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20. September 2009

Zettels Meckerecke: Gregor Gysi, eine Flucht aus der DDR, die Freiheit der Presse

Als ich den Artikel von Peter Wensierski in "Spiegel- Online" gelesen hatte, schien er mir zunächst keinen Kommentar hier in ZR wert zu sein.

Wieder einmal war Material zutage gefördert worden, das zeigte, wie der DDR-Rechtsanwalt Gregor Gysi vertrauensvoll mit den höchsten Stellen seines Staats und seiner Partei zusammenarbeitete. Diesmal ging es - man schrieb das Jahr 1988, in dem Gysi auch Vorsitzender der Ostberliner Rechtsanwaltskammer wurde - um einen DDR-Wissen­schaft­ler, der sich in den Westen abgesetzt hatte.

Verständlicherweise hätte die SED ihn gern zur Rückkehr bewegt. Also fuhr Gysi zu einem Gespräch mit ihm nach Westberlin, das aber nicht den erhofften Erfolg zeitigte.

Glaubt man Wensierski, dann handelte es sich um eine "Rückführungsaktion", an welcher "der für Sicherheit zuständige ZK-Funktionär Wolfgang Herger, der Stellvertreter Erich Mielkes, Rudi Mittig, sowie Egon Krenz" beteiligt waren; Mittig habe dem "Einsatz Gysis" zugestimmt.

Glaubt man Gysi, dann hat er lediglich einem Abteilungsleiter beim ZK der DDR einen persönlichen Gefallen tun wollen, der die Ausreise des Wissenschaftlers "ermöglicht" hatte und der durch dessen Flucht nun in die Bredouille geraten war.

Mir scheint es ohne Belang zu sein, ob die eine oder die andere Version stimmt.

Gysi hatte jedenfalls - und das hat er auch nie bestritten - beste Kontakte zum ZK der SED. Er war nicht irgendein Rechtsanwalt, der sich der undankbaren Aufgabe hingab, Dissidenten zu verteidigen. Sondern er gehörte schon in jungen Jahren zur Crème der DDR-Nomen­klatura mit unmittelbarem Zugang zu den höchsten Stellen; siehe Zitat des Tages: Grüße des Genossen Honecker an den Rechtsanwalt Gysi; ZR vom 20. Mai 2008.

Ob man ihn nun beauftragt hatte, den abtrünnigen Wissenschaftler zu einem Gespräch aufzusuchen, oder ob er das das aus freien Stücken tat, um einem der Mächtigen der DDR einen Gefallen zu tun - jedenfalls handelte er als der Mann des Machtapparats der DDR. Gysis eigene Version weist ja im übrigen noch mehr als die Wensierskis auf den Rang hin, den Gysi damals in der Nomenklatura einnahm.



Soweit also nichts Neues. Versuche, Gysi eine Stasi- Verstrickung nachzuweisen, kommen mir immer etwas neben der Sache liegend vor. Natürlich war ein Mann von seiner Bedeutung innerhalb der Machthierarchie der DDR kein popeliger Spitzel; daß ihn dieser Vorwurf empört, kann ich nachvollziehen. Nicht ob und wie er mit dem MfS zusammengearbeitet hat, ist für die Beurteilung Gysis von Belang, sondern es ist seine Rolle innerhalb des Herrschaftsapparats der Kommunisten.

Diese nun scheint ihn bis heute zu prägen. Und zwar nicht nur, was seine im wesentlichen unveränderten politischen Ansichten angeht; sondern auch in seinem Umgang mit der Freiheit des Wortes.

Das geht - wieder einmal; man kennt es ja von Gysi - aus einem zweiten Artikel hervor, der gestern Abend erschienen ist, und zwar in "Welt- Online". Darin begibt sich der Autor Thomas Vitzthum gewissermaßen auf die Metaebene und beschreibt die Umstände des Artikels von Wensierski; also die Geschichte hinter der Geschichte.

Danach hatte Wensierski an Gysi, wie das bei solchen Recherchen üblich ist, ein Fax mit einer Reihe von Fragen geschickt. Gysis Reaktion laut Thomas Vitzthum:
"Was ist dabei Ihr Problem", fragt Gysi in seinem Schreiben den Autor Wensierski im Hinblick auf sein Verhalten im Mai 1989 [laut Wensierski 1988; Anmerkung von Zettel]. (...) Darüber hinaus bezichtigt er das Nachrichtenmagazin, mit dem Artikel Wahlkampf zu machen.

Schließlich droht er mit juristischen – "Gegendarstellungen, Unterlassungen und Widerrufe" – und finanziellen Konsequenzen; wohl gemerkt noch bevor der Text überhaupt veröffentlicht war. Beigelegt ist dem Konvolut auch das Anschreiben an die Chefredakteure des Magazins; darin bedauert es Gysi, dass man zwar kürzlich noch zusammen Kaffee getrunken habe, die betreffenden Fragen aber nicht gestellt wurden. "Mal sehen, ob das Ganze im Prozess endet oder vielleicht noch anders gehandhabt werden kann", schreibt Gysi.
So kennen wir ihn, den Gregor Gysi. Er weiß sich in Machtgefügen zu bewegen; hier jetzt in demjenigen zwischen einer Chefredaktion und einem ihrer Redakteure. Und er weiß zu drohen und zu locken.

Der Hinweis auf diese besonderen Fähigkeiten des Gregor Gysi schien es mir nun doch wert zu sein, diesem Thema eine "Meckerecke" zu widmen. Schon um das zu zitieren, was der in Sachen SED kenntnisreiche Hubertus Knabe laut Thomas Vitzthum dazu anmerkt:
"Gysi versucht gegen die Pressefreiheit vorzugehen", sagte Knabe. Seit Jahren wolle der Politiker all diejenigen mundtot machen, die seine Kontakte zur Staatssicherheit der DDR anprangern. "Das passt zu den sonstigen programmatischen Vorstellungen der Partei", sagte Knabe weiter, "die privaten Medien unter staatliche Aufsicht zu stellen."
Das ist, so scheint mir, der Kern der Sache. Der letzte Vorsitzende der SED hat es geschafft, seine Partei nicht nur in die Bundesrepublik hinüberzuretten, sondern ihr in dieser auch wieder zu Macht und Einfluß zu verhelfen. Jetzt arbeitet er am nächsten Versuch des Übergangs zum Sozialismus; mit derselben Intelligenz und demselben Geschick, die damals seinen Aufstieg in die Machtelite der SED ermöglicht hatten.



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16. September 2009

Wahlen '09 (17): Zwei Verlierer, drei Gewinner. Erosionen und Aufschüttungen in der deutschen Parteienlandschaft

Ob es am übernächsten Sonntag zu einer Mehrheit für Schwarzgelb reichen wird, kann niemand seriös vorhersagen. Es wird von der Tagesform abhängen; davon, ob noch das eine oder andere neue Thema auftaucht; vielleicht auch von einem Fehler, den sich einer der Spitzenleute auf den letzten Metern leistet.

Insofern bleibt die Wahl spannend. Verlierer und Gewinner andererseits zeichnen sich inzwischen einigermaßen deutlich ab. Verlieren werden die beiden Parteien, die den Namen "Volksparteien" immer weniger verdienen. Gewinnen werden die "Kleinen", die so klein nicht mehr sind.

Die SPD wird sehr wahrscheinlich ihr schlechtestes Ergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik einfahren. Auch die letzte veröffentliche Umfrage (FG Wahlen, 11. September) sieht sie bei unter 25 Prozent; wie alle Umfragen seit Wochen. Sollte Steinmeier am Ende, sagen wir, 28 Prozent schaffen, dann wäre das schon ein großer Erfolg. Die SPD läge damit aber immer noch unter ihrem Allzeit- Tief seit 1949 (28,8 Prozent bei den Wahlen zum 2. Deutschen Bundestag am 6. September 1953).

Der Union dürfte es nur marginal besser gehen. In zwölf der sechzehn bisherigen Bundestagswahlen lag sie über 40 Prozent; ein Ergebnis, von dem Angela Merkel derzeit nur träumen kann. Wenn es gut für sie läuft, dann wird die Union ihre drei schlechtesten Ergebnisse (31,0 Prozent 1949; 35,1 Prozent 1998 und 35,2 Prozent 2005) vielleicht ein wenig übertreffen. In Anbetracht der Umfragen der letzten Wochen wäre es schon bemerkenswert, wenn sie über ihr viertschlechtestes (38,2 Prozent bei den Wahlen 2002) hinauskäme.

Das "Duell" am vergangenen Sonntag war also nicht nur - wie oft genug kritisiert wurde - ein Dialog der Vertreter von zwei Regierungsparteien; sondern es war auch die Präsentation der beiden großen absehbaren Verlierer des Jahres 2009. Und spiegelbildlich dazu sah man am Montag, als die Spitzenleute der drei Oppositionsparteien miteinander diskutieren durften, zugleich die drei vermutlichen Gewinner.

Nur ein einziges Mal in der Geschichte der Bundesrepublik hat die FDP mehr als zwölf Prozent geschafft; das war bei den Wahlen 1961, als sie für die Ablösung Konrad Adenauers durch Ludwig Erhard eingetreten war. Wenn nicht noch etwas ganz Unerwartetes geschieht, dann dürfte Guido Westerwelle den damaligen Gewinner Erich Mende deutlich distanzieren. Dreizehn Prozent sind der FDP schon fast sicher; fünfzehn Prozent sind keine unrealistische Erwartung.

Auf einen ähnlichen Erfolg dürfen sich die Kommunisten freuen. Als KPD hatten sie 1949 knapp sechs Prozent geschafft. Als ADF und DKP waren sie zwischen 1969 und 1983 weit unter einem Prozent geblieben. Als PDS lagen sie zwischen 1990 und 2002 nur ein einziges Mal (1998) mit 5,1 Prozent ganz knapp über der Fünf- Prozent- Hürde. Als Die Linke PDS schafften sie vor vier Jahren 8,7 Prozent. Diesmal dürften sie unter ihrem momentanen Namen Die Linke noch deutlich besser abschneiden. Ein zweistelliges Ergebnis liegt für sie im Bereich des Möglichen.

Auch den Grünen geben die derzeitigen Umfrage- Ergebnisse eine exzellente Chance, zweistellig zu werden. Jedenfalls dürften sie ihre beiden bisher besten Ergebnisse (8,3 Prozent 1987 und 8,6 Prozent 2002) übertreffen.



Die Großen werden kleiner; die Kleinen wachsen. Dieser sozusagen egalitäre Trend könnte die Quintessenz der Wahlen 2009 sein. Vielleicht gehen die Erosion auf der einen und die Aufschüttung auf der anderen Seite so weit, daß es künftig überhaupt nicht mehr sinnvoll sein wird, zwischen großen und kleinen Parteien eine Trennlinie zu ziehen. Die SPD dürfte am 27. September näher bei der FDP liegen als bei der Union; schon Äquidistanz wäre für sie ein Erfolg.

Wir Deutschen waren es seit den Wahlen von 1949 gewohnt gewesen, gewissermaßen zwei Hochgebirgs- Gipfel und eine Hügellandschaft vor uns zu haben. Am 27. September dürfte die Parteien- Landschaft eher einem einzigen Mittelgebirge gleichen; manche Berge höher als andere, aber doch nicht um Größenordnungen von diesen verschieden.

Woher kommt diese Veränderung? Wie meist in solchen Fällen kann man die Erklärung eher in einem langfristigen Trend oder eher in der aktuellen Situation suchen.

Aktuell werden die drei Oppositionsparteien dadurch gestärkt, daß sie eben Oppositionsparteien sind. In jeder funktionierenden Demokratie gibt es annähernd gleich viele Menschen, die mit der jeweiligen Regierung zufrieden und die mit ihr unzufrieden sind. Wenn eine Regierung einmal sechzig Prozent Zustimmung und nur vierzig Prozent Ablehnung erhält, dann ist das schon sehr viel. Meist liegen Regierung und Opposition näher beieinander.

In der zitierten Umfrage der FG Wahlen vom 11. September liegt die Regierung bei 59 Prozent und die Opposition bei 36 Prozent. Bei anderen Instituten ist die Differenz noch geringer; Forsa (Umfrage vom 9.9.) gibt der Regierung zum Beispiel 56 Prozent und der Opposition 38 Prozent.

So gesehen wären die Schwäche der Großen und die Stärke der Kleinen also nur Ausdruck der Tendenz der Wähler, eine Regierung nicht zu stark und die Opposition nicht zu schwach werden zu lassen. Aber ist das die ganze Erklärung?

Dagegen spricht, daß der einstige "Trend zum Zweiparteien- System" sich schon seit längerer Zeit umgekehrt hat. Bei den ersten Bundestagswahlen 1949 hatten Union und SPD zusammen 60,2 Prozent. Dieser Wert stieg danach kontinuierlich und erreichte 1976 mit 91,2 Prozent sein Maximum. Seither fällt er ebenso monoton ab: Bei den Wahlen 1980 lag er noch bei 87,4 Prozent, 1990 nur noch bei 77,3 Prozent und 2005 bei gerade noch 69,4 Prozent. Ganz ohne Große Koalition.

Welche Trends spiegeln sich in diesem umgekehrt U-förmigen Verlauf? Man kann darüber viel spekulieren.

Von einem "Zerfall der klassischen Milieus" sprechen Soziologen gern - des katholischen auf der einen Seite, desjenigen der Arbeiterschaft auf der anderen. Viel erklärt ist damit nicht; denn zu Volksparteien waren sowohl die Union als auch die SPD ja gerade dadurch geworden, daß sie über ihre klassischen Milieus hinaus Anhänger gefunden hatten.

Mir scheint die Erosion der Volksparteien eher so etwas wie eine Normalisierung zu sein.

Unter einem Verhältniswahlrecht ist eine Vielfalt von Parteien die Regel. Man kann das an der Weimarer Republik sehen, der italienischen Nachkriegsrepublik, der französischen Dritten Republik und der dortigen Vierten Republik. Erklärungsbedürftig ist nicht, daß wir jetzt auf ein Fünfparteiensystem zusteuern (oder sechs, wenn man CDU und CSU getrennt rechnet). Erklärt werden muß vielmehr der frühere Trend zum Zweiparteiensystem, obwohl wir kein Mehrheitswahlrecht haben.

Er mag am schieren Erfolg der Bonner Republik gelegen haben; am Erfolg vor allem ihrer Sozialen Marktwirtschaft. Über sie gab es einen breiten Konsens; wobei die Union mehr für den Markt und die SPD mehr für das Soziale stand.

Dieser Konsens endete mit dem Auftreten der Grünen, die Politik nicht als den Ausgleich von Interessen verstehen, sondern als ein Instrument zur Änderung der Gesellschaft und zur Erziehung der Bürger. Erst recht gilt das natürlich für die Kommunisten.

Die Grünen und die Kommunisten haben die deutsche Politik ideologisiert; mit Ausstrahlungen bis weit in die einstigen Volksparteien hinein. Nur die FDP steht noch gegen diese Ideologisierung. Das dürfte ein wesentlicher Grund für ihren gegenwärtigen Aufstieg sein.

Wohin er die FDP noch führen kann, ist im Augenblick ganz offen.

Die drei bisher "Kleinen" sind Parteien mit einem klaren Profil: Die Grünen und die Kommunisten stehen für zwei Varianten eines ideologisch gefärbten Etatismus. Die FDP steht ebenso eindeutig für eine offene, freiheitliche Gesellschaft.

Die beiden ehemaligen "Volksparteien" lassen ein solches Profil vermissen. Das war einmal ihre Stärke, weil sie dadurch integrativ sein konnten. Es könnte sich zunehmend als ihre Schwäche erweisen. Es könnte ihnen gehen wie den großen Warenhäusern, die vom Hosenknopf bis zum DVD-Rekorder alles im Sortiment haben: Der Kunde kehrt ihnen zunehmend den Rücken und kauft dort ein, wo das Angebot weniger gemischt ist.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: Der Reichstag. Vom Autor Norbert Aepli unter Creative Commons Attribution 2.5 - Lizenz freigegeben. Ausschnitt.

2. September 2009

Obamas Politik gegenüber Honduras: Yankee- Imperialismus, Modell 2009. "Imperiale Befehle von Uncle Sam"

Die mittelamerikanische Republik Honduras kann man mit Recht eine Bananenrepublik nennen. Bananen sind unverändert einer ihrer wichtigsten Exportartikel. Und wie in einer Bananenrepublik ging es dort zu, als am 28. Juni dieses Jahres der Präsident Zelaya von Militärs festgenommen und außer Landes gebracht wurde.

Das jedenfalls war der Eindruck, den damals viele unserer Medien vermittelten. "Der spektakuläre Militärputsch in Honduras weckte in Mittel- und Südamerika Erinnerungen an dunkelste Epochen in der Region", schrieb zum Beispiel "Zeit- Online" unter der Überschrift "Militärputsch in Honduras - die Rückkehr der Generale" (siehe "Der Sieger in Honduras ist Hugo Chávez"; ZR vom 4.4.2009).

Aber so war es nicht. Der Lateinamerika- Kenner Alvaro Vargas Llosa hat schon wenige Tage nach den Vorgängen in Honduras in der New York Times deren wahre Hintergründe analysiert; siehe meinen damaligen Artikel. Weitere, detaillierte Informationen lieferte zur selben Zeit in zwei ausgezeichneten Berichten Christian Lüth, der für die Friedrich- Naumann- Stiftung in Honduras tätig ist.

Nicht "Generäle" hatten "geputscht", sondern der damals amtierende Präsident, José Manuel Zelaya Rosales, hatte versucht, sich mit Hilfe der Straße über die Verfassung hinwegzusetzen, um auch nach Ablauf seiner Amtszeit weiter regieren zu können.

Zelaya war als Liberal- Konservativer in sein Amt gewählt worden, hatte sich dann aber auf wundersame Weise zum Sozialrevolutionär und Anhänger von Hugo Chávez gemausert. Nach dessen Vorbild strebte er nun offenbar die Änderung der Verfassung von Honduras an, um seine Wiederwahl zu ermöglichen.

Er verstieß damit eindeutig gegen Artikel 239 dieser Verfassung, der lautet (meine Übersetzung; Hervorhebung von mir):
Kein Bürger, der bereits als Chef der Exekutive amtiert hat, kann Präsident oder Vizepräsident werden.

Wer dieses Gesetz verletzt oder seine Änderung anstrebt, der verliert unverzüglich sein Amt und darf zehn Jahre lang kein öffentliches Amt mehr bekleiden. Dasselbe gilt für diejenigen, die direkt oder indirekt einen solchen Gesetzesverstoß unterstützen.
Gemäß diesem Artikel hatte Zelaya also sein Amt als Präsident verloren. Das Oberste Gericht von Honduras bestätigte das formal und ordnete seine Festnahme an.



Die strikte Begrenzung der Amtzeit des Präsidenten ist in vielen der neuen Demokratien Lateinamerikas ein Grundpfeiler der Verfassung. Die früheren Diktatoren hatten ihre Machtfülle ja wesentlich dem Umstand zu verdanken gehabt, daß sie sich unbegrenzt wiederwählen lassen konnten.

Zelayas Vorgehen rührte also nicht nur deshalb an die honduranische Demokratie, weil er die Straße zu mobilisieren suchte, um am Kongreß vorbei die Verfassung zu ändern; sondern auch das Ziel dieser Aktion war in seinem zentralen Punkt verfassungswidrig. Zelaya hatte durch den Verstoß gegen Artikel 239 seine Präsidentschaft selbst beendet.

Alle demokratischen Institutionen - das Parlament, der Oberste Gerichtshof und die Exekutive in Gestalt des Militärs - gingen daraufhin gemeinsam gegen Zelaya vor, setzten ihn ab und schickten ihn ins Exil nach Costa Rica. Ob diese Ausweisung legal war und ob es andere Möglichkeiten gegeben hätte, Zelaya an der weiteren Ausübung des Amtes, das er durch sein Verhalten verloren hatte, zu hindern, ist umstritten.

Sie finden, lieber Leser, daß diese Darstellung einseitig ist? Dann empfehle ich Ihnen, wenn Sie Englisch lesen, den Artikel von Miguel A. Estrada in der Los Angeles Times vom 10. Juli; und wenn Sie Spanisch lesen, dann möchte ich Ihnen besonders die WebSite der honduranischen Justiz empfehlen, wo Sie zum Beispiel hier und hier die Rechtslage ausführlich dargelegt finden.



Wie es weiterging, wurde in unseren Medien im Groben berichtet: Zelaya versuchte in zwei spektakulären Aktionen - einmal per Flugzeug, einmal zu Lande von Nicaragua aus - die Rückkehr nach Honduras.

Das mißlang, aber er beharrte - und beharrt weiter - darauf, der rechtmäßige Präsident zu sein. Darin findet findet er die Unterstützung vor allem von Hugo Chávez und seinem Staatenbund ALBA, aber auch der Organisation Amerikanischer Staaten und der UNO. Über seinen Versuch, die honduranische Verfassung auszuhebeln - und insbesondere über deren Artikel 239 - haben sich diese Organisationen allerdings nicht geäußert.

Und wie nun verhalten sich die USA?

Jeder US-Präsident vor Barack Obama hätte auf der Seite des demokratischen Honduras und der verfassungstreuen Institutionen gestanden oder sich mindestens neutral verhalten. Jeder hätte den Versuch Zelayas, Honduras an die Seite des den Sozialismus aufbauenden Venezuela zu manövrieren, als gegen die Interessen der USA gerichtet zu konterkarieren versucht. (Honduras war 2008 der ALBA auf Betreiben Zelayas beigetreten; der Kongreß hatte unter fragwürdigen Umständen zugestimmt).

Diese vermutliche Einmischung hätte man gewiß weltweit als Yankee- Imperialismus gebrandmarkt. Und Präsident Obama, der von dergleichen nichts mehr wissen will, wie verhält er sich?

Dazu hat für das Wall Street Journal dessen Redakteurin Mary Anastasia O'Grady recherchiert. Ihr Artikel erschien am vergangenen Sonntag. Titel: "Obama vs. Honduran Democracy. The Obama administration is using its brass knuckles to support Latin American thugs" (Obama gegen die honduranische Demokratie. Die Regierung Obama benutzt ihre Schlagringe, um lateinamerikanische Gangster zu unterstützen).

"Schlagringe" - damit meint O'Grady die Druckmittel, die Obama in bester Tradition des Yankee- Imperialismus einsetzt. Nur nicht zur Unterstützung von Demokraten, sondern zur Unterstützung der Politik von Hugo Chávez. Diesen, der bekanntlich Terroristen im benachbarten Kolumbien mit Waffen versorgt, dürfte O'Grady wohl mit "Gangster" (thug) meinen.

Die OAS hat sich, wie erwähnt, für eine Rückkehr Zelayas in das Amt des Präsidenten ausgesprochen. Die USA hätten das zur Kenntnis nehmen und sich im übrigen aus dieser Angelegenheit eines Staates in Mittelamerika heraushalten können.

Davon kann aber keine Rede sein. Zelaya wurde nach seinem ersten Versuch einer Rückkehr nach Honduras von Hillary Clinton empfangen. Ebenfalls Anfang Juli haben die USA ihre Militärhilfe für Honduras suspendiert.

Und nicht genug damit: Vergangene Woche haben - wie man das bei O'Grady nachlesen kann - die USA die Ausgabe von Visa für Honduras auf unbestimmte Zeit eingestellt und die Streichung von 135 Millionen Dollar Entwicklungshilfe angekündigt.

Und das ist immer noch nicht alles. Bei ihren Recherchen hat O'Grady etwas von dem in Erfahrung gebracht, was sie als "nastier stuff ... going on behind the scenes" bezeichnet, als die häßlicheren Dinge, die hinter den Kulissen stattfinden.

Laut O'Grady übt die Obama- Administration unmittelbaren Druck aus, um die Rückkehr Zelayas zu erreichen. In Honduras habe ein Beamter des US- Außenministeriums prominente Honduraner dazu zu bringen versucht, bei der Regierung auf eine Rückkehr Zelayas zu drängen. Bei verschiedenen lateinamerikanischen Regierungen sei das Außenminsisterium ebenfalls mit dem Ziel vorstellig geworden, sie sollten in diesem Sinn Druck auf die Regierung von Honduras ausüben.

Das State Department hat auf Anfrage von O'Grady beides nicht dementiert.



Da ist er also wieder, der Yankee- Imperialismus. "Imperiale Befehle von Uncle Sam" nennt O'Grady das. Nur spielt der Präsident Obama die Macht der USA nicht zugunsten von Demokraten aus, sondern er unterstützt Politiker wie Zelaya, die im Lager von Chávez und Castro stehen.

Warum tut er das? Mary Anastasia O'Grady meint dazu:
Mr. Obama apparently wants in on this leftie-fest. He ran for president, in essence, against George W. Bush. Mr. Bush was unpopular in socialist circles. This administration wants to show that it can be cool with Mr. Chávez and friends.

Obama will offenbar auf dieser Party der Linken unbedingt mit dabei sein. Im Grunde trat er gegen George W. Bush an, als er sich um die Präsidentschaft bewarb. Bush war in sozialistischen Kreisen unbeliebt. Die jetzige Regierung will zeigen, daß sie mit Chávez und seinen Freunden kann.
Noch drastischer sagt es Jay Ambrose in der Washington Times vom 1. August. Er fragt im Titel des Artikels, warum Obama Zelaya unterstützt, und antwortet:
Here's a fear - that this administration has deep, abiding sympathy for socialist solutions both in the United States and elsewhere and thinks Mr. Zelaya could be just what Honduras needs. Maybe that is a nutty conclusion and absolutely wrong. I hope so, and I hope the administration proves it wrong by changing its stance.

Ich möchte eine Befürchtung nennen: Daß diese Regierung eine tiefe, bleibende Sympathie für sozialistische Lösungen sowohl in den Vereinigten Staaten als auch anderswo hat und daß sie meint, daß Zelaya genau das sein dürfte, was Honduras braucht. Vielleicht ist das eine unsinnige Schlußfolgerung, und ich liege völlig daneben. Ich hoffe das ja, und ich hoffe, daß die Regierung es widerlegt, indem sie ihre Haltung ändert.
Was Jay Ambrose vielleicht nicht so ganz ernst meint. Obama wird seine Haltung nicht ändern. Eine Haltung, die er im Grunde schon überdeutlich gemacht hat, als er sich auf dem Lateinamerika- Gipfel im April ohne ein Wort des Widerspruchs oder eine Geste der Ablehnung von Hugo Chávez ein Buch zum Geschenk machen ließ, das als die Bibel der Gegner der USA in Lateinamerika gilt.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Mit besonderem Dank an Gorgasal, auf dessen Informationen in diesem Thread in "Zettels kleinem Zimmer" dieser Artikel weitgehend basiert. Titelvignette: Frogsprog; frei unter GNU Free Documentation License, Version 1.2 oder später.

9. August 2009

Marginalie: Kocht der Egeler-Skandal jetzt doch noch hoch? Deutschland unter Beobachtung der OSZE

Der Skandal, über den ich am Freitag hier ausführlich geschrieben habe, schien keiner zu werden.

Während ganz Deutschland sich über die Lappalie eines im Urlaub genutzten Dienstwagens eine Woche lang aufregte, schien es kaum jemanden zu stören, daß der Bundeswahlleiter Roderich Egeler sich die Unglaublichkeit geleistet hatte, ohne eine juristisch über alle Zweifel erhabene Begründung Parteien von der kommenden Bundestagswahlen auszuschließen.

Ich hatte in dem Artikel vom Freitag darauf hingewiesen, daß dies ein eminent sensibles Thema ist; denn es ist nachgerade das Kennzeichen undemokratischer Regimes, daß Parteien und Kandidaten nicht zur Wahl zugelassen werden.

In der deutschen Öffentlichkeit schien man das - von wenigen, wie dem kundigen und engagierten "Spiegel"- Juristen und Journalisten Dietmar Hipp abgesehen - nicht zu erkennen. Jetzt stößt uns das Ausland darauf.

Wie die Financial Times Deutschland in ihrer Montagsausgabe exklusiv meldet, wird das OSZE- Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik zu den Bundestagswahlen Beobachter schicken; so, wie man das eben mit Ländern macht, in denen es mit der Demokratie nicht zum Besten bestellt ist.

Ein Sprecher des OSZE-Büros, Jens-Hagen Eschenbächer, sagte der FTD:
"Da die Nichtzulassung mehrerer Parteien in Deutschland ein Thema ist, werden sich unsere Wahlbeobachter das genau ansehen."

Eschenbächer zufolge sollen die zwölf Wahlbeobachter von Mitte September bis Anfang Oktober durch Deutschland reisen und den rechtlichen Rahmen der Wahl, den Wahlkampf, die Berichterstattung in den Medien sowie den Ablauf am Wahlsonntag untersuchen. "Die Experten werden dann einen Bericht schreiben, der nach der Wahl veröffentlicht wird."
Noch kann Deutschland vermeiden, als Paria in Sachen Demokratie dazustehen. Ob man die Entscheidungen dieses unfähigen Roderich Egeler noch nachträglich reparieren kann, müssen die Juristen beurteilen. Aber ihn öffentlich rügen, ihn - sobald das irgend möglich ist - aus dem Amt entfernen, bei dessen Ausübung er Deutschland international blamiert hat: Das kann auch eine Regierung.

Und endlich den Skandal als solchen behandeln, ihn ins allgemeine Bewußtsein rücken - das ist spätestens jetzt Sache der deutschen Medien.



Nachtrag 10.8., 16.15: Inzwischen liegen ergänzende Informationen über den Hintergrund der Entsendung von Wahlbeobachtern der OSZE vor. Laut einer gestrigen Meldung von AFP (Hervorhebung von mir) hat die
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ... klargestellt, dass sie ihre Wahlbeobachter nicht in erster Linie wegen der umstrittenen Nichtzulassung kleinerer Parteien nach Deutschland schickt. Zwar würden sich die Experten auch Themen wie die Nichtzulassung kleiner Parteien ansehen, sagte ein OSZE- Sprecher dem MDR. Dies sei aber nur im Rahmen einer üblichen Wahlbeobachtung.
Zu dieser Wahlbeobachtung wurde, wie die "Welt" meldet, der Direktor des OSZE- Büros für Demokratische Institutionen und Menschenrechte, Botschafter Janez Lenarèiè, am 9. Januar 2009 von der Bundesrepublik eingeladen.

In "Spiegel- Online zitieren dazu Sebastian Fischer und Annett Meiritz den Sprecher des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte, Jens-Hagen Eschenbächer, es
... liege eine ständige Einladung der Bundesregierung an die OSZE-Inspekteure vor, sich selbst ein Bild machen zu können. (...) Die Mission stehe zwar nicht in direktem Zusammenhang mit der Nichtzulassung einiger Splitterparteien, "das war für uns nicht der Anlass" - aber "natürlich werden wir uns auch damit beschäftigen".
Heute um 13:41 gab des Amt des Bundeswahlleiters eine Presseerklärung heraus, in der es heißt:
Die Bundesregierung hatte die OSZE entsprechend den Vereinbarungen zwischen den Teilnehmerstaaten zu einer Wahlbeobachtung eingeladen. Nach dem Besuch einer Delegation im Juli dieses Jahres hatte die OSZE in einem Bericht vom 5. August eine Beobachtung angekündigt. (...)

Wie der Bundeswahlleiter weiter mitteilt, ist er bei diesem fachlichen Austausch mit den Wahlbeobachtern der OSZE auch gerne zu einem Gespräch über das Zulassungsverfahren von Parteien zur Bundestagswahl bereit. "Sollten die OSZE- Beobachter hierzu Nachfragen haben, werden wir selbstverständlich diese beantworten und umfassend die nach Recht und geltendem Gesetz vollzogene Anerkennung von politischen Vereinigungen als Parteien zur Bundestagswahl nach § 18 Absatz 4 Nummer 2 des Bundeswahlgesetzes detailliert vorstellen", betonte Egeler.
Die Sitzung, auf der die Wahlvorschläge u.a. der "Grauen" und der "Freien Union" endgültig abgelehnt wurden, fand am 6. August statt. Es ist damit also klargestellt, daß diese Ablehnungen in der Tat nicht der Anlaß für die Entscheidung über die Entsendung der Wahlbeobachter gewesen waren; ebenso aber auch, daß sie ein Thema sind, mit dem sich die Beobachter befassen werden.



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7. August 2009

Zettels Meckerecke: Roderich Egeler, für das Amt des Bundeswahlleiters ungefähr so gut geeignet wie Hägar der Schreckliche als Präsident von Harvard

Roderich Egeler ist Spitzenbeamter. Als studierter Volkswirt war er - man kann hier seine offizielle Vita lesen - im Lauf seiner Karriere hauptsächlich für Haushaltsfragen und Ähnliches zuständig. Als Leiter des Beschaffungsamts des Innenministeriums - das war er bis Juli 2008 - machte er die "Reorganisation der Einkaufsprozesse" zu einem seiner Schwerpunkte.

Dann wurde er zum Präsidenten des Statistischen Bundesamts befördert. Dadurch war er, so will es die bundesdeutsche Tradition, in Personalunion der neue Bundeswahlleiter. Sein Vorgänger Walter Radermacher war zu Eurostat, dem Statistischen Amt der EU, gewechselt.

Radermacher hatte sein Geschäft im Statistischen Bundesamt seit 1978 von der Pike auf gelernt, bevor er 2006 dessen Präsident wurde. Sein Vorgänger war der Volljurist Johann Hahlen gewesen, der dieses Amt seit 1995 innegehabt hatte. Zwei Fachleute also.

Egeler hingegen widerfuhr das, was die Franzosen "parachuter" nennen - ein Politiker, ein Beamter wird irgendwo, wo er nichts verloren hat, abgesetzt wie ein Fallschirmspringer von seinem Flugzeug.

Und damit schlug das Peter-Prinzip zu: Egeler hatte offenbar die Stufe seiner Inkompetenz erreicht.

Dieser Mann, nicht Jurist, nicht Statistiker und nicht Politiker, ohne jede Erfahrung mit der Organisation von Wahlen, ist seit dem 1. August 2008 dazu berufen, über eine der kniffligsten juristisch- politischen Fragen zu entscheiden, die es überhaupt gibt: Wer wird zu einer Wahl zugelassen?

Das ist eine eminent bedeutsame Frage. Denn es gehört nachgerade zu den definierenden Merkmalen diktatorischer oder autoritärer Regimes, daß sie auf dem Weg über die Zulassung - oder vielmehr die Nichtzulassung - von Parteien und Kandidaten die Opposition auszuschalten trachten. Das war und ist in Rußland nicht anders als im Iran, wo zur Wahl des Präsidenten von 475 Kandidaten ganze vier zugelassen wurden.

Und umgekehr kennzeichnet es freiheitliche Staaten, daß sie es, wenn irgend möglich, jedem erlauben, zu einer Wahl zu kandidieren, der das denn möchte. Nicht das Wahlamt soll ja entscheiden, ob jemand ein Mandat erhält, sondern der Souverän.

Gewiß muß es für die Zulassung von Parteien zu einer Wahl Kriterien geben. Nicht jeder Spaßmacher, nicht jede Tresenmannschaft kann sich allein durch das Bekunden, kandidieren zu wollen, auf die Stimmzettel befördern. Aber in einem demokratischen Rechtsstaat sollten die Kriterien für die Zulassung doch so liberal wie irgend möglich gesetzlich festgelegt werden.

Und sie sollten mit Liberalität - und vor allem mit Augenmaß - ausgelegt und angewandt werden. Der Beschaffungsexperte Roderich Egeler eignet sich für diese Aufgabe, das hat er unter Beweis gestellt, ungefähr so gut wie Hägar der Schreckliche zum Präsidenten der Universität Harvard. Er hat keine Spur von Liberalität gezeigt; er läßt jedes Augenmaß vermissen.



Ob eine Partei zur Bundestagswahl zugelassen wird, regelt das Bundeswahlgesetz in seinem Paragraph 18. Er ist, wie die meisten Paragraphen solcher Gesetze, auslegungsbedürftig. Oberhalb der Kreisebene können Wahlvorschläge, so bestimmt es dieser Paragraph 18 in seinem ersten Absatz, nur von Parteien eingereicht werden. Aber was ist eine Partei?

Reicht eine Partei ihren Wahlvorschlag ein ("zeigt sie ihn an", so heißt es in Juristendeutsch), dann hat der Bundeswahlleiter die "Parteieigenschaft" festzustellen.

Egelers Vorgänger Hahlen, der für die Bundestagswahlen 2005 zuständig war, ist dabei liberal verfahren; im Zweifel hat er zugunsten der Antragsteller entschieden.

So hatten - man kann das in einem sehr informativen Artikel von Annett Meiritz in "Spiegel- Online" nachlesen - zu den Wahlen 2005 unter anderem die "Allgemeine Pogo Partei Deutschlands" (APPD), die "Bürger- Partei Deutschland" (BPD) und die PARTEI ("Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative") ihre Teilnahme angezeigt.

Gewiß grenzwertig, was die "Parteieigenschaft" angeht - die PARTEI beispielsweise ist bekanntlich eine Unternehmung von "Titanic". Aber Hahlen hatte ihnen diese Eigenschaft nicht aberkennen wollen.

Was schadet es auch, wenn jemand auf dem Stimmzettel steht, der das vielleicht nicht unbedingt sollte? Was ist das gegen den Eingriff in den demokratischen Prozeß, wenn der Wahlleiter jemandem die Anerkennung verweigert, der eigentlich ein Recht darauf hat? Im Zweifel für die Freiheit, das war die Position Hahlens.



Der Experte für die Reorganisation der Einkaufsprozesse im Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Inneren Roderich Egeler aber sieht das offenbar ganz anders. Er hat diesen drei Parteien die Anerkennung verweigert, und dazu auch noch den "Grauen". Auch wenn diese, immerhin die Nachfolgepartei der lange Zeit recht erfolgreichen "Grauen Panther", darauf verwiesen, daß sie in Bezirksparlamenten und Stadträten sitzen, daß sie über Organisationen in vielen Bundesländern verfügen und dergleichen mehr.

Dem Roderich Egeler, "parachuté" hinein ins Amt des Bundeswahlleiters, reichte das alles nicht, um die "Parteieigenschaft" festzustellen. Daß dabei die Mängel möglicherweise mehr an seiner eigenen schludrigen Arbeit lagen als an dem, was die "Grauen" eingereicht hatten, hat Dietmar Hipp in "Spiegel- Online" ausführlich belegt.

Basta. Seine "Entscheidung steht hier nicht zur Disposition", erklärte Egeler; so zitiert ihn Annett Meiritz.

Und dann war da noch der Fall der "Freien Union" von Gabriele Pauli. Was sich da abgespielt hat, kann man in der "Welt" nachlesen, sowie in dem zitierten Artikel von Dietmar Hipp:

Pauli hatte ihre Liste beim Landeswahlausschuß in Bayern eingereicht. Dieser wies sie zurück; und zwar, weil Pauli an einer Stelle (auf einem Protokoll, das aber die Unterschrift des Schriftführers trug) ihre Unterschrift vergessen hatte. Also aus einem lächerlichen formalen Grund. Ob diese Unterschrift überhaupt zwingend erforderlich gewesen war, ist zudem auch noch juristisch umstritten.

Daß das Bundeswahlgesetz solche Formalien nicht stark gewichtet, geht daraus hervor, daß der Bundeswahlleiter ausdrücklich verpflichtet ist, dann, wenn er dergleichen Mängel feststellt, sie dem einreichenden Parteivorstand unverzüglich mitzuteilen, damit dieser sie beheben kann (Paragraph 18, Absatz 3). Das Gesetz verlangt natürlich, daß formal alles in Ordnung ist. Aber es sieht auch vor, daß eine Zulassung, wenn irgend möglich, an formalen Mängeln nicht scheitern soll.

In Bayern aber war man - nicht verwunderlich - gegenüber der abtrünnigen CSU- Politikerin Gabriele Pauli so pingelig, wie man nur sein konnte. Man lehnte den Wahlvorschlag ihrer "Freien Union" ab.

Wird ein Wahlvorschlag von einem Landeswahlausschuß abgelehnt, dann steht der betroffenen Partei das Recht auf Beschwerde beim Bundeswahlausschuß zu. Pauli hat diese Beschwerde eingereicht. Im Wahlausschuß wollten vier Mitglieder dieser Beschwerde stattgeben und vier sie zurückweisen.

Den Ausschlag gegen die "Freie Union" gab die Stimme von Roderich Egeler; kein Jurist, ohne Erfahrung als Bundeswahlleiter, bisher als Experte für die Reorganisation des Einkaufsprozesses beim Beschaffungsamt des Bundesministerium des Inneren hervorgetreten. Im Zweifel gegen die Freiheit.



Zu dem Artikel von Dietmar Hipp gibt es im Internetauftritt des Bundeswahlleiters eine Pressemitteilung. Lesen Sie sie. Dann wissen Sie, wes Geistes Kind dieser Bundeswahlleiter ist. Mit keinem Wort geht er auf die Vorwürfe von Hipp ein, was die Behandlung der Fälle "Die Grauen" und "Freie Union" angeht.

Weg mit diesem Mann aus diesem Amt! Zurück mit ihm in sein Beschaffungsamt!



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25. Juli 2009

Zitat des Tages: "Der Absatz von Glühlampen steigt". Hamstern als Akt des Widerstands. Nebst einem Kauftip

Das vom 1. September an geltende EU- Vermarktungsverbot für Glühlampen geht nach hinten los: Statt auf energiesparende Produkte zu wechseln, decken sich die Verbraucher derzeit massiv mit konventioneller Ware ein. Bundesweit hat der Absatz an Glühlampen laut GfK zwischen Januar und April um 20 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zugenommen

Aus einer Vorabmeldung des "Spiegel"; Überschrift "Hamsterkäufe bei Glühlampen".

Kommentar: Wie lange hat es in Deutschland keine Hamsterkäufe mehr gegeben! Ich vermute, daß selbst das Wort der jüngeren Generation fremd geworden ist.

Gehamstert wurde in der Nachkriegszeit, als es nichts zu essen und kein Heizmaterial gab. Wenn doch einmal etwas zu ergattern war, dann besorgte man sich davon so viel, wie man kriegen konnte. Was man selbst nicht brauchte, würde man schon auf dem Schwarzen Markt eintauschen können.

Dann gab es Hamsterkäufe zur Zeit des Kalten Kriegs, wenn wieder einmal die Gefahr eines Heißen Kriegs am Horizont auftauchte. Man hamsterte dann das, was erfahrungsgemäß in Kriegszeiten knapp wird: Zucker, Mehl, Öl, Dosenwurst; dergleichen.

Vielleicht wurde auch in der DDR gehamstert, wenn es etwas "gab". Das weiß ich nicht so genau.

Jedenfalls: Daß ich noch einmal in Deutschland eine Zeit der Hamsterkäufe erleben würde, hätte ich nicht gedacht.

Aber der Öko-Wahn macht's möglich. Falls Sie von diesem Wahn noch nicht genug haben, mögen Sie vielleicht das eine oder andere aus meiner Serie "Deutschland im Öko- Wahn" lesen.



Es ist freilich eine andere Art von Hamstern, die unter der Herrschaft des - so habe ich es in diesem Artikel einmal genannt - "Struwwelpeter- Prinzips" auftritt.

Die Struwwelpeter- Geschichten führen uns exemplarisch Kinder vor, die nicht eigenverantwortlich handeln können; also bleibt nur das Verbieten, um sie vor Schäden zu schützen, die sie sonst anrichten oder selbst erleiden.

So sieht die EU uns Bürger: Unfähig zur Eigenverantwortung. Nicht einmal die Entscheidung, ob wir zwecks Umweltschutz auf "Sparleuchten" umsteigen wollen, können wir eigenverantwortlich treffen, meinen diese Bürokraten und Politiker. Man muß uns schon zwingen, wie Paulinchen und Friederich, den Wüterich.

Darauf mit Hamstern zu reagieren ist nicht - wie früher das Hamstern - die nackte Anpassung an die Not des Lebens; sondern es ist ein Akt der Auflehnung gegen die Unverschämtheit dieser Bürokraten. Es ist ein leiser, ein wenn man so will passiver Widerstand. Aber immerhin.

Und nun möchte ich Ihnen noch ein wenig Lebenshilfe bieten: Hier können Sie günstig Glühbirnen hamstern. Den Tip verdanke ich Meister Petz.



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4. Juli 2009

Zettels Meckerecke: Kein Krimi auf sächsisch. Über den bürokratischen Wahnwitz des öffentlich- rechtlichen Rundfunks

Erinnern Sie sich noch an Steffen Heitmann? Ja, richtig. Das war der konservative Christ, Theologe aus der DDR, den Helmut Kohl im Jahr 1993 als Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten vorschlug.

Er fiel damals einer Medienkampagne zum Opfer, weil er Äußerungen getan hatte wie diese: "Eine multikulturelle Gesellschaft kann man nicht verordnen, sie kann allenfalls wachsen". Das galt damals - gerade mal sechzehn Jahre ist's her - als "reaktionär".

Ich hatte gar nicht gewußt, daß Heitmann noch ein aktiver Politiker ist. Das ist er. Noch; denn zur Wahl des Sächsischen Landtags am 30. August tritt er nicht mehr an.

Nun also ist er wieder in den Schlagzeilen, der Steffen Heitmann; genauer: in den Vorausmeldungen von "Spiegel- Online".

Wegen dem Sächsischen. Wegen was? Wächn dem Säggsschn. Heitmann nämlich hat sich zu Wort gemeldet und fordert, "wieder mehr die im MDR-'Sendegebiet beheimateten Dialekte' zu pflegen"; so die Vorausmeldung. Vorbildlich sei da der Bayerische Rundfunk. "Skandalös" gar findet es Heitmann, daß selbst im MDR-Tatort nur Nebenfiguren sächsischen Dialekt sprechen dürften.

Falls es stimmt, dann ist das in der Tat ein Skandal. Nicht wegen des sächsischen Dialekts, sondern wegen des Umstands, daß die Bürokraten eines öffentlich- rechtlichen Senders selbst das festlegen - welchen Dialekt die Personen in einer Kriminalserie zu sprechen haben, oder eben nicht.

Und es scheint schon zu stimmen. Denn so schließt die Vorab- Meldung:
Beim MDR heißt es, die Prüfung der Frage, ob Sendungen mit sächsischer Sprachfärbung ausgestrahlt werden könnten, habe kurz vor dem Abschluss gestanden. Doch dann sei die Nachricht gekommen, dass Sächsisch der unsympathischste deutsche Dialekt sei. Man prüfe nun weiter.
Man prüft weiter. Vermutlich ist eine Kommission eingestzt, die jetzt monatelang darüber brütet, ob ein Kriminalkommissar oder ein Mörder im sächsischen "Tatort" leicht, kräftig oder ganz stark sächseln darf oder nur mit geringem sächsischem Akzent sprechen.

Vielleicht findet man nach langen Beratungen und Verhandlungen ja eine Lösung - ein Mörder darf mittelschwer sächseln, ein Kommissar leicht, und eine Leiche hat überhaupt den Mund zu halten.



So ist das, wenn Kultur zur Beute von Bürokraten wird. Statt es den Drehbuchschreibern zu überlassen, ob und wie sie innerhalb der Dramaturgie einer solchen Serie wen welche Mundart sprechen lassen; statt es den Regisseuren und Schauspielern zu überlassen, wie sie das umsetzen, wird so etwas par ordre du mufti festgelegt, von den Damen und Herren Bürokraten höchstselbst.

Auf Kosten der Gebührenzahler, die gezwungen werden, diesen bürokratischen Fettbauch zu mästen. Von seinem "Steuergeld", wie man in Sachsen wohl sagt oder sagte.

Woher ich das weiß? Von einem sächsischen Großonkel, der diese Geschichte zu erzählen pflegte:
Bilden Sie einen Satz mit "Furche", "Sonne", "Norwegen" und "Wasser"! Lösung (auf Sächsisch vorgetragen): "Forche Woche machde mein Vadder bangrod. Sonne Bleide! Nor wächen's Steuergeld. Wasser nu machd, wäs'ch nischd".
In einem "Tatort" MDR hätte - wenn die Meldung des "Spiegel" stimmt - diese Geschichte, die mich als Kind sehr amüsiert hat, kein Kommissar und kein Mörder erzählen dürfen. Allenfalls eine Nebenfigur. Also vielleicht der Gärtner, der es dann doch nicht war.



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27. Juni 2009

Zitat des Tages: Die USA - bald europäischer als die Europäer?

There has been much talk recently that the US is becoming more like Europe. To be more technically accurate, we should say that the US is becoming more like what Europe used to be. In the meantime, Europe is un-Europeanizing. We are about to make France look like a holdout for rugged individualism.

(Es wird neuerdings oft gesagt, daß die USA Europa immer ähnlicher werden. Sachlich richtiger ist es, zu sagen, daß die USA immer mehr so werden, wie Europa einmal war. Mittlerweile de-europäisiert sich Europa. Wir sind dabei, Frankreich zu einer Trutzburg wilder Individualisten zu machen.)

Randall Hoven im American Thinker.

Kommentar: Um diese Aussage richtig zu verstehen, muß man berücksichtigen, daß wir Deutschen die Franzosen zwar für Individualisten halten, daß das aber ein großer Irrtum ist. (Ich habe darüber in der Anfangszeit dieses Blogs einmal einen Artikel geschrieben).

Trotz aller Revolutions- Rhetorik sind die meisten Franzosen nicht nur staatsgläubig, sondern geradezu staatsfromm. Wenn sie gegen den Staat wettern, dann nicht etwa, um dessen Befugnisse einzuschränken, sondern um ihn dazu zu bringen, seine Macht zugunsten ihrer jeweiligen Interessen einzusetzen.

In den USA sieht man das traditionell sehr viel realistischer als in Deutschland. Dort gelten die Europäer generell als Etatisten; allen voran aber die Franzosen.

Das ist, behauptet Hoven, dabei, sich zu ändern. Die USA rücken nach links, während Europa immer liberaler wird. Er belegt das mit interessanten Zahlen, zum Beispiel zur Staatsquote, also dem Anteil der Staatsausgaben am Brutto- Sozialprodukt (BSP). Er lag in Europa 1993 bei einem Spitzenwert von 52,2 Prozent, ist aber inzwischen auf 46,2 Prozent gefallen. Nur noch vier Länder liegen über 50 Prozent: Ungarn, Dänemark, Schweden - und Frankreich.

In den USA aber geht der Trend in die umgekehrte Richtung. 2007 lag der Anteil der Ausgaben der US-Bundesregierung am BSP noch bei 20 Prozent; im Haushaltsentwurf Obamas für 2009 wird er auf 28,5 Prozent steigen. Zusammen mit den Ausgaben der Bundesstaaten und der Kommunen liegt die Staatsquote dann bei mindestens 46 Prozent.

Hoven erwähnt nicht die besonderen Bedingungen der Wirtschaftskrise, die ja auch in Europa die Staatsausgaben für 2009 in die Höhe treiben. Das relativiert sicherlich die Zahlen für 2009.

Aber Obamas Wirtschaftspolitik ist ja nicht nur für den Tag gemacht. Er nutzt die Krise, um via Subventionen die Wirtschaft zu steuern; Investitionslenkung nannten das die Linken in den siebziger Jahren.

In welchem Ausmaß Obama die USA auf den Weg hin zu einer staatlich gelenkten Wirtschaft bringen will, habe ich Anfang Mai in diesem Artikel über Obamas Sonderberater Van Jones und seine Vision von einer "grünen Ökonomie" beschrieben.

Dort zitiere ich auch Charles Krauthammer, der diesen radikalen Politikwechsel in den USA wieder einmal als einer der ersten erkannte; schon im Dezember 2008, als Obama noch gar nicht sein Amt angetreten hatte.



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25. Juni 2009

Zettels Meckerecke: Bravo, Dresden! Und eine UNESCO-Funktionärin ist "sichtlich bewegt"

Es ist ja nicht nur die Brüsseler Bürokratie, die überall hineinzuregieren versucht. Darüber thront die Bürokratie aller Bürokratien, diejenige der UNO. Mit ihren vielen Organisationen, wie zum Beispiel der UNESCO.

Diese nun also hat in ihrer Weisheit dem Elbetal bei Dresden heute den Status als Weltkulturerbe aberkannt. Die Bürokraten haben's gegeben (erst 2004 übrigens), die Bürokraten haben's genommen. Der Name der Bürokraten sei gelobt.

Wegen der Waldschlößchen- Brücke, bekanntlich, ist das Elbetal nun also kein Weltkulturerbe mehr. Zwar gibt es sie noch gar nicht, diese Brücke. Aber die Dresdner haben sich erdreistet, sie zu planen, ohne auf die warnenden Stimmen aus der UNESCO zu hören. Das mögen Bürokraten gar nicht.

Also haben sie sich hingesetzt und vor ihrem geistigen Auge entstehen lassen, oder auf ihrem Bildschirm, wie erschröcklich denn das Elbetal mit dieser Brücke aussehen würde. Also nix Kulturerbe mehr.

Das einzig wirklich Ärgerliche an dieser Posse ist, daß deutsche Politiker - Tiefensee, Bernd Neumann, Steinmeier - mitspielen. Statt der UNESCO zu signalisieren, ihre verstaubte Ästhetik könne Deutschland gestohlen bleiben, übt man sich im Kotau.



Und das einzige wirklich Ärgerliche an dieser Entscheidung der Beckmesser, die gerade im schönen Sevilla tagen, ist das Klischeehafte ihres Denkens.

Daß eine architektonisch gelungene Brücke eine Landschaft auch bereichern kann; daß der Reiz einer Landschaft ja nicht in ihrer stilistischen Einförmigkeit, sondern gerade in der Vielfalt dessen besteht, was man ihn ihr antrifft; daß man beispielsweise den Reichstag in Berlin nicht verhunzt, sondern verschönert hat, als man ihm eine moderne Kuppel anfügte - das geht diesen Bürokraten nicht in den Schädel.

Wahrscheinlich war auch noch niemand von ihnen im Hof des Louvre und hat gesehen, wie schön sich dort die moderne gläserne Pyramide einfügt.

Aber darum ging es ja nicht. Es ging darum, daß die UNESCO entschlossen war, ihre Hoheit über das, was schön und förderungswürdig ist, durchzusetzen. Das wollen wir doch einmal sehen, ob die Stadt Dresden es wagt, sich unserer höheren ästhetischen Einsicht zu widersetzen - das ist die Denke solcher Banausen.

"Sichtlich bewegt" sei sie gewesen, die Funktionärin María Jesús San Segundo, als sie die Entscheidung verkündete. Ich nehme an, vor Freude darüber, wieder einmal die Macht der UNESCO demonstriert zu haben.



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23. Juni 2009

Zitat des Tages: "Es ist schlimm". Über Informationsmangel im Zeitalter weltweiter Kommunikation. Nebst Hinweisen auf Quellen zum Iran

It’s bad. You’d prefer to have the information.

(Es ist schlimm. Man hätte doch schon gern die Informationen).

Ein hochrangiges Mitglied der US-Regierung, das nicht namentlich genannt werden wollte, gegenüber der New York Times über die Informationslage zum Iran.

Kommentar: Wir haben uns in diesem Jahrhundert daran gewöhnt, jederzeit umfassend über alles informiert zu werden, was irgendwo auf der Welt geschieht. Selbst von den Vorgängen in China, auf Cuba und in den wenigen anderen verbliebenen Diktaturen meinen wir doch immerhin eine gewisse Vorstellung zu haben.

Gut, Nordkorea ist ein ein kleiner weißer Fleck auf dieser Weltkarte umfassenden Informiertseins. Ein winziges, meist kaum bemerktes Skotom, sozusagen.

Und nun der Iran. Mit einigen wenigen Maßnahmen - ausländischen Journalisten wird schlicht das Berichten verboten; die meisten werden ausgewiesen oder ihr Visum wird nicht verlängert - gelingt es einem totalitären Regime, nahezu perfekt zu verbergen, was im Land eigentlich vor sich geht.

Es nicht nur gegenüber der Weltöffentlichkeit zu verschleiern, sondern auch gegenüber den Regierungen. Davon handelt der Bericht von Mark Landler und Mark Mazzetti in der heutigen New York Times, dem ich das Zitat entnommen habe.

Die beiden Autoren haben sich in der Regierung Obama und bei ehemaligen Mitgliedern der Regierung Bush umgetan. Offiziell wollte sich kaum jemand äußern. Off the record aber erfuhren die Autoren, daß die US-Regierung offenbar weitgehend im Dunklen tappt:
As President Obama and his advisers watch the drama unfolding in Tehran, they are having to cope with a frustrating lack of reliable information (...)

With no diplomatic relations and with foreign journalists largely expelled from the country, an administration that was already struggling to make sense of Iran finds itself picking up tidbits about the crisis in the same ways private citizens do: viewing amateur videos on YouTube and combing posts on social networking sites like Twitter and Facebook.

Während Präsident Obama und seine Berater dem Drama zusehen, das sich in Teheran entwickelt, müssen sie mit einem frustrierenden Mangel an zuverlässigen Informationen zurechtkommen. (...)

Es fehlen die diplomatischen Beziehungen. Ausländische Journalisten wurden weitgehend des Landes verwiesen. So findet sich eine Administration, die ohnehin damit kämpft, sich ein Bild vom Iran zu machen, in der Situation, daß sie häppchenweise Informationen über die Krise sammelt; und zwar genauso, wie das der Privatmann tut: Indem man sich Videos auf YouTube ansieht und Beiträge zu sozialen Netzen wie Twitter und Facebook miteinander kombiniert.
Der Bericht geht dann auf die Möglichkeiten ein, die es für die US-Regierung gibt, Informationen auf anderen Wegen zu gewinnen. 2006 hat Präsident Bush im US-Konsulat in Dubai eine kleine Gruppe - gerade mal ein halbes Dutzend Mann - einrichten lassen, die Informationen über den Iran sammeln soll. Im CIA gibt es eine Iran- Abteilung, von deren Spionen und V-Leuten vor Ort aber viele gefaßt und gefangengesetzt oder hingerichtet wurden.

Vor allem aber, berichtet die New York Times, würden zu wenige Informationen über die Machtstruktur, über politische und gesellschaftliche Trends im Iran gesammelt. Die Dienste seien überwiegend damit ausgelastet, Informationen zu besorgen, die kurzfristig für die Truppen im Irak und in Afghanistan benötigt würden.



Berichte wie dieser der New York Times können einen schon ernüchtern. Man stelle sich das vor - die Regierung des mächtigsten Landes der Welt guckt YouTube und liest Twitter, um etwas darüber zu erfahren, was eigentlich im Iran vorgeht!

Das können, wer weiß, interneterfahrene Blogger am Ende besser als die Schlapphüte in Washington. In der Tat habe ich den Eindruck, daß man - sofern man die Zeit dazu hat - sich durch Blogs so gut über die Lage und die Vorgänge im Iran informieren kann, wie das unter den gegebenen Bedingungen überhaupt möglich ist. Dazu nun ein paar Hinweise:

Auf die beiden trotz der Namen deutschsprachigen Blogs Wind in the Wires und Free Iran Now habe ich schon am Samstag aufmerksam gemacht. Auch im teilweise von Exilpersern geschriebenen Blog Iran Baham Blog findet man aktuelle Informationen. Zuverlässig und kompetent wie immer berichtet auch das Transatlantic Forum seit Beginn des Aufstands über den Iran.

Besonders hervorheben möchte ich The Outside of the Asylum, auch dies ein deutschsprachiger Blog. Dort hat zum Beispiel gestern Califax den besten Überblick über die aktuelle Entwicklung gegeben, den ich irgendwo gelesen habe.

Auch in "Zettels kleinem Zimmer" berichten Califax und andere, die die Lage im Iran beobachten, fortlaufend über das Neueste aus dem Iran.

Und dann gibt es die zahlreichen englischsprachigen Blogs. Eine Liste findet man zum Beispiel in Free Iran Now. Hervorheben möcht ich The Daily Dish von Andrew Sullivan.



Nachtrag um 21.45: Die Termine für die Demonstrationen an den kommenden Tagen hat in "Zettels kleinem Zimmer" Popeye hier zusammengestellt.



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9. Juni 2009

Kurioses, kurz kommentiert: Ein SPD-Hinterbänkler hat eine Idee. Und zwar eine bescheuerte

Vielleicht wollte er ja nur mal in die Nachrichten, der SPD-Hinterbänkler und gelernte Pastor Jörn Thießen. Jedenfalls machte er, so steht es in "Spiegel- Online", in der "Bild- Zeitung" den folgenden Vorschlag:
Wir Politiker müssen im Parlament abstimmen, das kann man auch von den Wählern bei einer Wahl verlangen. Wer nicht zu einer Wahl geht, sollte 50 Euro Strafe zahlen. Demokratie ohne Demokraten funktioniert nicht.
Am schönsten an diesem wahrhaft durchdachten Statement finde ich den letzten Satz. Demokratie ohne Demokraten funktioniert nicht; wie wahr. Und nach Ansicht des Pastors Thießen, der nicht nur das ist, sondern laut WebSite des Bundestags auch noch "Direktor und Professor a.D", erzeugt man offenbar Demokraten, indem man Bürger per Strafandrohung zum Wählen zwingt.

Belgien nannte Thießen als Vorbild; aber da hat die Wahlpflicht eine lange Tradition. Und wie es in Belgien ebenfalls Tradition ist, ist man dort tolerant. Niemand wird für's Nichtwählen von der Staatsanwaltschaft verfolgt. Die Vorstellung, einem Nichtwähler einen Strafbefehl zu schicken wie einem Verkehrssünder, und das im Europa des 21. Jahrhunderts, ist ja auch absurd.

Was Thießen offenbar möchte, das sind Verhältnisse wie in der DDR, wo es eine faktische, wenn auch keine gesetzliche Wahlpflicht gab. So etwas dient zur Disziplinierung der Bürger. Der Geßlerhut muß gegrüßt werden.

Dieser Mann, der sich vorgeblich um die Demokratie sorgt, läßt nicht erkennen, daß er die Grundlage der Demokratie verstanden hat; nämlich die Freiheit des Einzelnen, selbst zu entscheiden, ob und wie er sich an der Gestaltung des Gemeinwesens beteiligen will.



Immerhin hätten wir, auch wenn der grandiose Vorschlag des Direktors und Professors a.D. Gesetz werden würde, ja anders als in der DDR noch eine wirklich geheime Wahl. Wer also, weil er sich nicht mit 50 Euro freikaufen will oder kann, gegen seinen Willen zur Wahl geht, der kann ja immer noch in der Kabine seinem Unmut gegenüber diesem autoritären Staat Luft machen, der ihn zum Wählen zwingt. Durch ungültiges Wählen, durch das Wählen einer extremistischen Partei beispielsweise, oder einer Nonsense- Partei.

Am schönsten fände ich es, wenn nach der Verabschiedung des Thießen- Gesetzes flugs eine Partei gegen das Zwangswählen gegründet werden würde. Die hätte dann meine Stimme.



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6. Juni 2009

Zitat des Tages: "Ausgerechnet im liberalen Holland ...". Ja, ist denn Geert Wilders kein Liberaler?

Das Ergebnis ist ernüchternd: Ausgerechnet im liberalen Holland landet der islamkritische Populist Geert Wilders bei der Abstimmung zum Europa- Parlament auf Platz zwei.

Die "Welt" über den Wahlerfolg von Geert Wilders.

Kommentar: "Ausgerechnet im liberalen Holland"? Als wenn Geert Wilders kein Liberaler wäre. Nicht ausgerechnet, sondern logischerweise hat er im liberalen Holland einen Wahlsieg errungen.

Lieber Leser, Sie glauben nicht, daß Geert Wilders ein Liberaler ist? Ich habe es auch nicht geglaubt, weil ja überall das behauptet wird, was in dem Zitat steht. Bis ich recherchiert habe. Das Ergebnis habe ich vor gut einem Jahr in diesem Artikel aufgeschrieben.

Und falls Sie es mir nicht glauben, dann mögen Sie es vielleicht bei Henryk M. Broder nachlesen.



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28. Mai 2009

Kurioses, kurz kommentiert: Rauchen im Film ist jugendgefährdend!

Sie haben richtig gelesen: Nicht Rauchen im Kino, sondern Rauchen im Film. Der Umstand also, daß im Film sich, sagen wir, Humphrey Bogart eine Zigarette anzündet.

Gegen Filme, in denen geraucht wird, ist in den USA der Kampf eröffnet. Speziell in Californien, weil da erstens die Filmindustrie sitzt, und weil dort zweitens die Eiferer eifriger sind als anderswo in den USA.

In Californien also, so berichtete es die New York Times, wurde gestern eine Medienkampagne gestartet, "intended to publicly shame movie studios for depicting images of smoking in their mass-appeal movies" - mit dem Ziel, Filmstudios öffentlich an den Pranger zu stellen, die in ihren Filmen für ein Massenpublikum zeigen, wie jemand raucht.

An ein gesetzliches Verbot denkt die Initiative - ihr gehören unter anderem der US- Ärzteverband, das Los Angeles County Department of Public Health und das California Youth Advocacy Network an - offenbar noch nicht. Unter anderem sollen über eine Site im Internet Rauchszenen aus Filmen gesammelt werden; das Studio, das der größte Täter ("biggest offender") ist, wird dann im September öffentlich getadelt.

Im Internet kann man auch eine Petition unterzeichnen, die fordert, daß Filme, in denen "unnötigerweise Bilder des Rauchens" gezeigt werden, automatisch die Freigabe "R" erhalten. Jugendliche unter 17 Jahren würden dann diese Filme nur noch in Begleitung Erwachsener sehen dürfen.

Wer sich den Auftritt der Initiative bei Facebook ansehen will - hier ist er. Der ganz große Knüller scheint die Sache allerdings noch nicht zu sein. Bis jetzt haben sich erst 154 Fans angemeldet.



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27. Mai 2009

Kurioses, kurz kommentiert: Zensursulas Grundhaltung: "Warum dann nicht blockieren?"

Von der Leyen: ... Und es geht um die Grundhaltung. Welches Argument gibt es zu sagen, diese Bilder sollen in Deutschland zugänglich und sichtbar im Netz sein?

SPIEGEL ONLINE: Keines. Das ist aber auch nicht die Frage.

Von der Leyen: Aber warum sie dann nicht blockieren?


Kommentar: Da haben wir, in a nutshell, das kuriose Rechtsverständnis der Ursula von der Leyen: Es gibt kein Argument für etwas. Also kann man es verbieten.

Welches Argument gibt es dafür, daß Kinder Süßigkeiten lutschen? Keines. Also verbieten. Welches Argument gibt es dafür, daß Sportschützen mit scharfen Waffen schießen? Keines. Also verbieten. Welches Argument gibt es dafür, daß Menschen Pornografie ansehen? Keines. Also verbieten.

Natürlich gibt es für alles das ein Argument. Es mag schädlich, es mag unmoralisch sein. Aber der freie Bürger hat das Recht, auf seine eigene Verantwortung auch etwas zu tun, was ihm schädlich oder was unmoralisch ist. Das Argument dagegen, das alles zu verbieten, lautet schlicht, daß der Staat die Freiheit des Einzelnen zu respektieren hat.

Er hat, dieser freie Bürger, bisher auch die Freiheit, im Internet so zu surfen, wie es ihm gefällt. Ohne befürchten zu müssen, daß der Staat überwacht, wann er welche Site anklickt.

Ursula von der Leyen scheint von dieser Freiheit keine Ahnung zu haben; jedenfalls kein Verständnis für ihren Wert. Sie scheint gar nicht zu bemerken, was auf dem Spiel steht. Kurios bei einer so weltläufigen Frau.



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26. Mai 2009

Zitat des Tages: "Gerade am Religionsunterricht erweist sich der säkulare Charakter unseres Staates". Über Schäubles Integrationspolitik

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat am Dienstag im Berliner Wissenschaftskolleg seine Ansicht bekräftigt, dass das Religionsverfassungsrecht der Bundesrepublik sich bewährt habe und für die Integration der Muslime den geeigneten Rahmen bilde.

In Schäubles pointierter Auffassung erweist sich gerade am Religionsunterricht der säkulare Charakter unseres Verfassungsstaates. Der Staat maßt sich nicht an, Nützliches und Schädliches in den religiösen Überlieferungen gemäß eigenem, überlegenem Wissen zu sortieren, wie es Voraussetzung für eine Umstellung vom Bekenntnisunterricht auf vorgeblich neutrale Religionskunde wäre, sondern kooperiert in der Ausbildung der Religionslehrer mit den Religionsgemeinschaften.


Patrick Bahners in der FAZ über einen Diskussionsbeitrag Wolfgang Schäubles auf einer gemeinsamen Veranstaltung der Berlin- Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, des Wissenschaftskollegs und der Thyssen- Stiftung anläßlich der diesjährigen Carl- Heinrich- Becker- Vorlesung. Diese hielt der amerikanisch- sudanesische Jurist Abdullahi An-Na'im von der Emory University in Atlanta, der sich für einen modernen Islam einsetzt.



Kommentar: Abdullahi An-Na'im ist ein Sudanese, der vor den dort regierenden Islamisten in die USA fliehen mußte. Sein Lehrer Mahmud Muhammad Taha wurde im Januar 1985 von den Islamisten öffentlich gehenkt. Sein Vergehen: Er sei vom Islam abgefallen.

Abdullahi An-Na'im vertritt eine interessante These, die dem entgegengesetzt ist, was hier in Deutschland viele über den Islam zu wissen vermeinen: Die Trennung von Staat und Religion sei dem Islam keineswegs fremd, ja sie liege in dessen Wesen. Bahners:
Das Prinzip des Islams ist nach An-Na'im individualistisch: Nur der einzelne Gläubige kann Gottes Gebote befolgen. Der Staat kann nicht religiös sein; die staatliche Kodifizierung der Scharia verformt das Religionsgesetz, weil staatliche Sanktionen das Wesen des religiösen Gehorsams verfehlen.
Gewiß macht man sich mit solchen Auffassungen bei Islamisten keine Freunde; auch An-Na'im wurde schon mit dem Tod bedroht. Umso mehr sollten wir im liberalen Westen auf Wissenschaftler wie ihn hören.

Die Interpretation des Islam durch die Islamisten benutzt diesen als die Grundlage für eine totalitäre Ideologie. So, wie der Marxismus den Kommunisten, wie den Nazis ihre Rassenlehre die ideologische Basis für einen alle Lebensbereiche durchdringenden totalitären Staat lieferte. Kein totalitäres System kommt ohne eine solche weltanschauliche Fundierung aus; sie ist der Geßlerhut, den alle Bürger als Zeichen ihrer Unterwerfung grüßen müssen.

Nur ist das eben nicht der Islam schlechthin. Es ist eine seiner Interpretationen. In unserem Interesse liegt es, den Einfluß anderer, liberaler Interpretationen wie derjenigen von Abdullahi An-Na'im zu stärken. Mir scheint, daß Wolfgang Schäuble das verstanden hat.



Schäuble hat aber auch verstanden, daß Experimente à la "Schulfach Ethik" das Gegenteil von liberal sind. Denn ein solches Fach braucht ja einen Lehrplan. Indem er diesen aufstellt, maßt der Staat sich an, darüber zu entscheiden, was denn ethisch relevant sei, wie verschiedene Religionen und ethische Haltungen zu betrachten seien usw.

Auch wenn in einem solchen Fach "alle Religionen und Weltanschauungen" (welche?) "gleichberechtigt" behandelt werden sollen, müssen sie doch unter bestimmten Gesichtspunkten, nach bestimmten Kriterien, in einer bestimmten Selektion behandelt werden. Insofern dringt der Staat mit einem solchen obligatorischen Fach in die Privatsphäre des Bürgers ein.

Religionsunterricht ist dagegen nicht obligatorisch (und war es übrigens auch in der Bundesrepublik niemals; auch nicht zur Adenauer- Zeit). Wer den Unterricht seiner Konfession besucht, der tut das freiwillig. Den Staat geht das nichts an. Er stellt den Rahmen zur Verfügung - die Lehrer, die Räume. Er ermöglicht damit Vielfalt, aber er dekretiert sie nicht.

Nur insofern hat der Staat das Recht, sich in den Religionsunterricht einzumischen, als er es nicht dulden kann, daß verfassungsfeindliche Inhalte gelehrt werden. Daß zum Beispiel Anhänger anderer Religionen herabgewürdigt werden oder daß die Trennung von Staat und Religion in Zweifel gezogen wird.

Hier trifft sich dann das, was Schäuble gesagt hat, mit der Position von Prof. An-Na'im.



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14. Mai 2009

Überlegungen zur Freiheit (10): Die Macht der Voodoo-Priester. Wie unwirksame Gesetze unsere Freiheit bedrohen

Der Zweck von Gesetzen besteht zunehmend nur noch im Akt der Gesetzgebung selbst. Gesetze werden nicht gemacht, um das zu bewirken, was in der Begründung aufgeführt wird. Sondern man verabschiedet sie, um sagen zu können - um es auch propagandistisch ausschlachten zu können -, daß man dieses Gesetz gemacht hat.

Der Akt der Gesetzgebung wird zur symbolischen Handlung. Ein derartiges Gesetz eignet sich nicht zur Veränderung der Realität, wohl aber zu ihrer Beschwörung. Der Mechanismus ist derjenige der Magie. So, wie der Voodoo- Priester symbolisch die Puppe durchsticht, statt den wirklichen Menschen zu attackieren, treffen diese Gesetze nicht den realen Mißstand, gegen den sie sich vorgeblich richten, sondern ihr Zielobjekt ist dessen symbolische Repräsentation.

Ich habe das kürzlich anhand von zwei Beispielen genauer ausgeführt, der von der SPD angekündigten höheren Besteuerung "der Reichen", die dem Fiskus kaum etwas bringen würde, und der Sperrung des Internet für Kinderpornographie, die kriminellen Kinderschändern ungefähr so wirksam das Handwerk legen dürfte, wie es einen Ochsen beeindruckt, wenn man ihn ins Horn petzt.

Jetzt gibt es ein weiteres Beispiel; eines, das den Voodoo- Charakter solcher Gesetze mit fast schon absurder Sinnfälligkeit vorführt; freilich zugleich auch verdeutlicht, daß Unwirksamkeit nicht Ungefährlichkeit bedeutet: Die geplante Verschärfung des Waffenrechts.



Es gehörte nicht viel prognostische Kraft dazu, am Tag der Tat von Winnenden vorherzusagen, daß es den Ruf nach einer Verschärfung der Waffengesetze geben würde. Daß er so weit gehen könnte, gleich die "Entwaffnung" der Schützenvereine, ja - Claudia Roth schoß, wenn man das so sagen kann, mal wieder den Vogel ab - ein faktisches Verbot des Schießsports in Deutschland zu verlangen, hatte ich allerdings nicht erwartet.

So weit sind die Koalitionsparteien nicht gegangen, deren zuständige Innenpolitiker sich am Dienstag Abend auf eine Verschärfung des Waffenrechts geeinigt haben. Aber das, was sie beschlossen, zeigt umso deutlicher den Voodoo- Charakter derartiger Gesetze. Und es verdeutlicht auch, daß sie keineswegs harmlos sind. Künftige Bluttaten wird dieses geplante Gesetz nicht verhindern oder auch nur unwahrscheinlicher machen. Der therapeutische Erfolg liegt nah bei null, aber die Nebenwirkungen sind massiv.

Die Nebenwirkungen nämlich, was unsere Bürgerrechte angeht. Geplant sind unter anderem zwei Regelungen, die zeigen, mit welcher Leichtfertigkeit die Politiker dieser Koalitionsparteien bereit sind, zur Veranstaltung ihres Voodoo- Spektakels unsere Rechte einzuschränken.

Lesen Sie bitte einmal diesen Absatz aus dem Bericht in "Süddeutsche.de":
Waffenbesitzer müssen mit unangemeldeten Kontrollen rechnen. Eine Wohnung darf aber nicht gegen den Willen des Wohnungsinhabers betreten werden. "Wenn sich der Waffenbesitzer beharrlich weigert, seine Mitwirkungspflichten zu erfüllen, muss die Behörde prüfen, ob die waffenrechtlich notwendige Zuverlässigkeit des Waffenbesitzers noch gegeben ist", sagte Bosbach. Dies kann zur Entziehung der waffenrechtlichen Erlaubnis führen.
Mit anderen Worten: Es gilt zwar das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung. Aber wer davon Gebrauch macht, der verstößt gegen seine "Mitwirkungspflicht", verfügt ergo nicht über die "notwendige Zuverlässigkeit", und somit darf man ihm den Waffenbesitzschein entziehen.

Zur Zeit des Kalten Kriegs waren die Radio- Eriwan- Witze ("Im Prinzip ja. Allerdings ...") nach diesem Prinzip konstruiert. Sie wurden erzählt, um die Verlogenheit der kommunistischen Diktatur zu entlarven.

Die zweite geplante Regelung ist nicht weniger skandalös. Aus dem Bericht in "Süddeutsche.de":
Wie Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) der Deutschen Presse- Agentur dpa sagte, ist außerdem geplant, Spiele, bei denen die Tötung des Gegner simuliert wird, mit Bußgeldern zu ahnden. Betroffen davon wäre Paintball, ein Spiel, bei dem die Gegner mit Farbkugeln aufeinander schießen.
In einem lesenswerten Artikel zum Thema hat Ulrich Clauß gestern Dieter Wiefelspütz zitiert, sozusagen den Bosbach der SPD: "'Ich sehe keinen Zusammenhang zwischen Paintball (Farbkugelschießen) und Winnenden', sagt der innenpolitische Sprecher der SPD- Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz". Sagt es und stimmt dem Verbot zu.

Da haben wir sie, die Voodoo- Magie, brutal und nackt: Man behauptet gar nicht erst, das Gesetz werde dem beabsichtigten Ziel dienen. Was zählt, ist allein die Symbolik.

Und die Volkserziehung. Ulrich Clauß:
Wer glaubt, das Böse in der Welt per Gesetz nicht nur einhegen zu können, sondern gleich ganz verbieten zu können, kommt am Ende bei einer Erziehungsdiktatur an. (...) Angesichts ihres materiellen Scheiterns bei nahezu allen selbst gesetzten Reformzielen – von den anderen gar nicht erst zu reden – geht diese große Koalition auf immer mehr Feldern zur Wirklichkeitsbeschimpfung in Gesetzesform über. Auf breiter Front gewinnen Eiferer die Oberhand.


Und da haben wir die andere Seite des Voodoo. Als Techniken, die Wirklichkeit zu beeinflussen, sind Voodoo- Riten ungeeignet. Umso mehr eignen sie sich dazu, Menschen unter Kontrolle zu bringen.

Nicht über das Wetter hat der Regenmacher Macht, aber über die Angehörigen des Stamms, dessen Medizinmann er ist. Unter dem Gesichtspunkt der Verbrechens- Bekämpfung sind solche Maßnahmen wie die jetzt beschlossenen wirkungslos. Aber sie zeigen die Macht des Staats über uns; sie schränken unsere Freiheit ein.

Wer im Internet unterwegs ist, der soll wissen, daß der Staat ständig ein Auge auf ihn hat. Wer als Sportschütze Waffen zu Hause aufbewahrt, der soll wissen, daß ihm die Berufung auf die Unverletzlichkeit der Wohnung wenig hilft, wenn der Kontrolleur klingelt. Und wer Spaß an Paintball hat, der soll wissen, daß er künftig nur noch illegal spielen darf. Denn, nicht wahr, es ist "sittenwidrig" (Bosbach laut Clauß), wenn jemand im Spiel auf einen anderen Menschen mit Farbbällchen schießt.

Und wenn etwas im Auge von Politikern "sittenwidrig" ist, dann - so muß man Bosbach ja wohl interpretieren - hat der Staat das Recht, es zu verbieten. Wir sind unter dieser Regierung in der Rechtspolitik mit Riesenschritten auf dem Weg zurück hinter die Liberalisierungen der siebziger Jahre.

Daß in einer freien Gesellschaft das Recht dazu da ist, Rechtsgüter zu schützen, daß es hingegen nicht die Aufgabe hat, Sitte, Anstand und überhaupt das Gute in der Welt zu befördern, scheint zunehmend in Vergessenheit zu geraten. Oder vielmehr: Es wird von den Voodoo- Politikern ignoriert.

Das "sozialistische Recht" in der DDR sollte explizit der Erziehung dienen. Das unter anderem machte den totalitären Charakter des kommunistischen Systems aus.



Als im Dezember 2006, damals aus Anlaß des "Amoklaufs von Emstetten", über ein Verbot von "Killerspielen" diskutiert wurde, habe ich eine autobiographische Glosse beigesteuert; mit dem Titel "Bekenntnisse eines Killerspielers".

Ich habe darin gestanden, wie ich von der frühen Kindheit an und bis hinein in die Pubertät auf Menschen geschossen habe - mit der Wasserpistole, mit der Zündplättchen- Pistole, dazu "bumm" sagend oder "du bist tot". Aber seltsam, die Wirkung blieb aus.

Ich habe, ich schwöre es, nie den Impuls verspürt, ein Schulmassaker zu verüben oder auch nur einen Mitmenschen zu verprügeln. Irgendwie bin ich trotz der "Sittenwidrigkeit", mit der ich aufwuchs, ein friedlicher, jeder Gewalt abholder Mensch geworden.

Ob da bei mir etwas schief gelaufen ist?



Mit Dank an FAB. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: Voodoo-Puppen. Autorin: Denise Alvarado. Frei unter Creative Commons Attribution ShareAlike 3.0 License.

8. Mai 2009

Zitat des Tages: Kinderpornographie, Internetzensur und die "Betroffenheit" des Ministers zu Guttenberg

Das macht mich schon sehr betroffen, wenn pauschal der Eindruck entstehen sollte, dass es Menschen gibt, die sich gegen die Sperrung von kinderpornographischen Inhalten sträuben.

Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg heute in der Tagesschau zu der erfolgreichen Petition gegen die Sperrung von Internet-Seiten, die nach der jeweiligen Bewertung des BKA Kinderpornographie enthalten.

Kommentar: Ein seltsamer, ein seltsam unlogischer Satz, den der Minister zu Guttenberg da in die Kamera gesprochen hat.

Natürlich gibt es "Menschen, die sich gegen die Sperrung von kinderpornographischen Inhalten sträuben". "Sträuben" ist freilich ein Ausdruck nach, sagen wir, Gutsherrenart dafür, daß Bürger sich das Recht herausnehmen, anderer Meinung zu sein als die Bundesregierung.

Sie tun das mit guten Gründen. Einige dieser Gründe hätte der Minister zur Kenntnis nehmen können, wenn er einen Blick in die Presse geworfen hätte, zum Beispiel in die "Süddeutsche Zeitung" vom 18. April.

Die geplante Sperre ist erstens leicht zu umgehen, und zweitens ist sie ein völlig ungeeignetes Mittel, um die Kriminellen zu treffen, die Kinderpornographie herstellen und vertreiben. Drittens ist sie ein bedenklicher Einstieg in eine Zensur des Internet, wie man sie sonst nur in Diktaturen kennt. Im einzelnen habe ich diese Erwägungen vor drei Wochen in diesem Artikel dargelegt.

Das sind, so möchte ich für uns Liberale in Anspruch nehmen, doch zumindest erwägenswerte Gesichtspunkte; sie zu vertreten ist kein "Sträuben" wie das eines unartigen Kindes, das nicht gehorchen mag.



Das noch Seltsamere an der Äußerung des Ministers ist allerdings ihr Beginn. Es mache ihn, behauptet da der Minister "schon sehr betroffen, wenn pauschal der Eindruck entstehen sollte, dass es Menschen gibt", die sich dergestalt "sträuben".

Wenn "pauschal der Eindruck entstehen sollte", daß es "Menschen gibt ...". Das ist erstens Unfug, denn es geht ja nicht um ein "wenn ... sollte", sondern dieser "Eindruck" ist bereits durch die erfolgreiche Petition entstanden; just das war ja eines ihrer Ziele. (Was der Minister damit meint, daß dieser Eindruck nicht nur einfach ensteht, sondern daß er "pauschal" entsteht, mag verstehen, wer es kann).

Was aber in aller Welt veranlaßt den Minister zur "Betroffenheit" darüber, daß es Menschen gibt, die eine von der Bundesregierung beabsichtigte Maßnahme für kriminalpolitisch unwirksam und für rechtsstaatlich bedenklich halten?

Ist er der Meinung, daß allein das, was er und seine Kollegin von der Leyen für richtig halten, akzeptabel ist, und jede Kritik daran nur mit "Betroffenheit" beantwortet werden kann?

Oder äußert er vielleicht deshalb "Betroffenheit" über solche "Menschen", weil er insinuieren möchte, sie seien nicht etwa liberal denkende, informierte Bürger, sondern Konsumenten solcher Seiten und deshalb daran interessiert, daß diese nicht gesperrt werden? Unterstellt man einen solchen Subtext, dann allerdings würde die ansonsten abstruse Äußerung Sinn machen. Sie würde dann freilich auch diesen Minister disqualifizieren.



Als der Minister zu Guttenberg sein Amt antrat, haben viele sich von seinem schneidigen Auftreten beeindrucken lassen. Ich habe damals leise Zweifel angemeldet. Sie sind jetzt kräftiger geworden, diese Zweifel.

Wer einen solchen Satz äußert wie den zitierten, den sollte man genau im Auge behalten, was sein Verhältnis zu Freiheit und Rechtsstaatlichkeit angeht.



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6. Mai 2009

In gut vier Wochen sind Europawahlen. Hier meine Wahlempfehlung

Morgen in vier Wochen beginnt die Europawahl mit der Öffnung der Wahllokale in Großbritannien und Holland. Die anderen Länder folgen in den Tagen darauf; zur Schlußgruppe gehören wir in Deutschland mit der Wahl am Sonntag, dem 7. Juni. Erst am Sonntag Abend werden europaweit die Resultate veröffentlicht.

Gut einen Monat vor Wahlen ist normalerweise der Wahlkampf längst in seiner heißen Phase. Von den Europawahlen wird man das nicht sagen können, jedenfalls nicht in Deutschland. Keine Wahlspots, kaum Berichterstattung über die Wahlen, nur zögerlich Plakatwerbung. Es gehört keine prophetische Gabe dazu, vorherzusagen, daß die Wahlbeteiligung dürftig sein wird.

Zum ersten Mal, seit ich wahlberechtigt wurde, habe auch ich mir überlegt, ob ich überhaupt zur Wahl gehen werde.

Eigentlich sehe ich es als meine staatsbürgerliche Pflicht an, von meinem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Denn welches Recht habe ich zur Kritik, wenn ich meine Mitwirkung am demokratischen Entscheidungsprozeß verweigere? Der bewußte Wahlverweigerer kommt mir als ein Kritikaster vor, der herummeckert, es aber ablehnt, selbst etwas zu tun.

Anders ist es natürlich bei denjenigen, die sich schlicht nicht für Politik interessieren. Sie haben nicht nur das Recht, dies durch Wahlenthaltung zum Ausdruck zu bringen; sondern es erscheint mir auch angemessen, wenn sie sich so verhalten. Denn was nutzt dem Gemeinwesen die Stimme eines Bürgers, der gar nicht verantwortlich entscheiden kann, weil er von dem, worüber er entscheidet, nichts weiß?

Ob jemand aus Desinteresse oder als bewußte Demonstration dem Wahllokal fernbleibt, kann man freilich nicht wissen. Schon deshalb ist das demonstrative Nichtwählen keine sehr weise Entscheidung - just das Demonstrative daran bleibt ja unbemerkt. Es ist so wirksam wie ein Wahlplakat, das jemand im eigenen Schlafzimmer aufhängt.

Dies gesagt - es gibt für mich Gesichtspunkte, die dafür sprechen, diesen Wahlen fernzubleiben. Denn das Wählen setzt voraus, daß man grundsätzlich mit der Institution einverstanden ist, über deren Zusammensetzung man mitbestimmt; und mit dem Verfassungsrahmen, in den sie eingebettet ist.

Mit der Bundesrepublik Deutschland, mit ihren Institutionen, mit ihren Parlamenten bin ich einverstanden. Mit der Art, wie Europa sich institutionell entwickelt hat und wie es sich auf der Grundlage der Verträge von Lissabon weiterentwickeln soll, bin ich nicht einverstanden.



Die Gründe für diese Haltung habe ich in früheren Artikeln dargelegt, die sich u.a. mit den unklaren Vorstellungen über die Struktur Europas, mit der problematischen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und immer wieder mit dem Versuch der Brüsseler Etatisten befaßt haben, bis hin zu lächerlichen Kleinigkeiten ins Leben der EU-Bürger hineinzuregieren. Der Gipfel, sozusagen, war eine EU-Richtlinie mit dem Ziel, das Seilbahn- Wesen in der Europäischen Union zentral zu regulieren. Dieser Richtlinie und ihrer hanebüchenen juristischen Begründung habe ich im September vergangenen Jahres einen längeren Artikel in zwei Teilen gewidmet.

Dieses Europa der Etatisten nun also wollte sich bekanntlich eine Verfassung geben. Als diese von den Franzosen und den Holländern abgelehnt wurde, hat man das nicht respektiert. Genauer: Man hat es nur formal respektiert und den Inhalt umformuliert; ihn in die Form der Verträge von Lissabon gegossen, die nun keiner Zustimmung durch ein Referendum mehr bedurften; mit Ausnahme Irlands.

Dieses neue Europa basiert, mit anderen Worten, auf einer Trickserei, mit der der Volkswille umgangen wurde. Auch der Wille der Iren soll offenbar übergangen werden. Man wird wohl einfach noch einmal abstimmen lassen, nach dem Prinzip: Wir wählen so oft, bis das richtige Ergebnis herauskommt. So ruiniert man das Vertrauen in Institutionen.

Kurz, dieses Europa, dessen Parlament in einem Monat gewählt wird, ist nicht das politische Europa, dem ich so zustimmen kann, wie ich mit der Bundesrepublik Deutschland einverstanden bin. Verpflichtet fühle ich mich deshalb nicht, zur Wahl zu gehen.



Ich werde es gleichwohl tun. Zum einen aus dem schon genannten Grund: Demonstrative Wahlenthaltung ist nicht als demonstrativ erkennbar; sie wird unter die allgemeine "Wahlmüdigkeit" subsumiert.

Zum anderen geht es ja gar nicht primär um Europa.

An der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments wird sich nach Umfragen nicht viel ändern; sie ist im übrigen ziemlich egal. Es gibt dort keine Regierungs- und keine Oppositionsparteien. Wenn sich aufgrund der jetzigen Wahlen die Proportionen zwischen den Fraktionen (den Christdemokraten/Konservativen, den Sozialisten, den Liberalen, den Grünen, den Kommunisten und den Euroskeptikern) geringfügig verschieben sollten, dann ist das ohne jeden Belang.

Allenfalls ein gutes Abschneiden der beiden Fraktionen der Euroskeptiker (der Union für ein Europa der Nationen und der Fraktion Unabhängigkeit und Demokratie) könnte eine gewisse Wirkung haben.

Würde in Deutschland eine ernstzunehmende, demokratische euroskeptische Partei zur Wahl antreten - sie hätte meine Stimme. Aber seltsam - während europaweit Euroskeptiker auf den Stimmzetteln stehen werden, sucht man sie in Deutschland vergeblich.

Man kann sie sich bereits ansehen, die Stimmzettel; der Bundeswahlleiter stellt Muster als PDF-Datei zur Verfügung. Weder die EUDemokraten noch Libertas werden in Deutschland zur Wahl stehen.

Diese Stimmzettel sind auch sonst ganz interessant. Sie sind lang; nicht weniger als 31 Parteien oder sonstige Vereinigungen befinden sich darauf. Deren Reihenfolge ist von Bundesland zu Bundesland verschieden; je nach den Ergebnissen früherer Wahlen. Meist steht die Union auf Platz eins, in Bremen aber die SPD, und in Brandenburg sind es gar die Kommunisten.

An dieser Äußerlichkeit wird derjenige Umstand deutlich, der mich veranlaßt, wählen zu gehen: Die wahre Bedeutung dieser Wahlen liegt nicht auf der europäischen Ebene, sondern auf der nationalen. Und das gilt besonders für Deutschland.

Denn mit den Europawahlen wird dieses "Superwahljahr" eröffnet. Sie haben damit so etwas wie eine prägende Wirkung. Wer in diesen Wahlen gut abschneidet, der wird Aufwind für die nachfolgenden Wahlen bekommen. Wer patzt, der geht aus einer schlechten Position in die Wahlen dieses Jahres.

Wie sind die Aussichten der einzelnen Parteien? Es liegen bisher zwei Umfragen vor; beide von Anfang April. Sie zeigen übereinstimmend für die Union und die SPD ungefähr die Werte, die diese auch bei den Umfragen zum Bundestag erreichen. Überraschend aber sind die Zahlen für die Grünen und die FDP: In beiden Umfragen liegen die Grünen bei 13 Prozent und die FDP nur bei 10 Prozent - also eine deutliche Umkehrung der Verhältnisse bei der Sonntagsfrage.

Natürlich kann es sich bei nur zwei vorliegenden Umfragen um Stichprobenfehler handeln. Aber ein solches Ergebnis würde sich auch unschwer interpretieren lassen: Viele Wähler der Grünen dürften gemerkt haben, wie prächtig sich "grüne Inhalte" über den Transmissionsriemen EU - nämlich via Verordnung oder via Richtlinie - durchsetzen lassen. Unter den Wählern der FDP hingegen dürften viele Euroskeptiker sein, die genau aus diesem Grund der EU ablehnend gegenüberstehen. Wer freiheitlich denkt, kann in der Tat dieser EU und ihrem Entwicklungstrend nicht zustimmen. Also dürfte das Interesse an den Europawahlen bei den Wählern der Grünen höher sein als bei denjenigen der Liberalen.



Und damit bin ich bei meinem Fazit, das Sie, lieber Leser, nun nicht mehr verwundern wird: Ich werde zur Wahl gehen, und ich werde die FDP wählen. Ein deutlich schlechteres Abschneiden, als ihr die momentanen Umfragen für den Bundestag vorhersagen, wäre ein miserabler Auftakt für dieses Wahljahr. Erst recht dann, wenn die FDP auch noch deutlich von den Grünen überholt werden würde.

Ich bitte Sie, die Überlegungen, die ich in diesem Artikel vorgetragen habe, zu prüfen, und würde mich freuen, wenn Sie dann zur selben Entscheidung kämen.



Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Fahnen vor dem Gebäude der Europäischen Kommission. Autor: Xavier Häpe; frei unter Creative Commons Attribution 2.0 License.