13. September 2008

Über Seilbahnen in Europa, die Bürokraten in Brüssel und das Wesen der Juristerei (Teil 1)

Im Vertrag von Maastricht vom 7. Februar 1992 wird als konstitutiv für die Abgrenzung zwischen nationalen und Brüsseler Zuständigkeiten das Prinzip der Subsidiarität festgelegt. Es wird in der Präambel und in Artikel B genannt. In Artikel G, welcher Anpassungen früherer EWG- Verträge an den Vertrag von Maastricht behandelt, heißt es noch einmal ausdrücklich:
In den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, wird die Gemeinschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können.
Nicht wahr, das klingt eindeutig? In schlichteres Deutsch übersetzt heißt es: Alles, was die Mitgliedstaaten selbst regeln können, geht die EU nichts an. Nur wenn sie etwas allein nicht schaffen oder nicht hinreichend gut schaffen, darf Brüssel eingreifen.

Eingegriffen hat Brüssel beispielsweise mit der Richtlinie 2000/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 über Seilbahnen für den Personenverkehr (Amtsblatt Nr. L 106 vom 03/05/2000 S. 0021 - 0048).

Es stellt sich die Frage, wie es denn mit dem Prinzip der Subsidiarität vereinbar ist, daß für das Seilbahn- Wesen in allen Staaten der EU das Europäische Parlament und der Europäische Rat zuständig sind.



Bevor ich das im Einzelnen erläutere, erlauben Sie einen Blick aufs Allgemeine. Genauer, auf das Wesen der Juristerei.

Ich habe mir das einmal von einem befreundeten Juristen erklären lassen, der Strafrecht und Rechtsphilosophie lehrt, der sein Fach also in dessen konkreten Niederungen ebenso kennt wie in seinen abstrakteren Höhen: Nichts wäre verfehlter, erklärte er mir, als würde man im Juristen einen unkreativen Menschen sehen; einen gewissermaßen mechanisch funktionierenden Ausleger des Rechts.

Das Recht, so erläuterte mir dieser Bekannte, ist so etwas wie eine Partitur, die erst dadurch Leben und Farbe gewinnt, daß der Jurist sie zum Klingen bringt. Kreativ muß er sein, der Jurist. Phantasie ist seine wichtigste Eigenschaft. Er ist im Grunde mehr ein Künstler als ein Wissenschaftler.

Ein Künstler und zugleich, wie der Architekt, ein Handwerker. Denn anders als der Maler, der Musiker hat er es ja mit dem realen Leben zu tun. Auf dieses muß er seine Paragraphen schöpferisch beziehen, dabei diese Paragraphen mit Leben erfüllend und zugleich das Leben sub specie dieser Paragraphen ordnend und regulierend.

Oft nun ist dieses kreative Handeln des Juristen freilich kein Selbstzweck. Im Strafprozeß dient es dazu, eine Verurteilung zu erreichen oder zu verhindern. In Europa dient es - diesen Eindruck kann man jedenfalls gewinnen - dazu, möglichst viele Kompetenzen den Nationalstaaten zu entziehen und sie nach Brüssel zu verlagern. Beispielsweise diejenige für die Seilbahnen.



Für Seilbahnen, vor allem für deren Sicherheit sollten - so sagt es sich der Laie - eigentlich diejenigen zuständig sein, in deren Gebiet es solche Seilbahnen gibt. Die also die Anforderungen kennen, die Gefahren, die Bedingungen, die zu beachten sind, damit so eine Seibahn sicher und zuverlässig zum Gipfel schwebt und wieder ins Tal zurück.

Kaum ein Transportmittel ist so von den lokalen Bedingungen abhängig wie eine Seilbahn. Kaum eines erscheint folglich weniger geeignet, von Inari bis Malta in einheitliche Regelungen gezwungen zu werden.

Andererseits darf - so besagt es das Prinzip der Subsidiariät - die europäische Bürokratie sich ja nur dann der Kompetenz über die Seilbahnen bemächtigen, wenn "die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können".

Eine echte Herausforderung also für die juristischen Cracks in Brüssel, die jene Richtlinie 2000/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 auszuarbeiten hatten. Schauen wir uns an, wie sie diese Aufgabe gelöst haben.

(Fortsetzung folgt)



Mit Dank an Califax und Martin. Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.