8. September 2009

Marginalie: "Deutsche Soldaten weinen", sagt Mohammed Omar. Wer ist eigentlich in Afghanistan ein Zivilist?

Die Geschichte stand gestern in "Spiegel- Online"; jetzt wird sie auf der Startseite nicht mehr angeboten. Ein Passage daraus scheint es mir aber doch wert zu sein, festgehalten zu werden.

Aus Afghanistan berichtet für "Spiegel-Online" Ulrike Demmer. Diese Story hat sie zusammen mit einem Zweitautor verfaßt, Shoib Najafizada, offenbar einem Afghanen.

Diesem ist es gelungen, den Gouverneur der Provinz Kundus zu interviewen, Mohammed Omar. Und der hatte Bemerkenswertes über die Bombardierung der beiden Tank- Lastzüge zu sagen:
Der Gouverneur der afghanischen Provinz Kunduz bezeichnete das Vorgehen der Deutschen als vorbildlich. Der zuständige Oberst Georg Klein habe "die richtige Entscheidung zur richtigen Zeit getroffen und dabei sehr besonnen gehandelt", sagte Mohammed Omar dem SPIEGEL.

Man habe in der Vergangenheit die deutschen Soldaten immer wieder dafür kritisiert, dass sie nicht robust genug aufträten. "Entweder fliehen sie in ihr Camp oder sie sitzen da und weinen", sagte Omar. Die Bevölkerung habe schon den Eindruck gewonnen, die Deutschen arbeiteten mit den Taliban zusammen.
Eine nicht unverständliche Sichtweise in einer Gegend, in der nahezu jeder erwachsene Mann sich als Krieger versteht. Soldaten, die sich nicht aus ihren gepanzerten Fahrzeugen heraustrauen und die den Kampf zu vermeiden suchen, müssen einer solchen Mentalität suspekt erscheinen.

Übrigens trifft sich die Sichtweise des Gouverneurs in dieser Hinsicht mit derjenigen amerikanischer Militärexperten; siehe bombardierte Tanklastzüge, die Taliban, der deutsche Wahlkampf; ZR vom 7.9.2009.

Und wie sieht Mohammed Omar das mit den zivilen Opfern?
Ob und wie viele zivile Opfer zu beklagen seien, konnte der Gouverneur nicht sagen, "aber die Deutschen haben die volle Unterstützung der Bevölkerung. Bei uns sind keine Beschwerden über zivile Opfer eingegangen, wie das sonst in solchen Fällen üblich ist." Augenzeugen hätten berichtet, es seien 60 bewaffnete Taliban vor Ort gewesen und 15 bis 20 weitere Personen. "Aber nachts um halb drei traut sich in dieser Gegend, die über vier Kilometer vom nächsten Dorf entfernt ist, kein normaler Zivilist auf die Straße", sagte Omar. Wer sich bei den Tanklastern aufgehalten habe, müsse kriminell oder Unterstützer der Taliban gewesen sein.
Die Sichtweise eines Gouverneurs, gewiß; also parteilich. Aber eine Sichtweise, die man vielleicht doch auch in Deutschland zur Kenntnis nehmen sollte.



Zu den Seltsamkeiten der gegenwärtigen deutschen Diskussion gehört es, daß sie von einer klaren Unterscheidung zwischen "Taliban" und "Zivilisten" ausgeht.

Nun sind aber alle Taliban Zivilisten. Sie tragen keine Uniform; sie tragen noch nicht einmal Abzeichen, die sie als Kombattanten ausweisen, oder entsprechende Papiere. Es sind einfach Männer, die mit Waffen ausgerüstet sind. Aber nicht jeder, der in Afghanistan eine Waffe trägt, ist andererseits ein Talib. Die Waffe gehört dort zum Mann, der eben - siehe oben - jedenfalls in den Stammesgebieten auch ein Krieger ist.

Also ist es schon dann, wenn man einen lebenden Mann vor sich hat, alles andere als einfach, zu entscheiden, ob er ein Talib ist oder ein anderer Zivilist. Erst recht gilt das für Leichen, für noch dazu verkohlte Leichen nach einem Angriff auf einen Tank- Lastzug.

Und ein Weiteres kommt hinzu: Nicht nur ist es schwer, einen Afghanen als Talib zu identifizieren. Sondern die Grenze ist ja als solche fließend. Es gibt Vollzeit- Terroristen, es gibt Freizeit- Terroristen, die in ihrem Dorf wohnen, es gibt Sympathisanten, es gibt Menschen, die mehr oder weniger gezwungen mit den Taliban kooperieren.

Die Vorstellung, eine Untersuchung könne herausfinden, wieviele der bei dem Angriff ums Leben Gekommenen "Zivilisten" waren, ist naiv.



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