20. Mai 2008

Zitat des Tages: Grüße des Genossen Honecker an den Rechtsanwalt Gysi

"Im Ergebnis hätte Gen. Honecker die juristisch konsequente Verteidigung von Rechtsanwalt Gysi begrüßt" und "an Rechtsanwalt Gysi Grüße mit der Empfehlung übermitteln lassen, ein Vertrauensverhältnis zu Havemann herzustellen mit dem Ziel, dass dieser seine Außenpropaganda einstellt."

Aus einem "Bericht über ein geführtes Gespräch mit Rechtsanwalt Dr. Gysi am 10.7.1979", aufgefunden in den Stasi- Akten über den DDR- Dissidenten Robert Havemann. Wie Peter Wensierski gestern in "Spiegel Online" berichtete, wurden diese Akten jetzt aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung an den "Spiegel" herausgegeben.

Kommentar: Ich finde dieses Zitat aus zwei Gründen interessant.

Erstens, weil es vielleicht, zusammen mit dem Inhalt der anderen jetzt freigegebenen Akten, doch noch zu einem klareren Bild von der Tätigkeit Gysis als Rechtsanwalt in der DDR führen wird.

Zum zweiten, weil es einen Umstand verdeutlicht, der meines Erachtens in der bisherigen Diskussion über Verbindungen Gysis zum MfS oft übersehen wird:

Gregor Gysi war ja nicht irgend ein kleiner Rechtsanwalt, den die Stasi möglicherweise zu Spitzeldiensten benutzte. Gregor Gysi gehörte zur Spitze der Nomenklatura in der DDR. Ein Mann, dessen Tätigkeit der Genosse Honecker begrüßt, dem er freundliche Grüße übermitteln läßt, zusammen mit einer "Empfehlung".

Ein Mann also, der ganz andere Möglichkeiten hatte, mit den Mächtigen der DDR zu kommunizieren, als diejenige, als ein IM wie jeder andere zu arbeiten.



Gregor Gysi ist bekanntlich der Sohn des Altkommunisten und SED- Funktionärs Klaus Gysi. Hier sind, nach den Angaben in der Wikipedia, die wichtigsten Stationen von dessen politischer Biographie; ich zähle sie auf, weil sie ein Licht auf den persönlichen Hintergrund werfen, vor dem Gregor Gysi im Dienst der DDR tätig war:
  • Mitglied der KPD seit 1931, ab 1939 Mitglied der Studienleitung der KPD in Paris, dann illegal für die KPD im Nazireich tätig.

  • Von 1945 bis 1948 Chefredakteur des "Aufbau". Von 1945 bis 1977 Mitglied des Präsidialrates, Bundessekretär und schließlich Mitglied des Präsidiums des Kulturbundes der DDR. Von 1949 bis 1954 und von 1967 bis zum Ende der DDR Abgeordneter der Volkskammer. Von 1957 bis 1966 Leiter des "Aufbau"- Verlags, eines der wichtigsten Verlage der DDR.

  • Seit 1963 Mitglied der Westkommission des Politbüros des ZK der SED. Von 1966 bis 1973 Minister für Kultur. Mitglied des Ministerrates der DDR und der Kulturkommission des Politbüros des ZK der SED.

  • 1973 bis 1978 Botschafter der DDR in Italien, im Vatikan und in Malta. 1979 bis 1988 Staatssekretär für Kirchenfragen.
  • Als Sohn dieses Mannes trat Gysi 1967, mit neunzehn Jahren, in die SED ein.

    Das Vertrauen der Führung der SED in ihn wer so groß, daß ihm nicht nur die für einen Rechtsanwalt überhaupt heikelste politische Aufgabe, die Verteidigung von Dissidenten, übertragen wurde; sondern 1988 - da war er gerade einmal vierzig Jahre - machte man ihn zum Vorsitzenden des Kollegiums der Rechtsanwälte in Berlin und zugleich Vorsitzenden der Kollegien der Rechtsanwälte in der DDR, also zum obersten der Rechtsanwälte der DDR.

    Eine angemessene Karriere für einen Mann aus einer solchen Familie, hochbegabt wie sein Vater und offenkundig ein ebenso treuer Kommunist; jedenfalls von den Herrschenden der DDR so beurteilt.



    Daß jemand mit einem solchen Hintergrund und solchen Funktionen bei seiner Tätigkeit nicht mit dem MfS zusammengearbeitet hat, wäre erstaunlicher, als wenn sich Erich Honecker als Agent des CIA entpuppt hätte.

    Aber andererseits dürfte auch kaum ein MfS-Offizier solch einen Mann, der in der DDR-Hierarchie weit über ihm stand, als einen gewöhnlichen Informanten betrachtet haben. Sondern als einen Kollegen, mit dem gemeinsam - hie MfS, dort der Rechtsanwalt - man das ausführte, was den Interessen der DDR dienlich war.

    Wie diese Zusammenarbeit aussah, darüber gibt zum Beispiel dieser Bericht über ein geführtes Gespräch mit Rechtsanwalt Dr. Gysi des MfS-Oberst Lohr von der HA XX/OG vom 7. Dezember 1978 Auskunft ("Alle anderen Forderungen Bahros wird er mit uns abstimmen, bevor er diesbezügliche Schritte einleitet").

    Überhaupt galt ja für die Rechtspflege in der DDR, was jemand, der es aus eigener Erfahrung weiß, so beschrieben hat:
    Laut dem Selbstverständnis der SED gab es keine unabhängige Justiz, die Justiz war "der verlängerte Arm der Partei." Es gab also in diesem Sinne keine "Rechtsanwälte" wie wir das heute verstehen. Vor allem bei Verfahren mit politischem Hintergrund.

    Der "Rechtsanwalt" war dort immer der Abgesandte der Staatsanwaltschaft etwa nach dem Motto "Guter Polizist - Böser Polizist". Beide, Staatsanwalt und Rechtsanwalt waren Erfüllungsgehilfen der jeweiligen Parteileitung. Die Ergebnisse und der Ablauf von Prozessen in politischen Verfahren wurden vorher festgelegt, alles lief exakt nach Drehbuch.
    Ich habe diese Passage einem Beitrag von "Hanfried" aus Jena entnommen, der das vor nun fast schon sieben Jahren in einem von zwei parallelen Threads des "Politikforum" schrieb, in denen über Gysi diskutiert wurde.

    Ich habe damals unter meinem alten Nick "DK" dort mitdiskutiert und unter anderem auf einen Text aufmerksam gemacht, auf den man alle, die sich für Gysis Tätigkeit als DDR-Rechtsanwalt interessieren, nicht nachdrücklich genug hinweisen kann: Die Drucksache 13/10893 des Deutschen Bundestags, 13. Wahlperiode, vom 29. 05. 1998.

    Das ist - so der vollständige Titel - der
    Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuß) zu dem Überprüfungsverfahren des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi gemäß § 44 b Abs. 2 Abgeordnetengesetz (Überprüfung auf eine Tätigkeit oder eine politische Verantwortung für das Ministerium für Staatssicherheit/ Amt für Nationale Sicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik)
    Wenn Sie die Zeit erübrigen können - lesen Sie bitte diesen Bericht. Lesen Sie vor allem auch sorgfältig die Stellungnahme des Abgeordneten Dr. Gysi (S. 51ff des Berichts), und bilden Sie sich dann Ihre Meinung. Und wenn Sie wissen wollen, was es alles an Dokumenten aus dem Kontext dieses Berichts gibt, dann finden Sie hier eine sehr sorgfältige Zusammenstellung.



    Ich habe mir meine Meinung gebildet. Es ist eine Meinung, die zu äußern man vorsichtig sein sollte, wenn man nicht von dem Abgeordneten Dr. Gregor Gysi in einen Rechtsstreit verwickelt werden will.

    Es ist allerdings eine Meinung, die auch mein Urteil über die heutige politische Arbeit des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi und mein Urteil über die Absichten der Partei bestimmt, deren Fraktionsvorsitzender er gegenwärtig ist.



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