Generäle üben, so heißt es, immer den Krieg von gestern. Mein Eindruck ist, daß auch bei der Verteidigung der Freiheit oft noch die Kriege von gestern, ja von vorgestern das Vorbild abgeben.
Bedrohungen unserer Freiheit werden dort gesehen, wo sie einmal waren. Wo sie im Obrigkeitsstaat des deutschen Kaiserreichs waren, wo sie in der klerikal geprägten Adenauer- Zeit waren.
Aber diese alten Bedrohungen sind in vielen Bereichen in den Hintergrund getreten, wenn nicht gar ganz verschwunden. Dafür gibt es neue Versuche, die Freiheit zu beschneiden. Manchmal von just denjenigen, deren Freiheit früher einmal selbst bedroht gewesen ist. Man hat, um im martialischen Gleichnis zu bleiben, gelegentlich den Eindruck, die Fronten hätten sich umgekehrt.
Auf das Thema dieses Beitrags bin ich auf Umwegen gekommen. Die erste Station war eine der für mich wichtigsten WebSites überhaupt, das
Blogaggregat der Sozioproktologen, das man gar nicht genug loben kann. Ein Muß für alle, die sich, minütlich aktuell, darüber auf dem Laufenden halten wollen, was in der liberalen
Blogokugelzone veröffentlicht wird.
Dort findet man auch die Artikel aus
"Gay West" verlinkt, einem Blog mit Beiträgen von - so die Selbstbeschreibung - "schwulen Liberalen, liberalen Schwulen, Freunden von Freiheit, Demokratie und Marktwirtschaft". Gut so. Solche Blogs, in denen sich, um im Bild zu bleiben, die Sphären überschneiden, sind oft besonders reizvoll. Indem sich Perspektiven treffen, entstehen neue Einsichten. Ich lese gern in diesem Blog, auch wenn ich sozusagen nur halb zur Zielgruppe gehöre.
In "Gay West" nun gab es gestern eine im Blogaggregat verlinkte Notiz, die mich auf dem Weg zum meinem jetzigen Thema eine Station weiterführte. Berichtet wurde über einen kuriosen
Kommentar, den jemand als Antwort auf einen gewissen Herrn Bartsch geschrieben hatte.
In dieser Antwort an den sehr geehrten Herrn Bartsch geht es um Homosexualität, und unser Kommentator schreibt:
Eine Befreiung von Homosexualität kann alleine nur durch Jesus in Verbindung mit einem Seelsorger geschehen. Dies können viele ehemalige Schwule bezeugen, die Heute wieder ganz normale Menschen sind und mit einer Frau glücklich verheiratet sind. Die schwul,-lesbisch befallenen Menschen jedoch in Ihrem Unglück und Verderben zu belassen, darüber freut sich nur der Teufel.
Beim Lesen des Auszugs, der im Blogaggregat steht, hatte ich das für eine Satire gehalten, eine eigentlich ganz lustige. Nun aber, so wie es in "Gay West" zitiert wurde, hatte man doch den Eindruck, daß das einer ernst meinte. Das machte mich neugierig.
Wo steht diese Antwort an den Herrn Bartsch? Sie steht bei
"Idea", Untertitel "Das christliche Nachrichtenportal". Und die Nachricht, zu der mich der Link führte, hat - jedenfalls auf den ersten Blick - nicht das Geringste mit Homosexualität zu tun. Vielmehr geht es um die Straßenbahnen in Bremen.
Die Straßenbahnen in Bremen? Ja. In diesen nämlich, so erfahren wir aus dem Vorspann der Meldung, wird es "nur ein eingeschränktes Musikprogramm ... geben".
Nanu? Wieso überhaupt ein Musikprogramm in den Bremer Straßenbahnen? Und warum wird das jetzt eingeschränkt? Und was zum Teufel hat das mit der Homosexualität zu tun und damit, daß er sich, laut Antwort an den sehr geehrten Herrn Bartsch, freut, der Teufel, wenn man die Homosexuellen in ihrem Verderben läßt?
Sie merken, lieber Leser, da verbinden, da kreuzen sich Themen, da verknoten sie sich. Also, jetzt eins nach dem anderen:
Über das lange Wochenende ab dem 1. Mai findet in Bremen das fünfte "Christival" statt, ein christliches Jugendtreffen, das den Teilnehmern eine "außergewöhnliche Begegnung mit anderen Gläubigen, einen intensiven Austausch, eine Zeit des Lernens und des Gebets" verspricht. Ein kleines, nationales, evangelisches Gegenstück also zum großen katholischen Weltjugendtag, zu dem vor drei Jahren der Papst nach Köln gekommen war.
Keine Veranstaltung der EKiD, aber doch, wie man den Namen im Kuratorium entnehmen kann, mit einer breiten Unterstützung aus der evangelischen Kirche heraus. Zu den Trägern gehören diverse Gliederungen des CVJM, das Evangelische Jugendwerk, das Blaue Kreuz, die Berliner Stadtmission, zahlreiche Einzelpersonen. Laut Wikipedia gehört "Christival e.V." zur "Evangelischen Allianz", eine weltweite protestantische Vereinigung mit reformatorisch- evangelikaler Ausrichtung. Schirmherrin ist die Ministerin von der Leyen.
Nun kommen wir zur Bremer Straßenbahn. In ihrer wollten die Veranstalter des Treffens während dessen Dauer Musikveranstaltungen durchführen. Ich kenne das zum Beispiel aus der Pariser Métro. Da steigen Musikanten ein, spielen ihr Stücklein und gehen dann herum, um den einen oder anderen Cent oder Euro zu sammeln. So ähnlich sollte das auch in der Bremer Straßenbahn sein; ob mit oder ohne Sammlung, geht aus der Meldung bei "Idea" nicht hervor, mit der wir uns jetzt wieder befassen müssen. Darin heißt es nur:Ursprünglich war es der Wunsch der Veranstalter, dass in allen Straßenbahnen während des Festivals Musikgruppen auftreten. Die jetzige Vereinbarung sehe vor, dass dies nur in speziell gekennzeichneten Fahrzeugen geschieht, sagte BSAG-Sprecher Jens-Christian Meyer am 21. April auf idea-Anfrage.
Sehr vernünftig, dachte ich, als ich das las. Denn solche Musik mag ja gelegentlich ganz nett anzuhören sein. Aber sie von Mittwoch bis Sonntag hören zu müssen, wann immer man in Bremen in eine Straßenbahn steigt, das wäre doch zu viel des Schönen und Guten gewesen.
Da war ich aber ganz schön naiv gewesen. Denn jetzt kommt's. Jetzt verknoten sich die Themen "Christival" und "Straßenbahn" mit dem Thema "Homosexualität". Die Einschränkung der Musikdarbietungen in den Wagen der BSAG geschah nämlich nicht, jedenfalls nicht primär, um die Nerven und die Ohren der Fahrgäste zu schonen. Weiter in der "Idea"-Meldung über das, was der Sprecher Meyer der BSAG sagte:Er begründete dies unter anderem damit, dass politische Vertreter scharfe Kritik an der Ausrichtung des Treffens geübt hätten. Die Attacken links orientierter Kreise kommen vor allem aus den Reihen von Bündnis 90/Die Grünen. Ein Seminar "Homosexualität verstehen – Chance zur Veränderung" wurde nach Protesten des Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers der Grünen im Bundestag, Volker Beck, abgesagt.
Und was hat das nun mit Herrn Bartsch und dem Teufel zu tun? An diese Meldung in "Idea" schlossen sich Kommentare an. In einem hatte der Kommentator Bartsch geäußert, daß "Homosexualität nicht therapierbar ist, noch der Therapie bedarf". Und dies wiederum hatte einen anderen Kommentator, einen gewissen Wolfgang Niederberger aus Steinheim, in Rage gebracht und zu seiner geharnischten Replik veranlaßt. Die von "Gay West" aufgespießt wurde und die ich dadurch gelesen habe.
Nun gut, mögen Sie jetzt denken, das sind doch Lappalien. Halt das Übliche - Homosexuellen- Politiker wie Volker Beck mögen die Evangelikalen nicht, und diese mögen Volker Beck nicht.
Where's the news?Die Nachricht - und das, was mich zu diesem Artikel motiviert hat - liegt darin, daß die christlichen Musiker nun nur noch eingeschränkt in den Bremer Straßenbahnen spielen dürfen, weil sie auf einer Veranstaltung sein werden, für die ein Semar geplant war, gegen das Volker Beck protestiert hatte.
Und daß sogar, weil Volker Beck es kritisiert hatte, das inkriminierte Seminar gleich ganz abgesagt wurde. In der
Pressemitteilung (PDF) von "Christival" heißt es dazu über Becks Kritik und die Absage:
Seine Kritik bezog sich auf das Seminar mit dem Thema "Homosexualität verstehen – Chance zur Veränderung", das von Monika Hoffmann und Konstantin Mascher vom "Deutschen Institut für Jugend und Gesellschaft" auf dem Kongress angeboten werden sollte.
Dieses Seminar wurde aufgrund der "emotional hoch geschaukelten öffentlichen Diskussion" von den beiden Referenten heute abgesagt.
Die Begründung: "Wir möchten nicht, dass eines von 225 Seminaren dazu führt, dass das Christival mit Kritik überhäuft wird, bevor es überhaupt startet. Diese Kritik ist unberechtigt. Wir setzen uns dafür ein, dass Menschen, die ihre homosexuellen Impulse als unvereinbar mit ihren Wünschen, Überzeugungen und Lebenszielen erfahren, selbstbestimmte Wege gehen können, die zu einer Abnahme homosexueller Empfindungen führen. Solche Selbstbestimmung ist unveräußerliches Recht jedes Menschen und gehört zu seiner Freiheit.
Da dieses Thema aber nicht im Mittelpunkt des Christivals steht und wir auch nicht möchten, dass dadurch von anderen wichtigen Themen des Christivals abgelenkt wird, hat sich das Deutsche Institut für Jugend und Gesellschaft in gemeinsamer Absprache mit der Christival- Leitung zu diesem Schritt entschlossen", teilte Dr. Christl Vonholdt vom „Deutschen Institut für Jugend und Gesellschaft“ mit.
So ganz freiwillig war diese Absage freilich nicht, erfahren wir aus
dieser Pressemitteilung des Deutschen Bundestags vom 26. Februar. Darin heißt es:
Nach Bekanntwerden des im Rahmen des Kongresses geplanten Seminars "Homosexualität verstehen - Chance zur Veränderung", in dem laut Seminarbeschreibung "Ursachen und konstruktive Wege heraus aus homosexuellen Empfindungen" untersucht werden sollten, habe das Familienministerium interveniert, so dass das Seminar aus dem Programm genommen wurde.
Und damit bin ich bei dem eingangs genannten Thema: Von woher, von wem kommt eigentlich heutzutage die Bedrohung unserer Freiheit?
Lange waren es die Homosexuellen, deren Freiheit massiv bedroht und eingeschränkt wurde; die auf eine abscheuliche, durch nichts zu rechtfertigende Weise allein dafür, daß sie gemäß ihrer sexuellen Orientierung gelebt haben, verfolgt, ins Gefängnis gebracht, in KZs eingesperrt wurden.
Das liegt in den modernen freiheitlichen Rechtsstaaten Gott sei Dank hinter uns. Seit 1994 ist in der Bundesrepublik auch der letze Rest von Diskriminierung - das sogenannte Schutzalter - dem für Heterosexuelle angeglichen. Wie viele andere Minderheiten hat der Liberalismus auch die Homoxuellen aus einer vor- aufklärerischen Diskriminierung befreit.
Sollten da nicht eigentlich Politiker, die sich wie Volker Beck dem Anliegen der Homosexuellen verschrieben haben, besonders freiheitlich denken? Aber Beck läßt das Gegenteil erkennen. Er wollte - anders kann man die vorliegenden Meldungen nicht verstehen - unterbinden, daß auf einer Veranstaltung wie dem "Christival" Meinungen zur Homosexualität, die von der seinigen abweichen, auch nur
diskutiert werden.
Wenn ich das anprangere, dann geht es mir überhaupt nicht darum, wessen Auffassung ich teile; ich stehe der Becks, was das Wesen der Homosexualität angeht, sicher weitaus näher als derjenigen, die - wie es scheint - in dem abgesagten Seminar vermittelt oder diskutiert werden sollte.
Aber das gibt doch mir, das gibt doch Volker Beck nicht das Recht, darauf hinzuwirken, daß die betreffende Veranstaltung gar nicht stattfindet. Oder daß - was ja schon eine nachgerade absurde Folge dieses Eiferertums von Beck ist - nun in den Bremer Straßenbahnen am übernächsten Wochenende seltener christliche Musik gespielt wird.
Meine Recherche zu diesem Thema endete mit einem, wie soll ich sagen, Knalleffekt. Auch die Abgeordnete Petra Pau ("Die Linke") hat sich nämlich zu dem Thema
geäußert:
Die umstrittene (und inzwischen abgesagte) Veranstaltung im Rahmen des "Christival", eine kirchliche Großveranstaltung für Jugendliche, unterstellt, dass Homosexualität abwegig, krankhaft und heilbar sei. Das teile ich ausdrücklich nicht. Und deshalb finde ich auch: Das kritisierte Seminar kollidiert mit Artikel 1 Grundgesetz: "Die Würde des Menschen ist unantastbar", aller Menschen!
Ob Frau Pau das, was in dem Seminar diskutiert werden sollte, richtig darstellt, ist nach den oben zitierten Darlegungen der Veranstalter über dessen Inhalt und Intention zu bezweifeln. Aber selbst wenn es so wäre - was für ein aberwitziges Verständnis des Grundgesetzes wird in dieser Äußerung von Frau Pau sichtbar! Wenn eine bestimmte wissenschaftliche, vielleicht auch theologisch oder weltanschaulich begründete Auffassung nicht ihrer, Frau Paus, Haltung entspricht, dann ist sie für sie grundgesetzwidrig; jedenfalls in diesem Fall.
Aber dann erweist sie sich ja doch noch als großzügig:
Gleichwohl kann und will ich nicht verbieten, dass der eine oder die andere derartige unheilsamen Auffassungen, wie oben beschrieben, teilt. Die Gedanken sind frei. Aber sie sollten dann nicht noch durch staatliche Zuschüsse und durch eine Schirmherrschaft der Regierung befördert werden.
Da haben wir sie, die Kommunistin Petra Pau, die mit zwanzig Jahren in die SED eintrat, die seit 1985 an deren Parteihochschule "Karl Marx" zur Funktionärin ausgebildet wurde. "Die Gedanken sind frei" konzidiert sie großzügig. Nur, wer die falschen Gedanken hat, die aus der Sicht von Petra Pau falschen Gedanken, dem streicht der Staat eben das Geld. Das Geld, das zwar von uns Bürgern - auch den Evangelikalen - erarbeitet und dem Staat zur Verfügung gestellt wird, über das Frau Pau aber gern so selbstherrlich verfügen möchte wie zu SED-Zeiten.
Es ist beklemmend, daß Volker Beck da mitmacht; daß er sogar eine treibende Kraft hinter so viel Illiberalität ist. Es ist eine Schande, daß die Familienministerin da offensichtlich mitgemacht hat.