30. September 2009

Marginalie: Schon wieder muß ich Daniel Cohn-Bendit zustimmen. Anmerkung zur Affäre Polanski

Daniel Cohn-Bendit, wenn er im deutschen TV auftritt, ist mir schwer erträglich: Dieses Pathos, diese mit reichen Gesten unterstrichene Rhetorik, diese emotionale Färbung auch noch der trivialsten Feststellung. Einer, der ständig ein wenig zu aufgeregt ist. Nach deutschen Maßstäben.

Daniel Cohn-Bendit ist einer der wenigen Menschen, die wirklich binational sind. Er ist Sohn eines Deutschen und einer Französin. Er hat seine Kindheit in Frankreich verbracht, seine Gymnasialzeit bis zum Abitur in Deutschland. Als Student war er, wie man weiß, einer der Anführer der 68er Revolte in Frankreich; "Dany le Rouge". Der rote Dany - das mag auf seinen Haarschopf verwiesen haben, vor allem aber auf seine politische Haltung. Er soll zwecks Beförderung der Revolution die tolle Idee beigesteuert haben, die Trikolore durch eine rote Fahne zu ersetzen.

Aufgrund seiner Revoluzzerei wies ihn Frankreich aus; und in den nächsten Jahrzehnten war er ein Deutscher. Ein Frankfurter Sponti; einer dieser Polit-Intellektuellen, die nie etwas Anständiges gelernt und die nie einen richtigen Beruf ausgeübt haben. In der Partei "Die Grünen" konnte er nicht recht reüssieren; außer auf der Europa- Ebene. Inzwischen hat er das, was man gern den "Lebensmittelpunkt" nennt, wieder nach Frankreich verlagert.

Also hat man ihn in den letzten Jahren oft im französischen Fernsehen gesehen. Gesehen und gehört; auch in Sendern wie LCP und France24, die man auch in Deutschland empfangen kann. Und schau an: Da wirkte Cohn-Bendit auf mich ganz anders. Seine Rhetorik wird im lateinischen Kulturkreis nicht so wahrgenommen wie im teutonischen. Da ist nichts Clowneskes; da fügt einer sich ein in seine intellektuelle Umgebung.



Mich hat diese überraschende Erfahrung dazu gebracht, Cohn-Bendit mit anderen Augen zu sehen. Ein Kommunist war er ja nie, schon gar nicht ein Stalinist. Er war ein linker Anarchist. Zwischen den, sagen wir, nicht- spinnerten Anarchisten und uns Liberalen gibt es durchaus interessante gemeinsame Fragen; vielleicht sogar die eine oder andere übereinstimmende Antwort.

Zum Beispiel, was die Freiheit Osteuropas angeht, die durch den russischen Imperialismus bedroht wird. Dazu hat Cohn-Bendit sich bemerkenswert klar geäußert, im Verein mit keinem Geringeren als Otto von Habsburg; siehe Ein gemeinsamer Text von Otto von Habsburg und Daniel Cohn-Bendit - kann es das geben? Es gibt es; ZR vom 24.2.2009.

Und nun wieder: Es geht um die Affäre Polanski. Der Regisseur Roman Polanski ist bekanntlich seit Jahrzehnten auf der Flucht vor der amerikanischen Justiz, die ihm vorwirft, im Jahr 1977 eine Dreizehnjährige sexuell mißbraucht zu haben. Nun wurde er in der Schweiz festgenommen; über seine Auslieferung muß entschieden werden.

Eigentlich sollte man meinen, daß eine solche Affäre eine juristische Angelegenheit ist. Es geht da um Rechtssysteme, um Auslieferungsrecht, natürlich auch um die Schuld oder Nichtschuld Polanskis.

Aber in Frankreich - Polanski ist französischer Staatsbürger - erhob sich eine Welle der Unterstützung, die bis in die Regierung hineinreichte. Der Außenminister Kouchner setzte sich für ihn ein. Der Kultusminister Frédéric Mitterand fand gar - so zitiert ihn der Nouvel Observateur - die Festnahme Polanskis "absolument épouvantable"; ganz und gar entsetzlich. Und das wegen, so Mitterand, einer "histoire ancienne qui n'a pas vraiment de sens"; einer alten Geschichte, die eigentlich keinen Sinn hat.

Das löste, man kann es sich denken, Widerspruch aus. Und unter den deutlich Widersprechenden war Daniel Cohn-Bendit. Der Nouvel Observateur:
"C'est une des histoires les plus dures puisque c'est vrai qu'il y a eu viol sur une jeune fille de 13 ans qui elle-même dit : 'j'ai pas porté plainte' et à un moment elle dit 'j'ai reçu beaucoup d'argent'", a déclaré Daniel Cohn-Bendit sur Europe 1.

"C'est un problème de justice et je trouve qu'un ministre de la Culture, même s'il s'appelle Mitterrand, devrait dire : j'attends de voir les dossiers", a ajouté l'ancien leader de mai 68 prenant le contre-pied des nombreux soutiens en France apportés au réalisateur, y compris au sein du gouvernement et de la majorité.

"Das gehört zu den härtesten Vorfällen. Denn es ist ja wahr, daß ein dreizehnjähriges Mädchen vergewaltigt wurde, das selbst gesagt hat: "Ich habe keine Anzeige erstattet", und dann hat sie auch gesagt: "Ich habe viel Geld erhalten". Das sagte Cohn-Bendit auf [dem französischen Sender; Zettel] Europe 1.

"Es handelt sich um ein Problem der Justiz, und ich finde, daß ein Kultusminister, auch wenn er Mitterand heißt, sagen sollte: Ich möchte erst einmal die Akten sehen", fügte der einstige Anführer des Mai 1968 hinzu. Damit positionierte er sich gegen zahlreiche Unterstützungen, die dem Regisseur in Frankreich zuteil geworden waren; auch innerhalb der Regierung und der Regierungskoalition.
Gut tat er daran, der Daniel Cohn-Bendit, sich so zu positionieren. Wie auch im Fall der Freiheit Osteuropas.

Nein, so richtig ans Herz wachsen wird er mir damit nicht. Er kann sich bemerkenswert flegelhaft benehmen, wie zum Beispiel gegenüber dem tschechischen Staatspräsidenten; siehe Ein Dialog zwischen dem Abgeordneten Daniel Cohn-Bendit und dem Staatspräsidenten Vaclav Klaus; ZR vom 8.12.2008.

Cohn-Bendit war und ist immer noch ein linker Phantast und ein Mensch mit außerordentlich schlechten Manieren. Einer von diesen Leuten, bei denen man den Eindruck hat, daß sie in der Pubertät steckengeblieben sind. Aber er ist auch ein Mann mit Courage und einer, von dem ich denke, daß er das meint, was er sagt. Sein Eintreten für Freiheit und Rechtsstaatlichkeit nehme ich ihm ab.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.