Richtig gewonnen ist ein Krieg immer erst dann, wenn er auch propagandistisch gewonnen ist. Wir kennen das aus Xenophons Anabasis und Cäsars De bello gallico, wie Propaganda einen Krieg begleitet: Im Vorfeld, dann während der Schlachten, vor allem aber auch in der Zeit danach, wenn die Frage nach den Verantwortlichkeiten, manchmal die nach der "Kriegsschuld" in den Mittelpunkt rückt.
Eine Frage, die bekanntlich in Bezug auf den Ersten Weltkrieg auch nach fast einem Jahrhundert immer noch kontrovers diskutiert wird. Sonderlich optimistisch sollte man also nicht sein, daß die Frage nach der Schuld am Krieg in Georgien demnächst eine befriedigende Antwort finden wird.
In den Tagen nach dem Krieg habe ich drei Master Narratives diskutiert (siehe die Links in Teil 1; hier zu den Artikeln vom 12. und 13. August):
Nach wie vor herrscht über den Beginn des georgischen Angriffs auf Tschinwali einigermaßen Übereinstimmung - in der Nacht vom 7. zum 8. August vor Mitternacht. Nach wie vor ist es aber völlig unklar, wann die russischen Truppen durch den Roki- Tunnel nach Südossetien eindrangen.
Die auch vom "Spiegel" kolportierte Version, dies sei erst am Vormittag des 8. August geschehen, ist inzwischen noch unglaubhafter, als sie bereits am Montag war.
Inzwischen hat die New York Times nämlich über den Mitschnitt eines Telefonats berichtet, das südossetische Grenzsoldaten über Handy (und daher genau zeitlich lokalisierbar) bereits in den Morgenstunden des 7. August geführt haben (siehe auch den Bericht darüber in der heutigen FAZ):
Vielleicht waren ja alle die Panzer und Schützenpanzer, die nach Südossetien einrückten, nur Verstärkungen für die Friedenstruppe?
So, wie es im Augenblick aussieht, wird sich der genaue Ablauf der Ereignisse in naher Zukunft wohl nicht zuverlässig rekonstruieren lassen.
Beide Seiten waren auf einen militärischen Konflikt vorbereitet; eben wie - siehe Teil 1 - beim Showdown im Western. Wer nun als erster eine Handbewegung zum Holster hin gemacht, wer dann als erster gezogen, wer als erster geschossen, wer als erster getroffen hat - man wird das vorläufig offen lassen müssen. Dazu brauchte man, um im Bild zu bleiben, eine Zeitlupe des Bewegungsablaufs bei beiden Kontrahenten.
In einer anderen Hinsicht aber scheint sich der Nebel allmählich zu lichten: Was die Vorgeschichte des Konflikts angeht. Dazu wurden in der letzten Woche zwei Dokumente veröffentlicht: Die Aussage von Matthew J. Bryza, eines der zuständigen Beamten im US-Außenministerium vor der Kommission für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (Helsinki- Kommission) sowie die Aussage von Eric S. Edelman, Unterstaatssekretär im Verteidigungsministerium, vor dem Verteidigungsausschuß des US-Senats.
(Fortsetzung hier)
Eine Frage, die bekanntlich in Bezug auf den Ersten Weltkrieg auch nach fast einem Jahrhundert immer noch kontrovers diskutiert wird. Sonderlich optimistisch sollte man also nicht sein, daß die Frage nach der Schuld am Krieg in Georgien demnächst eine befriedigende Antwort finden wird.
In den Tagen nach dem Krieg habe ich drei Master Narratives diskutiert (siehe die Links in Teil 1; hier zu den Artikeln vom 12. und 13. August):
Am Ende des zweiten Teils dieser damaligen Serie habe ich am 12. August geschrieben:Ein "Hineinschliddern" in den Krieg, also eine Eskalation, die irgendwann außer Kontrolle geriet. Ein georgischer Angriff auf Südossetien, geführt in der Erwartung, die Russen würden stillhalten oder vom Westen zum Stillhalten veranlaßt werden. Ein vorbereiteter russischer Angriff auf Südossetien und Georgien mit dem Ziel, Saakaschwilie zu stürzen und das Land wieder in den russischen Einflußbereich zu bringen.
Was ist von diesen drei Master Narratives zu halten? Wirklich klären wird sich das allenfalls dann, wenn weitere Informationen vorliegen, vor allem solche aus den Berichten von Geheimdiensten. (...)An dieser Sachlage hat sich bis heute nichts geändert. Auch und gerade nicht durch die ein wenig vollmundig auf der Titelseite angekündigte Story des "Spiegel" dieser Woche, auf die ich in Teil 1 eingegangen bin.
Die drei Interpretationen schließen einander nicht völlig aus. Im Prinzip könnte es sein, daß der tatsächliche Ablauf Elemente von allen dreien enthielt. Daß beispielsweise beide Seiten zwar Pläne für diesen Krieg in ihren Schubladen hatten, daß aber eine unkontrollierte Eskalation dazu führte, daß diese Pläne jetzt umgesetzt wurden. Auch ein Plan von Tiflis, Südossetien jetzt zurückzuerobern, ist nicht unbedingt unvereinbar mit einem Plan Moskaus, Georgien zu demütigen und aus der Nato herauszuhalten.
Nach wie vor herrscht über den Beginn des georgischen Angriffs auf Tschinwali einigermaßen Übereinstimmung - in der Nacht vom 7. zum 8. August vor Mitternacht. Nach wie vor ist es aber völlig unklar, wann die russischen Truppen durch den Roki- Tunnel nach Südossetien eindrangen.
Die auch vom "Spiegel" kolportierte Version, dies sei erst am Vormittag des 8. August geschehen, ist inzwischen noch unglaubhafter, als sie bereits am Montag war.
Inzwischen hat die New York Times nämlich über den Mitschnitt eines Telefonats berichtet, das südossetische Grenzsoldaten über Handy (und daher genau zeitlich lokalisierbar) bereits in den Morgenstunden des 7. August geführt haben (siehe auch den Bericht darüber in der heutigen FAZ):
"Listen, has the armor arrived or what?" a supervisor at the South Ossetian border guard headquarters asked a guard at the tunnel with the surname Gassiev, according to a call that Georgia and the cellphone provider said was intercepted at 3:52 a.m. on Aug. 7. "The armor and people," the guard replied. Asked if they had gone through, he said, "Yes, 20 minutes ago; when I called you, they had already arrived."Nun gut, das ist wieder nur eine weitere Facette. Die Russen sagen, das seien keine Invasionstruppen gewesen, sondern Verstärkung für die Friedenstruppe.
"Hör mal, ist der Panzer [könnte auch heißen: Sind die Panzer] eingetroffen, oder wie?" fragte ein Überwacher im Hauptquartier des südossetischen Grenzschutzes einen Posten am Tunnel mit dem Nachnamen Gasiew bei einem Anruf, das laut Georgien und dem Provider um 3.52 Uhr am Morgen des 7. August aufgezeichnet wurde. "Der Panzer [die Panzer] und die Leute" antwortete der Posten. Auf die Frage, ob sie durch seien, sagte er: "Ja, vor 20 Minuten; als ich Sie anrief, waren sie schon angekommen".
Vielleicht waren ja alle die Panzer und Schützenpanzer, die nach Südossetien einrückten, nur Verstärkungen für die Friedenstruppe?
So, wie es im Augenblick aussieht, wird sich der genaue Ablauf der Ereignisse in naher Zukunft wohl nicht zuverlässig rekonstruieren lassen.
Beide Seiten waren auf einen militärischen Konflikt vorbereitet; eben wie - siehe Teil 1 - beim Showdown im Western. Wer nun als erster eine Handbewegung zum Holster hin gemacht, wer dann als erster gezogen, wer als erster geschossen, wer als erster getroffen hat - man wird das vorläufig offen lassen müssen. Dazu brauchte man, um im Bild zu bleiben, eine Zeitlupe des Bewegungsablaufs bei beiden Kontrahenten.
In einer anderen Hinsicht aber scheint sich der Nebel allmählich zu lichten: Was die Vorgeschichte des Konflikts angeht. Dazu wurden in der letzten Woche zwei Dokumente veröffentlicht: Die Aussage von Matthew J. Bryza, eines der zuständigen Beamten im US-Außenministerium vor der Kommission für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (Helsinki- Kommission) sowie die Aussage von Eric S. Edelman, Unterstaatssekretär im Verteidigungsministerium, vor dem Verteidigungsausschuß des US-Senats.
(Fortsetzung hier)
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