28. Mai 2008

Marginalie: Plurium Interrogationum. Ein aktuelles Beispiel für schlechte Demoskopie

Zu den klassischen Mitteln der unfairen Rhetorik gehört das Plurium Interrogationum. Dabei werden Voraussetzungen und Implikationen in die Frage eingebaut, die der Befragte akzeptieren muß, um überhaupt antworten zu können.

Das klassische Beispiel ist die Frage: "Hast du aufgehört, deinen Vater zu schlagen - ja oder nein?" Der Befragte, der seinen Vater nie geschlagen hat, kann mit ja oder nein beantworten - er bekennt sich immer des Schlagens schuldig. Denn die Frage macht eine Voraussetzung - daß er überhaupt seinen Vater geschlagen hat -, die er als richtig akzeptiert, sobald er mit einer der vorgegebenen Alternativen antwortet.

Ein Beispiel für ein Plurium Interrogationum findet man im aktuellen "Spiegel" (22/2008; S. 37) unter der Überschrift "Umfrage". Da werden neben der obligatorischen Sonntagsfrage und dem üblichen Ranking der Politiker auch noch die Antworten auf einige aktuelle politische Fragen vorgestellt.

Eine dieser Fragen des Instituts TNS Forschung (Emnid) lautet: "Welche Maßnahme wäre Ihrer Meinung nach am effektivsten, um der wachsenden Ungleichheit in der Gesellschaft entgegenzuwirken?"

Diese Frage setzt erstens voraus, daß es überhaupt eine "wachsende Ungleichheit in der Gesellschaft" gibt. Hat man diese Voraussetzung akzeptiert, dann muß man, um die Frage beantworten zu können, zusätzlich die zweite Voraussetzung akzeptieren, daß es wünschenswert ist, dieser angeblichen wachsenden Ungleichheit entgegenzuwirken.

Akzeptiert man die erste Voraussetzung nicht, dann stellt sich die Frage gar nicht erst, ob man die zweite akzeptiert. Man kann dann die Frage nicht beantworten. Akzeptiert man die erste, aber nicht die zweite Voraussetzung, dann kann man die Frage ebenfalls nicht beantworten.

Allenfalls durch die Gegenfrage "Warum sollte man?" könnte man sie dann beantworten; aber die war für die Interviews nicht vorgegeben.

Sondern vorgegeben waren die Alternativen: "Bessere Bildungschancen für Kinder aus sozial schwachen Familien" - "Niedrigere Steuern für Geringverdiener" - "Konsequentere Bekämpfung der Arbeitslosigkeit" - "Flächendeckende Einführung von Mindestlöhnen" - "Höhere Steuern für Reiche".

Voreingenommener konnten die Demoskopen von TNS Forschung schwerlich fragen.

Sie entnehmen die erste Voraussetzung (daß die soziale Ungleichheit wachse) bestimmten Darstellungen aus überwiegend linken Quellen. Sie entnehmen die zweite Voraussetzung (daß dieser angebliche Ungleichheit entgegengewirkt werden müsse) linker Programmatik, die eine egalitäre Gesellschaft anstrebt.

Und sie geben den Befragten dazu auch noch Alternativen vor, von denen drei (Steuersenkungen für Geringverdiener, höhere Steuern für Reiche, Mindestlöhne) geradezu aus der Programmatik von "Linke" und SPD abgeschrieben sind. Allenfalls die beiden verbleibenden (bessere Bildungschancen, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit) sind halbwegs parteipolitisch neutral.



Ich habe denjenigen, die die Demoskopie in toto für Humbug oder für ein Mittel zur Manipulation von Daten halten, immer entgegengehalten, daß Aussagen aufgrund von Umfragen, wenn sie auf einer hinreichend großen Datenbasis beruhen und wenn die Methoden der Inferenzstatistik richtig angewandt werden, so zuverlässig sind wie alle sozialwissenschaftlichen Aussagen, wenn die Daten methodisch richtig erhoben und analysiert werden.

Aber es gibt bei Umfragen eine entscheidende Schwachstelle: Die Formulierung der Fragen und der Antwortalternativen.

Dies so zu tun, daß man die vorhandenen Einstellungen und Meinungen objektiv mißt und nicht das, was man bekommen möchte, durch die Fragestellung bereits vorwegnimmt oder suggestiv beeinflußt - das ist die Kunst des guten Demoskopen. Es ist das, was über die einfache Anwendung standardisierter wissenschaftlicher Methoden hinausgeht.

Es ist die Kunst des guten Demoskopen; es ist freilich auch eine Versuchung für den schlechten Demoskopen.

Die Demoskopen von TNS Forschung sind mit dieser Frage dieser Versuchung ziemlich jämmerlich erlegen. Schlechte Arbeit.



Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.