I.
Im geschäftigen Leben eines Grandhotels gibt es immer wieder Momente, in denen die chaotische, wilden Vorgänge zur Ruhe kommen, und der ganze riesige Organismus wie unter dem Einfluß eines einschläfernden Opiats zu träumen scheint. Die Zustand tritt etwa dann ein, wenn die Gäste sich in den Rauchsalons oder in der Loge eines Theaters den geheimnisvollen Vorgängen der Verdauung hingeben. Am Abend dieses Notturnos war die wohlbekannte Rotunde der Eingangshalle des Majestic mit ihrem gefliesten Boden, den Säulen aus Malachit, den Perserteppichen, den Sitznischen und den berühmten ausgestopften Bären, die neben der breiten Haupttreppe Wache hielten, fast verlassen, bis auf den Chefportier, den Nachtportier und die Empfangsdame. Es war viertel vor neun, und der Chefportier übergab gerade das Szepter über sein Reich an den Nachtportier und weihte ihn in die Geheimnisse des Tages ein. Diese beiden Eminenzen, die Tag und Nacht Zeugen der Wechselfälle des menschlichen Lebens wurden, hielten des Morgens und des Abends Kriegsrat. Sie kannten das Leben und gaben sich keinen Illusionen hin. Shakespeare selbst hätte von ihnen noch lernen können.
Die junge Frau in der Rezeption hatte sich an das Fenster vor ihn gelehnt, wie ein schönes, entspanntes Tier in seinem Käfig, und betrachtete die beiden Majestäten, die da von zwei der Säulen eingefaßt vor ihr standen. Sie waren zu weit entfernt, um ihr Gespräch belauschen zu können, und sie sah ihnen nur zu, verloren in einem Tagtraum, den die süße Schwermut des Sommerabends, die Ruhe, die eingetreten war, und die Aussicht auf den morgigen freien Tag ausgelöst hatten. Die Herrschaften in ihrer prunkvollen Livree schenkten ihr keine Beachtung; wahrscheinlich war sie in ihren Augen nicht mehr als ein dekorativer Blickfang. Und doch war sie es, die das geheime Zentrum aller Aktivität darstellte, nicht sie. Wenn eine Rechnung beglichen wurde, war sie es, die das Geld in Empfang nahm; wenn ein Gast ein Zimmer wünschte, suchte sie es aus; und die Herren hatten sie mit "Miss" anzureden. Das riesige, prächtige Hotel drehte sich um ihr schlichtes Herz, das unter ihrer weißen Bluse schlug. Besonders im Sommer.
Ihre Anwesenheit und die ihrer Kolleginnen an der Rezeption (heute abend war sie freilich allein) diente der Erbauung der männlichen Gäste, deren primitive (wenn auch zutiefst menschliche) Instinkte Gefallen daran fanden, daß diese hübschen Gefangenen in ihrem Käfig auf sie warteten,wenn sie von ihren Wanderungen heimkehrten, sie mit einem Lächeln begrüßten, sich mit hochgezogenen Brauen ihre kleinen Gehirne über gewaltigen Kladden zermarterten, aus rosigen Mündchen Unverbindlichkeiten plapperten, und ihre entzückende Kleidung mit langen schmalen Händen ordneten, die dafür geschaffen waren, von Ringen und Armreifen geschmückt zu werden und nicht für die Arbeit mit Lineal und Stahlfeder.