27. Mai 2021

Streiflicht: Die Nummer mit dem Doktor

Franziska Giffey hat es am Ende doch nicht geschafft: So wie es derzeit aussieht, wird man ihr den Doktor wohl aberkennen, der politische Schmuh mit der Rüge war dann doch wohl zu schräg. Was die SPD nicht daran hindert den Rücktritt (bevor man sie dazu nötigt) so laut zu beklatschen, wie es nur geht. Aber Integrität wird heutzutage ja weit überschätzt.
Annalena Baerbock, die große Kanzlerhoffnung der Linken kämpft derzeit mit ähnlichen Problemen, wenn auch auf kleinerem Niveau. Der von ihr reklamierte Bachelor war ein reines Phantasieprodukt, ihre tatsächliche Ausbildung beschränkt sich auf ein gescheitertes Politikstudium in Deutschland und ein einjähriges Masterstudium in England, an dessen Endergebnis man durchaus Zweifel haben kann. 

23. Mai 2021

André Maurois – „Der Krieg gegen den Mond“ (1927)





(Fragment einer Weltgeschichte, erschienen im Verlag der Universität C-mb-e, 1992)
Kapitel XVIII.

Die globale Lage im Jahr 1962
Bis zum Jahr 1962 waren die letzten Spuren der Zerstörungen, die der Weltkrieg von 1947 hinterlassen hatte, beseitigt worden. New York, London, Paris, Berlin und sogar Peking waren wiederaufgebaut worden. Die Geburtenrate war so stark angestiegen, daß die Weltbevölkerung – trotz der mehr als 30 Millionen Todesopfer, die der Krieg von 1947 gefordert hatte – zur Zeit der weltweiten Volkszählung von 1961 das Vorkriegsniveau wieder erreicht hatte. Die Wirtschafts- und die Finanzkrise gingen zu Ende, und das Interesse an Sport und Kultur nahm wieder zu. Jeder Haushalt besaß jetzt ein Funkkino. Die Ballonolympiade von 1962 zwischen den Teams aus Tokio und Oxford lockte mehr als drei Millionen Zuschauer aus allen Teilen der Welt nach Moskau und war der Anlaß einer weltumspannenden Willkommensfeier.



Die Diktatoren der öffentlichen Meinung

Man muß gerechterweise einräumen, daß diese rasche Erholung, dieses unerwartet schnelle Verheilen der materiellen und moralischen Wunden, die der Krieg hinterlassen hatte, zum größten Teil das Werk jener fünf Männer war, die in jenen Jahren allgemein nur „die Diktatoren der öffentlichen Meinung“ genannt wurde. Seit 1930 waren die Politologen zu der Einsicht gelangt, daß in jeder Demokratie – in der die Politik von der öffentlichen Meinung bestimmt wird – die Macht zum größten Teil von denen ausgeübt wird, die die öffentliche Meinung beherrschen – also den Zeitungsverlegern. In allen Ländern zeigte sich, daß die größten Industriekapitäne und Finanziers darum bemüht waren, wichtige Zeitungen zu erwerben, und daß sie damit im Lauf der Zeit Erfolg gehabt hatten. Sie hatten sorgfältig darauf geachtet, daß die äußeren Formen der Demokratie erhalten geblieben waren. Die Bürger wählten weiterhin Abgeordnete in die Parlamente, und diese ihrerseits wählten Minister und Präsidenten - aber die Minister, Präsidenten und Abgeordneten behielten ihre Posten nur so lange, wie sie sich an die Vorgaben der Herren der öffentlichen Meinung hielten, und sie verhielten sich dementsprechend.

Diese verschleierte Tyrannei hätte gefährlich werden können, wenn die neuen Herren der Welt ihre Macht skrupellos ausgeübt hätten. Wie sich zeigte, war dies aber ein Glücksfall für die Welt gewesen. Im Jahr 1940 war die letzte unabhängige französische Zeitung von Grafen Alain de Rouvray für seinen Konzern „Les Journaux Français Réunis“ aufgekauft worden. Die Rouvrays waren eine Dynastie von Stahlmagnaten aus Lothringen, die die strenge puritanische Tradition dieser Gegen verkörperten. Alain de Rouvray besaß den Ruf, ein unermüdlicher Arbeiter und fast eine Art Heiliger zu sein. Im Louvre hängt sein Jugendbildnis, das von Jacques-Emile Blanche stammt und ihn im Alter von zwanzig Jahren zeigt. Das schmale Gesicht ist das eines strengen Asketen und erinnert in mehr als nur einer Hinsicht an Maurice Barrès. In England befand sich die British Newspapers Ltd. Seit 1942 im Besitz von Lord Frank Douglas, einem jungen Mann, der unter seinem umgänglichen Auftreten einen scharfen Verstand und in Eton geschulte Rechtschaffenheit verbarg. Mit seiner wilden blonden Mähne und seinen klaren blauen Augen wirkte Lord Frank eher wie ein Dichter als ein Mann der Tat. Der Herr über die amerikanische Presse war der alte Joseph C. Smack, ein etwas sonderbarer Mann, fast erblindet, der abgeschieden auf seinem Landsitz lebte, umgeben von einem Heer von Stenographen. Smack war für die schonungslose Respektlosigkeit seiner Radiogramme berüchtigt, genoß aber die Achtung der Weltöffentlichkeit. Der deutsche Zeitungsmagnat, Dr. Macht, und sein japanischer Kollege, Baron Tokungawa, stellten die anderen bedeutenden Mitglieder des Weltdirektoriums dar.

16. Mai 2021

H. G. Wells, “Der Mensch im Jahr eine Million” (1893)





Die Literatur, die es gibt, hat ohne Zweifel ihre Meriten, aber für philosophische veranlagte Köpfe sind die Bücher, die nicht geschrieben worden sind, weitaus faszinierender. Sie liegen einem nicht schwer in der Hand, das Umblättern entfällt. In schlaflosen Nächten kann man in ihnen ohne Kerzenlicht lesen. Ähnlich verhält es sich auch einem anderen Thema: der Mensch der Urzeit, wie wir ihn in den Werken der Anthropologen beschrieben sehen, ist sicher ein unterhaltsames und nettes Thema – aber der Mensch der Zukunft würde uns sicher um einiges mehr interessieren. Aber wo finden wir das geschildert? Wie Ruskin irgendwo mit Bezug auf Darwin schrieb: uns sollte nicht interessieren, was der Mensch einst gewesen ist, sondern was aus ihm wird.

Der philosophische veranlagte Leser, der im Lehnstuhl über diesen Satz nachsinnt, sieht vor sich in den Flammen des Kaminfeuers, durch den Rauch seiner Pfeife hindurch, eines dieser ungeschriebenen Bücher. Es ist großformatig, mit fettgedrucktem schwarzen Titel, und stammt anscheinend aus der Feder eines gewissen Professor Holzkopf, der an der Universität Weissnichtwo lehrt. „Die Merkmale des Menschen der fernen Zukunft, abgeleitet aus den Tendenzen der Gegenwart,“ lautet der Titel. Der verdiente Gelehrte geht streng nach den Methoden der Wissenschaft vor; seine Schlußfolgerungen sind zurückhaltend und vorsichtig, wie unser Leser feststellen muß – und doch sind diese Schlüsse bemerkenswert, vorsichtig gesagt. Wir vermuten, daß der Herr Professor sein Thema in aller Ausführlichkeit abhandelt, mit vielen Tabellen, aber wir erlauben unserem Leser – der das Buch ja als einziger lesen kann – sich an dieser Stelle auf ein paar passende Auszüge für ein Laienpublikum zu beschränken. Diese Passage etwa erscheint ihm verständlich genug, um sie zu zitieren: „Die Evolutionstheorie,“ schreibt der Professor, „wird heute von allen Zoologen und Botanikern anerkannt, und sie findet auch auf den Menschen Anwendung. Es herrschen noch Zweifel, ob sie seine geistige Entwicklung angemessen beschreibt, aber für seine körperliche Entwicklung wird sie als Erklärung akzeptiert. Der Mensch, so versichert man uns, stammt von affenähnlichen Vorfahren ab, die sich unter dem Einfluß von Umweltfaktoren zu Menschen entwickelten, und diese Affen stammten ihrerseits von niedrigeren Lebensformen ab – und so fort bis zum allersten Protoplasma. Wenn die Entwicklung des Universums nicht an einem Endpunkt angelangt ist, wird sich der Mensch auch in Zukunft weiterentwickeln – solange, bis er kein Mensch mehr sein wird, sondern einer anderen Lebensform Platz machen wird. Hier stellt sich sofort die faszinierende Frage: wie wird dieses Wesen beschaffen sein. Werfen wir einen Blick auf die Einflüsse, denen unser Äußeres unterliegt.

14. Mai 2021

Kernelemente einer freien Gesellschaft: was uns früher von einer Religion unterschieden hat. Ein Gastbeitrag von Frank2000



Die Geschichte der Menschheit ist voll von Gesellschaften, die die "WAHRHEIT" kannten. OK, eine solche "Wahrheit" ist dann manchmal von der Realität plattgemacht worden. Manchmal erst nach Jahrhunderten, manchmal schon nach fünfzehn Jahren. Das ändert aber nichts daran, dass ein sehr großer Teil der Menschen offensichtlich eine tief verwurzelte Sehnsucht nach der "Wahrheit" hat.

Solchen "Wahrheiten" nennt man "Staatsreligion" oder "Staatsideologie". Wobei es sich hier eher um eine künstliche Trennung handelt. In der Praxis ist zwischen einer "Religion" und einer "Ideologie" nur selten ein Unterschied auszumachen.

Die Bundesrepublik Deutschland hat nach dem Zweiten Weltkrieg einen anderen Weg eingeschlagen. Wir wollten die "freiheitlich-demokratische Grundordnung mit sozialen Elementen und verfassungsmäßig geschützen Grundrechten der Bürger" etablieren. In der Bonner Republik hat das auch ein paar Jahrzehnte ganz gut geklappt. Jetzt scheint es so, daß sich die Sehnsucht nach autoritäten Mechanismen - nach der "Wahrheit" - wieder durchsetzt. Ich versuche zu erklären, warum ich das so sehe.

Halten wir zunächst einmal fest, was keine Einschränkung einer "freiheitlich-demokratische Grundordnung" ist: Demokratische Prozesse und damit die "Diktatur der Mehrheit" sind kein grundsätzliches Hindernis. Es ist völlig normal und von unseren Gründervätern so gewünscht, daß es so was wie ein "aktuelles politisches Klima" gibt.

12. Mai 2021

Streiflicht: Wie heute Gesetze gemacht werden. Avanti Dillettanti!

Eine lustige Kleinigkeit. Dieser Autor wollte mal nachsehen, was denn nun gerade in seinem Bundesland gilt, wenn nun das Ermächtigungsgesetz mangels Inzidenz außer Kraft tritt. Und man kann nachsehen, das Land NRW bietet hier die Information an.

Ein schönes Gesetz, so mit allen möglichen Strafen und Verboten. Und ein handwerklich tolles Gesetz, ist es im Prinzip doch fast genau das selbe Gesetz wie vier Wochen zuvor. Wenn man es genau nimmt, dann ist es tatsächlich wie vier Wochen zuvor. Man hat den Header geändert und ein paar kleine Zeilen im Text und das war es dann. Und man war so gut in Copy&Paste, dass man sich nicht einmal die Mühe gemacht hat, das Gesetz auch nur noch einmal zu lesen. Sonst wäre vielleicht aufgefallen, dass man im letzten Paragraphen, der das Datum des Inkraft- und des Außer-Kraft-Tretens regelt, halt auch ein paar Daten drin hat, deren Kopie sich nicht ganz so anbietet. Denn dieses tolle Gesetz, datiert auf den 10. Mai, tritt nicht nur rückwirkend am 23. April in Kraft, nein, es tritt auch am 14. Mai wieder außer Kraft. Doll, oder?

9. Mai 2021

"Vom Verschwinden des Malers im Bild": Victor Segalen, "Peintures" (1916)





Tout ce que vous venez de voir, existe, si vous l’avez bien su voir. Mais ne faites point comme cet Empereur peu lettré du temps de SONG, à qui le Peintre vantait cette Peinture et les autres déjà déroulées, et qui se prit à soupirer lourdement.

Devant ces Palais dans les nues, devant ces abîmes accessibles, ces faces hantées, ces palpitations éclatantes, ces supplices pieux, ces lèvres rouges et ces flammes amantes, ces paysages écarquillés mieux que des visages, ces êtres démoniaques ou gesticulants, ces vies incarnées dans la soie, la porcelaine, les laques ou les laines ; le triomphe réglé des quatre saisons dans le ciel, — l’Empereur se prit à soupirer lourdement. Il déplorait que tout cela ne fût pas de son domaine, de sa maison.

8. Mai 2021

Dumm, schädlich aber nicht ungerecht. Eine kleine Provokation.

Die SED hat, gemäß ihren intellektuellen Möglichkeiten, mal wieder vorgeschlagen eine Vermögensabgabe in Deutschland umzusetzen. Und man ist nicht kleinlich, man möchte das reichste Prozent der Bevölkerung ordentlich zur Kasse bitten, gestaffelt mit einem Maximalenteignungssatz von 30 Prozent. "Großzügig" gestundet mit einem Zinssatz von 2 Prozent über die Frist von 20 Jahren. 

Auch wenn es was von Schattenboxen hat, so ist es zumindest interessant mal darüber nachzudenken was diese Abgabe alles ist. 

6. Mai 2021

Palmström@150. Vor 1½ Jahrhunderten wurde Christian Morgenstern geboren



Heute soll an dieser Stelle der vorerst letzte Hinweis in dieser kleinen Serie von Jubiläumshinweisen erfolgen, die die Laune der Chronologie in dieser Woche bereithält, nachdem in den letzten drei Tagen auf John Collier, Mynona und Napoleon verwiesen wurde. Heute vor 150 Jahren, am 6. Mai 1871, wurde nämlich im München Christian Morgenstern geboren. Und im Gegensatz zu seinem Zunftkollegen Salomo Friedländer und Collier ist der Dichter der "Galenlieder" un keineswegs zu den Verschollenen und Vergessenen der Literaturgeschichte zu zählen - auch wenn seit mittlerweile 100 Jahren alle Kritiker regelmäßig mutmaßen: wird Morgenstern eingentlich noch gelesen? Zudem stimmt es ja: zu ihrer Zeit bekannte, vielegelesene komische Poeten bleiben nicht lange im Gedächtnis der nachfolgenden Lesergenerationen erhalten. Julius Stettenheim, dessen "Persona" "Wippchen" angeblich von jedem Kriegsschauplatz seit dem deutsch-östereichischen Krieg von 1866 in Knittelversen berichtete, ist so verschollen wie die Gelegenheitsverse, die Frank Wedekind eine Generation später für den Münchner "Simplicissmus" lieferte. Selbst Joachim Ringelnatz oder Klabund (etwa mit seinem "Kinder-Verwirr-Buch" von 1931 dürften heute eher passionierten Lyrik-Lesern oder Fans der Roaring Twenties geläufig sein als dem allgemeinen Publikum. Wobei natürlich die Frage ist, was von der "leichten Muse" aus der literarischen Produktion der letzten 200, 250 Jahre überhaupt noch "päsent" ist. In diesem Phänomen dürfte sich der Wandel des Mediengebrauchs ebenso spiegeln wie das Vergehen der Zeit: lange Zeit war es normal, daß "klassische" Jazz-Stücke von der Swing-Ära an bis etwa zu Dave Brubeks "Take Five" in dieser Weise beim Hörpublikum in dieser Weise "präsent" waren; oder den Kanon der Ohrwürmer von Elvis, den Beatles bis zu dem großen Stars Ende der 1970er Jahre: seitdem hat der Wiedererkennungswert solcher Evergreens, ob nun als Musikstück, als ikonischer Filmauftritt oder als Merkvers rapide abgenommen.

5. Mai 2021

Napoleon und die Raumfahrt. Zwei kleine Erinnerungen



Nachdem vorgestern an dieser Stelle auf den 120. Geburtstag von John Collier verwiesen wurde und gestern auf den 150. von Salomo Friedländer alias "Mynona," soll heute der Hinweis auf den 200. Todestag Napoleon Bonapartes erfolgen, der am 5. Mai 1821 im Longwood House auf seiner Verbannungsinsel St. Helena an der einsamsten Stelle des Südatlantiks starb. (Genauer: an der zweiteinsamsten Stelle: die am weitesten von jedem anderen Flecken Land entfernte Insel ist Tristan da Cunha.) Solche kalendarisch-nomerologischen Häufungen haben keinen tieferen Sinn, wie Astrologen vermuten könnten: sie sind statistisch einfach unvermeidbar, wenn in der Welt genügend genau datierte Ereignisse wie in diesem Fall Geburtstag und Todesdatum registriert worden sind.

Ich gehe davon aus, daß die Person und die Taten des "kleinen Korsen," des "Weltgeists zu Pferde," auch heute noch hinreichend geläufig sind, um sie hier nicht weiter erörtern zu müssen. Und wenn nicht: die Bibliotheken sind gefüllt mit Arbeiten, Biographien, Spezialwerken zu jedem Aspekt seines Lebens. Sogar die in den letzten Jahrzehnten aufgekommene Frage, ob Napoleon wirklich einem Magenkrebs erlegen ist oder doch mit Arsen vergiftet wurde (oder durch das Schweinfurter Grün, das zur Einfärbung der Tapeten im Longwood House verwendet wurde und Arsen als Gas abgab) dürfte gemäß der Diagnose der Autopsie bestätigt worden sein.

4. Mai 2021

Mynona@150. Eine kleine Erinnerung an Salomo Friedländer





Gealtert fühlte sich Professor Faust;
Die Wissenschaft ließ ihn so unbefriedigt.
Er schließt, in einem seltsam kom'schen Zwielicht,
Mit Satan einen Pakt (jawohl, da schaust!).

Wird wieder jung (daß dich der Affe laust!),
Treibt's mit 'nem Backfisch (Hand vom Nähen schwielicht),
Und saust nach Griechenland (ist das ein Vieh nicht?).
Sie stirbt als Kindesmörderin (mir graust!).

Zurückgekehrt, wagt er sich an den Thron;
Der Teufel hilft, er wird des Staats Erretter.
Endet als Fürst mit eignem Schloß am Meer -
Natürlich graptscht der Satan jetzt voll Hohn
Nach seiner Seele. Doch ('s wird immer netter!)
Der Hölle jagt sie ab das Engelsheer.

- Mynona (aus: "Hundert Bonbons. Sonette," 1918)

Wenn John Collier, auf dessen 120. Geburtstag gestern an dieser Stelle verwiesen wurde, im deutschen Sprachbereich (und mittlerweile wohl auch im englischen), zu den unbekannten Autoren zu rechnen ist, dann ist Salomo Friedländer, der heute vor genau 150 Jahren, am 4. Mai 1871 im heute polnischen Gollantsch geboren wurde und der seine literarischen Werke unter dem Nom de plume "Mynona" veröffentlichte, zu den völlig Vergessenen. Manche Leser von Kurt Tucholsky werden sich vielleicht noch an diesen Namen im Zusammenhang mit Erich Maria Remarques "Im Westen nichts Neuues" erinnern, als "Mynona" die Veröffentlichung des Antikriegsromans zum Anlaß für eine scharfe Polemik nahm und "Tucho" ebenso scharf zurückschoß. Viellicht ist dem einen oder anderen Kenner der "Roaring Twenties" noch die "Tarzaniade" ein vage erinnerter Titel, mit der Mynona die Popularität, der Edgar Rice Burroughs' Dschungelheld Mitte der zwanziger Jahre auch in Deutschland erlebtge, kommentierte. Aber ansonsten zählt er zu den unzähligen Verschollenen der Literaturgeschichte. Überraschend ist das nicht. "Mynona" gehörte zu den Parodisten, zu den Verfassern von Grotesken - und solche verzerrenden Echowerfer ereilt die "Furie des Verschwindens" eher als die Originale, denen ihr Echo galt. Auch Robert Neumann, Friedländers Zeit- und Zunftgenossse und vielleicht der brillanteste Stimmenimitator der deutschedn Literatur, ist heute weitgehend vergessen, ebenso Franz Blei, dessen "Literarisches Bestiarium" gut zeigt, WARUM das Haltbarkeitsdatum solcher Echos knapp bemessen ist: viele zeitgenössische Bestseller und Modeautoren sind ihrerseits genauso vergessen, und wirkliche Klassiker, die es geschafft haben, von Generation zu Generation weiter gelesen und gekannt zu werden, stehen oberhalb jeder Parodie.

3. Mai 2021

John Collier, "Zum Nachspülen" (1941)





Nervös wie ein junges Kätzchen stieg Alan Austen die finsteren, knarrenden Treppen in einer Adresse in der Nähe der Pell Street hinauf und brauchte lange Zeit, bis er im Finsteren den Namen, den er suchte, auf einer der Türen ausgemacht hatte.

Er stieß die Tür auf, so wie es ihm gesagt worden war, und fand sich in einem winzigen Zimmer wieder, das außer einem Küchentisch, einem Schaukelstuhl und einem gewöhnlichen Stuhl unmöbliert war. An einer der gelblichen Wände hingen ein paar Regalbretter, auf denen vielleicht ein Dutzend Flaschen und Gläser standen. Ein alter Mann saß im Schaukelstuhl und las eine Zeitung. Alan überreichte ihm wortlos die Karte, die ihm gegeben worden war.

"Setzen Sie sich, Mr. Austen," sagte der alte Mann in ausgesucht höflichem Ton. "Es freut mich außerordentlich, Ihre Bekanntschaft zu machen."

"Stimmt es," fragte Alan, "daß Sie ein Mittel anbieten, das ganz außergewöhnliche Wirkungen hat?"

2. Mai 2021

"Vom Verschwinden im Bild": Die Mumins, Virginia Woolf und die "Fahrt zum Leuchturm"





***

I.
Die vielleicht bekannteste Episode des "Verschwindens im Bild," zumindest was für junge Leser im Kindesalter die erste Begegnung mit dieser Trope angeht, findet sich in einem Buch, dessen Status im Hinblick auf sein Publikum durchaus schillert. Eigentlich sind es sogar zwei Stellen: in Roald Dahls "The Witches" von 1983 (1986 in deutscher Übersetzung als "Hexen hexen" erschienen) findet sich in der Passage, in der die aus Norwegen stammende Großmutter ihrem ungläubigen Enkel von der Existenz wirklicher böswilliger Zauberinnen erzählt, als Illustration die Geschichte von ihrer Jugendfreundin, die von einer solchen Hexe in ein Gemälde gebannt wurde.

Und ihr habt wirklich gedacht, die Justiz würde Euch retten

Mein Lieblingszitat über den deutschen Rechtsstaat ist eine Statistik: 80% der Deutschen glauben an den Rechtsstaat. Die anderen 20% haben ihn schon kennen gelernt.

Es ist erstaunlich wie viele Leute, trotz permanent erlebtem Gegenteil, immer wieder darauf vertrauen, die Justiz werde die Kohlen, die von der Politik ins Feuer geworfen wurden, schon wieder heraus holen. 
Aber wie sollte sie? Es sind die selben Leute. In Deutschland existiert die Gewaltenteilung nur in der Theorie, in der Praxis werden Richter bis zum obersten Verfassungsgericht durch die Legislative, bzw. da selbst diese nicht von der Exekutive getrennt ist, im Wesentlichen durch die Exekutive ernannt und bestimmt. Der derzeit amtierende Präsident des Verfassungsgerichtes, wie auch des ersten Senates, ist Stephan Habarth. Und Stephan Habarth ist kein politikfremder Gelehrter wie sein Vorgänger, sondern schlicht CDU Parteipolitiker. Und zwar mit allem drum und dran.