Uhr am Mittwoch, bis der Crawler-Transporter 2 seine Last von insgesamt gut 9700 Tonnen nach einer Fahrdauer von 10 Stunden und 8 Minuten in die Halterungen des Starrampe abgesenkt hatte – diesmal nicht zu einem Probebetankung, eins Check der Systeme – sondern um, wenn nicht Unvorhergesehenes dazwischen kommen sollte. In etwas mehr als 10 Stunden, am heutigen Montag, dem 29. August 2022, die viersitzige Orion-Raumkapsel auf ihren ersten Flug zum Erdtrabanten zu schicken.

26. August 2022

William Herschel und das Gespenst





William Herschel. Porträt von Lemuel Francis Abbott, 1785.

Der folgende Bericht möge ein einfaches und doch, scheint mir, schätzbares Zeugnis ablegen von der besonderen Geistesart Sir William Herschels, des Astronomen. Das Mitgeteilte ereignete sich zu der Zeit, da der Vierunddreißigjährige sich – 1772 war das Jahr – als Musiklehrer in Bath in Somerset niedergelassen hatte. Gleichzeitig war er Organist der sogenannten Oktagon-Kapelle; er komponierte Motetten und Gesänge, ja ganze Kirchenmusiken, studierte sie ein und führte sie auf; und er dirigierte öffentliche Konzerte. Doch diente all diese aufreibende Tätigkeit ihm nur zum Broterwerb, um um nämlich in der Mußestunden seiner eigentlichen Leidenschaft und Berufung, der Himmels-Erforschung, sich hingeben zu können. Auch das forderte von ihm neben der geistigen eine schwere körperliche Leistung, indem alle nötigen Instrumente noch fehlten, so daß er seine Teleskope, das erste zwanzigfüßige wie später das große vierzigfüßige, ganz und gar selber erbaute, selber die Spiegel schliff und mit Hilfe seiner Schwester Caroline, die sein Haus betreute und vom Strickstrumpf bis zum Logarithmus alles erlernte, jedes Einzelteil an der Drehbank selber herstellte.

In dieser arbeitsfiebernden, für unendliche Fruchtbarkeit feurig wirkenden zeit klagte er einmal in einem kleinen Kreis freundgesinnter, das Beste von ihm erwartender Männer über ein Nachlassen seiner Kräfte – und daß ihm nur wenige Wochen einsamer Hingabe an eine gewisse Arbeit fehlten, um sie zu Ende zu bringen. Wenn er auch den nötigen Urlaub von seiner sonstigen Tätigkeit sich aneignen könne, so mangle doch eine Stätte, wo er nicht, wie im belebten Bath, beständigen Störungen ausgeliefert bleibe. Einer der Anwesenden, ein begüterter Aristokrat, äußerte, da die übrigen schwiegen, nach einer Weile, halb verlegen und halb im Scherz: Er wisse vielleicht eine solche Stätte, doch würde sie Herschel kaum zusagen. Dies sei, erklärte er auf Befragen, ein unfern, am Ausgange eines Dorfes gelegenes Schlößchen, das im Besitz seiner Familie, jedoch unbewohnt, nämlich unbewohnbar sei, weil es darinnen spuke. Ein Vetter hatte sich dort das Leben genommen; jahrelang blieb es leer; dann vertrieb der Ungeist die wieder Wohnung Versuchenden, nun war es wohl tief im Verfall.

24. August 2022

Klabauterbach schätzt

Das Propellerkarl nicht so recht mit den Anforderungen  in Mathematik der Mittelstufe mitkommt, war hier schon einmal Thema. Aber wenn der Ruf schon ruiniert ist, soll es sich angeblich ganz ungeniert leben. Karl macht den Test. So twittert er gestern vormittag (muss der eigentlich nicht arbeiten um die Zeit?) so vor sich hin und schrieb uns allen dass Paxlovid die Sterblichkeit an Corona bei Älteren um bis zu 90% senke. 

11. August 2022

Zeitmarke. Vor 50 Jahren: Stippvisite aus dem All





Unter den letzten Texten, die der Gründers dieses Netztagebuchs, Zettel, nur gut zehn Tage vor seinem plötzlichen, völlig unerwarteten Tod im Februar 2013 veröffentlicht hat, sind drei Wortmeldungen, die sich mit dem Thema des Meteoriteneinschlags in der südrussischen Stadt Tscheljabinsk befassen („Was ist eigentlich ein Meteorit? Ein Asteroid? Eine Sternschnuppe?“, „Die Fakten zum Meteoriteneinschlag im Ural“ und „Millionen von Asteroiden. Was kann man gegen diese Gefahr tun?“ – Zettels Raum vom 15 und 16. Februar 2013). An jenem 15. Februar explodierte um halb 10 Uhr morgens ein Meteorit in einer Höhe von gut 30 Kilometern, mit einem Durchmesser gut 20 Metern und einer geschätzten Masse von 12.000 Tonnen, nachdem er mit einer Geschwindigkeit von gut 70.000 Stundenkilometern in die Atmosphäre eingetreten war, mit einer Sprengkraft von 400 bis 500 Kilotonnen TNT, also etwa der 30fachen Energie, die 1945 beim Abwurf der ersten Atombombe auf Nagasaki freigesetzt worden war. Gut 7000 Gebäude wurden in einem Umkreis beschädigt; in den folgenden Tagen suchten in der Oblast Tscheljabinsk 1400 Menschen um ärztliche Hilfe nach; von denen gut 120 i stationär in den örtlichen Krankenhäusern behandelt werden mußten; die meisten hatten sich Schnittverletzungen durch geborstene Fensterscheiben zugezogen. Es war der bislang ernsteste und zerstörerischste Zusammenstoß mit einem solchen „kosmischen Vagabunden,“ der im Lauf der aufgezeichneten menschlichen Geschichte registriert worden ist. (* Es gibt eine mögliche Ausnahme, auf die ich am Ende dieses Beitrags kurz zu sprechen komme.) Andere spektakuläre Meteoreinschläge, etwa der bekannte von Tunguska im Juni 1908 oder der Sichote-Alin-Meteor vom Februar 1947, fielen in unbewohnten Gegenden, im östlichen und zentralen Bereich Sibiriens und richteten nur Waldschäden an – ebenso wie der Bolide, der im Februar 1896 über Madrid niederging und der das Stauen der Zeitgenossen erregte, weil die leuchtende Rauchspur, die er in der Atmosphäre hinterlassen hatte, noch stundenlang sichtbar blieb.

7. August 2022

"Weltraumquallen II" oder: Gedränge im Weltraum





Oder, genauer gesagt: nicht im Weltall – wohl aber an den Weltraumbahnhöfen der Erde, von denen aus der Start in die irdische Umlaufbahn und darüber hinaus erfolgt. Und wenn auch für die einzelnen Startrampen dort vorgestern jeder Start eine Rakete „das übliche Programm“ darstellte, so manifestierte sich die drangvolle Enge doch immerhin im Terminkalender des Betrachters. Ich habe es jetzt nicht für jeden Tag in der Geschichte der Raumfahrt nachverfolgt, aber eine solche Häufung, eine solche Taktfolge, wie sie vor 2 Tagen, am 4. August 2022, an den Tag gelegt wurde, hat es in diesen fast 65 Jahren noch nicht gegeben. Nicht eine, nicht zwei, auch drei, sondern gleich vier verschiedene Missionen haben, über den ganzen Tag verteilt, ihren Anfang genommen. (Als kleines Beseit: es gibt kein griffiges deutsches Pendant für die englische Wendung „a busy day“ – wie in „a busy day in space“: hier werden nur Teilaspekte betont: „ein stressiger Tag,“ „das volle Programm“.) (Auf dieser Seite der ESA, „Space Environment Statistics,“ kann man nachlesen, daß seit dem 4 Oktober 1957, als das Raumfahrtzeitalter durch „Sputnik“ eingeleitet worden ist, bei gut 6220 Starts insgesamt 13300 Satelliten ins All befördert worden sind, von denen gute 6100 zurzeit noch ihren Dienst versehen; zu beachten ist, daß mehr als 2950 davon aus die Konstellation entfallen, die seit dem Mai 2019 durch „Starlink“ gebildet wird.)

Gelegentlich ist es vorgekommen, daß zwei Starts am selben Tag stattfanden – aber dann waren die Starts in der Regel Teil einer gemeinsamen Mission. So etwa beim Start der gemeinsamen Apollo-Sojus-Mission im Juli 1975 zum „Rendezvous im Weltraum,“ einer symbolischen Aktion, die das „Ende des Wettlaufs ins All“, des „Space Race“ symbolisieren sollte – offiziell ASTP, Apollo-Sojuz-Test-Programm genannt, als umgerechnet auf Mitteleuropäische Zeit (der Flug fand 5 Jahre vor der Einführung der Sommerzeit in Deutschland statt) um 13:20 die Kosmonauten Alexej Leonov und Waleri Kubasow mit Sojus-19 vom Kosmodrom Baikonur starteten, gefolgt um 20:50 von Thomas Stafford, Vance Brand und Deke Slayton in einer „Apollo“-Kapsel von Cape Canaveral. (Ältere Zeitzeugen werden sich erinnern, daß Amerikas Raumfahrtbahnhof während des Mondlandeprogramms als „Cape Kennedy“ in den Medienberichten figurierte; die Rückänderung des in Florida unbeliebten Namens erfolgte im Oktober 1973.) Möglich geworden war das Unternehmen dadurch, daß der US-Kongreß im Januar 1972 die Mittel für die drei letzten geplanten Mondflüge, Apollo 18 bis 20, gestrichen hate, die „Hardware“ aber schon gefertigt worden war.

So war es auch im Fall des letzten „Doppelstarts“ am gleichen Kalendertag von der amerikanischen „Space Coast“ aus, im März 1966, als Gemini 8 von der Startrampe 19 mit den Raumfahrern Neil Armstrong und David Scott abhob, um ein Rendezvous mit der Zweitstufe einer Atlas Agena-Rakete durchzuführen, die 100 Minuten zuvor vom benachbarten „Launch Complex-14“ auf den Weg gebracht worden war. Das Manöver diente zur Erprobung der Navigations- Kopplungstechniken, die für die Durchführung der Landung auf dem Mond notwendig werden sollten. Das Unternehmen stand unter keinem guten Stern: das Andocken gelang zwar, aber ein Ventil in der Agenda-Stufe hatte sich beim Start verklemmt, und bei dem Versuch, die instabile Lage mit dem dortigen Antrieb zu korrigieren, hatte zur Folge, daß Kapsel und Rakete in ein sich beschleunigendes Rotieren gerieten, bis sie sich einmal pro Sekunde drehten. Nach der Trennung und der händischen Korrektur der Lage des Raumschiffs durch Kommandant Armstrong war der Treibstoffvorrat der Kapsel so weit erschöpft, daß die Mission nach nur 10 Stunden abgebrochen wurde. (Beim ersten „gemeinsamen Raumflug“ drei Jahre zuvor, mit den Kapseln Wostok 5 und Wostok 6 im Juni 1963, mit den Kosmonauten Walentina Tereschkowa und Waleri Bykowski, lagen übrigens zwei Tage zwischen den beiden Starts)

Aber der Reihefolge nach; und zwar der zeitlichen.