22. Oktober 2017

Keine Jeanne d'Arc, nirgends: Zur neuen Sexismus-Debatte

Über die derzeitige Sexismus-Debatte (#metoo, Causa Chebli) braucht man eigentlich nicht viele Worte zu verlieren: Bei problemlösungsorientierter Betrachtung ist es völlig sinnlos, ein situationsinadäquates Kompliment mit Vergewaltigungen in einen Topf zu werfen und unterschiedslos mit dem Etikett "Sexismus" zu versehen, weil dadurch der Begriff so ausgehöhlt wird, dass er fast alles oder auch nichts umfassen kann und letztlich in seiner konzeptuellen Beliebigkeit untergeht. Genau darauf scheint es den Promotern dieses neuen Aufschreis jedoch gerade anzukommen: Beweisziel ist, dass nahezu jede Frau in den westlichen Ländern schon einmal mit sexistischem Verhalten konfrontiert war. Das wird natürlich dann richtig, wenn man möglichst viele Handlungsweisen mit dem Negativlabel bestempelt.
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Zu Recht lässt sich fragen, was die Internet-Enthüllungen in puncto gesellschaftlicher Veränderung bringen sollen: Soweit von Straftaten die Rede ist, wäre die naheliegende Reaktion, diese bei der Staatsanwaltschaft (beziehungsweise der Polizei) anzuzeigen. Der Sicherheit von Frauen wäre zweifellos besser gedient, wenn vom Dunkelfeld geschützte Sexualdelinquenten hinter Schloss und Riegel säßen, als wenn ein Tweet über die Erfahrungen als Kriminalitätsopfer abgesetzt wird. Und wenn es um sozial unerwünschte Entgleisungen unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit geht, wäre den Betroffenen eher geholfen, wenn sie sie sich in der konkreten Situation zur Wehr setzten. Schlagfertigkeit kann man erlernen - was hier durchaus zweideutig zu verstehen ist, denn die Entrüstungsohrfeige, die als Retorsionsmittel gegen flegelhaftes Betragen schon zum Arsenal der klassischen Dame gehörte, soll sich in diesem Zusammenhang bewährt haben.

Doch einen dermaßen aktiven Part möchten die federführenden Feministinnen ihren Geschlechtsgenossinnen nicht zumuten. Eine Traumatisierung, die im Fall einer Vergewaltigung nachvollziehbar ist, wirkt als vorgeschobenes Argument lächerlich, wenn sie in einem verunglückten Kompliment oder einem schlichten Anmachspruch begründet sein soll. Durch diesen Victimismus werden Frauen exakt als die schwachen Geschöpfe dargestellt, zu denen sie das patriarchalische Gedankengut unseligen Andenkens degradierte. Der Ruf nach den Männern, die sich ändern und anderen Männern auf die Finger klopfen müssen (#HowIWillChange), mutet dann doch wie die altbackene Sehnsucht nach dem weißen Ritter an, der das Burgfräulein aus den Fängen des Drachen befreit. Keine Jeanne d'Arc, nirgends.

Dabei ist Sexismus in den westlichen Ländern jedenfalls dann, wenn er von autochthonen Männern ausgeht, ohnehin schon geächtet, wobei die entsprechende Sensibilität zum Teil bedenkliche Blüten treibt, die jeden Freund einer freiheitlichen Gesellschaft zutiefst beunruhigen sollten: So kann allein das durch nichts belegte Gerücht, ein Sexist zu sein, in einem großen amerikanischen IT-Dienstleistungsunternehmen zur Entlassung führen. Und im Fall von Tim Hunt reichte ein bloßer Witz von freilich (zumal für einen Nobelpreisträger) limitierter Brillanz zur Vernichtung der bisherigen beruflichen Existenz.

Exakt in dieser Proskriptionsmentalität liegt das Widerliche an der neuen Sexismus-Debatte (und ihren Vorgängerinnen). Es geht in diesen Diskursen ja gerade nicht darum, die verbale und körperliche Wehrhaftigkeit von Frauen und Mädchen zu fördern, was begrüßenswert wäre. Vielmehr wird von den Multiplikatorinnen eine Deutungshoheit zelebriert, die ihnen im Elfenbeinturm des politisch-publizistischen Milieus ohne öffentlichen Widerspruch gewährt wird, weil sich niemand an diesem Thema die Finger verbrennen möchte. Und deshalb spielt man bei diesem unheilig einfältigen Fremdbezichtigungs-und-Mea-Culpa-Theater mit oder schweigt dazu zumindest.

Noricus

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