Der Grundsatz der Subsidiarität bestimmt, so habe ich es im ersten Teil zitiert, daß Brüssel nur zuständig ist, "sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können".
Wie konnten die Brüsseler Juristen diese Hürde nehmen, als sie Brüssels Kompetenz auf die Seilbahnen in den Staaten der EU ausdehnten? Wie konnten sie nachweisen, daß nicht jeder Staat der EU in der Lage ist, selbst das Funktionieren und die Sicherheit seiner Seilbahnen zu regeln; sofern er denn welche hat?
"In Erwägung nachstehender Gründe" werde diese Richtlinie erlassen, heißt am Anfang. Und es folgen - man ist halt gründlich in Brüssel - nicht weniger als 31 Gründe, die von den Brüsseler Juristen erwogen wurden. Mit dem Ergebnis, daß sie verordnen durften, wie es denn bei Europas Seilbahnen zugehen soll.
Grund Nummer 1 ist eigentlich keiner, sondern eine Definition. Und die ist so schön, daß ich sie Ihnen nicht vorenthalten mag:
Wie auch immer - eine Rechtfertigung für eine europaweit einheitliche Regelung des Seilbahn- Wesens haben wir bisher noch nicht.
Auch Grund Nummer 2 ist noch keiner, sondern er sagt uns, daß Seilbahnen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor sind. Fündig werden wir erstmals bei Grund Nummer 3:
So ganz scheinen unsere juristischen Cracks diesen drei Gründen auch nicht zu trauen, denn nun schieben sie weitere nach:
Bei Grund Nummer 5 fragt man sich erneut, was da aus dem Französischen (es kann auch jetzt wieder das Englische gewesen sein) übersetzt wurde. Die "Ausführung" von Seilbahnen wird durch widersprüchliche Regelungen erschwert, wenn die Seilbahnen grenzüberschreitend sind? Vielleicht stand da "construction", also ihr Bau, ihre Erstellung?
Konstruiert wirkt jedenfalls das Argument, und zwar schwach konstruiert. Daß man per Seilbahn von einem Land Europas in ein anderes schwebt, dürfte wohl kein häufiger Fall sein (wenn es das denn überhaupt gibt; es ist ja nur von "können" die Rede). Diesen hypothetischen Fall als Argument dafür heranzuziehen, gleich europaweit die Seilbahnen zu vereinheitlichen, zeigt, wie sehr unsere Juristen die Argumente zusammenkratzen mußten.
Und so geht es weiter. Wenn Sie, lieber Leser, einen Sinn für unfreiwilligen, für einen in diesem Fall einmal wirklich mit dem Wort kafkaesk richtig benannten Humor haben, dann nehmen Sie sich die Zeit, sich durch alle 32 Gründe hindurchzulesen. Hier zum Schluß nur noch zwei.
Der eine erstreckt sich über die Punkte Nummer 7 und 8:
Um den "Benutzern die bestmögliche Nutzung der Seilbahnen zu ermöglichen". Und warum geht das nicht auch ohne Vereinheitlichung? Hm, hm.
"Um einen gleichen Entwicklungsstand in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten"? Hm, und warum muß der gewährleistet sein? Warum in aller Welt darf denn nicht eine Seilbahn in den Pyrenäen einen anderen "Entwicklungsstand" haben als eine in Südtirol oder eine im Riesengebirge?
Haben Sie noch Kraft zum Lachen? Gut, dann entlasse ich Sie jetzt mit dem Grund Nummer 9:
Wir lassen uns das gefallen, wir Europäer. Wir protestieren nicht gegen diese Unlogik, gegen die Pseudoargumente, die doch allesamt nur kaschieren sollen, daß für die Brüsseler Bürokratie Vereinheitlichung ein Selbstzweck ist.
Wir kuschen. Sogar - und damals bin ich zum ersten Mal auf dieses Thema aufmerksam geworden - der Berliner Senat hat gekuscht und die Brüsseler Direktive in Berliner Landesrecht gegossen. Auch wenn es in Berlin gar keine Seilbahn gibt und auch keine Pläne, jemals eine zu bauen. Wo sollte sie auch hinführen? Auf den Prenzlauer Berg?
Wie konnten die Brüsseler Juristen diese Hürde nehmen, als sie Brüssels Kompetenz auf die Seilbahnen in den Staaten der EU ausdehnten? Wie konnten sie nachweisen, daß nicht jeder Staat der EU in der Lage ist, selbst das Funktionieren und die Sicherheit seiner Seilbahnen zu regeln; sofern er denn welche hat?
"In Erwägung nachstehender Gründe" werde diese Richtlinie erlassen, heißt am Anfang. Und es folgen - man ist halt gründlich in Brüssel - nicht weniger als 31 Gründe, die von den Brüsseler Juristen erwogen wurden. Mit dem Ergebnis, daß sie verordnen durften, wie es denn bei Europas Seilbahnen zugehen soll.
Grund Nummer 1 ist eigentlich keiner, sondern eine Definition. Und die ist so schön, daß ich sie Ihnen nicht vorenthalten mag:
(1) Seilbahnen für den Personenverkehr (nachstehend "Seilbahnen" genannt) werden geplant, gebaut, in Betrieb genommen und betrieben, um Personen zu befördern. Seilbahnen sind in erster Linie Verkehrsanlagen, die in Tourismusorten in Bergregionen eingesetzt werden und Standseilbahnen, Seilschwebebahnen, Kabinenbahnen, Sesselbahnen und Schleppaufzüge umfassen. Es kann sich aber auch um Seilbahnen handeln, die in städtischen Verkehrssystemen eingesetzt werden. Bestimmte Arten von Seilbahnen können auch auf völlig anderen Grundprinzipien beruhen, die sich nicht von vornherein ausschließen lassen. Daher muß es möglich sein, spezifische Anforderungen einzuführen, die den gleichen Sicherheitszielen Rechnung tragen, wie sie in dieser Richtlinie vorgesehen sind.Daß das etwas hölzern klingt, liegt wohl weniger am "Juristendeutsch" als daran, daß es offenbar aus dem Französischen übersetzt ist. Wenn man beispielsweise den Anfang des letzten Satzes ins Französische zurückübersetzt ("Il doit donc être possible d'introduire des demandes spécifiques ..."), dann klingt das geschmeidig und keineswegs hölzern. (Denkbar ist allerdings auch, daß das Original englisch war: "Hence it should be possible to introduce ...").
Wie auch immer - eine Rechtfertigung für eine europaweit einheitliche Regelung des Seilbahn- Wesens haben wir bisher noch nicht.
Auch Grund Nummer 2 ist noch keiner, sondern er sagt uns, daß Seilbahnen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor sind. Fündig werden wir erstmals bei Grund Nummer 3:
(3) Die Mitgliedstaaten sind für die Sicherheitsaufsicht über Seilbahnen während des Baus, der Inbetriebnahme und des Betriebs zuständig. Sie haben außerdem zusammen mit den zuständigen Stellen die Verantwortung im Hinblick auf die Bodenrechte, die Raumordnung und den Umweltschutz. Die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zeigen erhebliche Unterschiede hinsichtlich spezifischer Verfahren der nationalen Industrie sowie hinsichtlich regionaler Gepflogenheiten und Kenntnisse. Sie schreiben besondere Bemessungen und Vorrichtungen sowie spezielle Eigenschaften vor.So ist es, können wir bis hierher zustimmend nicken. Also gerade kein Bedarf an eine europaweiten Einheitsregelung. Aber dann:
Diese Situation zwingt die Hersteller, ihre Produkte für jeden Auftrag neu zu definieren, steht dem Angebot von Standardlösungen entgegen und wirkt sich nachteilig auf die Wettbewerbsfähigkeit aus.Drei Gründe gleich auf einen Schlag. Und was für welche!
" ... zwingt die Hersteller, ihre Produkte für jeden Auftrag neu zu definieren". Während sonst ja bekanntlich Seilbahnen von der Stange geliefert werden; nach Katalog zu bestellen. "... steht dem Angebot von Standardlösungen entgegen". In der Tat. Nur, wo ist das Argument? Wollen die Verfasser der Richtlinie Standard- Lösungen mit der Begründung verlangen, es gäbe sonst keine Standard- Lösungen? "... wirkt sich nachteilig auf die Wettbewerbsfähigkeit aus". Eine eigenartige Behauptung. Wenn die Vorschriften in den einzelnen Mitgliedstaaten verschieden sind, dann betrifft das ja alle Wettbewerber gleichermaßen. Welcher Nachteil entsteht dadurch wem?
So ganz scheinen unsere juristischen Cracks diesen drei Gründen auch nicht zu trauen, denn nun schieben sie weitere nach:
(4) Die grundlegenden Anforderungen zum Schutz der Sicherheit und der Gesundheit müssen eingehalten werden, damit gewährleistet ist, daß Seilbahnen sicher sind. Diese Anforderungen müssen verantwortungsbewußt angewandt werden, um dem Stand der Technik zum Zeitpunkt der Herstellung sowie technischen und wirtschaftlichen Erfordernissen Rechnung zu tragen.Grund Nummer 4 ist wieder eine reine Petitio Principii - denn wieso folgt aus der Notwendigkeit, grundlegende Anforderungen verantwortungsbewußt einzuhalten, daß dies in die Kompetenz von Brüssel fällt? Nur dann, wenn man das zu Beweisende bereits voraussetzt - daß Brüsseler Bürokraten kompetenter sind als die in Spanien, Tschechien oder Deutschland.
(5) Seilbahnen können ferner grenzüberschreitend sein, und in diesen Fällen wird ihre Ausführung durch das Vorhandensein widersprüchlicher einzelstaatlicher Regelungen erschwert.
Bei Grund Nummer 5 fragt man sich erneut, was da aus dem Französischen (es kann auch jetzt wieder das Englische gewesen sein) übersetzt wurde. Die "Ausführung" von Seilbahnen wird durch widersprüchliche Regelungen erschwert, wenn die Seilbahnen grenzüberschreitend sind? Vielleicht stand da "construction", also ihr Bau, ihre Erstellung?
Konstruiert wirkt jedenfalls das Argument, und zwar schwach konstruiert. Daß man per Seilbahn von einem Land Europas in ein anderes schwebt, dürfte wohl kein häufiger Fall sein (wenn es das denn überhaupt gibt; es ist ja nur von "können" die Rede). Diesen hypothetischen Fall als Argument dafür heranzuziehen, gleich europaweit die Seilbahnen zu vereinheitlichen, zeigt, wie sehr unsere Juristen die Argumente zusammenkratzen mußten.
Und so geht es weiter. Wenn Sie, lieber Leser, einen Sinn für unfreiwilligen, für einen in diesem Fall einmal wirklich mit dem Wort kafkaesk richtig benannten Humor haben, dann nehmen Sie sich die Zeit, sich durch alle 32 Gründe hindurchzulesen. Hier zum Schluß nur noch zwei.
Der eine erstreckt sich über die Punkte Nummer 7 und 8:
(7) In den verschiedenen Mitgliedstaaten wird im allgemeinen die Verantwortung für die Zulassung der Seilbahnen einer Dienststelle der zuständigen Behörde übertragen. In bestimmten Fällen kann die Zulassung der Bauteile nicht von vornherein, sondern erst auf Antrag des Kunden erteilt werden. Ebenso kann die Überprüfung der Seilbahnen vor der Inbetriebnahme zur Ablehnung bestimmter Bauteile oder bestimmter technologischer Lösungen führen. Dies verursacht zusätzliche Kosten, verlängert die Lieferfristen und ist insbesondere für ausländische Hersteller von großem Nachteil. Andererseits sind Seilbahnen (auch während des Betriebs) Gegenstand einer strengen Überwachung von seiten der Behörden. Die Ursachen für schwere Unfälle können mit der Wahl des Standorts, dem eigentlichen Beförderungssystem, mit den Bauwerken oder mit der Art des Betriebs und der Wartung der Seilbahnen zusammenhängen.Warum also - haben Sie das verstanden? - muß jetzt doch gleich das Seilbahnwesen in Europa vereinheitlicht werden?
(8) Unter diesen Umständen hängt die Sicherheit der Seilbahnen in gleichem Maße von den Umgebungsbedingungen wie von den industriellen Bestandteilen und vom Zusammenbau und der Montage am Standort und ihrer Überwachung während des Betriebs ab. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, die Seilbahnen zur Bewertung des Sicherheitsstandards als Ganzes zu betrachten und auf Gemeinschaftsebene ein einheitliches Qualitätssicherungskonzept zu entwickeln. Um den Herstellern unter diesen Voraussetzungen die Überwindung ihrer derzeitigen Schwierigkeiten und den Benutzern die bestmögliche Nutzung der Seilbahnen zu ermöglichen und außerdem einen gleichen Entwicklungsstand in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten, ist es notwendig, einen Anforderungskatalog sowie Kontroll- und Überprüfungsverfahren zu definieren, die in allen Mitgliedstaaten einheitlich angewandt werden.
Um den "Benutzern die bestmögliche Nutzung der Seilbahnen zu ermöglichen". Und warum geht das nicht auch ohne Vereinheitlichung? Hm, hm.
"Um einen gleichen Entwicklungsstand in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten"? Hm, und warum muß der gewährleistet sein? Warum in aller Welt darf denn nicht eine Seilbahn in den Pyrenäen einen anderen "Entwicklungsstand" haben als eine in Südtirol oder eine im Riesengebirge?
Haben Sie noch Kraft zum Lachen? Gut, dann entlasse ich Sie jetzt mit dem Grund Nummer 9:
(9) Für die benutzenden Personen, die aus allen Mitgliedstaaten, aber auch aus vielen Ländern außerhalb der Gemeinschaft kommen, muß ein zufriedenstellender Sicherheitsstandard gewährleistet sein. Diese Forderung macht die Festlegung von Verfahren und von Methoden zur Untersuchung, Kontrolle und Überprüfung notwendig. Dies führt zur Verwendung von genormten technischen Vorrichtungen, die in die Seilbahnen integriert werden müssen.Ein einheitlicher Sicherheitsstandard ist erforderlich, weil es sonst keinen einheitlichen Sicherheitsstandard gäbe. Das ist der Inhalt dieses Arguments, und das ist der Inhalt all dessen, was in den 31 Gründen dargelegt wird.
Wir lassen uns das gefallen, wir Europäer. Wir protestieren nicht gegen diese Unlogik, gegen die Pseudoargumente, die doch allesamt nur kaschieren sollen, daß für die Brüsseler Bürokratie Vereinheitlichung ein Selbstzweck ist.
Wir kuschen. Sogar - und damals bin ich zum ersten Mal auf dieses Thema aufmerksam geworden - der Berliner Senat hat gekuscht und die Brüsseler Direktive in Berliner Landesrecht gegossen. Auch wenn es in Berlin gar keine Seilbahn gibt und auch keine Pläne, jemals eine zu bauen. Wo sollte sie auch hinführen? Auf den Prenzlauer Berg?
Mit Dank an Califax und Martin. Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.