19. April 2008

Zettels Meckerecke: Jetzt nehmen sich die Brüsseler Bürokraten auch noch die Medien vor!

Nein, nicht Medien wie Presse und TV sind gestern in London marschiert. Sondern, so meldet Reuters, Medien wie Heiler und Wahrsager. Sie sind vor 10 Downing Street gezogen, "the home of the British Prime Minister", wie die Briten das ausdrücken.

Wollten sie Gordon Browns Gesundheit stärken oder ihm weissagen, wie es mit seiner Regierung weitergehen wird? Keineswegs. Gordon Brown war - das hatten die Hellseher wohl nicht vorhergesehen - auch gar nicht "at home".

Aber es ging ihnen auch nicht um Brown. Sie wollten nur, mit angemessenem Tamtam, eine Petition abliefern, unterschrieben von nicht weniger als 5000 Übersinnlichen. Von "Psychics" also, wie man sie in Großbritannien nennt.

Denn ihnen droht Übles aus Europa; Ungemach, das sich für die Mentalen sehr materiell auswirken kann. Die Brüsseler Bürokratie will wieder einmal zuschlagen. Ausgerechnet in dem Land, in dem 1882 die erste Parapsychologische Gesellschaft, die Society for Psychical Research, gegründet wurde und in dem Oscar Wilde das Gespenst von Canterville unter amerikanischer Unkultur leiden ließ.

Es geht um nichts Geringes. Es geht um eine fundamentale, ja metaphysische Frage: Befinden wir uns, wenn Handaufleger und Spökenkieker, wenn Geisterseher und Geistheiler ihre Dienste anbieten und verrichten, im Bereich des Kommerzes oder der Religion?



Bisher wirkten die Medien im Vereinigten Königreich im gesetzlichen Rahmen des Fraudulent Mediums Act von 1951; des Gesetzes gegen betrügerische Medien also. Es sah eine Bestrafung vor, wenn einem Medium Betrug nachgewiesen werden konnte.

Die von Brüssel ins Auge gefaßte Regelung, die die Briten dann in Gesetzesform zu gießen und an die Stelle des Fraudulent Mediums Act zu setzen hätten, sieht hingegen vor, daß Medien nachweisen müssen, daß sie wirklich in die Zukunft sehen, durch Handauflegen heilen, Kontakt mit Verstorbenen herstellen können.

Können sie das nicht, dann müssen sie - so soll es die geplante Brüsseler Direktive bestimmen - ihren Kunden ausdrücklich mitteilen, daß ihre Dienstleistungen nur der Unterhaltung dienen oder daß es sich um Experimente handelt, bei denen man nicht weiß, was herauskommt.

Das empört die Medien verständlicherweise. "If I'm giving a healing to someone, I don't want to have to stand there and say I don't believe in what I'm doing," sagte dazu Carole McEntee- Taylor, eine Heilerin und Mitbegründerin der Spiritual Workers Association, der "Vereinigung der Geistarbeiter" also, wenn man es wörtlich übersetzt. Wenn sie jemandem eine Heilung verabreiche, dann wolle sie sich nicht hinstellen und sagen, daß sie nicht an das glaube, was sie tue.

Und dann sagte sie noch das mit der Religion: Nach der EU-Direktive kehre sich die Beweislast um. Nicht dem Medium muß mehr bewiesen, betrogen zu haben. Sondern es muß umgekehrt selbst nachweisen, daß seine Dienste wirksam sind. "No other religion has to do that", meinte Frau McEntee- Taylor dazu, keine andere Religion tue das.

Da muß man ihr Recht geben. Bisher ist in der Tat noch nicht einmal die Brüsseler Bürokratie auf den Gedanken gekommen, von Priestern, Pfarrern, Rabbis und Imams zu verlangen, den Wahrheitsgehalt ihrer wenn auch nicht Heilungs- so doch Heilsversprechen nachzuweisen.



Ich hätte nicht gedacht, daß ich einmal Geistheiler und Wahrsager verteidigen würde. Aber jetzt tue ich es: Das Ansinnen, die Wirksamkeit ihrer Dienste nachzuweisen oder aber faktisch einzugestehen, daß sie unwirksam sind, kommt mir noch inhumaner vor als das Rauchverbot in Kneipen.

Ich bin der Überzeugung, daß diese Leute nicht über die von ihnen behaupteten Kräfte verfügen. Aber wenn ein Patient X sich einem Heiler Y anvertrauen will - was geht das dann mich an? Wer bin ich, daß ich mich da einmischen dürfte?

Und was geht es die Brüsseler Bürokraten an? Wir kritisieren sehr zu Recht den Islam, weil er es beansprucht, alle Lebensbereich zu durchdringen. Tut Brüssel, tun die dortigen Seilschaften und Lobbyisten, die Ideologen und Sozialingenieure und die mit ihnen kooperierenden Beamten denn etwas anderes?

Ich bin immer noch ein überzeugter Europäer. Aber das Europa, das sich gegenwärtig entwickelt, das uns nicht mehr größere Freiheit, sondern zunehmend mehr Bevormundung und Unfreiheit bringt, hat meine Zustimmung immer weniger.



Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.