27. Mai 2008

Deutschland im Öko-Würgegriff (8): Über Fußabdrücke und die Metaphysik der "Klimabilanz"

Religionen liefern oft eine Richtschnur, einen Maßstab, an dem der Gläubige alles messen kann, was er tut oder läßt.

Ist es gottgefällig? fragt der Christ. Bringt es mich dem Nirwana näher? fragt der Buddhist. Ist es günstig für die CO2-Bilanz? fragt der Umweltgläubige.

Oder auch: Ist es CO2-freundlich? So jedenfalls steht es im Titel eines Artikels von Marlies Uken, der seit gestern in "Zeit Online" zu lesen ist. Genau lautet dessen Überschrift: "CO2-freundlich shoppen".

CO2-freundlich, das ist natürlich nicht gemeint. So wenig, wie es das Bestreben des Christen ist, ein teufelgefälliges Leben zu führen, oder das des Buddhisten, so zu leben, daß ihm eine Inkarnation auf einer tieferen, vom Nirwana weiter entfernten Stufe droht.

Aber nun gut, "CO2-freundlich", das klingt freundlicher als das eigentlich gemeinte "CO2-feindlich".

Denn darum geht es. Dem CO2 in der Atmosphäre soll dadurch zuleibe gerückt werden, daß wir alles, wofür wir unser Geld ausgeben, danach bewerten, wieviel C02 denn bei seiner Erzeugung verbraucht wurde.

Wir sollen dann zum Produkt mit der jeweils günstigsten "Klimabilanz" greifen.

Damit wir diese kennen, wird - so die Idee - jedem Produkt ein "Fußabdruck" mitgegeben, der angibt, wieviel CO2 denn bei seiner Herstellung erzeugt wurde.

Ein Viertelliter Orangensaft, aus Konzentrat gewonnen, erweist sich beispielsweise als günstiger als dieselbe Menge - so heißt das offenbar - "Direktsaft"; also Saft, dem man nicht erst Wasser entzogen und dann wieder hinzugefügt hat. So steht es jedenfalls in dem Artikel, gleich zu Beginn.

Kunststück, denke ich mir als Laie: Wenn der komplette "Direktsaft" vom Erzeuger irgendwo näher am Äquator zu mir geflogen wird, dann verbraucht das mehr Treibstoff, als wenn ein kompaktes Konzentrat die Reise macht, das erst hier in Deutschland wieder in Orangensaft verwandelt wird.

Andererseits verbraucht ja dieses Eindicken und wieder Auffüllen auch Energie. Da heißt es also messen und rechnen, damit wir die richtige Klimabilanz bekommen. So, wie der Christ, der ein gottgefälliges Leben führen will, sich immer fragen sollte, ob eine gut gemeinte Handlung sich nicht am Ende als sündhaft erweist.



Dies zu entscheiden mag für den Frommen nicht immer einfach sein; aber es ist ein Klacks gegen die Herkulesarbeit, die Klimabilanz eines Produkts zu ermitteln. Bevor ich den Artikel von Marlies Uken weiterlas, habe ich mir das für den Orangensaft überlegt.

Gut, wenn er während des Transports dank Dehydrierens leichter ist, verbraucht dieser Transport weniger Treibstoff, erzeugt also weniger CO2. Das De- und Rehydrieren andererseits verbraucht Energie, und es wird dabei CO2 emittiert. Also rechnen wir das eine gegen das andere auf, und fertig ist die Laube.

Ist sie? Ja, was ist denn mit der Klimabilanz bei der Herstellung der Maschinen, die das De- und Rehydrieren leisten? Was mit dem Transport der Maschinenteile, aus denen sie zusammengeschraubt wurden, einem Transport vielleicht rund um die Welt? Und die Arbeiter, die diese Maschinen bedienen, haben die etwa keine Klimabilanz?

Wer weiß, vielleicht sind sie ja gar Liebhaber von Rindfleisch, und jedes Kilo Soja, das das geschlachtete Rind einst gefressen hat, verschlechtert die Klimabilanz des O-Safts aus Konzentrat.

Denn das müssen wir doch sehen: In der Umwelt hängt alles mit allem zusammen. Mein Orangensaft ist belastet durch das CO2, das vom tropischen Regenwald nicht aufgenommen wird, weil er gerodet wurde, um Soja anzupflanzen, das das Rind frißt, das das Steak liefert, das der Arbeiter ißt, der die Maschine bedient, die dem Konzentrat das Wasser zuführt, das ihn wieder zu dem Orangensaft macht, den ich kaufe.

Tut mir leid, lieber Leser. Einfacher ist es leider nicht. Sondern in Wahrheit noch viel komplizierter. Denn auch das Roden des Regenwaldes erzeugt ja wieder CO2; die eingesetzten Maschinen erzeugen es, die Arbeiter atmen es aus. Und diese Maschinen, die den tropischen Regenwald roden, die müssen ja auch gebaut und in den Wald transportiert worden sein, was schließlich wiederum CO2 erzeugt. Und die Menschen, die diese Arbeiten verrichten, müssen zum Arbeitsplatz fahren, und dabei wird wiederum CO2 emittiert.



Sie ahnen, auf welchen Weg wir uns mit solchen Überlegungen gemacht haben. In einer kausal geschlossenen Welt, in dem "Umwelt" genannten Teil dieser unserer Welt, sind die Ereignisse derart miteinander verkettet, daß wir schon ein komplettes Weltmodell brauchen, um seriös zu errechnen, wieviel CO2 denn nun tatsächlich erzeugt wurde, damit ich mein Glas Orangensaft aus Konzentrat trinken kann.

Es ist ein wahrhaft heroisches Unterfangen, auf das sich die einschlägigen Firmen da eingelassen haben. Beispielsweise die britische Supermarkt- Kette Tesco, die unserer Autorin Marlies Uken als Beispiel dient. Sie hatte angekündigt, für alle ihre 70.000 Produkte die "Klimabilanz" errechnen zu lassen und auf den Packungen anzugeben. Für 20 Produkte sei das bisher gelungen, erfahren wir am Ende des Artikels.

Ich bezweifle das. Ich bin sicher, daß es nur deshalb scheinbar "gelungen" ist, weil denjenigen, die diese Klimabilanz ausrechnen sollten, irgendwann der metaphysische Wahnwitz ihres Vorhabens aufgegangen ist und sie in einem dezisionistischen Verzweiflungsakt einfach Schluß gemacht haben mit dem Weiterverfolgen der Ereignisketten.

Als sie nämlich merkten, daß sie beim Zurückverfolgen unweigerlich beim Urknall ankommen würden.



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