22. Mai 2009

Marginalie: Der Fall Kurras - muß die "Geschichte jetzt neu geschrieben" werden?

Der Mann, der am 2. Juni 1967 Benno Ohnesorg erschoß, war also ein Mitarbeiter des MfS. Kein kleiner Spitzel, sondern offenbar eine wichtige Quelle; heute trat im ZDF- Morgenmagazin jemand auf, der ihn gar mit dem Meisterspion Topas verglich.

Der Tod Benno Ohnesorgs trug, wie man weiß, entscheidend dazu bei, daß sich die Studentenbewegung radikalisierte und schließlich in Teilen in den blanken Terrorismus abglitt. Muß also jetzt die Geschichte neu geschrieben werden?

Ich sehe das, was den Polizisten Kurras angeht, vorläufig nicht.

Daß er im Auftrag des MfS auf einen Demonstranten schoß, ist möglich, aber es dürfte nicht nachzuweisen oder zu widerlegen sein. Sollte es dazu Aktennotizen gegeben haben, dann dürften sie vernichtet sein. Ein derart brisanter Befehl hätte aber auch mündlich gegeben werden können. Wenn nicht ein sehr großer Zufall zur Hilfe kommt - oder wenn Kurras, der ja noch lebt, nicht am Ende selbst gesprächig wird -, dürfte dieser Punkt wohl ungeklärt bleiben.



Aber in einer anderen Hinsicht könnte die überraschende Wende des Falls Kurras vielleicht doch zu einem neuen Blick auf den deutschen Terrorismus der siebziger Jahre führen.

Damals waren die Meisten - war auch ich - überzeugt, daß die "Rote Armee Fraktion", daß die "Bewegung 2. Juni" und sonstige deutsche Terroristen nichts mit der DDR zu tun hatten. Nichts ist doch, so dachten wir, den dortigen bürokratischen Sozialisten mehr zuwider als Herumballerei und Bombenlegen.

Wir haben uns damals geirrt. Die DDR sah sehr wohl das Potential des Terrorismus für eine Destabilisierung der Bundesrepublik. Natürlich schätzte man es nicht, wie diese Terroristen ohne Auftrag der Partei der Arbeiterklasse sozusagen privat die Diktatur des Proletariats herbeizuschießen versuchten; gewiß hielt man auch ihre Theorien für naiv. Aber als nützliche Idioten wurden sie offenbar durchaus geschätzt.

Also hat man sie auf vielfältige Weise gefördert - von Schleusungen über den Flughafen Schönefeld bis hin zum Ruhenstand unter falschem Namen, den man verdienten Terroristen wie Inge Viett ermöglichte.

Aber die Unterstützung ging noch weiter: Anfang der achtziger Jahre durften Terroristen wie Christian Klar und Adelheid Schulz die DDR regelrecht als Ruhe- und Trainingsraum benutzen. Sie wurden, wie ein damals Verantwortlicher (Walter Lindner, MfS-Abteilung XXII) sagte, für den weiteren Kampf "aufgepäppelt", absolvierten Schießübungen usw. Ein beliebter Aufenthaltsort für die ruhebdürftigen Kämpfer war das Stasi-"Objekt 74", das "Forsthaus an der Flut" in Briesen, idyllisch an der Spree östlich von Berlin gelegen.

Des weiteren wurden die Terroristen über die MfS-Residentur im Jemen mit für sie nützlichen geheimdienstlichen Informationen versorgt, zum Beispiel über bevorstehende Razzien.

Daß die DDR ihr gerütteltes Maß an Schuld an den Morden der RAF trägt, ist immer noch wenig in der Öffentlichkeit bekannt. Wenn der Fall Kurras jetzt den Anlaß gibt, daß dieser Aspekt der DDR aufgearbeitet wird, dann wird die Gechichte wenn auch nicht neu geschrieben, so doch vielleicht der Öffentlichkeit besser vermittelt werden.



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