24. Dezember 2015

... die guten Willens sind

Gloria in excelsis Deo / Et in terra pax hominibus bonae voluntatis.

Ehre sei Gott in der Höhe / Und Friede den Menschen auf Erden, die guten Willens sind.

So lautet der letzte Satz des Weihnachtsevangeliums (Lk 2,  14) in der Vulgata, die zumindest bis zum II. Vaticanum maßgeblich für die liturgischen Texte in der katholischen Kirche war. Ich bin mit diesem Satz aufgewachsen, da in unserer Familie bis heute die Weihnachtsgeschichte - unter dem erleuchteten Christbaum - aus dem alten "Schott"-Messbuch meiner Mutter vorgelesen wird. 

Theologen aller Konfessionen werden nun einwenden, dass diese Übersetzung "falsch" ist, und man findet sie in keiner aktuellen Bibelausgabe mehr. Dennoch ist er für meine Vorstellung von Weihnachten zentral, und egal ob ich nun höre "den Menschen seines Wohlgefallens" (Luther) oder "den Menschen seiner Gnade" (Einheitsübersetzung) - ich werde nie anders können, als in meinem Kopf hinzuzufügen: "Die guten Willens sind".

Auch wenn die Textänderung exegetische und theologische Gründe hat, finde ich, dass es in den Zeitgeist passt, dass der "gute Wille" verschwindet. Der gute Wille hat, wenn man so sagen will, keinen sonderlich guten Ruf - gerade unter Konservativen. Ein "Mensch, der guten Willens ist" - das ist ja geradezu ein "Gutmensch"! Vor dem müssen wir uns in Acht nehmen; außerdem ist "gut gemeint" überhaupt und sowieso nichts anderes als das "Gegenteil von gut gemacht".

Mögen mir diese Gedanken sonst nicht fremd sein, so sind sie mir in Bezug auf Weihnachten nie in den Sinn gekommen - denn im Zusammenhang mit der Botschaft der himmlischen Schar an der Krippe des neugeborenen Erlösers wirken sie geradezu kleingeistig. Andererseits steckt doch auch eine gewaltiges aufklärerisches Potenzial in der Idee, das unser Wille für den Frieden entscheidend ist, und nicht nur die Gnade und das Wirken Gottes bzw. die von seinem heutigen Surrogat, dem Staat. 

Nicht zuletzt deshalb kann ich mich mit anderen Übersetzungen nicht anfreunden. Sie nehmen der Weihnachtsbotschaft einen für mich maßgeblichen Gedanken weg: Dass sie sich an jeden Einzelnen richtet, nicht an ein Kollektiv. 
  
Nur so kann Weihnachten funktionieren - denn Weihnachten ist das, was man daraus macht. Heute nacht werden Tausende von Pfarrern und sonstigen beruflichen und hobbymäßigen "Politikern" mit sauertöpfischer Miene an dieser Idee vorbeipredigen. Sie werden Hektik und Konsum beklagen, den unfriedlichen Zustand der Welt bejammern und dass die Politik und die Wirtschaft daran schuld sind; und damit unbewusst versuchen, den Familien den letzten Rest Weihnachtsfreude zu vermiesen. Weil sie Weihnachten als kollektive Angelegenheit verstehen, rufen sie das Kollektiv auf, dieses zu tun, jenes zu unterlassen und vor allem: kollektiv zu empfinden. Wie oft hört man: man soll an Weihnachten vor lauer Familie nicht die großen Probleme der Welt vergessen. Nun neigt gerade der Deutsche dazu, vor lauter Schmerz über die als groß empfundenen Probleme (vor allem die "künftiger Generationen") nicht mehr wahrzunehmen, was um ihn herum passiert. 

Das Tröstliche ist: Das haut nicht hin. Das Tolle an Weihnachten ist ja, dass es trotz aller Beschallung, aller Konformität in den sich wandelnden Ritualen ein privates, geradezu intimes Fest ist.* Es hat mich schon immer fasziniert, am Heiligen Abend in die Fenster die erleuchteten Christbäume zu sehen, und mir zu denken: Jeder tut an diesem Abend das Gleiche, aber nicht dasselbe. Und es gibt tatsächlich diesen Moment, der völlige Konzentration auf die Anwesenden erzeugt. Da wird Weihnachten individuell - und der Frieden hängt weniger von Merkel, Putin oder dem IS ab, sondern ob Tante Hildegard mal für eine Stunde ihr Schandmaul halten kann oder Leon und Emma sich wie immer in den Haaren liegen. Ob die Ente durchgebraten ist, und wenn nicht, ob es jemanden kümmert. Oberflächlich, nicht wahr? Aber auch unglaublich intensiv - und alle, die einem ein schlechtes Gewissen einreden möchten, oder sich einreden lassen, beißen auf Granit. 

Denn was Weihnachten wirklich ausmacht: Der Mensch kommt zum Vorschein, wie er ist. Deshalb mag ich auch den Satz mit dem "guten Willen" so gern, denn die wichtigste Frage am Menschen an sich ist doch, ob er einen guten Willen hat!

Ich wünsche jedem Einzelnen unserer Leser ein gesegnetes Weihnachtsfest. Der Friede sei mit Ihnen!

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Meister Petz


* Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass ich in der Weihnachtsbotschaft 2013 so ziemlich das Gegenteil geschrieben habe: vom totalitären Weihnachtsfest. Aber auch das gehört zu Weihnachten - dass es unglaublich viele Dimensionen hat, die - je nach eigener Lebenssituation - mehr oder weniger in den Vordergrund treten. In diesem Sinne ist der heutige Artikel mehr als Ergänzung denn als Korrektur zu verstehen.

© Meister Petz.  Titelvignette: Engel in der Pfarrkirche St. Michael in Wolfring in der Oberpfalz. Um User DALIBRI unter CC BY-SA 4.0 lizenziert.Für Kommentare bitte hier klicken.