25. September 2008

Marginalie: Was ist eigentlich ein "Bailout"? Über eine kleine Etymbombe

In den deutschen Meldungen ist von einer "Rettungsaktion" die Rede, einem "Rettungsplan" oder einem "Hilfspaket". Das amerikanische Wort, das da übersetzt wird, lautet "bailout".

Das Wort war mir neu gewesen, als ich es im Zusammenhang mit der jetzigen Finanzkrise hörte und las.

Ich kannte das Wort "bail" im juristischen Kontext; das ist die Kaution, die jemand zum Beispiel hinterlegt, um aus der Untersuchungshaft entlassen zu werden ("to be set free on bail"). Ich wußte auch, daß ein "bail" in einer konkreteren Bedeutung des Worts ein Schöpfgefäß sein kann, ein Eimer, dergleichen. Aber was hat das mit der Hilfe für vom Zusammenbruch bedrohte Banken zu tun?

Auch beim Internet-Lexikon "Leo" herrscht offenbar Ratlosigkeit. Wenn man dort nach "bailout" sucht, wird einem lediglich mit einer "bailout bottle" geholfen, was laut Übersetzung eine "Notsauerstoffflasche" ist. Was hat nun das wieder mit einer Kaution und mit einer Schöpfkelle zu tun? Auch die Diskussionen im "Leo"- Forum liefern wenig Erhellendes.

Wie oft, wenn es um die Bedeutung englischer Wörter geht, hilft World Wide Words von Michael Quinion weiter. Dort erfahren wir, was für vertrackte Wörter "bail" und "bailout" sind.



"Bail" nämlich ist ein Homonym; ein Wort also, das wir in der deutschen Umgangssprache manchmal "Teekessel" nennen. Es hat mehrere Bedeutungen, die jeweils ihre eigene Wortwurzel haben:
  • Zunächst einmal gibt es die Schreibweisen "bail" und "bale". "Bale" ist mit dem deutschen Wort "Ballen" verwandt und bezeichnet just einen solchen - einen Heuballen zum Beispiel. Aber vor allem im britischen Englisch wird die Schreibweise "bale" auch für eine der anderen Bedeutungen verwendet.

  • "Bail" im Sinn von "Schöpfkelle" kommt hingegen vom französischen "baille", was Eimer heißt. Auch der Henkel eines Eimers kann - pars pro toto - so bezeichnet werden.

  • Auch in der Bedeutung von "Kaution" ist das Wort aus dem Alt- Französischen ins Englische gekommen, aber mit einer anderen Wortwurzel - dem lateinischen "bajulare", das bedeutet, eine Last auf sich zu nehmen. Wer für einen anderen bürgt, für ihn eine Kaution stellt, der tut das.

  • Eine weitere Wortwurzel ist das lateinische "baculum" - ein Stock oder Stab. Daraus wurde das altfranzösische "baile" und schließlich das englische "bail" als Bezeichnung für einen Teil des Spielgeräts beim Cricket.



  • Und wie ist es nun mit dem "bailout"? Welcher dieser Bedeutungen verdankt er seiner Existenz? Wie es scheint, zweien, wenn nicht gar dreien. Es ist sozusagen ein Bastard, das Wort "bailout".

    "To bail someone out" heißt, jemanden freikaufen, ihn durch eine Geldzahlung aus einer Notlage befreien. Das läßt - meint jedenfalls Michael Quinion - vermuten, daß dahinter die Wortbedeutung "Kaution" von "bail" steckt.

    Aber "to bail out" bedeutet auch, aus einem Flugzeug mit dem Fallschirm "aussteigen". Quinion meint mit Bezug auf Partridge, daß dahinter die Bedeutung "Schöpfkelle" steckt: Diejenigen, die das Flugzeug mit dem Fallschirm verlassen, gehen so "über Bord", wie man Wasser über Bord schöpft.

    Verwirrenderweise wird das im britischen Englisch aber auch "to bale out" geschrieben - und das könnte mit der Vorstellung zusammenhängen, daß beim Absprung die Passagiere aus dem Flugzeug fallen wie die Heuballen.

    Wie auch immer, dieses "aussteigen" wird auch in übertragener Bedeutung verwendet - man steigt aus, wenn einem eine Sache zu heiß wird. Man kommt damit heil aus der Sache heraus.

    Und diese Bedeutung nun dürfte auch beim "bailout" mitschwingen, wie es jetzt in Bezug auf die Finanzkrise verwendet wird. Einerseits wird so etwas wie eine Kaution gestellt. Andererseits sollen die Banken, denen geholfen wird, damit aus einer kritischen Situation befreit werden.



    Arno Schmidt hätte seine Freude an so etwas gehabt. Verschiedene, aber assoziativ verknüpfte Bedeutungen, in einem Wort sozusagen verdichtet.

    Von einer "Etymbombe" hat er manchmal gesprochen, der große Sprachkünstler Arno Schmidt. Hier haben wir es freilich nur mit einem Bömbchen zu tun, ohne die "Unterfütterung", die Arno Schmidt so lieb und teuer war.



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