31. Dezember 2022

2022. Ein paar zerstreute Blicke in den Rückspiegel



Pilatus: Der kleine Chelm ist ein Widerporst!
Legionär: Wie bitte?
Pilatus: Ein Widerporst!
Legionär: Ja, natürlich.
Pilatus: Weißt du, solche Purchen scheinen hier unheimlich prutal vorzugehen – plutperaucht!
Legionär: Ja, ich glaube, geraucht hat er auch.
(„Das Leben des Brian“)

Nein, kein halbwegs gutsortierter Jahresrückblick. Zum einen habe ich mir dies in den vergangenen Jahren, seit ich zu diesem Netztagebuch Beitrage, immer verkniffen. Zum anderen werden in solchen Rückschauen in „richtigen“ Medien kurz die prägnanten Momente der letzten zwölf Monate aufgelistet, die Namen derer, die von der irdischen Bühne abgetreten sind, noch einmal aufgezählt, die „Filme des Jahres“ genannt: es sind punktuelle Ereignisse. Während es sich bei dem, was sich mir eingeprägt hat, um Prozesse handelt, um Entwicklungen, die über den zeitlichen Rahmen eines Jahres hinausgehen, und die für die anstehenden Jahre erhebliche Folgen haben werden – wenn sich auch noch nicht abzeichnet, in welchem Maß.

Es sollen eher leicht zerstreute Impressionen beim Blick in den Rückspiegel werden. Und es handelt sich um Bruchstücke aus höchst unterschiedlichen Ebenen. Auf der Netzseite „TV Tropes“, in der sich die Standardfiguren und dramatischen Situationen gesammelt finden, anhand sich die Menschheit ihre Geschichten erzählt, seit das Erzählen von Geschichten erfunden worden ist, findet sich die Kategorie „Murder, Arson and Jaywalking“ für allerlei Beispiele in Film und Literatur, bei denen nicht zuletzt zur Amüsierung des Publikums höchst triviale Dinge in eine Liste mit schwerwiegenden Themen gemischt werden. Und auch meine kleine Themenliste ist ein solches Beispiel für „Mord, Brandschatzen und Falschparken“ („jaywalking“ meint im Englischen das achtlose Überqueren einer Straße, ohne nach rechts oder links zu schauen), oder um beim Beispiel des Prian zu bleiben: "Staatsstreich, Meuchelmord und Kippen wegwerfen." Mir ist schon klar, daß sich die Neuordnung der Welt durch einen Krieg etwas von der Durchsicht der Neuzugänge auf meinen Bücherregalen unterscheidet. (Allerdings hält der Kleine Zyniker fest, daß sich die Reduzierung eines großen Teils der „zweitstärksten Armee“ der Welt an der Front im Osten der Ukraine auf ihren Schrottwert laut offizieller russischer Lesart achtlos weggeworfenen Zigarettenkippen verdankt.)

2022, die Fahrt geht weiter und die Lockführer machen mehr Dampf. Ein Gedankensplitter. In zwei Teilen.

Wenn man sich gegen Jahresende hinsetzt und ein bischen über das vergangene Jahr reflektiert, darüber nachdenkt was passiert ist und wohl daraus folgen wird, ist es meist nicht die schlechteste Idee sich erst einmal die Prophetie anzusehen, die man ein Jahr zuvor verbrochen hat und mal so eine kleine Strichliste zu machen, wie gut man gelegen hat. Wenn man sich den entsprechenden Artikel in Zettels Raum ansieht, so kommt man zu dem Ergebnis: Erstaunlich gut. Die Fahrt der Bundesrepubublik Deutschland ist zumindest nicht völlig erratisch, sie lässt sich teilweise, auch wenn die Richtung die falsche ist, durchaus ganz gut ableiten. Doch das Thema war ja 2022 und deshalb lassen Sie uns, verehrter Leser, zunächst einfach mal die wichtigsten Ereignisse des Jahres eruieren:

29. Dezember 2022

„The Witcher: Blood Origin” – Symbol einer neuen Religion. Ein Gastbeitrag von Frank2000





6-Złoty-Briefmarke der polnischen Post von 2016

Auf dem Streamingdienst Netflix läuft seit Weihnachten die neue Serie "The Witcher: Blood Origin,“ ein sogenanntes Prequel. Um die Aufregung über die neue Serie zu verstehen, muss man zunächst den Originalstoff "The Witcher" und die Einstellung seiner Fans dazu verstehen.

„The Witcher“ ist eine polnische Buchserie des Autors Andrzej Sapkowski. Die Hauptfigur ist der Hexer Geralt, der seinen Lebensunterhalt mit dem Töten von Ungeheuern verdient.

Dieser Geralt von Riva entspricht komplett dem Rollenmodell, das heute als "Toxisch" verleumdet und tabuisiert ist: ein nordischer Typ, groß, mit Bärenkräften ausgestattet, hat viel Sex mit Frauen, extrem wenig Emotionen, selbstbewußt, unbeeindruckt.

Um in der Buchvorlage die Persönlichkeit der Hauptfigur zu erklären, wurde sogar eine eigene Rahmenhandlung geschaffen: Hexer werden nicht geboren, sondern gemacht. Im Kindesalter werden Jungen ausgewählt und einem harten Training unterworfen. Dazu kommen aber auch noch biologische und chemische Substanzen zur Leistungssteigerung. Viele Kinder sterben dabei. Wenn ein Junge das überlebt, dann ist er danach übermenschlich stark und schnell - aber seine Emotionen sind auch gedämpft, so als ob er ständig Psychopharmaka nehmen würde. Trotzdem können Hexer einen starken moralischen Kodex haben, was speziell auf Geralt auch zutrifft. (Das Gegenstück bilden dazu in den Büchern die Zauberinnen, die ebenfalls durch ihre Ausbildung verändert werden: sie werden unfruchtbar.)

24. Dezember 2022

Ein Feiertagsgruß





I.

Es gibt ja nicht wenige Zeitgenossen, die zu der Ansicht neigen, Bilder von festlich geschmückten Jahresendzeit-Nadelbäumen würden als Gruß zum heutigen Festtag einen ganz leichten Hautgôut des Kitschigen beweisen. Aber wenn selbst die Himmel sich in diese Tradition einreihen, dann darf man als passionierter Sternfreund bei dieser Gelegenheit auch einmal eine Ausnahme machen.

Das obige Bild zeigt eine Aufnahme von NGC 2266, dem „Weihnachtsbaumnebel“ (im Englischen auch „Christmas Tree Nebula“ oder „Christmas Tree Cluster“ und im Spanischen „Cúmulo Árbol Navideño“ genannt), einem Emissionsnebel, also einem Sternentstehungsgebiet im Sternbild Einhorn, Monoceros, am nördlichen Sternhimmel. In solchen Gebieten werden die Gaswolken, die unter ihrer eigenen Schwerkraft zusammenfallen, von der harten ionisierenden Strahlung der jungen, gerade in ihrem Innern entstandenen Sterne ionisiert und zum Leuchten gebracht. Physikalisch ist dieser Vorgang durchaus mit dem vergleichbar, der bei uns hienieden in einer Leuchtstoffröhre abläuft – oder in himmlischerem Maßstab beim Auftreten von Polarlichtern: Gasmoleküle absorbieren die Energie der auftreffenden Photonen und die Elektronen in diesen Atomen führen deshalb Quantensprünge durch: sie verschwinden aus den äußeren Elektronenschalen, die den Kern umgeben und entstehen gleichzeitig auf inneren neu. Da sie dann über mehr Energie verfügen, als ihrem Abstand vom positiv geladenen Kern entspricht, vollführen sie nach der Absorption wieder einen Quantensprung auf eine äußere Bahn, wobei in der Summe diese Energie mit einer ganz bestimmten Wellenlänge wieder freigesetzt wird. Diese Energie nehmen wir – oder unsere Instrumente – als Licht wahr.

NGC 2266 ist nach der Nummer benannt, die ihm der aus Dänemark stammende, aber in Irland arbeitende Astronom John Emil Louis Dreyer (1852-1926) in seinem „New General Catalogue“ (von daher die Abkürzung, nicht zu verwechseln mit dem Kürzel NCC, das die Sternenflotte für ihre Raumschiffe wie der „Enterprise“ verwendet) 1888 als Beilage zu den „Memoirs of the Royal Astronomical Society“ veröffentlichte unter dem vollständigen Titel „A New General Catalogue of Nebulae and Clusters of Stars, being the Catalogue of the late Sir John F.W. Herschel, Bart., revised, corrected, and enlarged.“ Von den gut 7600 Eintragungen in seiner 240 Seiten starken Listen stammen nur etwa 40 von Dreyer selbst; den Rest entnahm er den Durchmusterungskatalogen seiner Vorläufer, angefangen mit den Nebelkatalogen von Charles Messier und Wilhelm Herschel; Herschel war es auch, der diesen Nebelfleck zuerst entdeckt hat, am 18. Januar 1784. Sowohl Messier wie auch Herschel interessierten sich nicht sonderlich für diese weißen, verschwommenen Flecken; ihnen ging es darum, eine Liste von Objekten zu erstellen, die leicht mit neu entdeckten Kometen verwechselt werden konnten.



(Der Eintrag für die Nummer 2266 im "New General Catalogue" von 1888 findet sich in der untersten Zeile der Seite.)

21. Dezember 2022

Обновление «Союз МС-22» / Update Sojus MS-22



Ein Nachtrag zu meinem Posting vom Sonntag. Das der Zwischenfall, bei dem das Kühlsystem der an der Internationalen Raumstation angedockten Raumkapsel Sojus MS-22 ausfiel, durchaus gravierend ist und konkreten Folgen für die Missionen der nächsten Monate zur Folge hat, erlaube ich mir an dieser Stelle ein kleines Update über den Stand dessen, was bislang dazu bekannt ist und von den zuständigen Behörden mitgeteilt worden ist – und welche Planungen bis jetzt für die nächsten Wochen vorgenommen worden sind.

Gestern, am Montag, den 19. Dezember 2022, hat sich die russische Raumfahrtbehörde in einer für ihre Verhältnisse ziemlich umfangreichen Pressemitteilung dazu geäußert. Da die Webseite der Organisation von westlichen Ländern nicht ohne weiteres aufrufbar ist - man benötigt dafür eine VPN-Verbindung -, der Inhalt aus erster Hand aber durchaus Interesse beanspruchen darf, habe ich mich entschlossen, diese Meldung auf Zettels Raum zu dokumentieren. Und nein, „ZR“ ist hiermit nicht unter die Multiplikatoren der Moskauer Propaganda gegangen. Anders als bei den notorischen Hetztiraden etwa eines Wladimir Solowjow auf dem Fernsehkanal Rossija-1 oder den zweifelhaften „offiziellen Wirtschaftsdaten,“ die die Wirkung der westlichen Sanktionen ad absurdum führen sollen, dürfte es sich bei den Kommuniqués von Roskosmos um einigermaßen zutreffende Sachstandsberichte handeln. Immerhin geht es um die enge Zusammenarbeit mit der amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA; die Rückkehrmöglichkeit des US-Astronauten Francisco Rubio hängt direkt von der Einsatzbereitschaft des russischen Raumschiffs ab, und vier der sieben Raumfahrer, die zurzeit die Expedition 67/68 an Bord der ISS stellen, sind Amerikaner bzw. im Fall des Missionsspezialisten Koichi Wakata, Japaner. Dieser Teil der Mannschaft wird direkt Zeuge von den Vorgängen an Bord – auch wenn die amerikanischen und die russischen Module der Station zwei getrennte Bereiche darstellen. Zudem dürften die Messdaten und Protokolle, die den Zustand der Station aufzeichnen, in gleichem Maß an die russische wie die amerikanische Bodenkontrolle gefunkt werden.







Die Pressemitteilung von Roskosmos von gestern im Wortlaut:

20. Dezember 2022

Streiflicht: Und das kommt dabei raus, wenn man einen totalen Versager zum Gesundheitsminister macht




Das Karl Lauterbach ziemlich speziell ist, ist kein Geheimnis. Seit ihn die Boulavard-Medien zum Corona-Experten ernannt haben (obschon er nahezu grundsätzlich mit seinen Prognosen daneben liegt), zum Virologen (wovon er keine Ahnung hat) und zum Epidemiologen (wo er immerhin mal eine Vorlesung besucht hat) ist es fast unmöglich einen Tag  zu verbringen, ohne irgendwo eine seiner permanenten Warnungen, Panik-Schiebereien und Drohungen mitzunehmen. Er ist mit Sicherheit die größte Alarmsirrene der letzten 20 Jahre, mit der unschönen Nebeneigenschaft, dass seine Alarme samt und sonders Fehlalarme sind. Gerne auch mal teure, wenn er wieder für hunderte Millionen Impfstoffe einkauft, die anschließend für die eine oder andere Million vernichtet werden müssen.

19. Dezember 2022

Ein Adventsgedicht

„Dickie möchte uns ein Gedicht aufsagen.“ – Mutter Hoppenstedt

Konservative Zeitgenossen – denen ich mich nolens volens zurechne – betonen gerne, daß zum Kern ihrer Haltung die Pflege der eigenen Traditionen zählt. Und zur Adventszeit, und besonders für die Weihnachtswoche, gehört nun eimal der Vortrag von Weihnachtsgedichten, ein von den dazu Verdonnerten wie den Zuhörern zumeist gefürchtetes Interludium zwischen der gemeinschaftlichen Kalorienaufnahme, das den nützlichen Zweck hat, den Nachwuchs zu lehren, daß Tradition nicht zuletzt darin besteht, die Contenance zu bewahren und gute Miene zum schlechten Spiel zu machen.

Andererseits empfiehlt es sich, bei solcher Gelegenheit, die nicht schon jedem seit ungezählten Jahren bekannt sind. Da trifft es sich gut, daß ich dieses Gedicht zur Hand habe, das die amerikanische Comedienne Jen Fulwiler vor ein paar Wochen, Anfang Dezember, über ihre Konten bei Twitter und Facebook in alle Welt hinausgesandt hat – ein Brauch, den sie vor zwei Jahren begonnen hat, nachdem sie ihren Job Mitte 2020 als Moderatorin beim Satellitenradio SiriusXM an den Nagel hängte und sich stattdessen auf das Wagnis des Varietes einließ („noch dazu mitten in einer Pandemie,“ wie sie selbst schreibt).

Daß in ihrem Jahresrückblick der Focus auf den Kabalen in amerikanischen Showbiz liegt, ist natürlich der extremen Präsenz in eben diesem Show Business geschuldet.

'Twas the night before Christmas and all through the city
Everyone was exhausted 'cause the year had been ... bad.
The women wrote notes to the sound of the crickets
Demanding that Santa bring Taylor Swift tickets.
Pa with his Xanax and I with my booze
Had just settled down for a long winter snooze
When out on the lawn there was such a loud clap
I took hold of my phone and opened the Ring app.
When what to my blood-shot eyes should appear
But an electronic sleigh and (somehow) no reindeer
With a familiar driver so confident and brusque
I knew in a moment it was Elon Musk.
"Where are the reindeer?" I said so surprised.
"I bought the North Pole, and we have downsized.
Santa's in rehab - he had a rough year -
He lost all his money in Bitcoin, I fear.
Then he and the Mrs. had a big scene
When he saw her DMs with Adam Levine.
He had no mirth, and the Mrs. had lost hers
They both fumed around like Will Smith at the Oscars.
They did patch things up, their problems are ghosts,
And now they get freaky like CMA hosts.
But the elves made no toys, they didn't do prep
'Cause they wasted all summer watching Heard and Depp.
Now I bring the gifts, and that's the whole saga
'Cause everything I had was from Balenciaga.
We burned all that stuff, to protest the pervs,
But now there is not much in the reserves.
I had a few shoes that were branded by Yeezy
But that would make too many people uneasy.
So - sorry to tell you, but under your trees
All you will get is Jake Paul NFTs."
To start his sleigh a button he tapped,
Saying "Gotta go post my Spotify Wrapped."
He said one more thing as he faded from view:
"Congrats to you all. You survived '22!"

18. Dezember 2022

"Wenn die Sojus aber nun ein Loch hat..."





(Sojus MS-22, zwei Stunden nach Auftreten der Leckage)

Ich bleibe beim Thema Raumfahrt.

Zuvor aber ein kurzer Ausgriff auf meine eigene Lesebiographie – auch wenn dies zunächst etwas exzentrisch anmuten mag. (Und zudem habe ich diese kleine Serie zum neuen Mondlandeprogramm Ende März mit einer solchen Reminiszenz begonnen.)

I.

Es gibt Daten, die sich durch äußere, weltpolitische Ereignisse unauslöschbar ins Gedächtnis eines jeden einprägen, der „dabei war“ – und sei es nur als Zuschauer am Fernsehbildschirm. Jeder, der alt genug war, um „es bewußt mitzuerleben,“ weiß, wo er sich befand, als Präsident Kennedy in Dallas erschossen wurde, als in Berlin Tausende auf die Mauer kletterten, und als die erste schwarze Rauchwolke aus dem Nordturm des World Trade Center aufzusteigen begann. Das erste solche „simultan erlebte“ Ereignis dürfte der Brand der „Hindenburg“ in Lakehurst am 6. Mai 1937 gewesen sein. Marshall McLuhan mag eher ein wildgewordener Fabulierer ohne empirische Bodenhaftung gewesen sein, aber mit seinem Befund, daß erst durch die „magischen Kanäle“ der elektronischen Nachrichtenmedien ein „global village,“ ein mediales Weltdorf, entsteht, lag er genau richtig. (Der kleine Pedant merkt an, daß McLuhan in seinem Buch „Understanding Media“ von 1964 diese „magische Fernwirkung“ eben nicht den elektrischen Massenmedien wir Radio und Fernsehen zuschreibt.)

Und für das private Erleben gilt dies ebenfalls. Einem reinen Zufall verdanke ich es, daß ich etwa, nun, nicht „weiß,“ aber im Nachhinein leicht feststellen kann, daß meine allererste Begegnung mit dem wichtigsten dieser magischen Kanäle, dem Fernsehen, am Sonntag, dem 24 März 1968, um ziemlich genau 17:47 stattgefunden hat. Das ist nun keine Wunderwirkung eines „gußeisernen Gedächtnisses“ (Arno Schmidt) eines damals Siebenjährigen. Denn in der „Flimmerkiste,“ die mein Onkel, den meine Eltern mit mir und meinen Geschwistern im Schlepptau am Wochenende regelmäßig besuchten, seiner Familie gerade spendiert hatte und das wir als technisches Wunderwerk natürlich bestaunten, lief zu diesem Zeitpunkt die erste Wiederholung der „Raumpatrouille Orion“ (die an dieser Stelle schon Thema war) – und die Szene, in der Hasso Sibjörnson und Atan Shubashi (gespielt von Claus Holm und Friedrich Beckhaus) die Raumstation MZ-4 betreten und die dort in der Bewegung eingefrorene Besatzung finden, hat sich mir unvergesslich eingeprägt. Und diese Szene findet sich in der ersten Folge, „Angriff aus dem All,“ bei Minute 32, eine halbe Stunde nach dem Sendebeginn um 17:15 in der ARD.

15. Dezember 2022

Eine wirkliche Mondrakete - "Rücksturz zur Erde"





("Terra the Fair," aus der Sicht von Artemis I, aus 30.000 Kilometern Entfernung)

How to locate in blackness, with a gasp,
Terra the Fair, an orbicle of jasp.

(John Shade, “Pale Fire,” Canto III – 1962, Zeilen 557-558)

I.

„Eines dieser Raumschiffe ist die Orion … Begleiten wir die Orion und ihre Besatzung - bei ihrem Patrouillendienst am Rande der Unendlichkeit.“

Vor drei Tagen, am Sonntag den 11. Dezember, ist nach einer Flugdauer von 25 Tagen 10 Stunden, 50 Minuten und 55 Sekunden der erste, noch unbemannte Flug des neuen Mondladeprogramms mit der Wasserung der Orion-Kapsel der Artemis-1-Mission im Pazifik, gute 150 Seemeilen vor der kalifornischen Küste zu Ende gegangen, nach einer zurückgelegten Flugstrecke von 2,1 Millionen Kilometern. Beim „fiktionalen Vorbild“ der „Raumpatrouille“ hieß dieser Vorgang vor 56 Jahren „Rücksturz zur Erde“. Damals wirkte die Formulierung leicht unpassend; vor einer Position weit außerhalb des Sonnensystems läßt sich nicht gut „herabstürzen“; am Sonntag durfte sie hingegen zum Nennwert genommen werden. Nach ihrer Annäherung an den Mond bis auf gut 130 Kilometer am 5. Dezember bewegte sich das Raumschiff mit gut 982 Meilen pro Stunde (gut 1600 km/h); bis zum Eintritt in die Atmosphäre um 18 Uhr 12 Mitteleuropäischer Zeit war die Geschwindigkeit die die Wirkung der Erdgravitation auf gut 40.000 Stundenkilometer angestiegen. Während der letzten Phase des Fluges konnte man gut nachverfolgen, daß es sich ganz im Wortsinn um einen STURZ handelte: in 16.000 Kilometern Entfernung, um 17:25, in gut 16.000 km Entfernung, betrug die Geschwindigkeit noch 12.800 km/h; um 17:56 Uhr, gute 600 km vor dem Ziel, bereits 28.000 km/h und fünf Minuten später 30.000 km/h. 16 Minuten später trat in einer Höhe von 93 Kilometern dann der erste „Blackout“ ein, der Ausfall der Kommunikation, wenn sich die Luft um das Raumschiff durch die Reibungswärme zu einem elektrisch leitenden Plasma aufheizt und die Radiowellen absorbiert. Bei der ersten Eintauchphase in die oberen Schichten der Atmosphäre bis in gut 55 Kilometer Höhe (oder sollte es besser „Tiefe“ heißen?) hat sich dabei der Hitzeschild der Kapsel auf gut 2700 Grad (Celsius, in Fahrenheit: 5000 Grad) erhitzt. Um die Wärmeentwicklung insgesamt geringer zu halten und für die späteren bemannten Missionen den auftretenden Andruck erträglich zu halten, hat die NASA für das Artemis-Programm einen sogenannten „Skip Entry“ gewählt: dabei wird das Raumschiff nach dem ersten Atmosphäreneintritt wieder in die Höhe geworfen wie ein Kiesel, der im flachen Winkel über eine Wasseroberfläche geschleudert wird, um dann mit verminderter Geschwindigkeit den zweiten, abschließenden Eintritt durchzuführen. Während dieser Phase hat die Kapsel mehrere Rollbewegungen um die Längsachse durchgeführt, um die Fensterpartie, die den künftigen Raumfahrer Ausblick ins All gewährt, möglichst vor der Hitzeentwicklung zu schützen. (Auf den Aufnahmen, die die gewasserte Kapsel zeigen, ist deutlich zu sehen, daß die Lackierung der Kapsel in diesem Bereich nicht in gleichen Maß verbrannt ist.) Der Hitzeschild selbst, mit einem Durchmesser von gut 5 Metern und einer Dicke von 15 Zentimetern, verbrennt während des Wiedereintritt fast vollständig; er besteht aus insgesamt 186 Blöcken eines speziell für diesen Zweck entwickelten Materials mit der Bezeichnung AVCOAT (genauer: AVCOAT 5029-36) der Firma Textron Hartschaummaterials mit innerer Wabenform, das bereits für die Apollomissionen vor einem halben Jahrhundert, die ein vergleichbares Flugprofil hatten, entwickelt worden ist; es handelt sich um ein Phenolformaldehyd-Harz, das von einer Fiberglasmatrix in Bienenwabenform, nun in Form gehalten wird, mit einem spezifischen Gewicht von 0,51.

14. Dezember 2022

Wenn das Wort Skandal nicht mehr reicht



Im Jahr 2011 infizierten sich in Deutschland etwa 4000 Menschen mit EHEC-Keimen, von denen 53 schlußendlich daran starben. Es war einer der größten Lebensmittelskandale der Bundesrepublik Deutschland. Gute zehn Jahre davor kam es europaweit zum "BSE-Skandal", in dessen Verlauf sich etwas über 200 Menschen mit der durch BSE ausgelösten neuen Variante der Jakob-Creutzfeld-Krankheit infizierten, wovon die meisten auch verstarben (übrigens kein einziger in Deutschland). Und, um den Urvater aller großen Skandale noch dazu zu setzen, im Jahr 1961 begann die Aufklärung des Contergan-Skandals, bei dem weltweit geschätzt zwischen 5000 und 10000 Kinder teilweise schwer geschädigt wurden. Das alles waren große Skandale, man könnte noch ein paar mehr ausgraben, aber mal ab von Contergan ist ein Skandal in Deutschland etwas mit maximal ein paar hundert Toten. 

10. Dezember 2022

Eine wirkliche Mondrakete - "Beagle an Bord"





(Artemis 1; 8. Dezember 2022)

I.

Eines dieser Raumschiffe ist die Orion … Begleiten wir die Orion und ihre Besatzung bei ihrem Patrouillendienst am Rande der Unendlichkeit.

In knapp 21 Stunden, um 18 Uhr 39 Mitteleuropäischer Zeit, wird nach gut 26 Tagen der erste Flug eines Raumschiffs beim erneuten Ausflug zum Erdtrabanten sein Ende finden, wenn Artemis 1 in der Nähe der Insel Guadalupe, rund 250 Kilometer westlich der amerikanischen Pazifikküste niedergeht. Technisch gesehen steht natürlich noch die Bergung der Kapsel an, der Transport zum Schiff, der Rücktransport zur Heimatbasis und die Auswertung der beim Flug gewonnenen Daten. Aber das fällt unter „Nachbereitung.“ Jetzt, wo ich diese Zeilen tippe, befindet sich das Raumschiff, am 24. Tag und 14 Stunden seiner Mission nach dem Start von Cape Canaveral, noch 110.500 Meilen von der Erde entfernt und bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von 3400 Meilen pro Stunde auf sie zu. In den letzten drei Tagen hat sich diese Geschwindigkeit beständig von gut 900 Meilen pro Stunde erhöht, unter dem Einfluß der Erdgravitation.





Am Dienstag habe ich das „Intro“ der „phantastischen Abenteuer des Raumschiffs Orion“ auf „noch ohne Besatzung“ variiert. Technisch gesehen stimmt das, da erst bei der nächsten Mission, derzeit auf die erste Hälfte des Jahres 2024 terminiert, vier Menschen erneut den Erdbegleiter umrunden sollen. Aber in effigie ist diesmal schon der „weltberühmte Astronaut“ an Bord, der als Namensgeber der Mondfähre von Apollo 10 im Juni diese Reise absolvierte – und in den zahllosen Zeitungen der USA, die den Tagesstrip der „Peanuts“ abdruckten, in sieben Folgen vom 8. Bis zum 15. März 1969. (Bemerkenswert daran war, daß Snoopy während seines Mondflugs die Lederkappe und die Fliegerbrille trug, die sein Markenzeichen für solche Phantasietrips gewesen waren, seit er am 25. Oktober 1965 als Fliegeras des Ersten Weltkriegs seinen ersten Luftkampf mit dem „Roten Baron“ ausgefochten hatte.)



("Peanuts", 12. März 1969)

Daß Snoopy eine solche Rolle als Maskottchen der NASA zugekommen war, verdankte sich einer kleinen Public-Relations-Initiative, die im Nachgang des Unglücks von „Apollo 1“, als im Januar 1967 bei einem Test der Raumkapsel auf der Startrampe die reine Sauerstoffatmosphäre im Raumschiff durch einen elektrischen Kurzschluß entzündet wurde und die drei Astronauten Edward White, Virgil Grissom und Roger Chaffee innerhalb einer halben Minute in dem Inferno ums Leben kamen. Um ein sichtbares, symbolisches Zeichen zu setzen, daß bei der NASA die Sicherheit jetzt oberste Priorität habe, bat die Leitung der Luft- und Raumfahrtbehörde den geistigen Vater der „Peanuts“, Charles M. Schulz, um die Erlaubnis, den kleinen Beagle als „Sicherheitsmaskottchen“ für solche Zwecke verwenden zu dürfen. Gleichzeitig stiftete sie den „Silver Snoopy Award“, eine Ehrennadel, mit der seit 1968 Personen ausgezeichnet werden, die sich besondere Verdineste im diesem (recht großzügig gefaßten) Bereich erworben haben. Mehr als 15.000 dieser Anstecknadeln sind in den letzten 54 Jahren vergeben worden.





("Peanuts", 12. und 13. März 1969)

8. Dezember 2022

"FDGO - Ein Ausrutscher der Geschichte." Ein Gastbeitrag von Frank2000



Freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO): das ist das behauptete Ziel der deutschen politischen und zivilgesellschaftlichen Organe und Institutionen. Ich selbst behaupte gern, ich hätte in der Bonner Republik so etwas wie eine FDGO kennengelernt - und jetzt wird dieses Ziel immer mehr aufgeweicht und durch etwas anderes ersetzt. Durch etwas, was mehr Kollektivismus, Autoritarismus und Bürgererziehung enthält.

Aber fangen wir vorne an.

Wenn man über "Demokratie" redet, dann ist das zunächst einfach. Natürlich ist auch Demokratie kompliziert, aber es ist VERGLEICHSWEISE einfach - verglichen mit anderen Begriffen wie "Freiheit" zum Beispiel. Demokratie: da werden die meisten eine grundsätzliche Vorstellung haben. Wahlen, zum Beispiel. Vielleicht auch Volksabstimmungen. Ohne sich in Details zu verlieren: Deutschland ist demokratischer als China oder Nordkorea. So werden das fast alle in Deutschland sehen und das paßt auch so.

Als Anekdote am Rande sei erwähnt, dass selbst eine Ein-Parteien-Diktatur ohne Wahlen oder Volksabstimmungen für sich reklamiert, eine "Demokratie" zu sein:

NZZ: "China will die bessere Demokratie sein"

China begründet das damit, daß "der Wille und die Wünsche des Volkes durch die Partei vertreten sei."

Da es aber eine neutrale Definition von "Demokratie" gibt, die Jahrtausende zurückreicht, werde ich solche Orwellschen Doppeldenk-Ansätze nicht weiter diskutieren.

7. Dezember 2022

Wurde schon ein Luftgewehr gefunden?

Die absolute Meldung des Tages, in Deutschland geht mal wieder das Gespenst des Rechtsterrorismus um. 3000 Beamte(!) durchsuchten mehr als 100 Objekte und nahmen 25 Personen fest. Die Bundesanwaltschaft hebt die größte Terrorgruppe seit dem Krieg aus und plant die Leute wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung hinter Gitter zu bringen. Presse und Politik übertreffen sich mit Superlativen was  für eine gewaltige Gefahr für die Demokratie hier in letzter Sekunde abgewehrt werden konnte, da die Gruppe plante in Deutschland die Macht an sich zu reissen.

6. Dezember 2022

Eine wirkliche Mondrakete - "Erdaufgang"





I.

Was heute noch wie ein Märchen klingt, kann morgen schon Wirklichkeit sein. Hier ist ein Märchen von übermorgen. Es gibt keine Nationalstaaten mehr. Es gibt nur noch die Menschheit und ihre Kolonien im Weltraum. Man siedelt auf fernen Sternen. Der Meeresboden ist als Wohnraum erschlossen. Mit heute noch unvorstellbaren Geschwindigkeiten durcheilen Raumschiffe unser Milchstraßensystem. Eines dieser Raumschiffe ist die Orion, winziger Teil eines gigantischen Sicherheitssystems, das die Erde vor Bedrohungen aus dem All schützt.“


So, nicht ohne leicht dräuende Pathetik, begann vor 56 Jahren die Einleitung, als in der einzigen genuinen Science-Fiction-Serie, die das Fernsehen der alten Bundesrepublik je hervorgebracht hat, der Schnelle Raumkreuzer Orion unter dem Kommando von Major Cliff Allister McLane, gespielt von Dietmar Schönherr, am 8. September 1966 zum ersten Mal von der Meeresbasis 104 in die unendlichen Weiten abhob – genau 9 Tage vor dem Erstflug der NGG-1701 Enterprise der Sternenflotte unter Commander James Tiberius Kirk auf dem amerikanischen Fernsehsender NBC. (Übrigens lagen die Einschaltquoten für die beiden Folgen nicht so sehr auseinander, „Angriff aus dem All“ kam in der ARD auf eine Zuschauerquote von 37 Prozent; „The Man Trap“ erzielte ein Nielsen Rating von 25,1.)



Die sieben Folgen der von Rolf Honold konzipierten Serie für die Produktionsfirma Bavaria spielten in einem nicht weiter konkretisierten „Jahr 3000“; in ihrer damaligen ersten Inkarnation fand „Star Trek“ in einem ebenso konturlos-ausgesparten „23. Jahrhundert“ statt; die genaue Konkretisierung der „Sternzeit“, mit der auch die Logbucheinträge, mit denen jede Folge in diesem Kosmos seitdem anhebt, erfolgte erst während der ersten Staffel des Nachfolgers „The Next Generation“ im Jahr 1987. Keiner der damaligen Macher konnte damals ahnen, daß in diesen Wochen, 56 Jahre später, tatsächlich ein Raumschiff mit dem Namen „Orion“ zu seinem ersten Flug „am Rande der Unendlichkeit“ aufbrechen würde, um eine neue Epoche beim Aufbruch der Menschheit in unsere unmittelbare kosmische Umgebung einzuleiten. Eine kleine weitere Parallele sei vermerkt: während die „Enterprise“ laut dem Intro der deutschen Synchronfassung mit „400 Mann Besatzung“ unterwegs war, „um ferne Galaxien zu erforschen“, verzichtete der Original-Auftakt darauf; dort hieß es „its five-year mission: to seek out new worlds and new civilizations.“ Während der Raumkreuzer der Schnellen Kampfverbände eine Stammbesatzung von 5 Personen aufwies (Sicherheitsoffizier Tamara Jagellovsk, gespielt von Eva Pflug, wurde dem eigenmächtigen Kapitän bekanntlich nach seiner Strafversetzung als Schießhund zur Seite gestellt), ist die – tatsächliche -„Orion“ für vier Raumfahrer ausgelegt. Bei dieser 26 Tage dauernden Erprobung der Kapsel und ihrer Systeme sind wie bei den beiden Missionen von Apollo 4 und Apollo 6 nur ein mit zahlreichen Meßinstrumenten versehene Raumanzug und zwei künstliche Torsi in Form weiblicher Oberkörper, Moonikins genannt, in den gepolsterten Schalensitzen an Bord – und als Maskottchen und Anzeiger für die Schwerelosigkeit die Stofffigur eines nicht ganz unbekannten Beagles, der sich sonst lieber auf dem Dach seiner Hundehütte fliegend als „das berühmte Fliegeras des Ersten Weltkriegs“ „dogfights“ mit dem Roten Baron liefert. So wie der Name des neuen Mondprogramms, Artemis, ein Echo auf „Apollo“ darstellt, wo auch hier: zum einen wäre sein Schöpfer Charles M. Schulz, am 10. Tag der Mission, dem 26. November, 100 Jahre alt geworden; zum anderen ist es nicht Snoopys erster Ausflug zum Erdtrabanten: die Mondlandefähre beim Flug von Apollo 10 im Mai 1969, deren Probeabstieg bis auf 14 km an die Oberfläche heranführte, trug seinen Namen als Funkrufkennung; während die Raumkapsel „Charly Brown“ getauft wurde.

Begleiten wir die Orion – noch ohne Besatzung - bei ihrem Patrouillendienst am Rande der Unendlichkeit.

4. Dezember 2022

Der Ethikrat will sich davon stehlen


"Ich war es nicht. Es war Mabuse. Er benutzte mein Gehirn. Ich war es nicht."
                                    -- Dr. Pohland, Die Todesstrahlen des Dr. Mabuse

Julius Streicher, Herausgeber und Besitzer des "Stürmers" wurde am 1. Oktober 1946 wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" zum Tode verurteilt und am 16. Oktober des selben Jahres in Nürnberg hingerichtet. Angeklagt war er ursprünglich auch wegen Beteiligung am Völkermord, konnte jedoch nur nach der allgemeinen Anklage "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" veurteilt werden. In der Urteilsbegründung wurde er als "Judenhetzer Nummer eins (Jew-Baiter Number One)" bezeichnet und das Gericht machte deutlich, dass er aufgrund seiner jahrelangen Hetze verurteilt wurde. Seine Verteidigung bestand im Wesentlichen daraus, dass er nicht an die Judenvernichtung geglaubt habe und damit in seinem Blatt etwas anderes gemeint habe .