31. Dezember 2015

2016




Ring out, wild bells, to the wild sky,
The flying cloud, the frosty light:
The year is dying in the night;
Ring out, wild bells, and let him die.
 
Ring out the old, ring in the new,
   Ring, happy bells, across the snow:
   The year is going, let him go;
Ring out the false, ring in the true.

Ring out the grief that saps the mind
For those that here we see no more;
Ring out the feud of rich and poor,
Ring in redress to all mankind.
 

24. Dezember 2015

... die guten Willens sind

Gloria in excelsis Deo / Et in terra pax hominibus bonae voluntatis.

Ehre sei Gott in der Höhe / Und Friede den Menschen auf Erden, die guten Willens sind.

So lautet der letzte Satz des Weihnachtsevangeliums (Lk 2,  14) in der Vulgata, die zumindest bis zum II. Vaticanum maßgeblich für die liturgischen Texte in der katholischen Kirche war. Ich bin mit diesem Satz aufgewachsen, da in unserer Familie bis heute die Weihnachtsgeschichte - unter dem erleuchteten Christbaum - aus dem alten "Schott"-Messbuch meiner Mutter vorgelesen wird. 

Theologen aller Konfessionen werden nun einwenden, dass diese Übersetzung "falsch" ist, und man findet sie in keiner aktuellen Bibelausgabe mehr. Dennoch ist er für meine Vorstellung von Weihnachten zentral, und egal ob ich nun höre "den Menschen seines Wohlgefallens" (Luther) oder "den Menschen seiner Gnade" (Einheitsübersetzung) - ich werde nie anders können, als in meinem Kopf hinzuzufügen: "Die guten Willens sind".

9. Dezember 2015

Große Klappe, reloaded: Von einem Tiger der als Bettvorleger landete

Oh, was hat er groß getönt. Jetzt zeigt einer dem Staat mal so richtig wie Asylantenheim eigentlich geht. Mit einem fröhlichen "Verpisst Euch" (gerichtet an Siggis Pack) auf den Lippen verkündete uns Till Schweiger vor knapp vier Monaten, dass er ein eigenes Asylantenheim bauen und betreiben wolle.  

7. Dezember 2015

Aldi-Schulen

In der Schule für das Leben lernen: diesem Ideal streben viele vergeblich nach. Um so lobenswerter sind Schulen, die das hohe Ziel erreichen. Eine der wichtigsten Fähigkeiten, die der erwachsene Mensch braucht, ist offensichtlich das preisgünstige Einkaufen hochwertiger Produkte. Schulen, die diese Fertigkeit in vorbildlichem Maße vermitteln, werden von der Firma "Aldi" feierlich als "Aldi-Schulen" ausgezeichnet. Davon gibt es in Deutschland inzwischen 177.

4. Dezember 2015

Der Datenkrake (3): Es gibt nichts Gutes, außer der Staat tut es

Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hat angekündigt, nach und nach 99% seiner Facebook-Anteile (aktuell im Wert von ca. 45 Mrd. USD) in eine wohltätige Stiftung zu überführen. Damit folgt er einem uramerikanischen Prinzip, das von den Öl- und Industriemagnaten des Gilded Age wie Carnegie oder Rockefeller begründet wurde und durch den Giving Pledge von Warren Buffet und Bill und Melinda Gates in jüngster Zeit neu belebt wurde: Der Idee, große Vermögen für wohltätige Zwecke einzusetzen.

In Deutschland kommt das gar nicht gut an. Nicht, dass die Deutschen etwas dagegen hätten, dass die Reichen ihr Geld abgeben. Allerdings hat die Sache für den Geschmack des Bundesamts für das Weltgenesungswesen zwei eklatante Schönheitsfehler - es findet zum einen freiwillig und zum anderen ohne Beteiligung des Staates statt. Ganz zu schweigen vom Geburtsfehler: Es dürfte überhaupt nicht passieren, dass jemand 45 Mrd. hat. Und so versprüht der Großteil der Artikel in den Medien Gift und Galle gegen Zuckerberg, und die Kommentarspalten schäumen über vor Hass.  

24. November 2015

Adio Europa: "Warten auf die Barbaren"



[Manchmal empfiehlt es sich, innezuhalten und den einen oder anderen Text, vielleicht ein Gedicht, aus dem Bestand der Klassischen Moderne zwischen 1870 und 1940, deren Hervorbringungen zwischen Baudelaire und Gottfried Benn, W. B. Yeats und T. S. Eliot nicht nur die Formsprache der modernen Lyrik, sondern auch ihre Bildwelten geprägt haben, sine ira et studio, ohne Kommentar und Einbettung in den zeitgenössischen Hintergrund, wieder auf sich wirken zu lassen, um zu sehen, in welche andere Beleuchtung ihn die Umstände der Gegenwart tauchen. U.E.]






21. November 2015

„Wie wollen wir leben?“

„Unsere Welt wird noch so fein werden, daß es so lächerlich sein wird, einen Gott zu glauben, wie heutzutage Gespenster“, meinte Georg Christoph Lichtenberg 1774 (Leitzmann-Ausgabe D 326).

20. November 2015

Die Stunde der Bürgerrechtsfeinde


­"Those who would give up essential Liberty to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety."
 
                                                                             --- Benjamin Franklin, 1755

Zugegeben, das obige Zitat dürfte inzwischen eins der durchgenudeltsten (und damit meist aus dem Kontext gerissenesten) Zitate der letzten Jahrzehnte sein. Was allerdings wenig an seiner Aussage ändert.
Es war tatsächlich nur eine Frage der Zeit bis nach den Morden von Paris die Schlapphüte, Totalüberwacher, Kommunikationsspeicherer und Polizeistaatler aus ihrem Bau kriechen würden und Morgenluft wittern. Allerdings hat nicht einmal dieser Autor damit gerechnet, dass es so schnell gehen würde. Man muss das Eisen wohl schmieden so lange es heiß ist, und will man Bürgerrechte eindampfen, so muss dies im Angesicht von Panik und Angst geschehen, damit nicht all zu viele Leute darüber nachdenken, was man tatsächlich erreichen will.
Die FAZ macht hier den Anfang und stellt die schöne wie demaskierende Frage: „Darf es so was in Zukunft noch geben ?“ 

Sind wir abwehrbereit?

Am 10. Oktober 1962 veröffentlichte der Spiegel den denkwürdigen Artikel "Bedingt abwehrbereit", in dem er die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr im Falle eines Angriffs durch den Warschauer Pakt in Zweifel zog. Die Folgen sind bekannt, es gab zwar keinen sowjetischen Angriff, aber eine der geschichtsträchtigsten Affären und lebhaftesten Debatten der noch jungen Bundesrepublik. Interessanterweise spielt der Inhalt des Artikels in der Rückschau keine Rolle mehr.

Liest man ihn heute durch (was ich nur empfehlen kann), so fällt vor allem eines auf: Der aus heutiger Sicht geradezu auf militaristische Weise entschlossene Tonfall des ehemaligen Frontsoldaten und Pressesprechers des "Amtes Blank", Conrad Ahlers, sich im Verbund mit der NATO einem eventuellen Überfall auf jede nur denkbare Weise entgegenzustellen - Atomwaffeneinsatz inklusive. 

Die Zeiten haben sich geändert - heute steht mehr die unzureichende Kinderbetreuung und das Fehlen attraktiver Arbeitszeitmodelle bei den deutschen Streitkräften im Fokus der Berichterstattung des abgerüsteten Sturmgeschützes der Demokratie, denn, was Ahlers damals offenbar nicht wusste: "Krieg führen kann jeder"

Im Lichte des Terroranschlags von Paris wurde viel über Angst und Entschlossenheit gesprochen. Merkel, Gabriel, Maas und de Maizière nahmen die Debatte zum Anlass, um das zu tun, was laut Harald Schmidt die Deutschen am besten können. Mit großem Getöse kündigten sie an, zu viert zum "Freundschaftsspiel" (aus der Schwalbenperspektive betrachtet sollte man mit diesem Begriff nicht leichtfertig umgehen, immerhin sollte es gegen Holland gehen) anzureisen, um "ein Zeichen gegen den islamistischen Terror [zu] setzen"!

14. November 2015

Sans paroles...




Meister Petz


© Meister Petz. Für Kommentare bitte hier klicken.

11. November 2015

Generation Facebook ? Ein Gedankensplitter zu Pioniergeist und Zufriedenheit.


Verbinden Sie etwas mit dem 23. Januar 1960, lieber Leser? Vermutlich eher nicht, zumindest nicht ad hoc. Wie steht es mit dem 29. Mai 1953? Oder dem 20. Mai 1927 ?  12. Mai 1961 ? Wenigstens den 21. Juli 1969 ?

Zur Erinnerung an Helmut Schmidt

Den folgenden Beitrag schrieb Zettel zum 90. Geburtstag von Helmut Schmidt am 23. Dezember 2008. Wir wiederholen ihn zur Erinnerung an den gestern verstorbenen Bundeskanzler.

Kallias

2. November 2015

Über Kollektiv, Individuum und aufgehendes Saatgut. Ein Gastbeitrag von nachdenken_schmerzt_nicht

Ich möchte meine Ausführungen mit einer Äußerung unseres derzeitigen Justizministers Heiko Maas beginnen, die sich am 19. Oktober diesen Jahres auf seinem Twitter-Profil fand und die sicherlich stellvertretend für eine in Politik und Medien weit verbreite Ansicht zitiert werden kann. Zitat: „Wer Galgen und Hitlerbärten hinterher läuft, für den gelten keine Ausreden mehr. Pegida sät Hass, der dann zur Gewalt wird. Ähnlich sieht es auch die Grüne Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt, die Pegida eine Mitschuld an dem Anschlag auf die Kölner Oberbürgermeister Kandidatin Henriette Reker gibt.

Diese Formulierungen sind beide nicht ganz so offensichtlich wie eine Schlagzeile im Tagesspiegel, welche Pegida sogar als Mittäter sieht, aber sie meinen im Grunde das gleiche: Es gibt keinen Unterschied zwischen Gedanken und Tat. 

Diese Gleichsetzung mutet eigentümlich an, insbesondere in einem Land in welchem das Volkslied „Die Gedanken sind frei“ einige politische Bedeutung erlangte. Eine interessante Frage scheint mir daher zu sein, warum diese Gleichsetzung so leichtfertig gemacht wird und warum sie, so zumindest mein Eindruck anhand der Medienlektüre, auf doch einigen Zuspruch stößt.

1. November 2015

Angela Merkel: Problem oder Symptom des Problems? - Ein Gasnbeitrag von nachdenken_schmerzt_nicht

Ich habe vor ein paar Tagen den Satz gelesen, dass Angela Merkel nicht die Ursache für die aktuelle politische Krise sei, sondern das herausragende Symptom eines sehr viel tiefer liegenden Problems innerhalb unserer Gesellschaft, ohne dass dies genauer benannt worden wäre. Wenn diese Analyse zutrifft, was mir intuitiv plausibel zu sein scheint, wie läßt sich dieses tiefer liegende Problem aber fassen? Dazu gingen mir einige Gedanken durch den Kopf, an denen ich die Leser in ZR gerne teilhaben lassen möchte.
Zunächst einmal ist die Erkenntnis, Angela Merkel könnte nur Symptom und nicht etwa das Problem sein, in vielerlei Hinsicht unangenehm. - Aus offensichtlichen Gründen und weniger offensichtlichen. Zu den offensichtlichen gehört, dass es bei Richtigkeit dieser Analyse auch mit einer Abwahl Merkels keine Rationalisierung deutscher Politik geben wird. Zu den weniger offensichtlichen gehört, dass Merkel das Symptom eines beschränkten deutschen Politikverständnisses ist – wobei ich die Formulierung des „beschränkten Politikverständnisses“ im Folgenden genauer spezifizieren und darüber einen Erklärungsversuch für die aktuelle Einwanderungspolitik wagen möchte.

30. Oktober 2015

Sterbende Dörfer

Wenn über den demographischen Wandel in Deutschland gesprochen wird, dann wird das meist an zwei Themen festgemacht. Einerseits wird die Zukunft der Rentenversicherung diskutiert, also ob die Renten für eine größer werdende Zahl von Alten von weniger werdenden erwerbstätigen Jungen bezahlt werden können. Andererseits wird der zum Teil drastische Bevölkerungsrückgang in verschiedenen Regionen angeführt, insbesondere im ländlichen Raum.

Besonders dramatisch ist die Lage in Ostdeutschland abseits weniger Ballungszentren, in Nordhessen, Nordostbayern und einigen Regionen Westfalens und Niedersachsens. Immer häufiger sind die Berichte über Dörfer, in denen nur noch ein Bruchteil der früheren Bevölkerungszahl wohnt und in denen Schulen und Infrastruktureinrichtungen geschlossen werden müssen.

Nur: Mit dem demographischen Wandel hat das eigentlich fast nichts zu tun.

28. Oktober 2015

Schilda lebt. Eine Münsterländer Provinzposse, mit leichtem Stileinschlag

Bei den Wörtern, die es - ob nun wirklich oder nur den mangelnden Sprachgefühl von Non-native speakers geschuldet, in anderen Zungen nicht gibt und die deshalb höchstens als direkter Fremdworteinschuss ein Heimatrecht erwerben könnten, scheint das Deutsche, wenn man den angelegentlichen Ausflügen zumeist sprachpflegerischer Feuiletonisten glauben möchte, besonders gesegnet. (Oftmals handelt es sich hier leider nur um fehlbaren Lokalstolz. Vladimir Nabokov beharrte stets darauf, daß das russische "poshlost'" keine Entsprechung in einer anderen Sprache fände, auch nicht als "kitschig", "peinlich", "vulgär" oder Englisches "bathos". Portugiesen, Italiener und Türken werden jeweils eisern darauf bestehen, daß die melancholische Moll-Gestimmtheit, die eher gelassen und schwebend eine Stimmung spätherbstlichen Abendlichts evoziert, nur ihnen zugänglich sei und "saudade", "nostalgia" und "hüzün" nichts miteinander, und schon gar nicht mit dem englischen "blues" verbindet.) Bei dieser Pirsch im Wald der Worte versammelte der Pilzgänger der Frankfurter Rundschau ein gutes Dutzend Exemplare im Korb, darunter so schöne wie "Geborgenheit," "Dornröschenschlaf" und "Fernweh" (was nahelegt, daß er in den Aufforstungen des Freiherrn v. Eichendorff unterwegs war) und so prosaische wie "Torschlußpanik", "Dunkelziffer", "scheinheilig", "Bausparen", "Brückentag" und "Geschmacksverirrung".   

Woran das jeweils liegt, wird wohl, wie so oft bei den Kobolzereien der Sprache, nicht zu klären sein, aber bei der Vokabel "fremdschämen" darf man vermuten, daß im Deutschen ein verstärkter Bedarf vorliegt. Das Phänomen ist andernorts (siehe по́шлость) zwar geläufig, aber bis zum eigenen Lemma reicht es nicht. Da freut es den Beobachter, wenn einmal neben der Tristesse der erwartbaren Peinlichkeit ein Anklang an den reichlichen Vorrat entsorgter Pratfalls vernehmbar wird. Wie in dieser Provinzposse aus dem münsterländischen Gescher.





27. Oktober 2015

Horst, was nun?

Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer hat der Bundesregierung ein Ultimatum gestellt: bis "Allerheiligen" (also den 1. November) müsse eine Begrenzung der Zuwanderung her, sonst werde die bayerische Landesregierung - ja was eigentlich?

Sie werde sich dann etwas überlegen.

21. Oktober 2015

Uhrenabgleich: Warten auf "McFly!"

Sollten sich auch hier, im Zentrum der Mitteleuropäischen Zeitzone, Zeitgenossen bereithalten, um Marty McFly bei seinem Auftauchen am unteren Ende seiner temporalen Exkursionen im pannenanfälligen DeLorean zu begrüßen, so wie es auch bei den Stationen "1885", "1955" und "1985" der Fall ist - oder sagt man war? sein wird? gewesen sein wird? - das Temporalsystem der natürlichen menschlichen Sprachen ist zur Wiedergabe der Auswirkungen fahrlässig erzeugter Chronoklasmen nur eingeschränkt tauglich - sollte also jemand planen, sich dem Begrüßungskommittee  von Biff und seinen Spießgesellen beizugesellen - deren herzhaftes und hier blogposttitelgebendes "Hey, McFly!" allerdings nur am temporalen Ground Zero 1985 A.D. dem von Michael J. Fox so kongenial gespielten Picaro gilt - sollte also...










15. Oktober 2015

Dummes, kurz kommentiert: Berliner Politiker spielen "Flüchtlingsboot"

Vor fast genau 100 Jahren, am 5. Oktober 1915, veröffentlichte Karl Kraus in seiner Zeitschrift "Die Fackel", in der er an den Zuständen in Wien, um Wien und um Wien herum seit jeher kein gutes Haar ließ, im Rahmen einer Reihung von Zeitungszitaten eine kurze Mitteilung aus einem nicht genannten Blatt über eine neue Attraktion im Wiener Prater, mit der die k.u.k. Heeresleitung dem geneigten Publikum die Realität des Frontalltags auf den Schlachtfeldern des Weltkriegs näher bringen wollte:

"Spiele"

"Der Schützengraben wurde bis jetzt von mehr als 15.000 besucht. Nebst den großartigen Anlagen der Schützengräben fanden auch die Übungen mit den Scheinwerfern bedeutendes Interesse. Mirgen, Sonntag, werden auch die großen Scheinwerfer in Aktion treten. Das Militärkonzert beginnt bereits um 4 Uhr nachmittags. Eintritt pro Person 50 H., für Militär vom Feldwebel abwärts und Kinder 20 H. Kürzeste Abfahrt durch die Ausstellungsstraße (3. Haltestelle vom Praterstern).

"...das von Hauptmann Adolf Ott zusammengestellte Programm umfaßte neben Chorgesängen mit Schauturnen verwundeter und rekonvaleszenter Soldaten die Vorführung eines Angriffs auf die 'Festung Wulkipoff', die von diversen Feinden verteidigt wurde. Die Kleider für die 'Feinde' hatte die Brünner Theaterdirektion zur Verfügung gestellt. Natürlich wird die Festung erobert und die Feinde in ihren abenteuerlichen Kostümen dem Publikum vorgeführt. Dann wurde die Mannschaft, rund 4000 Mann, mit Bier und Gulasch bewirtet und zum Schluß ein Feuerwerk, dessen Haupteffekt die bengalische Beleuchtung des Kaiserbildes und die flammenden Initialen bildeten."
(Die Fackel, Nr. 406-412, 5. Oktober 1915, S.34)

12. Oktober 2015

Empfehlung zum US-Wahlkampf

Es gibt leider extrem wenige politische Blogs in Deutschland, in denen nicht die Teilnehmer nur die Bestätigung des eigenen politischen Weltbilds propagieren. Saubere Analyse und offene Diskussion sind die große Ausnahme - das entspricht dem schlechten Vorbild der deutschen Medien.

Zu den lobenswerten Ausnahmen gehört Deliberation Daily. Die Autoren haben persönlich einen SPD-nahen Standpunkt, machen aber nicht in Parteipolitik, sondern bringen Fakten und Argumente.

Und aktuell bringen sie eine hervorragende Serie zu den US-Präsidentenwahlen. Besser als alles, was man in deutschen Medien lesen kann und daher von meiner Seite eine klare Empfehlung.

Vorher lohnt sich natürlich, die Grundlagen des politischen Systems in den USA nachzulesen.
R.A.

© R.A.. Für Kommentare bitte hier klicken.

6. Oktober 2015

Haltungsliteratur

Mankell war, was offenbar zur Grundausstattung guter Krimiautoren gehört, ein linker Moralist und ein engagierter Mensch. (Gerhard Spörl, SPON)
Dies soll bewusst kein Nachruf auf Henning Mankell werden. Ich habe nie ein Buch von ihm gelesen, da ich die Skandinavienkrimiwelle zwar nicht absichtlich an mir vorüberziehen habe lassen, aber mir auch keine Mühe gegeben habe, mich reitender Weise an ihr zu versuchen. Doch nach allem, was ich darüber weiß, kann ich mir nicht vorstellen, dass ich dabei irgendwelches Lesevergnügen empfunden hätte. Ich schaue ja auch keinen Tatort, und zwar aus eben jenen Gründen, die Spörl hier für Mankell anführt.

3. Oktober 2015

Eine Lanze für Flüchtlinge. Und auch dagegen.


Dieser Post ist nicht zuletzt durch den Erlebnisbericht unseres Zimmermitgliedes Daska inspiriert, der hier seinen Weg in ein eigenes Posting gefunden hat. Ich glaube diesen Bericht. So ziemlich ohne Wenn und Aber. Und ich glaube ebenso, dass sich Vergleichbares in den vergangenen Monaten zehntausende Male so oder so ähnlich in Zügen, Bussen, auf Schiffen und auf der Strasse zugetragen hat. Menschen haben die fasznierende wie wunderbare Eigenschaft näher zusammenzurücken, umso stärker sie selber einer Bedrohung ausgesetzt sind oder gerade ausgesetzt waren. Auch die deutsche Geschichte ist voll mit Beispielen, wo wildfremde Menschen ihre Menschlichkeit gerade in Angesicht von grossen Katastrophen und Bedrohungen entdecken und ausleben.

2. Oktober 2015

Alte Rivalen

Eine erstaunliche Schlagzeile: "Russische Luftangriffe verärgern die Türkei". Erstaunlich nicht nur inhaltlich: Sowohl Rußland wie die Türkei kämpfen offiziell gegen den IS, aber real bombardieren sie dessen Gegner. Rußland die syrische Opposition, die Türkei die Kurden. Bei so viel Gleichklang müßten die Türken sich ja freuen, nicht verärgert sein.
Aber erstaunlich auch wegen der Details des Protests. Der wurde nämlich von den Alliierten erhoben, also den USA, Frankreich, Großbritannien und dann noch diversen arabischen Staaten und eben der Türkei. Und übrigens auch Deutschland - aber das ist nur unwichtige Folklore.

Wie kommt also der Spiegel dazu, nur über die Türkei zu reden, wenn normalerweise die USA als Hauptakteur gelten? Das liegt wohl nur daran, daß die Erklärung von der türkischen Regierung veröffentlicht wurde. Es ist eher unwahrscheinlich daß der Spiegel-Reporter begriffen hat, was er da eigentlich abschreibt.

Denn eigentlich geht es um etwas ganz Anderes: Den Konflikt der beiden traditionellen Gegner Rußland und Türkei um ihre Einflußsphären im Nahen Osten.

1. Oktober 2015

Die Nationaltracht

Die wirklich völkerverbindende Wirkung eines Erasmus-Aufenthalts entfaltet sich erst, nachdem die Beteiligten ihr Auslandssemester hinter sich haben. Denn dann kommen die gegenseitigen Besuche der aus allen möglichen europäischen Ländern stammenden Studenten. Und die wollen sich natürlich sowohl amüsieren wie auch das jeweilige andere Land kennenlernen.

Das heißt konkret: Die Belgier, Schweden, Engländer usw., die meine Tochter bei ihrem Frankreich-Semester kennengelernt hat, sagen sich zu einem Oktoberfestbesuch an. Ersatzweise, weil in München kein Platz mehr ist, werden die Cannstadter Wasen angepeilt.
Und um sich ordentlich aufs Volksfest vorzubereiten, kauft sie sich nun erst einmal ein Dirndl.

30. September 2015

Zitat des Tages: Zum Tod von Hellmuth Karasek

Ich hatte mich daran gewöhnt, dass es ihn gibt, und solange es ihn gab in meiner Umgebung, war dieses ideologisch überhitzte Deutschland weniger verbissen, weniger dumm. 

Es war lebenslustiger.
(Matthias Matussek zum Tod von Hellmuth Karasek)

Kommentar: 

Diesem geradezu zärtlichen Nachruf gibt es zur Person von Karasek wenig hinzuzufügen. Karasek war der Beweis dafür, dass ein hohes bildungsbürgerliches Niveau selbst in Deutschland nicht zwangsläufig zu Verbitterung, Elitarismus und Pöbelverachtung führen muss, wie es so häufig der Fall ist. Er war sich im besten Sinne zu nichts zu schade, kein Thema war ihm zu banal - und wenn er es behandelte, ließ er sich nicht dazu herab, sondern hob es empor.

Er, der scherzte, oft mit Grass verwechselt zu werden, überlebte seinen großen Antipoden nur um ein paar Monate. Allerdings: An literarischen Gewissen der Nation wird auch zukünftig kein Mangel herrschen. Karaseks fantastische Beschwörung der leichten Muse wird nun Willemsen übernehmen. Und das ist ein Gedanke, der fast ebenso traurig stimmt wie die Nachricht von seinem Tod.

Die Feder entschwindet, es bleibt das Blei.

R.I.P.


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Meister Petz


© Meister Petz. Für Kommentare bitte hier klicken.

23. September 2015

Der Wagen des Volkes

Endlich kriegen die dreisten Manager der Autokonzerne, die unsere Luft verpesten, mal so richtig einen auf den Deckel, mag mancher Umweltaktivist denken! Endlich bekommen es die Schulmeister aus Deutschland auch mal mit der Angst zu tun, mag sich mancher im schuldengeplagten Südeuropa freuen!
So verständlich diese Haltung sein mag – eine solche Häme ist angesichts der Dramatik der Ereignisse um Volkswagen nicht angebracht. Pathetisch zugespitzt gilt: Scheitert VW, dann scheitert Deutschland. Und scheitert Deutschland, scheitert Europa. (Richard Rother, taz)  

Sie haben richtig gelesen - dieser Kommentar stammt nicht aus der Auto Bild, sondern aus der taz! Aus dem antinationalistischen Ökoblatt, dem der Niedergang eines vom Führer persönlich gegründeten Konzerns, der die Welt mit fossil betriebenen Dreckschleudern verpestet, doch eigentlich einen inneren evangelischen Kirchentag bereiten müsste!


21. September 2015

Die Atomverschwörung (2): Privatisieren und sozialisieren

Der zweite Teil der Atomverschwörung ist aufgrund des Ausstiegs eigentlich in weiten Teilen eine Braunkohleverschwörung. Aber er passt so schön zum Thema, weil es hier auch darum geht, wie ein Thema kommuniziert wird und wie die Fakten sind. Wieder geht es um RWE.

Als Aufhänger diene folgende Meldung, die aber nur der Höhepunkt einer seit dem Beginn der Energiewende andauernden Entwicklung ist: 
Um rund 60 Prozent haben RWE-Aktien an Wert verloren - in nur einem Jahr. Experten warnen: Der Konzern droht mittelfristig aus dem Dax zu rutschen. Dem Essener Energiekonzern RWE droht nach Einschätzung von Experten ein Abstieg aus dem Deutschen Aktienindex (Dax).   
"Der Abstieg von RWE ist noch nicht akut, aber es darf auch nicht mehr viel passieren“, sagte der Index-Experte der Landesbank Baden-Württemberg, Uwe Streich.

19. September 2015

Im Zug von Wien nach München. Ein Erlebnisbericht von Daska

Ich frage: Wer könnte und was könnten wir von den Flüchtlingen lernen?

Am Samstag, den 5.9. wurde ich mit den Flüchtlingen zusammen, mit denen ich im selben Regionalzug aus Osten kommend saß, bei der Ankunft im Münchner Hauptbahnhof beklatscht. Ich suchte schnell das Weite und verschwand in der Menge der Schaulustigen, bevor einer auf die Idee gekommen wäre, mich vor laufender Kamera nach meinem Woher und Wohin zu fragen.

18. September 2015

Wer könnte und was können wir schaffen?

Die deutsche Vergangenheit weist Deutschland eine besondere Pflicht zu, die echten Flüchtlinge aufzunehmen. Unser Asylgesetz wurde vom Wissen um vergangene Verfolgungen von Millionen geschrieben. Sind es verrückte Gutmenschen gewesen, die mit Obst und Teddybären an die Bahnhöfe eilten, um die Fremden zu bewillkommnen? Vielleicht wollten die Deutschen nicht nur wiederum die Besten sein, wie andere Europäer spotteten.

17. September 2015

Von denen da oben und denen da unten


­Es ist schon ein seltsames Erlebnis in diesen Tagen die Zeitungen liest: Egal ob man Interviews, Reportagen, Berichte oder Kommentare liest, überall findet man ein nahezu einheitliches Bild: Deutschland heißt die Flüchtlinge willkommen. Deutschland zeigt Mitgefühl. Deutschland ist das Fanal der Humanität. Deutschland führt Europa in eine bessere Zukunft. Deutschland löst sein Demographieproblem.

Nun kann das –theoretisch- ja alles sein. Irritierend ist aber, dass es, nicht nur nahezu sondern ganz praktisch, keinen Gegenstandpunkt mehr gibt. Und nicht nur das, auch die Faktenberichterstattung zeichnet inzwischen ein sehr interessantes, um nicht zu sagen seltsames, Bild der Realität. 

15. September 2015

Über die Pflicht und das Recht in einer multikulturellen Gesellschaft zu leben und dem Wunsch nach Demokratie.


­
Vor einigen Tagen habe ich mir Gedanken zum gemeinen deutschen Pack gemacht, das Siggi Pop ganz gerne aus Deutschland ausschließen, zumindest dem gegenüber er seine Augen gerne verschließen möchte. Andere Autoren sind dann noch einen Schritt weiter gegangen und haben halb Sachsen zum Pack erklärt, womit der Begriff Dunkeldeutschland eine fragwürdige Renaissance erleben durfte. Und wie immer, wenn man etwas skalieren kann, so macht das in aller Regel nicht an einer Ländergrenze halt: Es gibt nicht nur Dunkeldeutschland, es gibt inzwischen auch Dunkeleuropa, zumindest in Teilen. Die Nummer eins der Dunkelmänner (Dunkelfrauen gibt es bekanntlich nicht) sind inzwischen wohl die Ungarn, die es angesichts des Elends dieser Welt tatsächlich gewagt haben, auf bestehende Verträge und Gesetze zu verweisen. Aber auch andere Europäer sind nicht so ohne, gibt es doch Länder die mehr oder weniger offen verkünden, dass sie eben keine oder nur bestimmte „Flüchtlinge“ (neudeutsch: Migranten) aufnehmen wollen. Und manchmal (aber nur manchmal) gibt es auch mal ein ehrliches Wort darüber, dass man seine kulturelle Homogenität gerne erhalten möchte. Das ist dann schon ziemlich Pack. Um nicht zu sagen Autobahn.

14. September 2015

Wir schafften das nicht

Was für ein Rausch, was für ein Höhenflug: Kaiserinnenwetter im Frühherbst! "Wir schaffen das!", ruft die Kanzlerin, liebevolle Menschen strömen zu den Bahnhöfen mit Geschenken und Gesängen, Mama Merkels neue Untertanen freuen sich, die Dichter in den Redaktionsstuben schreiben Huldigungen.

11. September 2015

Zitat des Tages: Keine Obergrenze

"Das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte kennt keine Obergrenze; das gilt auch für die Flüchtlinge, die aus der Hölle eines Bürgerkriegs zu uns kommen."
(Angela Merkel, Rheinische Post vom 11.9.2015.)

Mit dem ersten Satz hat die Kanzlerin recht. Wobei allerdings dieses Grundrecht seit langem so gut wie abgeschafft ist: denn wer nicht gerade mit dem Boot an der Nordseeküste anlandet, ist zwangsläufig über einen sicheren Drittstaat eingereist und kann sich damit nicht mehr auf eine politische Verfolgung berufen. So steht's im Grundgesetz, Artikel 16(2).

Das gleiche müsste dann freilich auch für die Flüchtlinge gelten, die aus der Hölle eines Bürgerkriegs kommen. Auch diese haben Aufnahme und Sicherheit in Drittstaaten gefunden, bevor sie sich auf den Weg zu uns begeben haben.

10. September 2015

Die Kolonialherren

Eigentlich sollte der Vortragende über Geschichte sprechen, über 200 Jahre Wiener Kongreß. Aber die Parallele lag halt nahe: Damals durfte man ja noch Länder erobern und aufteilen, und der russische Zar war dabei geschätzter Partner. Und heute sind diese schönen Sitten außer Mode gekommen und der arme Wladimir muß deswegen draußen bleiben. Was dem Vortragenden überaus mißfiel und nach den üblichen Klagen über den Verfall von Bildung und Moral zur Aufzählung des großen Sündenregisters führte: "Wir" wollen den Russen wie schon damals im Krimkrieg ihre Gebiete wegnehmen, und "wir" haben den Zerfall Jugoslawiens verursacht und "wir" haben das osmanische Reich zerschlagen und damit die Konflikte in Nahost verursacht.

Wenn man deutsche Medien verfolgt, bekommt man von linker Seite Ähnliches serviert: "Wir" haben die Taliban und ISIS gegründet und unterstützt, "wir" hatten auch seinerzeit zu verantworten, daß die Mullahs den Iran übernommen haben. "Wir" sind schuld an der Armut in weiten Teilen der Welt und "wir" sind schuld an Afghanistan, Irak und Libyen, weil "wir" interveniert haben und an Eritrea, dem Sudan und Burundi, weil wir nicht interveniert haben.
In Syrien sind sich die Kommentatoren noch uneinig, ob "wir" schuld sind wegen Intervention oder "wir" schuld sind wegen Nicht-Intervention. Auf jeden Fall sind sie eich einig: Die Einheimischen haben mit dem Bürgerkrieg sicherlich nichts zu tun.

7. September 2015

Spielgeld

Es war der große Hype. Pünktlich zur "Eurokrise" wurde eine Währung propagiert, die top-modern daher kam und alle Nachteile der klassischen Zentralbank-Währungen vermeiden sollte.
Es verstand zwar kaum jemand, wie diese Bitcoins eigentlich genau funktionierten. Aber die EDV-Nerds hatten Tools bereitgestellt, mit denen auch Amateure sich ein Bitcoin-Konto anlegen und benutzen konnten.

Die Eigenschaften von Bitcoin trafen genau die wunden Punkte, die die Zentralbank-Kritiker und Staatsskeptiker am Euro und anderen Währungen störten:
- Bitcoin ist eine völlig neutrale Währung, "gehört" niemanden und ist daher von niemand, auch keinem Staat, beeinflußbar.
- Insbesondere ist die Zahl der Bitcoins vom System her beschränkt, d.h. es kann keine Inflation geben oder eine Entwertung durch "Quantitative Easing", wie das die EZB derzeit praktiziert.
- Das ganze Bitcoin-Zahlungssystem läuft völlig anonym. Kein Geheimdienst kann herausfinden, welcher Eigentümer hinter einem Konto steckt. Und ohne den kryptographischen Schlüssel des Eigentümers kann auch niemand auf das Geld auf diesem Konto zugreifen.

Inzwischen hat Bitcoin einige Höhen und Tiefen, insbesondere auch einige Krisen hinter sich.
Und es wird immer klarer: Es bleibt ein Spielzeug für bestimmte Nischengruppen und wird keine Alternative zu normalen Währungen sein.

5. September 2015

Können wir das schaffen ?


Wer kleine Kinder in seinem Umfeld hat, kommt oftmals unweigerlich um zwei Sätze nicht herum: „Können wir das schaffen ? Jo, wir schaffen das.“. Es ist die Parole von Bob dem Baumeister und immerhin hat eine Abwandlung des zweiten Satzes einen weit überforderten Hinterbänkler ins Amt des amerikanischen Präsidenten befördert.
Nun war es unsere Frau Bundeskanzler die in der letzten Woche mit einem ähnlichen Satz glänzte. Genaugenommen sagte Sie wohl: "Wir schaffen das, und wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden werden." Bezogen hat Sie sich dabei –selbstredend- auf den derzeitigen Zustrom an Flüchtlingen in die Bundesrepublik. 

4. September 2015

Dumpfer Hass und klare Kante. Zweite Ergänzung zu Llarians Pack-Zettel-Beitrag

Nach Sigmar Gabriels Auftritt in der Packstation Heidenau legte er in einem SZ-Interview nach, und diese Aussage ist ebenfalls sehr aufschlussreich:
Ihn besorgten zwei Dinge, sagte Gabriel der "Süddeutschen Zeitung": "Das eine ist die Vermutung der Neonazis wie in Heidenau, dass sie dem sogenannten gesunden Volksempfinden Ausdruck verleihen und dass sie sich dabei für nichts mehr zu schade sind - also mittlerweile auch unter Klarnamen übelste Hetzparolen verbreiten." Noch mehr Sorgen mache ihm aber, "dass in der Mitte der Gesellschaft der Anteil derjenigen wächst, die Politik, Politiker und Parteien verachten".
Nun sage noch einer, dass unser Siggi das Herz nicht auf der Zunge trägt. Schon schlimm, dass es Neonazis gibt - aber viel schlimmer: Die Leute können die Politiker nicht leiden. Also mich! Diese Reaktion erinnert an einen anderen bekannten deutschen Staatsmann vor fast 25 Jahren.

Überhaupt ist es auffällig, dass Gabriel mit dem Pack durchzukommen scheint, ja gar damit punktet. Denn seit Strauß mit seinen "roten Ratten", der damals auch innerhalb der Union für seine Wortwahl scharf kritisiert wurde, hat es kaum ein Politiker der ersten Reihe mehr gewagt, sich derart zu äußern. Aber Chapeau, er hat die Stimmung richtig eingeschätzt und vorausgesehen, dass ein Politiker momentan am meisten gewinnen kann, wenn er seinen Stil denen anpasst, die er eigentlich genau dafür ächten will.

Denn die Beobachtung ist ja nicht falsch, dass immer mehr Hass und Verachtung wahrnehmbar ist. Aber dazu stellt sich die Frage: 

Beißen die bellenden Hunde auch? Ich glaube, in den seltensten Fällen. Denn die Mehrheit, die aktuell jeder hinter sich zu wähnen scheint, der sich politisch äußert, ist im Grunde genommen weder an der Revolution noch an der nationalen Erweckung interessiert. Es ist das gute alte "Man müsste halt mal...". 

3. September 2015

Humanismus? Erste Ergänzung zu Llarians "Pack"-Zettel-Beitrag

Habt Dank, dass Ihr nie fragt / Was es bringt, ob es lohnt / Vielleicht liegt es daran / Dass man von draußen meint / Dass in Euren Fenstern / Das Licht wärmer scheint. (Reinhard Mey, 1972)

Es fällt mir zunehmend schwerer, mich zur Flüchtlingsproblematik zu äußern. Nicht nur, dass die Debatte völlig polarisiert ist. Es gibt nur noch zwei Positionen: "Alle rein" oder "Alle raus". Jeder Zwischenton, jeder Hinweis auf die Komplexität der Situation wird gnadenlos zerrieben. Aber ich möchte hier auch nicht meine Position darlegen, das hat der Kollege Herr in so überzeugender Weise hier getan, dass ich mich vollständig darin wiederfinde. 

Außerdem möchte ich keinesfalls zu den gefühlt 99% Mitbürgern gehören, die ganz genau wissen, was zu tun ist, und das in schlüssigster Weise damit begründen, dass sie es ja schon immer gewusst haben. Um es ganz offen zu sagen: Ich habe keine Ahnung, wie man das Problem am besten in den Griff bekommt. Und von den out-of-the-box-Argumenten hat mich bisher noch keines überzeugt. Ich hänge nicht so sehr an der Deutschtümelei, dass ich sie vermissen würde, auch bin ich kein Karl-May-Fan, der sich wünscht, auf der A9 von Bagdad nach Stambul zu fahren. Kurz gesagt, weder die bevorstehende Bereicherung des Abendlandes noch dessen dräuender Untergang will mir einleuchten. Und von beidem wird mir zu viel dahergefaselt.

Genau genommen will ich mich damit persönlich gar nicht mehr beschäftigen, weil es mich so frustriert. Ich zahle der deutschen Verwaltung jedes Jahr einen fünfstelligen Betrag allein an Einkommenssteuer, und dafür möchte ich doch erwarten können, dass eine bestehende Situation legislativ, juristisch und administrativ bewältigt werden kann. Wenn ein ganzes Mittelmeerland scheinbar problemlos alimentiert werden kann, dann muss es doch auch für dieses Flüchtlingsproblem eine Lösung geben. Wie gesagt, ich habe mich daran gewöhnt, dass mit meinem Steuergeld ziemlich viel Unsinn angestellt wird, und den Gedanken aufgegeben, dass man ja auch auf die Idee kommen könnte, es mir zu lassen, um damit meinen ganz persönlichen Unsinn anzustellen. Wenn's also ein paar Mark fuffzig mehr kostet, sei's drum. 

Wenn mich aber etwas an der Debatte aufregt, ist es ihre unsägliche Verlogenheit, das schier unerträgliche Ausmaß an Hybris und Selbstbetrug, dem ich tagtäglich ausgesetzt bin. Dies möchte ich in zwei Artikeln tun, dabei beginne ich mit der Bereicherungsfraktion.

28. August 2015

Du bist Deutschland. Du bist das Pack. Ein Gedankensplitter zu Pflichten und den Pflichten anderer.



SiggiPop, der ja immer wieder für den einen oder anderen Satz ausgesprochener Blödheit gut ist, hat einen interessanten Satz von sich gegeben, in seiner „Rede“, in der er erklärt hat, welches Pack demnächst eingesperrt werden muss. Er sagte: „Das sind Leute, die haben mit Deutschland nichts zu tun."

Prankenhieb: Erstaufnahmeeinrichtungen

Um den unkontrollierten Strömen auf die völlig überlasteten Flüchtlingsunterkünften Herr zu werden, wird vorgeschlagen, jetzt Erstaufnahmeeinrichtungen zu errichten - für Politiker.

"Wir sind am Ende unserer Kräfte", so eine Sozialpädagogin, die zusammen mit ehrenamtlichen Helfern in einer Flüchtlingsunterkunft tätig ist. "Wir haben hier sowieso schon alle Hände voll zu tun. Und dann vergeht kein Tag, an dem nicht mindestens ein Landrat oder eine Wahlkreisabgeordnete mit Fotografen und Reportern im Schlepptau hier aufkreuzt".

Dem soll nun entgegengewirkt werden. "Eine zentrale Aufnahmeeinrichtung würde uns sehr entlasten", erklärt der Geschäftsführer des Caritas-Verbandes in einer mittleren Großstadt, der ebenfalls anonym bleiben möchte. Auch dem Vorschlag, die Mandatsträger dort nach Parteien zu trennen, kann er etwas abgewinnen: "Es kommt öfter zu hitzigen Diskussionen, einmal wäre beinahe ein Handgemenge entstanden, als ein Linken-MdL eine Seite aus dem CDU-Programm gerissen hat".

Als Standorte für die Einrichtung sind Mainz oder Berlin-Mitte im Gespräch, vorrangig aufgrund der guten Erreichbarkeit für Medienvertreter. Zusätzlich sollen in einem Pilotversuch 100 Flüchtlinge mit einer provisorischen Arbeitserlaubnis ausgestattet werden, um für gemeinsame Fototermine bereitzustehen. "Das schafft Arbeitsplätze und ist zugleich ein wichtiger Schritt zur Integration", betont der Caritas-Mann. "Denn so lernen die Flüchtlinge, die Anliegen der Politiker besser zu verstehen".
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Meister Petz

Mehr zum Thema:

27. August 2015

JA – ABER

Eine Online-Petition begleitet die Amtseinführung des neuen Bischofs der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, Dr. Carsten Rentzing: „JA-zur-Amtseinführung-ABER“. Die Unterzeichner möchten deutlich machen, dass sie für eine andere Kirche stehen, als Rentzing sie repräsentiert, der u. a. erst unlängst seine Vorbehalte gegen die Gleichbehandlung von Homosexuellen in der Kirche zum Ausdruck gebracht hatte. Nun halte ich grundsätzlich nicht viel von dieser wohlfeilen Art der Online-Mobilisierung, wo man schnell für dies oder das unterschreibt. Hier wird aber nicht mehr als eine Befindlichkeit artikuliert. Also – was soll’s! Ich wünsche meinem neuen Landesbischof Gottes Segen ohne Wenn und Aber. Und wenn es an seiner Amtsführung etwas zu kritisieren geben sollte, dann kann ich das zu gegebener Zeit auf verschiedenen Wegen immer noch artikulieren.

Eigentlich geht es mir in diesem Beitrag um etwas ganz anderes, um ein anderes JA-ABER. Und das beginnt mit einer Äußerung des scheidenden sächsischen Bischofs, Jochen Bohl. Evangelisch.de berichtet:

"Flüchtlinge haben ein Recht darauf, als Menschen in Not Hilfe und Unterstützung zu erhalten", sagte der stellvertretende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Jochen Bohl, der "Rheinischen Post" in Düsseldorf. "Wir werden uns durch Brandstifter in unserem Engagement nicht einschüchtern oder entmutigen lassen", fügte der sächsische Landesbischof angesichts der jüngsten Brandanschläge hinzu. Es könne keine Rede davon sein, dass der Wohlstand des Landes durch Flüchtlinge bedroht wäre.

Das ist ein JA ohne ABER. Ein Bekenntnis zur Hilfe für Menschen in Not, ein Bekenntnis zum Einsatz und zur Unterstützung für die, die als Flüchtlinge zu uns kommen – gegen Kritik und Krawall.
Ich stehe dazu und finde das selbstverständlich.
Am kommenden Sonntag ist das bekannte Gleichnis vom Barmherzigen Samariter Predigttext in den Evangelischen Kirchen, und ich weiß eigentlich gar nicht, was ich angesichts der Ereignisse in Heidenau, Freital, Nauen usw. als Pfarrer anderes tun sollte, als diese Geschichte mehrmals hintereinander laut vorzulesen.
Wo Menschen in existenzielle Not geraten sind, unter die Räuber gefallen sind, da ist es Christen- und Menschenpflicht zu helfen, zu verbinden, Raum und Geld zur Verfügung zu stellen. Und ebenso ist es Christen- und Menschenpflicht, denen entgegenzutreten und zu widersprechen, die diese selbstverständliche Hilfe in Not ablehnen, behindern, bekämpfen und verunglimpfen.

ABER, und auf dieses ABER kommt es mir an: Wir haben kein Recht und keine Pflicht, uns und die anderen zu belügen über die Größe der Probleme, der Aufgaben und der Kosten, die da auf uns zu kommen.
Es könne keine Rede davon sein, dass der Wohlstand des Landes durch Flüchtlinge bedroht wäre. – So ein Satz ärgert mich. Hilfe für Hunderttausende, mittelfristig mehrere Millionen Flüchtlinge kann keiner aus der Portokasse bezahlen. Darum MUSS nachgerade endlich davon die Rede sein, was die Flüchtlingskatastrophe uns kostet.
Und damit meine ich nicht nur die finanziellen Kosten für die öffentlichen Haushalte und das Wohlstandsniveau eines Landes, sondern viel mehr auch die Kosten für die Demokratie und für den öffentlichen Frieden. Es muss davon gesprochen werden, was es bedeutet, wenn von den Millionen, die zu uns kommen, Hunderttausende kein Verständnis für demokratische, rechtsstaatliche und freiheitliche Verhältnisse und Lebensformen mitbringen, oder was es heißt, wenn sie die Konflikte, denen sie in ihren Herkunftsländern entflohen sind, mit zu uns bringen. Die Ereignisse in Suhl sollten da wach und hellhörig machen. Und nicht zuletzt muss auch im Blick sein, dass mit den Flüchtlingen auch islamistische Kämpfer und Terroristen kommen bzw. bewusst eingeschleust werden.
Nach Jahrzehnten ist es nur teilweise gelungen, Immigranten aus bestimmten Herkunftsländern und -regionen in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Wie schwierig wird das erst mit den Millionen werden, die jetzt kommen?
Mit den hilfsbedürftigen Menschen kommen Kosten und Probleme, riesige Kosten und Probleme, von den wir heute nicht wissen, ob wir ihnen gewachsen sein werden. Das ist das große ABER.
Wer dieses ABER nicht sagt, der macht sich mitverantwortlich dafür, dass sich die „besorgten Bürger“ belogen und betrogen vorkommen.

Wenn wir das menschlich geforderte JA zur Hilfe für Menschen in existenzieller Not sagen, dann erfordert das für unsere Gesellschaft eine gewaltige Kraftanstrengung. Dass alles so bleiben könnte, wie es ist, ist eine Illusion, und mit dieser Illusion die Beunruhigten ruhig stellen zu wollen, wird nicht funktionieren. Das würde ich meinem Noch-Bischof und all den Willkommens-Enthusiasten dieser Tage gerne sagen.
Und den „besorgten Bürgern“ würde ich gerne sagen: „Vielleicht habt ihr mit allen euren Befürchtungen recht; und trotzdem habt ihr als Menschen die verdammte Pflicht, eure Mitmenschen in Not menschlich zu behandeln!“

21. August 2015

Eine kleine Anmerkung zur Moral und warum einem nicht jeder leid tun muss.



Eine Geschichte, die es vielleicht nicht in die Top-Schlagzeilen dieser Tage geschafft hat, aber immerhin dennoch in den meisten Zeitungen zu finden war, ist der vor gut einem Monat ausgeführte Hack der Ashley-Madison Webseite. Oder vielmehr weniger der Hack als die Veröffentlichung der Nutzerdaten.

19. August 2015

Begegnung in Kazimierz

Bei einer Polenreise ist der Besuch in Krakau auf jeden Fall ein Höhepunkt. Historisch eines der glänzendsten Kulturzentren Europas und von Kriegen unzerstört. Die Altstadt, die Museen, der riesige Marktplatz, der Dom mit dem Veit-Stoß-Altar, die Königsburg - eine Fülle von touristischen Leckerbissen.

Und Kazimierz, das alte jüdische Viertel. Vor dem Krieg die größte jüdische Gemeinde in Europa mit einer großen kulturellen Tradition.
Dann kamen die Massenmörder. Von 3 Millionen Juden in Polen überlebten nur einige hunderttausend die Nazi-Herrschaft. Die aber ebenfalls nicht bleiben konnten. Beim Thema Antisemitismus waren sich die meisten Polen recht einig mit den deutschen Besatzern. Kurz nach dem Ende der KZ-Morde gab es schon wieder Pogrome, spätestens nach der antisemitischen Kampagne der kommunisten Führung 1968 war das Land "judenrein".

16. August 2015

Serien in Zettels Raum: Umweltschutz reloaded. Die Sache mit dem Dosenpfand.


Können Sie sich noch an das Dosenpfand erinnern, lieber Leser ? Natürlich können Sie das, schliesslich werden Sie Tag für Tag damit konfrontiert (zumindest wenn Sie ihren Wohnsitz noch in Deutschland haben).

13. August 2015

Das Universum stirbt


Eigentlich handelt es sich bei der Meldung, die uns aus den Kreisen der Wissenschaft über das Universum erreicht, um eine Nachricht, die alleroptimalst geeignet scheint, das Sommerloch mit leichtem Wellenschlag zu beleben, eine roßbreitenähnliche mediale Kalmenzone, in der sonst nur das Ungeheuer von Loch Ness, die Kleinen Grünen Männchen (als es sie, Jahrzehnte ist das her, noch gab), Claudia Roth oder ähnliche Phänomene für folgenlose Kurzweil sorgten, deren Irrlichtern ohne Bedeutung für das wirkliche Leben in der sublunaren Sphäre am Grunde des Luftozeans ist. Somit handelt es sich auch um das natürliche Biotop der Astronomie, jedenfalls den Teil der Sternenguckerei, von dem die Großen Medien glauben, daß es für das breite Publikum von interesse sein könnte. Vom amerikanischen Regisseur Cecil B. DeMille, dem Vater des Breitwandspektakels, stammt der Ratschlag, daß ein guter Film mit einem Erdbeben anzufangen und sich dann langsam zu steigern habe: "Start with an earthquake and work to a climax." Großformatiger als mit dem gesamten Universum kann man wirklich nicht beginnen, und sein Untergang stellt die denkbar dramatischste Wendung dar.

Und so lauteten denn auch die Aufmacher in diversen Medienportalen wie folgt:
"The Universe Is Dying" (IFL Science, 10. August 2015)

9. August 2015

Zitat des Tages: Der Realitätssinn der Grünen

"Für uns Grüne ist das leider ein harter Realitätstest. Es hat uns schon öfter erwischt, dass wir mit großem Enthusiasmus hehre Ziele verfolgt haben und dann hat die Wirklichkeit sich nicht danach gerichtet."

Boris Palmer, grüner OB in Tübingen, zum Thema Abschiebungen.

Kommentar:

Jedem, der sich auch nur ein bisschen in der Philosophie auskennt, springt beim Lesen dieses Satzes sofort eine eindeutige Assoziation ins Auge. Diese Denkfigur Palmers hat nämlich einen sehr berühmten Vorläufer, witzigerweise sogar einen Landsmann Palmers, der zwar ziemlich genau 200 Jahre früher, aber keine 20 Kilometer entfernt von ihm das Licht der Welt erblickt hat - Hegel.

7. August 2015

Kein ganz schlechter Eckpunkt

Die SPD hat eine Idee, wie man das Asylverfahren entlasten könnte. Wie die "Rheinische Post" mitteilt, sollen Einwanderer aus dem "Westbalkan" Arbeitsvisa erhalten, wenn sie einen Arbeitsvertrag haben, "der ein Einkommen oberhalb des Mindestlohns (1460 Euro brutto im Monat) sichert und nach Tarif oder branchenüblich bezahlt werden". So steht es in einem "Eckpunkte-Papier", das die Ministerpräsidenten und der Bundesvorsitzende am 3.8. beschlossen haben. (Rheinische Post, 6.8.2015)

6. August 2015

Das nackte Gute

Wenn mich gestern jemand gefragt hätte, was ich an diesem Tag vor fünf Jahren erlebt habe, hätte ich passen müssen. Da aber die Wikipedia-Startseite eine Rubrik "Jubiläen" hat, habe ich mich zumindest daran erinnert, was ich exakt 69 Tage später erlebt habe, und es war eine schöne Erinnerung.

Ich habe morgens vor dem Fernseher gesessen und mit Tränen der Rührung und Freude die Ausfahrt der 33 chilenischen Bergleute aus dem Schacht in San José verfolgt, die zuvor drei Monate dort gefangen waren. Komplett, auch nach der zehnten Ausfahrt habe ich mir zu keinem Zeitpunkt gedacht, "jetzt habe ich es gesehen, jetzt kann ich wegschalten".

Warum hat mich das so fasziniert? Ich erkläre es mir damit, dass diese Bilder in ihrer unmittelbaren Wucht etwas transportieren, das ich mangels eines besseren Begriffes "das nackte Gute" nennen möchte. Religiöse Menschen könnten es auch als Gotteserfahrung bezeichnen.

5. August 2015

Vom Bundesanwalt und der Unerträglichkeit.

 „Es entbindet Journalisten nicht von der Einhaltung der Gesetze“.
 
                                               --- Harald Range, 2015

Einen schönen Satz hat Herr Range da getan. Der Journalist ist nicht von der Einhaltung der Gesetze entbunden. So trivial wie richtig. Und dennoch ein Satz der ganz hervorragend in das Rechtsverständnis lupenreiner Demokratien unserer Tage passt, wie man sie am Bosporus oder in Vorderasien finden kann. 

4. August 2015

Meckerecke: Die PRD

Das sogenannte System Merkel wird ja vorrangig dadurch charakterisiert, dass die Kanzlerin sich "vom Volk entfernt", "unserem Ansehen Schaden zufügt" (hauptsächlich in einer bestimmten Mittelmeerrepublik) usw., vor allem aber, dass sie bevorzugt gar nichts tut oder erst dann, wenn die Sache schon gelaufen ist. 

Für Angela Merkel mag letzteres in gewisser Hinsicht sogar zutreffen. Und ich habe den Verdacht, dass das der Grund dafür ist, warum sie der Großteil des medial-politischen Berlins nicht leiden kann. Weil sie nicht über jedes Stöckchen springt, das ihr hingehalten wird. Und wenn sie es in der Vergangenheit getan hat, hat sie in der Regel daraus gelernt. Jedenfalls hat man seit dem Atomausstieg keine energiepolitische Äußerung mehr von ihr gehört - da lässt sie lieber den Kollegen Gabriel mit schöner Regelmäßigkeit ins offene Messer rennen, genauer gesagt in den offenen Hirschfänger aus München.

Ähnliches gilt noch für Schäuble, der einfach sein Ding durchzieht, ob es irgendwem passt oder nicht.

Ansonsten gleicht das politische Berlin, das in einer nie da gewesen Symbiose mit dem journalistischen Berlin lebt, einem aufgescheuchten Hühnerhaufen, das vor nichts mehr Angst zu haben scheint als vor dem Shitstorm, den irgendein Redaktionspraktikant lostritt und von seinen genauso unbedeutenden Followern geteilt wird.

30. Juli 2015

Hitzewellenlektüre: Heinrich Nowak, "Die Sonnenseuche"

Obwohl der turnusgemäß zu den Großen Ferien ausgebrochene Sommer sich mittlerweile etwas verkühlt hat - kein Wunder bei der feuchten Witterung und Mittagstemperaturen von 15° C - und "Rekordwerte" von mehr als 40 Grad wie am 5. Juli vorerst Schnee von gestern sind (zu diesem "Temperaturrekord" sh. diesen Beitrag auf dem Blog des Europäischen Zentrums für Klima und Energie [EIKE]) - oder vielleicht gerade als Kontrastprogramm dazu - bietet sich der Blick in einen literarischen Text an, der den Sommer in Höchstpotenz nicht nur als Hintergrund des Geschehens, als lähmende, glühende Kulisse einer stauberstickten Metropole wie beispielsweise das mörderische Kammerdramaspiel von Alfred Hitchocks "Rope" von 1948, Albert Camus' "L'Entranger" oder das phantasmagorische Kalkutta in Dan Simmons erstem Roman "Song of Kali" (1985) hat, sondern dessen einziger Fokus auf der Präsentation der blendenden, erblindenden Hitze liegt. Und der vor genau* 100 Jahren erschien.

19. Juli 2015

Und sie rufen nicht mal morgens an und sagen Danke dafür. Ein Gedankensplitter zu Anspruch und Dankbarkeit.


In einem heute fast vergessenen Film fällt das obige Zitat: Und sie rufen nicht mal morgens an und sagen Danke. Gemeint in diesem Kontext ist die Regierung der vereinigten Staaten, die eine Menge Geld – Steuergeld – für einen fragwürdigen Zweck ausgibt. Eine solche Regierung hat die Bundesrepublik ebenso. Und Narrhallamarsch, es ist eine Menge Geld. 

17. Juli 2015

Die Dicke singt nicht

"It ain't over till the fat lady sings" wird gerne einmal zitiert, wenn eine Sache sich lange hinzieht und jemand die Hoffnung äußert, nun wäre es aber gleich vorbei. Mit der dicken Dame ist wahrscheinlich die stimmgewaltige Walküre gemeint, deren Einsatz bei Wagner den Weltuntergang ankündigt. Mit dem Weltuntergang ist die Oper dann auch zuverlässig aus. Und egal wie gut der Zuschauer die Oper anfangs vielleicht fand - irgendwann hat er doch genug und wartet ungeduldig auf die dicke Dame.

Das gilt um so mehr bei Vorführungen, die man schon von Anfang an nicht wirklich gut fand. Z. B. die Griechenlandkrise.
Immer noch ein Krisengipfel, immer noch eine letzte Frist, eine allerletzte Nachverhandlung, immer wieder Bedingungen, immer wieder Zahlungen - und dann wieder ein Krisengipfel mit Sitzungsende spät in der Nacht.
Begleitend dann eine Kakophonie von Meinungsäußerungen, von Politikern, "Experten" und Kommentatoren. Man kann gar nicht so unwichtig sein, daß man mit einer schrägen Position nicht eine Tickermeldung spendiert bekommen würde.

Nein, keine schöne Show. Und der Wunsch wächst, daß endlich der Auftritt der Dicken kommen würde. Egal ob dann der Weltuntergang kommt, oder der Grexit, oder der Banken-Crash, oder der Zusammenbruch der Demokratie, oder die völlige Entwertung des Geldes, oder, oder, oder ...
An Katastrophenszenarien wäre kein Mangel. Wenn nur endlich die Schlußarie käme.

Aber die Dicke singt nicht.

16. Juli 2015

Gedanken zum Kulturpessimismus. Ein Gastbeitrag von nachdenken_schmerzt_nicht


Wenn man sich fragt, was Kulturpessimismus ist, und ob er angebracht sei, sollte man ihn auf keinen Fall mit einem allgemeinen „Zukunftspessimismus“ verwechseln. Diese Forderung nach einer Unterscheidung mag zunächst verwunderlich erscheinen, weil doch beide Formen der negativen Erwartungshaltung auf das Gleiche hinauslaufen: Eine düstere Zukunft.

Der Unterschied liegt allerdings in der jeweiligen Begründung, warum man eine düstere Zukunft zu erwarten hat, und in welchem Rahmen sich diese auswirkt.

Der Zukunftspessimist erwartet allgemein nur das Schlechteste vom Menschen: Der Mensch ist ein hoffnungsloser Egoist, zerstört seine Umwelt, beutet seine Mitmenschen aus, ist nur auf seinen Vorteil bedacht und nimmt das Leid anderer bei vollem Bewusstsein für einen eigenen Vorteil billigend in Kauf. Der Untergang des Menschen ist daher nur eine Frage der Zeit. Es ist das zeitgeistige, grüne Bild des „Virus Mensch“, welches unseren Planeten befallen hat, bis es schlussendlich seinen Wirt und damit auch sich selbst zerstört. Der Zukunftspessimist denkt global.

Der Kulturpessimist erwartet im Gegensatz dazu, dass sich lediglich die Bedingungen seines direkten gesellschaftlichen Umfelds nachteilig verändern, da die Generationen, die dieses prägen, sich nachteilig entwickeln.

13. Juli 2015

Miszelle: Ein Götterliebling

Es ist natürlich tragisch, keine Frage, wenn ein Mensch in einem Alter, in dem es niemand erwartet, noch bevor er "seine besten Jahre" erreicht hat, "plötzlich und unerwartet" stirbt, so wie man es heute in dieser Meldung auf "Spiegel Online" nachlesen kann:

Noch vor wenigen Tagen saß Philipp Mißfelder im CNN-Studio in London. Der Außenpolitiker der Unionsfraktion gab der Starreporterin des US-Senders, Christiane Amanpour, ein Interview. Es ging um die Lage in Griechenland, um die Politik der Kanzlerin. Mißfelder sprach Englisch, er wirkte ruhig und gelassen. Er machte seine Sache gut.


In der Nacht von Sonntag auf Montag ist der 35-Jährige völlig überraschend gestorben. Eine Lungenembolie ist eine tückische Krankheit, die jeden treffen kann, in jedem Alter. Wer Glück hat, kann noch durch eine Infusion gerettet werden. Mißfelder hatte es nicht, obwohl er noch ins Krankenhaus gebracht wurde.

12. Juli 2015

Eine Bemerkung zu einer googlefreien Filterblase


­Vor ein paar Tagen ist ein Interview mit Frauke Petry in der Zeit erschienen. Von einer Menge inhaltlicher Fragezeichen abgesehen, fand dieser Autor eine Antwort als besonders hervorstechend, so hervorstechend, dass sich eine kurze Reflektion darüber anbietet. So antwortete sie auf eine Frage nach Mehrheitsfähigkeiten:
Wir haben mehr Stimmenpotenzial. Unser Ziel muss die eigene Mehrheit sein. 

(Zitat muss aus rechtlichen Gründen eingekürzt sein, um den ganzen Absatz nachzulesen, bitte hier klicken)

9. Juli 2015

„Wer bist du denn?“ Nora Gomringer

So fragt die Gewinnerin des Ingeborg-Bachmann-Preises den Lektor und sich in ihrem Beitrag „Recherche“. Darin geht es um die Schuldfrage am Sturz eines dreizehnjährigen schwulen Jungen aus dem Fenster. Für die Polizei ein Unfall, für die recherchierende Dichterin ein Verbrechen. Sie will nicht nur das fünfstöckige Mehrfamilienhaus entlarven, sondern unsere ganze Gesellschaft.

3. Juli 2015

Sieben griechische Wahrheiten

Die Krise eskaliert wieder einmal, die üblichen Verdächtigen in Politik und Medien geben ihren Senf dazu und alle haben schon immer gewußt, wie man es hätte besser machen können.
Und es werden - wie seit Jahren - diverse Falschaussagen wiederholt.

Deswegen einige Klarstellungen:

1.) Die Milliardenkredite sind den Griechen zugute gekommen, nicht den Banken.

2.) Die griechische Regierung will etwas von der EU, nicht umgekehrt.

3.) Die Sparmaßnahmen seit 2010 haben nicht zu einem Rückgang der Wirtschaftsleistung geführt.

4.) Die Sparmaßnahmen seit 2010 sind nicht schuld an sozialen Problemen in Griechenland.

5.) Die EU respektiert die demokratischen Entscheidungen in Griechenland.

6.) Die Syriza-Regierung ist verantwortlich für die griechische Überschuldung.

7.) Eine Rückkehr zur Drachme würde Griechenland nichts bringen.

Im Detail:

21. Juni 2015

Marginalie: Die junge Union macht sich Gedanken ums Kinderkriegen


Eigentlich müsste diese Marginalie unter die Kategorie "Dummes, kurz kommentiert" fallen, aber da der Vorsitzende der jungen Union nur die Idee seiner ganzen Organisation weitergibt, passt das nur am Rande. Die Kategorie dumm würde es allerdings durchaus treffen.
Was also fordert die junge Union ? Sie fordert eine Kopfprämie von 1000 Euro für jedes neu geborene Kind. Und zahlen sollen das diejenigen, die halt keine Kinder haben. Tolle Idee. Vor allem da der Mechanismus in Deutschland ja bekanntlich seit Jahren so gut funktioniert, dass knapp 2000 Euro Kindergeld per annum ja dazu geführt haben, dass das Land -wow- schon knapp 1,4 Kinder pro Frau an Nachwuchs generiert.

19. Juni 2015

Bevor Europa zerbricht


Zum typischen Sprachgebrauch eines Europapolitikers dieser Tage gehört es unbedingt zu betonen, dass Griechenland in der Euro Zone bleiben muss, damit Europa nicht zerbricht. Es ist die gängige wie unterschwellige These, dass ein Ausscheiden von Griechenland aus der Eurozone gleichzeitig die Gefahr birgt, dass die europäische Einigung, ja die europäische Freundschraft generell, mit dem Ausscheiden Griechenlands aus der Währungsunion bedroht ist, oder anders gesagt, dass die Freundschaft inzwischen vor allem durch eine gemeinsame Währung geprägt sein soll. 

17. Juni 2015

Deutscher Übersetzer tot: Jameson!

Der letzte noch lebende Mensch, der Harry Rowohlt nicht leiden konnte, hat sich in Person von Fritz J. Raddatz vor ein paar Monaten umgebracht. Damit ist sichergestellt, dass genügend nichtssagende Lobeshymnen (bevorzugt mit missglückten "Bären"-Wortspielen) über ihn im Umlauf sind.

So bleibt mir nur, ihm die Überschrift zu verehren, die er sich selbst (im großartigen Dialog mit Ralf Sotschek namens In-Schlucken-zwei-Spechte) für den Fall seines eventuellen Ablebens zugeschrieben hat.

Sláinte, Haeraidh!
 

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Meister Petz

© Meister Petz. Titelvignette: Harry Rowohlt auf der Frankfurter Buchmesse 2003. Foto von Hans Weingartz, vom User Frau Olga unter CC-BY-SA-2.0-DE lizenziert. Für Kommentare bitte hier klicken.

13. Juni 2015

Martin Buber starb am 13. Juni vor 50 Jahren

Er blieb, so scheint es mir, immer ein Sucher und hatte den chassidischen Glauben seines Großvaters im galizischen Lemberg durch das Studium der Aufklärung verloren. Ältere erinnern sich vielleicht noch an Radiovorträge, in denen das Wort vom heutigen Schweigen Gottes vorkam. Damals liefen auch alle in Ingmar Bergmans Film „Das Schweigen“. Und fand der jüdische Sucher etwas?

Buber (1878-1965) berichtet über seine Suche nach der Wahrheit: „In jüngeren Jahren war mir das ‚Religiöse‘ die Ausnahme. (…) Das ‚Religiöse‘ hob einen heraus. Drüben war nun die gewohnte Existenz mit ihren Geschäften, hier aber waltete Entrückung, Erleuchtung, Verzückung, zeitlos, folgelos.“ Das Ereignis eines schicksalshaften Besuchs eines jungen verzweifelten Menschen habe ihn bekehrt. Er habe dessen Fragen zwar beantwortet, aber es unterlassen, „die Fragen zu erraten, die er nicht stellte“ und von denen er später durch einen Freund erfuhr. „Seither habe ich jenes ‚Religiöse‘, das nichts als Ausnahme ist, Herausnahme, Ekstasis, aufgegeben oder es hat mich aufgegeben. Ich besitze nichts mehr als den Alltag. (…) Ich kenne keine Fülle mehr als die Fülle jeder sterblichen Stunde an Anspruch und Verantwortung. (…) Wenn das Religion ist, so ist sie einfach alles, das schlichte gelebte Alles in seiner Möglichkeit der Zwiesprache.“ ( Zwiesprache, Traktat vom dialogischen Leben, Heidelberg 1978, 31-33)

30. Mai 2015

Kinderverwahranstalt, Indoktrinationsinsel oder doch ein Ort zum Lernen ? Ein Gedankensplitter zur real existierenden Bildungsgerechtigkeit.


Der grosse Bildungskampf der siebziger Jahre ist inzwischen schon vielen nicht mehr vertraut, aber vor nicht ganz 40 Jahren tobte in Deutschland ein Grundsatzkampf um das zukünftige Schulsystem. In der sechziger Jahren konzeptionell aus der Taufe gehoben, versuchten diverse Politiker die Idee Gesamtschule in den siebziger Jahren als die einzige weiterführende Mittelschule durchzusetzen. 
Man kann sich die Größe dieses Kulturkampfes vorstellen, wenn man bedenkt, dass damals 3,6 Millionen Unterschriften zusammengebracht wurden (in einer Zeit vor dem Internet), um den Beschluss der damaligen NRW Regierung umzuwerfen, die Gesamtschulen als einzige Mittelschule einzuführen. Der Versuch ist gescheitert und seitdem dümpelt die Gesamtschule neben den anderen Schulformen her, in einigen Bundesländern dominanter, in anderen weniger dominant.

29. Mai 2015

Die Sonne scheint

Fußball-Fangesänge müssen nicht literarisch anspruchsvoll sein. Und wenn in Darmstadt die Fans ihr Lieblingslied anstimmen kann auch die große Begeisterung nicht verdecken, daß die meisten nur den Refrain wirklich können.
Aber egal wie das Wetter auch sein mag - derzeit scheint die Sonne über dem Sensationsaufsteiger. Ein echtes Fußballmärchen, wie die "Lilien" von der vierten in die erste Bundesliga aufgerückt sind.

Ebenfalls unabhängig vom realen Wetter läßt der Sonnenschein für manche Fußball-Funktionäre etwas weiter südlich zu wünschen übrig. Anstatt feudal im Baur au Lac zu residieren und den FIFA-Paten erneut zu inthronisieren, müssen sie wegen Korruptionsvorwürfen in eidgenössischen Gefängniszellen trauern.

Ein spannender Kontrast.