Morgen in vier Wochen beginnt die Europawahl mit der Öffnung der Wahllokale in Großbritannien und Holland. Die anderen Länder folgen in den Tagen darauf; zur Schlußgruppe gehören wir in Deutschland mit der Wahl am Sonntag, dem 7. Juni. Erst am Sonntag Abend werden europaweit die Resultate veröffentlicht.
Gut einen Monat vor Wahlen ist normalerweise der Wahlkampf längst in seiner heißen Phase. Von den Europawahlen wird man das nicht sagen können, jedenfalls nicht in Deutschland. Keine Wahlspots, kaum Berichterstattung über die Wahlen, nur zögerlich Plakatwerbung. Es gehört keine prophetische Gabe dazu, vorherzusagen, daß die Wahlbeteiligung dürftig sein wird.
Zum ersten Mal, seit ich wahlberechtigt wurde, habe auch ich mir überlegt, ob ich überhaupt zur Wahl gehen werde.
Eigentlich sehe ich es als meine staatsbürgerliche Pflicht an, von meinem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Denn welches Recht habe ich zur Kritik, wenn ich meine Mitwirkung am demokratischen Entscheidungsprozeß verweigere? Der bewußte Wahlverweigerer kommt mir als ein Kritikaster vor, der herummeckert, es aber ablehnt, selbst etwas zu tun.
Anders ist es natürlich bei denjenigen, die sich schlicht nicht für Politik interessieren. Sie haben nicht nur das Recht, dies durch Wahlenthaltung zum Ausdruck zu bringen; sondern es erscheint mir auch angemessen, wenn sie sich so verhalten. Denn was nutzt dem Gemeinwesen die Stimme eines Bürgers, der gar nicht verantwortlich entscheiden kann, weil er von dem, worüber er entscheidet, nichts weiß?
Ob jemand aus Desinteresse oder als bewußte Demonstration dem Wahllokal fernbleibt, kann man freilich nicht wissen. Schon deshalb ist das demonstrative Nichtwählen keine sehr weise Entscheidung - just das Demonstrative daran bleibt ja unbemerkt. Es ist so wirksam wie ein Wahlplakat, das jemand im eigenen Schlafzimmer aufhängt.
Dies gesagt - es gibt für mich Gesichtspunkte, die dafür sprechen, diesen Wahlen fernzubleiben. Denn das Wählen setzt voraus, daß man grundsätzlich mit der Institution einverstanden ist, über deren Zusammensetzung man mitbestimmt; und mit dem Verfassungsrahmen, in den sie eingebettet ist.
Mit der Bundesrepublik Deutschland, mit ihren Institutionen, mit ihren Parlamenten bin ich einverstanden. Mit der Art, wie Europa sich institutionell entwickelt hat und wie es sich auf der Grundlage der Verträge von Lissabon weiterentwickeln soll, bin ich nicht einverstanden.
Die Gründe für diese Haltung habe ich in früheren Artikeln dargelegt, die sich u.a. mit den unklaren Vorstellungen über die Struktur Europas, mit der problematischen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und immer wieder mit dem Versuch der Brüsseler Etatisten befaßt haben, bis hin zu lächerlichen Kleinigkeiten ins Leben der EU-Bürger hineinzuregieren. Der Gipfel, sozusagen, war eine EU-Richtlinie mit dem Ziel, das Seilbahn- Wesen in der Europäischen Union zentral zu regulieren. Dieser Richtlinie und ihrer hanebüchenen juristischen Begründung habe ich im September vergangenen Jahres einen längeren Artikel in zwei Teilen gewidmet.
Dieses Europa der Etatisten nun also wollte sich bekanntlich eine Verfassung geben. Als diese von den Franzosen und den Holländern abgelehnt wurde, hat man das nicht respektiert. Genauer: Man hat es nur formal respektiert und den Inhalt umformuliert; ihn in die Form der Verträge von Lissabon gegossen, die nun keiner Zustimmung durch ein Referendum mehr bedurften; mit Ausnahme Irlands.
Dieses neue Europa basiert, mit anderen Worten, auf einer Trickserei, mit der der Volkswille umgangen wurde. Auch der Wille der Iren soll offenbar übergangen werden. Man wird wohl einfach noch einmal abstimmen lassen, nach dem Prinzip: Wir wählen so oft, bis das richtige Ergebnis herauskommt. So ruiniert man das Vertrauen in Institutionen.
Kurz, dieses Europa, dessen Parlament in einem Monat gewählt wird, ist nicht das politische Europa, dem ich so zustimmen kann, wie ich mit der Bundesrepublik Deutschland einverstanden bin. Verpflichtet fühle ich mich deshalb nicht, zur Wahl zu gehen.
Ich werde es gleichwohl tun. Zum einen aus dem schon genannten Grund: Demonstrative Wahlenthaltung ist nicht als demonstrativ erkennbar; sie wird unter die allgemeine "Wahlmüdigkeit" subsumiert.
Zum anderen geht es ja gar nicht primär um Europa.
An der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments wird sich nach Umfragen nicht viel ändern; sie ist im übrigen ziemlich egal. Es gibt dort keine Regierungs- und keine Oppositionsparteien. Wenn sich aufgrund der jetzigen Wahlen die Proportionen zwischen den Fraktionen (den Christdemokraten/Konservativen, den Sozialisten, den Liberalen, den Grünen, den Kommunisten und den Euroskeptikern) geringfügig verschieben sollten, dann ist das ohne jeden Belang.
Allenfalls ein gutes Abschneiden der beiden Fraktionen der Euroskeptiker (der Union für ein Europa der Nationen und der Fraktion Unabhängigkeit und Demokratie) könnte eine gewisse Wirkung haben.
Würde in Deutschland eine ernstzunehmende, demokratische euroskeptische Partei zur Wahl antreten - sie hätte meine Stimme. Aber seltsam - während europaweit Euroskeptiker auf den Stimmzetteln stehen werden, sucht man sie in Deutschland vergeblich.
Man kann sie sich bereits ansehen, die Stimmzettel; der Bundeswahlleiter stellt Muster als PDF-Datei zur Verfügung. Weder die EUDemokraten noch Libertas werden in Deutschland zur Wahl stehen.
Diese Stimmzettel sind auch sonst ganz interessant. Sie sind lang; nicht weniger als 31 Parteien oder sonstige Vereinigungen befinden sich darauf. Deren Reihenfolge ist von Bundesland zu Bundesland verschieden; je nach den Ergebnissen früherer Wahlen. Meist steht die Union auf Platz eins, in Bremen aber die SPD, und in Brandenburg sind es gar die Kommunisten.
An dieser Äußerlichkeit wird derjenige Umstand deutlich, der mich veranlaßt, wählen zu gehen: Die wahre Bedeutung dieser Wahlen liegt nicht auf der europäischen Ebene, sondern auf der nationalen. Und das gilt besonders für Deutschland.
Denn mit den Europawahlen wird dieses "Superwahljahr" eröffnet. Sie haben damit so etwas wie eine prägende Wirkung. Wer in diesen Wahlen gut abschneidet, der wird Aufwind für die nachfolgenden Wahlen bekommen. Wer patzt, der geht aus einer schlechten Position in die Wahlen dieses Jahres.
Wie sind die Aussichten der einzelnen Parteien? Es liegen bisher zwei Umfragen vor; beide von Anfang April. Sie zeigen übereinstimmend für die Union und die SPD ungefähr die Werte, die diese auch bei den Umfragen zum Bundestag erreichen. Überraschend aber sind die Zahlen für die Grünen und die FDP: In beiden Umfragen liegen die Grünen bei 13 Prozent und die FDP nur bei 10 Prozent - also eine deutliche Umkehrung der Verhältnisse bei der Sonntagsfrage.
Natürlich kann es sich bei nur zwei vorliegenden Umfragen um Stichprobenfehler handeln. Aber ein solches Ergebnis würde sich auch unschwer interpretieren lassen: Viele Wähler der Grünen dürften gemerkt haben, wie prächtig sich "grüne Inhalte" über den Transmissionsriemen EU - nämlich via Verordnung oder via Richtlinie - durchsetzen lassen. Unter den Wählern der FDP hingegen dürften viele Euroskeptiker sein, die genau aus diesem Grund der EU ablehnend gegenüberstehen. Wer freiheitlich denkt, kann in der Tat dieser EU und ihrem Entwicklungstrend nicht zustimmen. Also dürfte das Interesse an den Europawahlen bei den Wählern der Grünen höher sein als bei denjenigen der Liberalen.
Und damit bin ich bei meinem Fazit, das Sie, lieber Leser, nun nicht mehr verwundern wird: Ich werde zur Wahl gehen, und ich werde die FDP wählen. Ein deutlich schlechteres Abschneiden, als ihr die momentanen Umfragen für den Bundestag vorhersagen, wäre ein miserabler Auftakt für dieses Wahljahr. Erst recht dann, wenn die FDP auch noch deutlich von den Grünen überholt werden würde.
Ich bitte Sie, die Überlegungen, die ich in diesem Artikel vorgetragen habe, zu prüfen, und würde mich freuen, wenn Sie dann zur selben Entscheidung kämen.
Gut einen Monat vor Wahlen ist normalerweise der Wahlkampf längst in seiner heißen Phase. Von den Europawahlen wird man das nicht sagen können, jedenfalls nicht in Deutschland. Keine Wahlspots, kaum Berichterstattung über die Wahlen, nur zögerlich Plakatwerbung. Es gehört keine prophetische Gabe dazu, vorherzusagen, daß die Wahlbeteiligung dürftig sein wird.
Zum ersten Mal, seit ich wahlberechtigt wurde, habe auch ich mir überlegt, ob ich überhaupt zur Wahl gehen werde.
Eigentlich sehe ich es als meine staatsbürgerliche Pflicht an, von meinem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Denn welches Recht habe ich zur Kritik, wenn ich meine Mitwirkung am demokratischen Entscheidungsprozeß verweigere? Der bewußte Wahlverweigerer kommt mir als ein Kritikaster vor, der herummeckert, es aber ablehnt, selbst etwas zu tun.
Anders ist es natürlich bei denjenigen, die sich schlicht nicht für Politik interessieren. Sie haben nicht nur das Recht, dies durch Wahlenthaltung zum Ausdruck zu bringen; sondern es erscheint mir auch angemessen, wenn sie sich so verhalten. Denn was nutzt dem Gemeinwesen die Stimme eines Bürgers, der gar nicht verantwortlich entscheiden kann, weil er von dem, worüber er entscheidet, nichts weiß?
Ob jemand aus Desinteresse oder als bewußte Demonstration dem Wahllokal fernbleibt, kann man freilich nicht wissen. Schon deshalb ist das demonstrative Nichtwählen keine sehr weise Entscheidung - just das Demonstrative daran bleibt ja unbemerkt. Es ist so wirksam wie ein Wahlplakat, das jemand im eigenen Schlafzimmer aufhängt.
Dies gesagt - es gibt für mich Gesichtspunkte, die dafür sprechen, diesen Wahlen fernzubleiben. Denn das Wählen setzt voraus, daß man grundsätzlich mit der Institution einverstanden ist, über deren Zusammensetzung man mitbestimmt; und mit dem Verfassungsrahmen, in den sie eingebettet ist.
Mit der Bundesrepublik Deutschland, mit ihren Institutionen, mit ihren Parlamenten bin ich einverstanden. Mit der Art, wie Europa sich institutionell entwickelt hat und wie es sich auf der Grundlage der Verträge von Lissabon weiterentwickeln soll, bin ich nicht einverstanden.
Die Gründe für diese Haltung habe ich in früheren Artikeln dargelegt, die sich u.a. mit den unklaren Vorstellungen über die Struktur Europas, mit der problematischen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und immer wieder mit dem Versuch der Brüsseler Etatisten befaßt haben, bis hin zu lächerlichen Kleinigkeiten ins Leben der EU-Bürger hineinzuregieren. Der Gipfel, sozusagen, war eine EU-Richtlinie mit dem Ziel, das Seilbahn- Wesen in der Europäischen Union zentral zu regulieren. Dieser Richtlinie und ihrer hanebüchenen juristischen Begründung habe ich im September vergangenen Jahres einen längeren Artikel in zwei Teilen gewidmet.
Dieses Europa der Etatisten nun also wollte sich bekanntlich eine Verfassung geben. Als diese von den Franzosen und den Holländern abgelehnt wurde, hat man das nicht respektiert. Genauer: Man hat es nur formal respektiert und den Inhalt umformuliert; ihn in die Form der Verträge von Lissabon gegossen, die nun keiner Zustimmung durch ein Referendum mehr bedurften; mit Ausnahme Irlands.
Dieses neue Europa basiert, mit anderen Worten, auf einer Trickserei, mit der der Volkswille umgangen wurde. Auch der Wille der Iren soll offenbar übergangen werden. Man wird wohl einfach noch einmal abstimmen lassen, nach dem Prinzip: Wir wählen so oft, bis das richtige Ergebnis herauskommt. So ruiniert man das Vertrauen in Institutionen.
Kurz, dieses Europa, dessen Parlament in einem Monat gewählt wird, ist nicht das politische Europa, dem ich so zustimmen kann, wie ich mit der Bundesrepublik Deutschland einverstanden bin. Verpflichtet fühle ich mich deshalb nicht, zur Wahl zu gehen.
Ich werde es gleichwohl tun. Zum einen aus dem schon genannten Grund: Demonstrative Wahlenthaltung ist nicht als demonstrativ erkennbar; sie wird unter die allgemeine "Wahlmüdigkeit" subsumiert.
Zum anderen geht es ja gar nicht primär um Europa.
An der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments wird sich nach Umfragen nicht viel ändern; sie ist im übrigen ziemlich egal. Es gibt dort keine Regierungs- und keine Oppositionsparteien. Wenn sich aufgrund der jetzigen Wahlen die Proportionen zwischen den Fraktionen (den Christdemokraten/Konservativen, den Sozialisten, den Liberalen, den Grünen, den Kommunisten und den Euroskeptikern) geringfügig verschieben sollten, dann ist das ohne jeden Belang.
Allenfalls ein gutes Abschneiden der beiden Fraktionen der Euroskeptiker (der Union für ein Europa der Nationen und der Fraktion Unabhängigkeit und Demokratie) könnte eine gewisse Wirkung haben.
Würde in Deutschland eine ernstzunehmende, demokratische euroskeptische Partei zur Wahl antreten - sie hätte meine Stimme. Aber seltsam - während europaweit Euroskeptiker auf den Stimmzetteln stehen werden, sucht man sie in Deutschland vergeblich.
Man kann sie sich bereits ansehen, die Stimmzettel; der Bundeswahlleiter stellt Muster als PDF-Datei zur Verfügung. Weder die EUDemokraten noch Libertas werden in Deutschland zur Wahl stehen.
Diese Stimmzettel sind auch sonst ganz interessant. Sie sind lang; nicht weniger als 31 Parteien oder sonstige Vereinigungen befinden sich darauf. Deren Reihenfolge ist von Bundesland zu Bundesland verschieden; je nach den Ergebnissen früherer Wahlen. Meist steht die Union auf Platz eins, in Bremen aber die SPD, und in Brandenburg sind es gar die Kommunisten.
An dieser Äußerlichkeit wird derjenige Umstand deutlich, der mich veranlaßt, wählen zu gehen: Die wahre Bedeutung dieser Wahlen liegt nicht auf der europäischen Ebene, sondern auf der nationalen. Und das gilt besonders für Deutschland.
Denn mit den Europawahlen wird dieses "Superwahljahr" eröffnet. Sie haben damit so etwas wie eine prägende Wirkung. Wer in diesen Wahlen gut abschneidet, der wird Aufwind für die nachfolgenden Wahlen bekommen. Wer patzt, der geht aus einer schlechten Position in die Wahlen dieses Jahres.
Wie sind die Aussichten der einzelnen Parteien? Es liegen bisher zwei Umfragen vor; beide von Anfang April. Sie zeigen übereinstimmend für die Union und die SPD ungefähr die Werte, die diese auch bei den Umfragen zum Bundestag erreichen. Überraschend aber sind die Zahlen für die Grünen und die FDP: In beiden Umfragen liegen die Grünen bei 13 Prozent und die FDP nur bei 10 Prozent - also eine deutliche Umkehrung der Verhältnisse bei der Sonntagsfrage.
Natürlich kann es sich bei nur zwei vorliegenden Umfragen um Stichprobenfehler handeln. Aber ein solches Ergebnis würde sich auch unschwer interpretieren lassen: Viele Wähler der Grünen dürften gemerkt haben, wie prächtig sich "grüne Inhalte" über den Transmissionsriemen EU - nämlich via Verordnung oder via Richtlinie - durchsetzen lassen. Unter den Wählern der FDP hingegen dürften viele Euroskeptiker sein, die genau aus diesem Grund der EU ablehnend gegenüberstehen. Wer freiheitlich denkt, kann in der Tat dieser EU und ihrem Entwicklungstrend nicht zustimmen. Also dürfte das Interesse an den Europawahlen bei den Wählern der Grünen höher sein als bei denjenigen der Liberalen.
Und damit bin ich bei meinem Fazit, das Sie, lieber Leser, nun nicht mehr verwundern wird: Ich werde zur Wahl gehen, und ich werde die FDP wählen. Ein deutlich schlechteres Abschneiden, als ihr die momentanen Umfragen für den Bundestag vorhersagen, wäre ein miserabler Auftakt für dieses Wahljahr. Erst recht dann, wenn die FDP auch noch deutlich von den Grünen überholt werden würde.
Ich bitte Sie, die Überlegungen, die ich in diesem Artikel vorgetragen habe, zu prüfen, und würde mich freuen, wenn Sie dann zur selben Entscheidung kämen.
Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Fahnen vor dem Gebäude der Europäischen Kommission. Autor: Xavier Häpe; frei unter Creative Commons Attribution 2.0 License.