20. September 2009

Zettels Meckerecke: Gregor Gysi, eine Flucht aus der DDR, die Freiheit der Presse

Als ich den Artikel von Peter Wensierski in "Spiegel- Online" gelesen hatte, schien er mir zunächst keinen Kommentar hier in ZR wert zu sein.

Wieder einmal war Material zutage gefördert worden, das zeigte, wie der DDR-Rechtsanwalt Gregor Gysi vertrauensvoll mit den höchsten Stellen seines Staats und seiner Partei zusammenarbeitete. Diesmal ging es - man schrieb das Jahr 1988, in dem Gysi auch Vorsitzender der Ostberliner Rechtsanwaltskammer wurde - um einen DDR-Wissen­schaft­ler, der sich in den Westen abgesetzt hatte.

Verständlicherweise hätte die SED ihn gern zur Rückkehr bewegt. Also fuhr Gysi zu einem Gespräch mit ihm nach Westberlin, das aber nicht den erhofften Erfolg zeitigte.

Glaubt man Wensierski, dann handelte es sich um eine "Rückführungsaktion", an welcher "der für Sicherheit zuständige ZK-Funktionär Wolfgang Herger, der Stellvertreter Erich Mielkes, Rudi Mittig, sowie Egon Krenz" beteiligt waren; Mittig habe dem "Einsatz Gysis" zugestimmt.

Glaubt man Gysi, dann hat er lediglich einem Abteilungsleiter beim ZK der DDR einen persönlichen Gefallen tun wollen, der die Ausreise des Wissenschaftlers "ermöglicht" hatte und der durch dessen Flucht nun in die Bredouille geraten war.

Mir scheint es ohne Belang zu sein, ob die eine oder die andere Version stimmt.

Gysi hatte jedenfalls - und das hat er auch nie bestritten - beste Kontakte zum ZK der SED. Er war nicht irgendein Rechtsanwalt, der sich der undankbaren Aufgabe hingab, Dissidenten zu verteidigen. Sondern er gehörte schon in jungen Jahren zur Crème der DDR-Nomen­klatura mit unmittelbarem Zugang zu den höchsten Stellen; siehe Zitat des Tages: Grüße des Genossen Honecker an den Rechtsanwalt Gysi; ZR vom 20. Mai 2008.

Ob man ihn nun beauftragt hatte, den abtrünnigen Wissenschaftler zu einem Gespräch aufzusuchen, oder ob er das das aus freien Stücken tat, um einem der Mächtigen der DDR einen Gefallen zu tun - jedenfalls handelte er als der Mann des Machtapparats der DDR. Gysis eigene Version weist ja im übrigen noch mehr als die Wensierskis auf den Rang hin, den Gysi damals in der Nomenklatura einnahm.



Soweit also nichts Neues. Versuche, Gysi eine Stasi- Verstrickung nachzuweisen, kommen mir immer etwas neben der Sache liegend vor. Natürlich war ein Mann von seiner Bedeutung innerhalb der Machthierarchie der DDR kein popeliger Spitzel; daß ihn dieser Vorwurf empört, kann ich nachvollziehen. Nicht ob und wie er mit dem MfS zusammengearbeitet hat, ist für die Beurteilung Gysis von Belang, sondern es ist seine Rolle innerhalb des Herrschaftsapparats der Kommunisten.

Diese nun scheint ihn bis heute zu prägen. Und zwar nicht nur, was seine im wesentlichen unveränderten politischen Ansichten angeht; sondern auch in seinem Umgang mit der Freiheit des Wortes.

Das geht - wieder einmal; man kennt es ja von Gysi - aus einem zweiten Artikel hervor, der gestern Abend erschienen ist, und zwar in "Welt- Online". Darin begibt sich der Autor Thomas Vitzthum gewissermaßen auf die Metaebene und beschreibt die Umstände des Artikels von Wensierski; also die Geschichte hinter der Geschichte.

Danach hatte Wensierski an Gysi, wie das bei solchen Recherchen üblich ist, ein Fax mit einer Reihe von Fragen geschickt. Gysis Reaktion laut Thomas Vitzthum:
"Was ist dabei Ihr Problem", fragt Gysi in seinem Schreiben den Autor Wensierski im Hinblick auf sein Verhalten im Mai 1989 [laut Wensierski 1988; Anmerkung von Zettel]. (...) Darüber hinaus bezichtigt er das Nachrichtenmagazin, mit dem Artikel Wahlkampf zu machen.

Schließlich droht er mit juristischen – "Gegendarstellungen, Unterlassungen und Widerrufe" – und finanziellen Konsequenzen; wohl gemerkt noch bevor der Text überhaupt veröffentlicht war. Beigelegt ist dem Konvolut auch das Anschreiben an die Chefredakteure des Magazins; darin bedauert es Gysi, dass man zwar kürzlich noch zusammen Kaffee getrunken habe, die betreffenden Fragen aber nicht gestellt wurden. "Mal sehen, ob das Ganze im Prozess endet oder vielleicht noch anders gehandhabt werden kann", schreibt Gysi.
So kennen wir ihn, den Gregor Gysi. Er weiß sich in Machtgefügen zu bewegen; hier jetzt in demjenigen zwischen einer Chefredaktion und einem ihrer Redakteure. Und er weiß zu drohen und zu locken.

Der Hinweis auf diese besonderen Fähigkeiten des Gregor Gysi schien es mir nun doch wert zu sein, diesem Thema eine "Meckerecke" zu widmen. Schon um das zu zitieren, was der in Sachen SED kenntnisreiche Hubertus Knabe laut Thomas Vitzthum dazu anmerkt:
"Gysi versucht gegen die Pressefreiheit vorzugehen", sagte Knabe. Seit Jahren wolle der Politiker all diejenigen mundtot machen, die seine Kontakte zur Staatssicherheit der DDR anprangern. "Das passt zu den sonstigen programmatischen Vorstellungen der Partei", sagte Knabe weiter, "die privaten Medien unter staatliche Aufsicht zu stellen."
Das ist, so scheint mir, der Kern der Sache. Der letzte Vorsitzende der SED hat es geschafft, seine Partei nicht nur in die Bundesrepublik hinüberzuretten, sondern ihr in dieser auch wieder zu Macht und Einfluß zu verhelfen. Jetzt arbeitet er am nächsten Versuch des Übergangs zum Sozialismus; mit derselben Intelligenz und demselben Geschick, die damals seinen Aufstieg in die Machtelite der SED ermöglicht hatten.



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