15. Mai 2009

Marginalie: Warum will Obama die Folter-Fotos nicht freigeben? Nebst einer Erinnerung an den Umgang mit Präsident Bush

Präsident Obama hat entschieden, entgegen einem Gerichtsbeschluß Fotos von Folterungen im Irak nicht zu veröffentlichen.

Welche Reaktionen eine solche Entscheidung Präsident Bushs bei unseren Kommentatoren ausgelöst hätte, kann man sich denken. Da aber Präsident Obama so etwas wie Welpenschutz genießt, bleiben solche vernichtenden Kommentare jetzt aus. Jedenfalls habe ich keine gefunden.

Obama hatte zunächst die Veröffentlichung angeordnet und dann seine Entscheidung revidiert. Warum? Dazu liefert der außenpolitische Redakteur des Nouvel Observateur Vincent Jauvert interessante Hintergrund- Informationen. Nach Auffassung Jauverts haben vier Motive eine Rolle gespielt:
  • Der vom Weißen Haus genannte Grund, die Veröffentlichung könne die Sicherheit der US-Truppen im Irak und in Afghanistan gefährden. Damit freilich hätte Obama schon rechnen können, als er zunächst die Freigabe anordnete, meint Jauvert. Obama sagt nun allerdings, er hätte die Fotos noch nicht gesehen gehabt, als er diese Entscheidung fällte. Auch hätten danach Generäle Vorbehalte angemeldet. Jauvert merkt dazu an, das sei plausibel, zeige freilich einen unsicheren Präsidenten.

  • Obama hat erst kürzlich General McChrystal zum Befehlshaber der Truppen in Afghanistan ernannt. McChrystal war zuvor im Irak der Chef jener Spezialtruppen gewesen, die gezielt gegen die Führer der Kaida vorgingen und dabei vermutlich auch Folter einsetzten. Eine Veröffentlichung der Fotos hätte zu einer Diskussion über McChrystal führen können.

  • Weiterhin hat laut Jauvert die Entscheidung Obamas eine innenpolitische Dimension. Obamas demokratischer Parteifreundin Nancy Pelosi, Präsidentin des Repräsentantenhauses, wird vorgeworfen, sie sei schon seit 2002 in die Folterpraktiken eingeweiht gewesen, hätte dazu aber geschwiegen. Obama wolle diese Diskussion nicht noch weiter dadurch anheizen, daß die Fotos veröffentlicht werden.

  • Viertens passe sich Obama der Öffentlichen Meinung an. Die Mehrheit der Amerikaner ist gegen eine Veröffentlichung weiterer Folter- Fotos. So, wie übrigens auch die Zahl derer wächst, die Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung haben, das Gefängnis in Guantánamo zu schließen.

  • Kommentar: Daß Obama zunächst der Veröffentlichung zustimmte und sich erst dann genauer informierte, zeigt den Dilettantismus eines Mannes, der nun einmal ohne administrative und mit minimalen politischen Erfahrungen in das Amt des Präsidenten der USA katapultiert wurde.

    Ansonsten erscheinen mir die von Jauvert genannten Motive vernünftig und nachvollziehbar. Der Präsident einer Nation, die sich im Krieg befindet, hat das Wohl der kämpfenden Truppe und das Ansehen seiner militärischen Führung im Auge zu haben; und daß ein Präsident bei seinen Entscheidungen auch die innenpolitische Lage berücksichtigt, ist nicht zu beanstanden.

    So war es auch, wenn Präsident Bush vergleichbare Entscheidungen getroffen hat. Nur, daß er dafür von unseren Kommentatoren in Grund und Boden kritisiert wurde.



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