15. Dezember 2022

Eine wirkliche Mondrakete - "Rücksturz zur Erde"





("Terra the Fair," aus der Sicht von Artemis I, aus 30.000 Kilometern Entfernung)

How to locate in blackness, with a gasp,
Terra the Fair, an orbicle of jasp.

(John Shade, “Pale Fire,” Canto III – 1962, Zeilen 557-558)

I.

„Eines dieser Raumschiffe ist die Orion … Begleiten wir die Orion und ihre Besatzung - bei ihrem Patrouillendienst am Rande der Unendlichkeit.“

Vor drei Tagen, am Sonntag den 11. Dezember, ist nach einer Flugdauer von 25 Tagen 10 Stunden, 50 Minuten und 55 Sekunden der erste, noch unbemannte Flug des neuen Mondladeprogramms mit der Wasserung der Orion-Kapsel der Artemis-1-Mission im Pazifik, gute 150 Seemeilen vor der kalifornischen Küste zu Ende gegangen, nach einer zurückgelegten Flugstrecke von 2,1 Millionen Kilometern. Beim „fiktionalen Vorbild“ der „Raumpatrouille“ hieß dieser Vorgang vor 56 Jahren „Rücksturz zur Erde“. Damals wirkte die Formulierung leicht unpassend; vor einer Position weit außerhalb des Sonnensystems läßt sich nicht gut „herabstürzen“; am Sonntag durfte sie hingegen zum Nennwert genommen werden. Nach ihrer Annäherung an den Mond bis auf gut 130 Kilometer am 5. Dezember bewegte sich das Raumschiff mit gut 982 Meilen pro Stunde (gut 1600 km/h); bis zum Eintritt in die Atmosphäre um 18 Uhr 12 Mitteleuropäischer Zeit war die Geschwindigkeit die die Wirkung der Erdgravitation auf gut 40.000 Stundenkilometer angestiegen. Während der letzten Phase des Fluges konnte man gut nachverfolgen, daß es sich ganz im Wortsinn um einen STURZ handelte: in 16.000 Kilometern Entfernung, um 17:25, in gut 16.000 km Entfernung, betrug die Geschwindigkeit noch 12.800 km/h; um 17:56 Uhr, gute 600 km vor dem Ziel, bereits 28.000 km/h und fünf Minuten später 30.000 km/h. 16 Minuten später trat in einer Höhe von 93 Kilometern dann der erste „Blackout“ ein, der Ausfall der Kommunikation, wenn sich die Luft um das Raumschiff durch die Reibungswärme zu einem elektrisch leitenden Plasma aufheizt und die Radiowellen absorbiert. Bei der ersten Eintauchphase in die oberen Schichten der Atmosphäre bis in gut 55 Kilometer Höhe (oder sollte es besser „Tiefe“ heißen?) hat sich dabei der Hitzeschild der Kapsel auf gut 2700 Grad (Celsius, in Fahrenheit: 5000 Grad) erhitzt. Um die Wärmeentwicklung insgesamt geringer zu halten und für die späteren bemannten Missionen den auftretenden Andruck erträglich zu halten, hat die NASA für das Artemis-Programm einen sogenannten „Skip Entry“ gewählt: dabei wird das Raumschiff nach dem ersten Atmosphäreneintritt wieder in die Höhe geworfen wie ein Kiesel, der im flachen Winkel über eine Wasseroberfläche geschleudert wird, um dann mit verminderter Geschwindigkeit den zweiten, abschließenden Eintritt durchzuführen. Während dieser Phase hat die Kapsel mehrere Rollbewegungen um die Längsachse durchgeführt, um die Fensterpartie, die den künftigen Raumfahrer Ausblick ins All gewährt, möglichst vor der Hitzeentwicklung zu schützen. (Auf den Aufnahmen, die die gewasserte Kapsel zeigen, ist deutlich zu sehen, daß die Lackierung der Kapsel in diesem Bereich nicht in gleichen Maß verbrannt ist.) Der Hitzeschild selbst, mit einem Durchmesser von gut 5 Metern und einer Dicke von 15 Zentimetern, verbrennt während des Wiedereintritt fast vollständig; er besteht aus insgesamt 186 Blöcken eines speziell für diesen Zweck entwickelten Materials mit der Bezeichnung AVCOAT (genauer: AVCOAT 5029-36) der Firma Textron Hartschaummaterials mit innerer Wabenform, das bereits für die Apollomissionen vor einem halben Jahrhundert, die ein vergleichbares Flugprofil hatten, entwickelt worden ist; es handelt sich um ein Phenolformaldehyd-Harz, das von einer Fiberglasmatrix in Bienenwabenform, nun in Form gehalten wird, mit einem spezifischen Gewicht von 0,51.

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(10.000 Meilen Entfernung)



(7000 Meilen Entfernung)



Der Anflug der Kapsel ans Zielgebiet erfolgte über die Antarktis auf einer fast exakt nach Norden gerichteten Bahn; in 15 Kilometern Höhe wurde die Abdeckung abgetrennt, die die insgesamt elf Fallschirme während des vorhergehenden Höllenritts geschützt hat. Drei dieser Schirme sind an der Abdeckung befestigt und entfalten sich sofort, um sie fortzuziehen und zu verhindern, daß die nachfolgenden Schirme sich darin verheddern können. Danach folgt in 7,6 km Höhe die Entfaltung der Bremsfallschirme mit 30 Metern Durchmesser, die die Kapsel auf eine Fallgeschwindigkeit von 160 km/h abbremsen. Da diese Fahrt nicht mehr dazu ausriecht, die drei Hauptfallschirme zu entfalten, folgt als dritte Staffel die Entfaltung von drei Pilotfallschirmen zu diesem Zweck. Die drei Hauptfallschirme, die gut 80 Meter über der Kapsel hängen, vermindern dann die Sinkgeschwindigkeit bis zum Aufsetzen auf der Wasseroberfläche auf 32 km/h.



(Blick nach vorn aus der Kapsel in 520 Meilen Höhe)





(Ende des ersten Blackouts um 18:26)



(Auslösen der Bremsfallschirme)





(Auslösen und Entfalten der Hauptfallschirme)

Anders als beim ersten Mondflugprogramm vor einem halben Jahrhundert kam bei der Bergung der Kapsel diesmal kein Flugzeugträger zum Einsatz, auf dem ein Hubschrauber das Raumschiff mitsamt seiner lebenden Fracht absetzte. Diesmal wurde sie von den Bergungsteams in Schlauchbooten zur „USS Portland“ geschleppt, einem 2008 in Dienst gestellten „amphibischen Transportdock“ (auch als LPD für Landing Platform Dock abgekürzt), dessen Welldeck, unter dem achtern plazierten Hubschrauberdeck gelegen, zwei Meter tief geflutet wurde. Nachdem die Bergungsteams erst einmal zwei Stunden abgewartet hatten, bis der Ammoniakvorrat verdampft war, der zur Kühlung der Kommandokapsel dient, wurde sie sie gut 8 Stunden nach der Landung auf dem dafür vorgesehen Haltegerüst festgezurrt. Die „Portland“ war gut eine Seemeile in Lee der berechneten Landestelle positioniert worden, um das Risiko zu vermindern, daß es zu einer Kollision kommen könnte. (Der Wind wehte zum Zeitpunkt der Landung aus Nordwesten, mit einer Geschwindigkeit von 7 Knoten, bei einer Außentemperatur von 28 Grad Celsius). Da bei der Landung gestern im Begleitforum zu diesem Netztagebuch, dem „Kleinen Zimmer,“ die Frage aufkam, um was es sich bei den seltsamen Rauchschwaden handeln würde, die man nach gut einer halben Stunde auf den Bildern von der „Portland“ über dem Landegebiet wabern sehen konnte: dabei handelte es sich Signalbojen, die mit deren Rauch die Zonen markierte, an denen die Fallschirme, ihre Halteleinen und die Abdeckkappen im Wasser trieben, die ebenfalls geborgen und auf ihren Zustand untersucht werden sollen. Nach der Software, die die US Navy verwendet, um diese Zonen, genannt „Footprints“, Fußabdrücke, im Vorfeld zu ermitteln, heißt das dafür zuständige Team, ganz offiziell, „Sasquatch Team,“ nach dem indianischen Namen des legendären „Bigfoot.“





(18:48: der erste Helikopter über der Landungsstelle)





Die nächste Artemis-Mission, die während ihrer auf 10 Tage angesetzten Dauer vier Astronauten zum Erdtrabanten bringen soll, ist nach den bisherigen Planungen für den Mai 2024 angesetzt. Die erste tatsächliche Landung soll dann im Rahmen der Mission „Artemis III“ im Lauf des Jahres 2025 erfolgen. Es ist durchaus möglich, daß es hier noch zu weiteren Verzögerungen kommt. Weder die Raumanzüge für den Einsatz auf der Mondoberfläche noch die Landefähre „HLS,“ das Human Landing System, sind bislang fertiggestellt oder erprobt worden; eine Möglichkeit, die sich die NASA bislang offenhält, ist, für den Abstieg aus der Mondumlaufbahn ein „Starship“ von SpaceX zu verwenden – wenn es bis dahin fertiggestellt, und auf einigen Flügen als sicher erprobt ist. Zurzeit stehen noch einige Zündungsversuche in Boca Chica im Starport am südlichsten Zipfel der texanischen Golfküste an, aktuell warten Raumfahrtfans auf einen auf 47 Sekunden angesetzten „Wet Dress Rehearsal“ der Startstufe mit allen 33 Raptor-Triebwerken, was den Belastungen bei einem tatsächlichen Orbitalstart in etwa entsprechen dürfte. (Der kleine Romantiker, der mir bei Beiträgen zu diesem Thema stets über die Schulter blickt, befindet, daß der Anblick eines solchen Vehikels auf der Mondoberfläche den Visionen erheblich mehr entsprechen würde, wie sie vor über 70 Jahren von den Pionieren der Raumfahrt wie Wernher von Braun, Chesley Bonestell und Willy Ley entworfen wurden, als eine schnöde „Mondfähre.“)



[Chesley Bonestell, aus: "The Conquest of Space", 1949]



(Szenenphoto aus "Destination Moon," Regie Irwin Pichel, 1950)



(Projektstudie: Landung des Starship von SpaceX auf dem Mond)



(Projektstudie des Human Landing System von Blue Origin)

II.

Soweit zur Chronistenpflicht.

Wie an dieser Stelle bereits mehrfach angemerkt, hat die wiederholte ungeplante Verzögerung der Starts von „Artemis 1“ zu einigen netten Jubiläen geführt – im Fall der Landung dazu, daß sie fast auf die Stunde genau ein halbes Jahrhundert nach der bislang letzten bemannten Mondlandung stattfand, als das Lunar Excursion Module „Challenger“ mit Kommandant Gene Cernan und dem Mondfährenpiloten Harrison Schmitt im Gebiet des Taurus-Littrow-Tals aufsetzte, bei 20,1908 Grad nördlicher Breite und 30,7716 Grad östlicher Länge. Die Mondfähre berührte den Mondboden am 11. Dezember 1972, umgerechnet auf Mitteleuropäische Zeit, um 20:54 Uhr und 57 Sekunden; die Wasserung der Orionkapsel erfolgte um 18:40 Uhr und 30 Sekunden; eine „Abweichung“ von exakt 134 Minuten mithin. Mit 74 Stunden Dauer war es der bislang längste Aufenthalt von Menschen auf einem anderen Himmelskörper; auf den 3 Ausflügen, bei denen sie auf dem Rover als Pioniere der E-Mobilität insgesamt 31 Kilometer zurücklegten, sammelten die Astronauten 115 kg Mondgestein ein.

Unter diesem Gestein war auch dieser größte Brocken, den die Raumfahrer von ihren Exursionen mitgebracht haben, einem irdischen Gesicht von 11,5 Kilogramm, der heute im Ais and Space Museum der Smithsonian Institution in Washington, DC, zu sehen ist. Ein aus diesem Stein herausgefrästes Scheibchen ist übrigens bei der Eröffnung des Museumsneubaus 1976 so präsentiert worden, daß jeder Besucher die Gelegenheit hat, mit eigener Hand einmal einen Stein vom Mond berühren zu können. Millionen haben in den letzten mehr als 30 Jahren. Der Basaltbrocken mit der Nummer 70215, der auf der dritten Fahrt eingesammelt worden war, hat ein Alter von gut 3,8 Milliarden Jahren und zählt zu einem der drei weltweit öffentlich anfaßbaren Mondsteine; bei den beiden übrigens Exponaten in Mexico City in im John Space Center der NASA in Houston handelt es sich ebenfalls um Teile dieses Steins.







Cernan hatte nach der dritten Exkursion mit dem LVR, dem Lunar Roving Vehicle, die über eine Distanz von 20 Kilometern gegangen war, hinter Schmitt die Fähre betreten und wurde damit zum bislang letzten Menschen auf dem Mond. Man ist ganz überrascht, wenn man feststellt, daß die vier Radnabenmotoren des LVR zusammen nur eine Leistung von einem PS erbrachten – was in der geringen Schwerkraft des Mondes immerhin ausreichte, den Moon Buggy auf 13 km/h zu beschleunigen; bei der Hangabfahrt im hügeligen Gebiet mit Neigungswinkeln bis zu 10 Grad hat Cernan übrigens den bis heute ungebrochenen Geschwindigkeitsrekord von 18 km/h aufgestellt. Bei dieser Fahrt brach übrigens der Kotflügel des rechten Hinterrads, vom messerscharfen Mondstaub zerschlissen, so daß die Astronauten ihre Exkursion nur als Schleichfahrt beenden konnten, um nicht vom hochgeschleuderten Staub eingenebelt zu werden. Unmittelbar bevor Cernan die Fähre wieder betrat, funkte er um 23:34 Uhr, 20 Minuten vor der Zündung der Triebwerke zum Abheben, zur Bodenkontrolle in Houston:

„Bob*, hier spricht Gene. Ich befinde mich auf der Oberfläche, und während ich den letzten Schritt hier auf der Mondoberfläche mache und wir nach Hause zurückkehren – einstweilen, aber ich denke, nicht für allzu lange Zeit – möchte ich nur sagen, daß die Geschichte zu dem Urteil kommen wird, daß Amerikas Herausforderung das kommende Schicksal der Menschheit bestimmt hat. Und wir verlassen jetzt den Mond so, wie wir gekommen sind und wie wir hoffentlich zurückkehren werden: in Frieden und mit Hoffnung für die gesamte Menschheit.“ (*gemeint ist Robert Parker, leitender Funkoffizier in der gerade diensttuenden Schicht.)




(Der Mondrover von Apollo 17. Harrison Schmitt hatte nach der ersten Beschädigung den Kotflügels notdürftig mit Klebeband fixiert, aber die Vibrationen auf der Rückfahrt erwiesen sich als stärker. Es handelte sich bei diesem Klebeband, daß auch schon der havarierten Besatzung von Apollo 13 gute Dienste geleistet hatte, übrigens um handelsübliches Kapton@ Tape, Isolierklebeband auf Silikonbasis.)

Und irgendwann in diesen gut 70 letzten Minuten auf der Mondoberfläche, zwischen dem Ausrollen des Rovers und dem Schließen der Einstiegluke (im NASA-Jargon IEH, „Ingress-Egress Hatch“ genannt) schrieb Cernan die Initialen seiner damals neun Jahre alten Tochter Tracy in den Mondstaub. Dieses „T.C.“ ist bis heute das einzige Graffito, das Genus Homo auf unserem kosmischen Begleiter hinterlassen hat. (Stanislaw Lem, namhaftester polnischer SF-Autor seiner Zeit, der in Interviews zahllose Male auf die Gleichheit zwischen seinem Namen und der offiziellen Abkürzung für das L(unar) E(xcursion) M(odule) verwiesen hat, befand übrigens, es sei überaus typisch für die westlich-kapitalistische Gesellschaft, daß sie sofort nach Erreichen eines anderen Himmelskörpers dort Schrottautos hinterlassen habe.)

Der Legende nach hat Cernan nicht nur die Initialen, sondern den vollen Namen seiner Tochter als Inschrift hinterlassen, und zwar auf dem markanten großen Felsen, dessen Bild in keinem Bericht für die Flug von Apollo 17 fehlt: dem „Split Rock“ oder eben „Tracy’s Rock.“ Die Legende geht auf ein Gemälde zurück, daß Alan Bean, als Mitglied von Apollo 12 der vierte Mensch auf dem Mond, 1984 nach den Panorama-Aufnahmen AS17-140-21493 und AS17-140-21497 angefertigt hat, die Cernan vor diesem Gesteinsbrocken zeigen (AS17 steht für die Mission; „140“ bezeichnet die Filmrolle der Hasselblad-Kamera). Bean hatte sich nach seinem Ausscheiden aus dem Astronautenteam im Jahr 1981 hauptsächlich der Malerei gewidmet, mit Motiven, die zumeist die Flüge zum Mond darstellen. Für sein großflächiges Gemälde – es mißt gut 1 mal 2 Meter – besprach er sich im Vorfeld mit seinem ehemaligen Kollegen. Cernan erinnerte sich später:





(Alan Bean, "Tracy's Boulder," 1984)

„In einem seiner Bilder hat Al Bean den Namen meiner Tochter Tracy auf diesen Felsen gemalt. Nach unserer Rückkehr wurde die Aufnahme ziemlich populär, sie wurde oft gedruckt. Eines Tags kam Al bei mir vorbei und sagte, er würde das als Motiv für ein Bild nehmen. Der erzählt in seinen Bildern oft kleine Geschichten und es wollte deshalb mit mir sprechen. Also habe ich ihm erzählt von der Steigung dort erzählt, wie anstrengend es war, da hinauf zu klettern, und ich habe gemeint, wenn ich gewußt hätte, daß das Bild so bekannt wird, hätte ich mir etwas einfallen lassen – nämlich Tracys Namen dort in den Staub zu schreiben. Als Tochter Amy und Tracy sind zusammenaufgewachsen, und er hat mich gefragt, wie das wohl ausgesehen hätte. Ich hab‘ es ihm auf ein Blatt Papier geschrieben und einige Zeit später rief er mich an und lud mich ein, das Ergebnis anzusehen. Er hatte die Stelle, wo ich meine Probe entnommen hatte, übermalt und stattdessen Tracys Namen hingesetzt. Und was seine kleine Geschichte angeht, war die: daß er mir die Mühe erspart hatte, noch mal hinzufliegen, um das nachzuholen, und damit viele Steuergelder eingespart hatte."


Gestern, am Dienstag, den 13. Dezember, ist die „USS Portland“ im Hafen von San Diego eingelaufen und die Kapsel in die dortige 32nd Street Naval Station verbracht worden.





III.



(Start von HAKUTO-R M1. Die Langzeitbelichtung zeigt nicht nur das Abheben des Falcon 9, sondern auch die beiden Bremszündungen der Startstufe bei der Rückkehr zur "Landing Zone 2.")



(Aussetzen des Landers)

Die Verschiebungen der Artemis-Mission haben nicht nur zu einem solchen „Echo“ mit Apollo 17 geführt, mit dem letzten „Rücksturz aus dem All“ der fiktionalen „Orion“ (an einem 10. Dezember), mit dem 100. Geburtstag von „Peanuts“-Schöpfer Charles M. Schultz (am 26. November). Am Tag der Landung, um 08:38 Uhr morgens, also fast auf die Minute genau zwölf Stunden vorher, startete von der Startrampe 40 im Kennedy Space Center in Florida die nächste Mission zum Mond: an der Spitze einer Falcon 9 hob dort die japanische Raumsonde HAKUTO-R 1 ab, die als erste japanische Raumsonde – und als erste privat finanzierte Mission zum Mond überhaupt – zwischen Ende März und Anfang April im Krater Atlas im Mare Frigoris, dem Meer der Kälte, aufsetzen soll. Der Grund für die lange Flugdauer ist der energiesparende Orbit, der die Sonde zunächst bis in eine Entfernung von 1,5 Millionen Kilometer bringen wird, fast dem vierfachen der Distanz Erde-Mond, bevor dann die wechselnden Einflüsse von Sonne, Erde und eben Mond dafür sorgen, daß sich der Lander, gewissermaßen ohne „eigenes Zutun,“ ohne großen Treibstoffeinsatz, seinem Ziel nähert. (Der Kleine Zyniker merkt an, daß in diesem Fall wie auch bei den Swingby-Manövern von Artemis die Astrologie alter Schule auf ihre Weise durchaus Recht behält: beim Manövrieren zu anderen Welten hängt der Kurs ganz handfest vom Stand der Gestirne ab.) Der Lander, der mit ausgefahrenen Landebeinen eine Höhe von 2,30 m und eine Breite von 2,6 m aufweist und eine Masse von gut einer Tonne hat, hat unter anderem zwei kleine (um nicht zu sagen winzige) Rover an Bord, darunter das Projekt „Raschid“ des Muhammad-bin-Raschid-Raumfahrtzentrums des Emirats Dubai, der allerdings im Vergleich etwa zu den Marsrovern Perseveance und Zhuron wie gesagt wie ein Lilliputaner anmutet: Statt einer ganzen und einer Vierteltonne (irdischem) Gewicht bringt er es nur auf 6 kg und das Gehäuse, das Antrieb, Elektrik und Sender enthält, ragt nur gut 20 Zentimeter hoch. Es wird nicht erwartet, daß das Wägelchen mehr als zwei Wochen auf der Mondoberfläche herumrollen wird; die ganze Mission ist nur auf die Dauer eines Mondumlaufs ausgelegt.



(Der Blick auf die Erde aus Sicht von HAKUTO-R M1 am Dienstagmorgen, zwei Minuten nach der Trennung des Landers von der zweiten Stufe der Falcon 9 – dabei handelt es sich um den hellen Punkt in der Zwei-Uhr-Position.)

Freilich ist HAKUTO-R-M1 nur die erste einer ganzen Reihe von geplanten Missionen: Mission 2 soll im nächsten Jahr folgen. Geplant ist, laut den Ankündigungen der japanischen Firma ispace, mit den folgenden Missionen 3 bis 9 eine vollständige, detailgenaue Kartierung der Vorräte an Wassereis direkt unter der Mondoberfläche im Bereich der Polgebiete zu erstellen und ein verläßliches und (vergleichsweise) kostengünstiges Satellitensystem zur beständigen Erkundung des Mondes kommerziell anbieten zu können.







Zwei Ironien fallen im Zusammenhang mit diesem Programm ins Auge: zum einen ist die Firma ispace, 2010 gegründet, ein Resultat des 2007 ausgelobten „Google Lunar X Prize“, dessen Ziel es war, eine von einer privaten Firma durchgeführte Sondenlandung auf dem Mond durchführen zu lassen und dort mit einem Rover eine Strecke von mindestens 500 Metern zurücklegen zu lassen. Als ursprüngliches Ultimo galt zunächst das Jahr 2014; nach zweimaliger Verlängerung hat sich Google 2018 entschlossen, den Hauptpreis nicht zu vergeben. Gegründet wurde die Firma als „White Label Space,“ die Namensänderung erfolgte 2013 durch den Firmengründer Takeshi Hamada. Während der Lunar X Prize also längst Geschichte ist, besteht also im kommenden Frühjahr die reelle Chance, daß es doch noch einen Gewinner des Wettbewerbs gibt. Die zweite Ironie liegt darin, daß das Mondsondenprogramm HAKUTO nach dem japanischen Namen des „weißen Hasen,“ dem Mondhasen der ostasiatischen Mythologie benannt ist, der für die Mondgöttin Chang’e in einem Mörser das Elixir der Unsterblichkeit zubereitet. Die beiden chinesischen Mondrover tragen seinen chinesischen Namen, Yutu (玉兔), der „Jadehase.“ Yutu-2, der seit 3 Jahren und 11 Monaten im von Kármán-Krater im Südpolgebiet auf der Mondrückseite aktiv ist, hat seitdem eine Strecke von gut 1300 Metern zurückgelegt (der Rover hat übrigens eine Masse von 140 kg). Da der Name des Sondenprogramms von ispace offiziell in lateinischer Schrift als HAKUTO geführt wird, ergibt sich aus den japanischen orthographischen Konventionen, daß die japanische Version nicht in Kanji, den aus dem Chinesischen übernommenen Schriftzeichen geschrieben wird, sondern in Hiragana, also in lautgemäßer Silbenschrift: ハクト. (Das galt schon für den ursprünglichen Firmennamen: ホワイトレーベルスペース – mit dem der Klang des englischen „White Label Space“ einigermaßen getroffen wird.)



(Der Affenkönig Sun Wukong kämpft mit dem Mondhasen. Der Ukiyo-E-Farbholzschnitt ist die Nummer 73 der Serie „Hundert Ansichten des Mondes“ (月百姿) von Tsukioki Yoshitoshi, 1839-1892, die zwischen 1885 und 1892 gedruckt wurden und illustriert eine Szene aus der „Reise nach Westen“ (西游记), einem der vier klassischen chinesischen Romane von Wu Cheng-en), dessen Editio princeps zumeist auf das Jahr 1592 datiert wird. Auf diesem Blatt, im November 1889 (oder „明治21年“ – im 21. Jahr der Meiji-Ära; im Japanischen sind doppelte Datierungen gängig) im Verlag von Akiyama Buenon gedruckt, trägt der weiße Hase übrigens seinen japanisierten chinesischen Namen Gyokuto (ぎょくと).

IV.

Bei meinen bisherigen Beiträgen zur Artemis-1-Mission habe ich kleine musikalische Zugaben hinzugefügt; in diesem voraussichtlich vorerst letzten Posting zu diesem Programm gibt es zwei – da es sich ja um zwei Missionen handelt. Zum einen „Tracy’s Song“ des Musikerduos No More Kings aus Los Angeles, das 2014 als letztes Stück auf ihrem dritten Album mit dem zugegeben nicht gerade originellen Titel „iii“ erschienen ist (schließlich sind ihnen mit einer solchen Nummerierung schon Led Zeppelin und Peter Gabriel zuvorgekommen), in dem es, das Video macht es deutlich, um Gene Cernans nichtvorhandenes Graffito geht.



My shadow stretched before me
Footprints behind
I breach these virgin beaches
For the first and last time

Though I'm assigned a mission
I brought my own
To change the disposition
Of the girl I left home

One small step for
The man she wept for
A giant way to make amends

And if she questions
My best intentions
I'll leave this monument to stand
By tracing Tracy's name in the sand

I read the news of losing
The wings we'd won
Our wax and feathers melted
Too near the sun

They came to claim my white suit
So I shed my skin
I brushed the stars from my boots
And turned them in

No more steps toward
What I once leapt for
I'm trapped by gravity again

And if my quest was ever questioned
I left a monument to stand
By tracing Tracy's name
By tracing Tracy's name
By tracing Tracy's name
In the sand

(Der nostalgisch gestimmte Chronist älterer Popgeschichte fühlt sich durch den balladesk-elegischen Vortrag und die Cello-Begleitung hier an „Verdi Cries“ vom Debutalbum der 10.000 Maniacs aus dem Jahr 1987 erinnert.)



Zum anderen das Stück „SORATO“ der japanischen Popband Sakanaction, das die Combo vor 5 Jahren, 2017, express für den Mondflug der HAKUTO-Mission geschrieben und eingespielt hat (aus diesem Grund ist auch hier der Titel des Stücks in Lateinschrift gehalten; これは bedeutet soviel wie „Das ist es!“ Um Ernst Jüngers Frage nach der "Möglichkeit von Musik auf dem Mond" aus meinem letzten Beitrag noch einmal aufzugreifen: eine Kopie dieses Stücks ist auf einem digitalen Tonträger der Sonde mit auf den Weg zum Mond gegeben worden.



君はただ空を指差した 流星
流線 月に伸びた

君はまだ探し続けてる 流星
流線 空と月の間

君はただ空を指差した 流星
流線 夜に伸びた

君はまだ探し続けてる 流星
流線 空遠くの隙間

いつか きっと探し続けてた流星
空 通り過ぎて

いつか きっと探し続けてた流星
空 遠く伸びて

僕ら ずっと追いかけてた空はきっと
また知らない誰かを繋いだ

Du hast gerade auf den Himmel gewiesen: da - ein Meteor.
Ein Strom von Licht, der bis zum Mond reicht.

Noch immer suchst du nach dem Meteor
Zwischen dem Himmel und dem Mond.

Du hast auf den Meteor gezeigt
Der wie ein Strom von Licht über den Himmel zieht.

Du bist immer noch auf der Suche
Nach dem Meteor, nach der Sternschnuppe

Ich bin sicher, eines Tages wird der Meteor
nach dem du suchst, über den Himmel ziehen.

Wir alle suchen immerzu einen Himmel
Der uns mit denen verbindet, die wir nicht kennen.

„Meteor,“ 流星, Ryusei, setzt sich hier zusammen aus den Kanji, den chinesischen Schriftzeichen für "fließen/strömen" und "Stern."

V.

„Pale Fire,“ John Shades Opus postumum in vier Cantos und 999 Zeilen bildet bekanntlich den Anlaß für die Interpretationen durch Charles Kinbote, anhand derer Vladimir Nabokov sub rosa die „eigentliche“ Handlung seines gleichnamigen Romans entfaltet. Nabokovs zweiter Roman nach dem „Skandalerfolg“ von „Lolita,“ erschien vor 60 Jahren im New Yorker Verlag G. B. Putnam’s Sons, und zwar Ende April 1962, wie ich dem zweiten Band von Brian Boyds Biographie entnehme. Zu dem Couplet merkt Kinbote nur an: „the loveliest couplet in this canto“ – ein starker Hinweis, daß sein eigentlicher Verfasser dies als abschreckendes Beispiel für „poetischen Kitsch“ (englisch „bathos“) intendiert hat, den ich nur deshalb nicht so bezeichne, weil nach Nabokovs oft geäußerter Ansicht der russische Ausdruck По́шлость vollkommen unübersetzbar ist.

Hans Magnus Enzensberger, vor drei Wochen im Alter von 93 Jahren in München gestorbener letzter Doyen der Literatur der alten Bundesrepublik Bonner Provenienz, hat ein solches vermessenes Himmelsstreben in der für ihn in diesen Belangen so typischen leicht melancholischen Art kommentiert. In seinem Gedicht „Abschiedsgruß an die Astronauten“ aus dem Gedichtband „Leichter als Luft“ aus dem Jahr 1999 heißt es:

Teures Vergnügen, zum Mond
oder noch weiter. Hut ab
vor den tapferen Männern
in ihren schneeweißen Wülsten.

Da gäbe es noch viel zu tun,
Orion oder Cassiopeia,
Herausforderungen
für Steuerzahler und Ingenieure.

Allerdings, auf Planeten,
auf denen es keine Orangen gibt,
weder Nüsse noch Reben,
lege ich wenig Wert

Ferneren Milchstraßen,
aus der Entfernung eindrucksvoll,
aber vermutlich nicht wirtlich,
möchte ich lieber nicht nähertreten.

Phantasielos und konservativ
halte ich mich an Verheißungen,
die älter sind: Erde zur Erde
und Staub zu Staub.

Die Veränderungen der letzten 20 Jahre im Bereich der Raumfahrt haben dazu geführt, daß „HME“ in einem Punkt unrecht behalten hat: Zumindest die „Mission 1“ des HAKUTO-Programms stellt keine „Herausforderung an den Steuerzahler“ dar. Die Gesamtkosten für den Bau des Landers und den Start von insgesamt 50 Millionen US-Dollar trägt allein die privat organisierte Firma ispace.



U.E.

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