(Hal Clement, 1922 - 2003)
I.
Als passionierter Leser von Science Fiction (oder vielleicht sollte ich besser schreiben „als langjähriger Leser,“ denn mit der Passion hält es sich oft in bescheidenem Rahmen) lernt man, mit Paradoxen zu leben. Eines der hartnäckigsten davon ist der „Tod des Genres.“ Schon in den 1970er Jahren, als ich mit zuerst für das Genre begeistert habe und anfing, die Texte im Original, also auf Englisch zu lesen, war „The Death of Science Fiction“ in den Vorworten der jährlich erscheinenden Auswahlbände mit den besten Kurztexten des Vorjahres ein Dauerbrenner – obwohl die Herausgeber wie Terry Carr oder Donald A. Wollheim natürlich versicherten, ihre Florilegien seien der schlagende Beweis für die Lebendigkeit, den Ideenaustausch, die die Fülle an frischen Talenten dieses kleinen Orchideengartens der Unterhaltungsliteratur. Die Frage ist sogar älter: 1961 erhielt Earl Kemp (1929-2020) für die Zusammenstellung der Antworten auf die Frage „Who Killed Science Fiction?“, die er per Post an einige Dutzend der namhaftesten Genreautoren gerichtet hatte, auf dem 19. Worldcon in Washington den „Hugo Award“ als „bestes Fanzine des Jahres.“ Augenscheinlich war angesichts der Verwirklichung von „Zukunftsträumen“ wie der Raumfahrt, „Elektronengehirnen,“ der Popularität billiger Monstren im Kino und dem gefühlten Niedergang der Magazine, die bis dahin das Hauptreservoir für Genretexte dargestellt hatten, ein gewisses Gefühl der Ernüchterung unter den Fans durchaus verbreitet. Andererseits hat sich das Genre in den folgenden Jahrzehnten als durchaus lebendig, als sich immer wieder erneuernd, neue Themen aufgreifend, erwiesen.
Und doch: seit 10, 15 Jahren habe auch ich den Eindruck, daß diese Literaturspalte tatsächlich „auserzählt“ ist, daß wir uns im finalen Stadium eines Genres befinden – vergleichbar dem Zustand, in den der Western vor etwas über einem halben Jahrhundert, mit dem Auskommen der Italo-Western und den abgeklärt bis zynischen Rückblicken in Filmen wie „Rooster Cogburn,“ „Ein Mann, den sie Pferd nannten,“ oder „Butch Cassidy and the Sundance Kid“ eingetreten ist. Es werden zwar gelegentlich noch Bücher (und manchmal sogar Filme) verfertigt, die sich bei den Themen und Tropen des Genres bedienen. Aber es ist gleichsam ein Erzählen aus zweiter Hand, ein Zitieren – und oft eine pflichtschuldige Übung. Dafür gibt es gute, handfeste Gründe. Zum einen sind die Themen, die Grundkonstellationen, in den letzten 80 oder 100 Jahren in allen erdenklichen Varianten durchgespielt worden: die Begegnung mit dem Fremden, die Erkundung der tatsächlichen Weiten der Milchstraße, wie sie die Astronomie erschlossen hat, die Paradoxien, die sich aus der Denkmöglichkeit einer Zeitreise ergeben…: all das ist hunderte von Malen behandelt worden. Und es gibt nicht unendlich viele Möglichkeiten, hier neue Varianten hinzuzuersinnen. Wenn sich ein Autor heute, zwei Jahrzehnte tief in „der tatsächlichen Zukunft“ des einundzwanzigsten Jahrhunderts, etwa das Thema der „èducation sentimentale“ einer künstlichen Intelligenz wählt, dann kann dabei ein schönes und anrührendes Kabinettstück herauskommen wie im Fall von Martin l. Shoemakers „Today I Am Carey“ (2019) oder eher etwas Banal-Undifferenziertes wie Kazuo Ishiguros „Klara and the Sun“ aus dem vorigen Jahr (dem ersten Roman, den der Autor publiziert hat, nachdem er den Nobelpreis für Literatur erhalten hat). Aber etwa Revolutionäres, etwas grundstürzend Neues haftet diesen Texten nicht mehr an – sie reihen sich ein in die lange Reihe ihrer Vorläufer, in denen eine KI oder ein Roboter Selbstbewußtsein entwickelt, um seine Anerkennung als Intelligenz und um das recht auf Existenz kämpft oder als unschuldiger Kommentator den Autor satirisch das menschliche Narrentreiben kommentieren läßt – wie in Frank Herberts „Destination: Void“ (1966), David Gerrolds „When H.A.R.L.I.E. Was One“ (1973), John Sladeks „Roderick or The Education of a Young Machine“ (1980), Greg Bears „Queen of Angels“ (1990) oder Richard Powers‘ „Galatea 2.0“ (1995), um nur eine Handvoll von buchstäblich Hunderten von Titeln zum Thema zu nennen.