31. Dezember 2021

Paul Scheerbart, „Das Gespensterfest. Eine Silvestergeschichte“ (1911)





Der alte Baron Münchhausen kann sich von China gar nicht trennen; jetzt hat er bereits den Kaiser von China kennen gelernt – und da schäumt nun seine Begeisterung einfach über. Diese kommt in seinen Briefen an die Gräfin Clarissa vom Rabenstein so heftig zum Ausdruck, daß es sich wohl lohnt, noch einen dieser Briefe hier zum Abdrucke zu bringen.

Die Gräfin, die jetzt vierundzwanzig Jahre ist, muß sich augenblicklich in einer Berliner Klinik einer kleinen Operation unterziehen. Die ist aber nicht im mindestens beunruhigend.

Der alte Baron schreibt ihr aus Peking in seiner bekannten Frische das Folgende:

30. Dezember 2021

Paul Scheerbart, „China und Dampfbahn. Philantropische Betrachtungen“ (1899)



(Ausbau des chinesischen Hochgeschwindigkeits-Streckennetzes zwischen 2008 und 2020)

In den letzten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts hat Europa für den Politiker an Wichtigkeit sehr viel verloren. Europa wurde von der Weltpolitik in den Hintergrund gedrängt. Das mag manchem Europäer wenig behagen, aber diese Thatsache läßt sich nicht mehr übersehen. Es kann uns heute beinahe gleichgültig sein, was unten in der Türkei vorgeht. Aber die Ereignisse in China sind uns sehr wichtig.

Unsere Ansichten über China haben sich in den letzten fünfzig Jahren ganz und gar verändert. China ist für uns nicht mehr ein zu ewigem Stillstande verurteilter Staat. Das Reich der Mitte steht schon so ziemlich im Mittelpunkte der gesamten europäischen Kulturinteressen.

Wenn heute jemand behauptet, daß die Menschheit in China - und nicht in Europa - die höchste Kulturstufe erreichen dürfte, so lacht man nicht mehr. Die japanischen Siege haben den Chinesen nichts geschadet, und sollten europäische Mächte siegreich im großen Chinalande vordringen, so werden sie schließlich ebensowenig ausrichten wie die Japaner. So ohnmächtig Napoleon gegen das große Rußland war, so ohnmächtig könnte dieses einst in Ostasien kämpfen - denn der Chinese sind sehr viele. Ein brennendes Peking kann am Ende wie ein brennendes Moskau wirken. In der alten Welt ist der Angreifer augenscheinlich immer im Nachteil. Hellas konnte Vorderasien nicht totkriegen, der angegriffene Teil war viel stärker, als man anfänglich annahm; und andererseits gelang es den Arabern wieder nicht, in Spanien - im Westen - einen bleibenden Erfolg zu erringen. Auch die Mongolen haben niemals festen Fuß im Westen fassen können. Und so dürften auch die Europäer vergeblich ihre Armeen nach Ostasien senden. Es giebt Politiker, denen das unheimlich klar ist...

Mit welchen Gefühlen würden wir, wenn wir dazu Zeit hätten, heutzutage Schlossers Weltgeschichte lesen! Der alte Schlosser macht sich über China ganz einfach lustig und findet alle chinesischen Zustände lächerlich, benutzt sie nur zu sarkastischen Ausfällen gegen Deutschland, das Reich der Mitte Europas. Schlosser sollte heute von den Toten auferstehen - er würde gleich ganz rot vor Schreck werden und sich genieren - China von oben herab behandeln und eine "Weltgeschichte" schreiben! Blamabel! Wie höflich ist die europäische Politik geworden! Außerordentlich wichtige merkantile und industrielle Interessen sind in Peking zu vertreten.

29. Dezember 2021

Paul Scheerbart, "Der Wetterprophet. Eine chinesische Geschichte" (1910)

Als ich vor drei Monaten in Peking war, lernte ich bei dem italienischen Gesandten am einem lustigen Gesellschaftsabend dem reichen Herrn Li-Ban-Schin kennen, der als Wetterprophet im Land des Zopfes ein großes Ansehen genießt.

Die vornehmen Chinesen sind heute den Europäern gegenüber nicht mehr so diplomatisch zugeknöpft wie vor zehn Jahren noch. Auch im Osten des asiatischen Kontinents ist vieles anders geworden. Und so kam es, daß Li-Ban-Schin mich noch an demselben Abend, an dem er mich kennen lernte, einlud, ihn an einem der nächsten Tage in seiner Villa zu besuchen.

Er sandte mir eines Morgens ganz früh, gleich nach Sonnenaufgang, sein Automobil, und nach dreistündiger Automobilfahrt empfing mich Herr Li-Ban-Schin im Portal seiner Villa zwischen zwei großen weißen Porzellanhunden.

Die Villa war eine Porzellan-Villa – außen blau und innen hellgelb. Schwarzer Sammetbelag bedeckte überall den Fußboden. Und die Hälfte aller Porzellanfliesen war sowohl innen wie außen bemalt. Die Möbel bestanden aus geschnitztem Ebenholz – tief schwarz, aber nicht poliert. Das Köstlichste steckte in den großen bunten plastischen Porzellanfrüchten, die in dekorativen Kränzen mitten in den Wänden und an Tür- und Fensterrahmungen innen wie außen das ganze belebten; diese Weintrauben, Pfirsiche, Pflaumen, Aepfel, Kirschen und Aprikosen erinnerten ein wenig an die italienische Renaissance, obwohl da der Farbenreichtum lange nicht so üppig hervortrat wie hier. Daß diese Porzellan-Villa in China entstand, dafür sprachen die Malereien, die durchaus in rein chinesischem Stil blieben – und zwar in einem ganz alten, dem man Verwandtschaft mit dem modernen Geschmack nicht nachsagen konnte.

Ich mußte zunächst mit Hern Li-Ban-Schin frühstücken. Es gab Tee, Cognac und mindestens dreißig chinesische Delikatessen – dazwischen Zigaretten und Zigarren. Ich hatte jedoch gar keine Zeit, dieses Frühstück viel zu betrachten, denn der Herr des Hauses war sehr gesprächig. Er hatte sich in jüngeren Jahren sehr lange in Berlin aufgehalten und sprach fließend Deutsch.

„Man hält mich hier,“ sagte er lächelnd, „für einen Wetterpropheten. Aber ich bin eigentlich etwas mehr. Mir ist es eigentlich ganz gleichgültig, ob es regnet oder schneit, ob es windig oder nicht windig ist.“

2021, ein Blick nach hinten und nach vorne und ein dunkler Gedankensplitter

Ende Dezember und wieder geht ein Jahr zu Ende. Und die meisten werden vermutlich zustimmen, dass es ein Jahr ist, dass man wohl besser schnell vergisst. 

Wenn es denn so einfach wäre und man damit aus der Welt schaffen könnte, was sich so ereignet hat. 

Kaum ein Jahr, nicht einmal das auch viel verfluchte 2020, hat so im Zeichen der Krise gestanden wie 2021, blickt man durch die Monate, so stand 2021, unterbrochen durch einzelne Streiflichter wie die Flut im Ahrtal, die Bundestagswahl oder ein querliegendes Schiff im Panama-Kanal, voll im Zeichen von Corona. Oder eigentlich nicht im Zeichen von Corona sondern im Zeichen der Corona-Maßnahmen, staatlichem Missmanagement, totalitären Auswüchsen und sehr, sehr viel Angst. 

28. Dezember 2021

Paul Scheerbart, „Die Perseïden und die Leoniden“ (1911)





Es sind nun dreizehn Jahre her. In Genf wars – im Juni des Jahres 1898. Dort hatte Mademoiselle Dorothee Klumpke den Astronomen Caspar vom Pariser Observatorium kennen gelernt. Sie saßen eines Abends im Hotel de la Paix gegenüber dem Montblanc und sprachen von wissenschaftlichen Ballonfahrten. „Die Wissenschaft,“ sagte Mister Caspar, „hat sich noch lange nicht eng genug mit dem Luftballon verbunden. Sie ahnen ja garnicht, Mistress Klumpke, welche große Serie von Problemen mit Ballons noch zu lösen wäre. Der Astronom hat alle Veranlassung, sich zunächst mit den Dingen zu befassen, die in unserer Atmosphäre sind. Ich meine nicht, daß er nur meteorologische Studien treiben soll. Aber -sehen Sie – hier in unserer Atmosphäre gibt es Millionen Dinge, die wir noch gar nicht näher kennen gelernt haben – und die doch augenscheinlich gar nicht zu unserer großen Erde gehören.“

„Wollen Sie sich,“ erwiderte Mistress Dorothee, „ein wenig deutlicher ausdrücken? Meinen Sie das Zodiakallicht? Das soll ja wohl eine Art Saturnring in unserer Atmosphäre sein.“

„Das,“ erwiderte Mister Caspar, „liegt ein wenig zu weit. Zu diesem Zodiakalringe werden wir wohl schwerlich mit dem Ballon hinaufkommen. Aber – wir haben täglich zehn Millionen Sternschnuppen in unserer Atmosphäre. Die könnten wir doch wohl vom Ballon aus näher kennen lernen. Bedenken Sie nur – täglich immer wieder ganz neue zehn Millionen Weltkörper, die nicht von dieser Erde sind – immer wieder neue – täglich!“ – „Das ist ja kolossal!“ rief die Dame und blickte mit der Lorgnette zur Spitze des Montblancs, die allmählich rot wurde.

Die Lampions wurden auf der Terrasse angesteckt. Auf dem Genfer See wurden die großen Bergschatten dunkler.

Mister Caspar fuhr fort:

„Am zehnten August haben wir wieder den Perseïden-Schwarm zu erwarten. Das sind die bekannten Tränen des heiligen Laurentius. Die vom Luftballon aus beobachten!“ „Das wäre,“ rief Mistress Dorothee ganz laut, „einfach entzückend. Was gäbe ich darum, wenn ich dabei sein könnte!“

25. Dezember 2021

JWST

Wenn alles gutgeht, wenn nichts mehr dazwischenkommt, wird in wenigen Stunden, am heutigen Morgen, dem ersten Weihnachtstag des Jahres 2021, um 20 Minuten nach 8 Ortszeit und 12:20 Weltzeit, was 13:20 mitteleuropäischer Zeit entspricht, vom Raumfahrtbahnhof in Kourou im frnazösischen Guiana das James Webb Space Telescope, zumeist als JWST abgekürzt, an der Spitze einer Arina 5 zu seiner gut zweimonatigen Reise zum zweiten Langrangepunkt des Erde-Mond-Systems starten. Der Beginn der Mission hat sich zahllose Male verschoben; der ursprünglich für das Jahr 2011 vorgesehene Start wurde erst auf 2014, dann 2015 verschoben, aus 2018 wurde 2020, und nachdem der teuerste und komplexeste Satellit in der Geschichte der unbemannten Raumfahrt endlich Anfang Oktober 2021 von einem Transportschiff am Flußhafen von Kourou entladen worden war, folgten weitere vier Verschiebungen des Starttermins - vom 11. Oktober, den die NASA Mitte Juni vor der Abreise bekanntgab, auf den 6. Dezember, den 18., schließlich auf Heiligabend und vor drei Tagen auf den ersten Weihnachtstag.

바버렛츠 – „징글벨“



Zettels Raum hat aus gegebenem Anlaß sein aktuelles Musikprogramm geändert.

24. Dezember 2021

Paul Scheerbart, "Sind die Kometen lebendige Wesen?" (1910)





(Thomas L. Hunt, "Since the Last Time")

Unsre bislang noch herrschenden Ansichten über die astralen Weltkörper erklären diese für zusammengeballte Materie, die sich nach den Gesetzen der Anziehungskraft geformt hat; ein selbständiges Leben diesem nach mechanischen Gesetzen Geformten zuzugestehen, lehnt der Wissenschaftler als unwissenschaftlich ab.

Wenn wir aber die Entstehung der Weltkörper einfach aus physikalischen Gesetzen herleiten wollten, so sind wir immer wieder gezwungen, auf die bekannte Nebulartheorie von Kant und Laplace zurückzukommen. Diese Theorie ist nun so heftig durch neuere Entdeckungen erschüttert worden, daß der Wissenschaftler beim besten Willen nicht mehr behaupten kann, diese Theorie sie heute noch eine "wissenschaftliche." Es genügt, wenn wir dieser Theorie begegnen wollen, der einfache Hinweis auf die Tatsache, daß sich der Neptunsmond, die vier Uranusmonde und der zehnte Saturnmond anders um ihre Planeten drehen, als die übrigen Monde in unsern Sonnensystem. Ferner ist darauf hinzuweisen, daß auch viele Kometen - namentlich auch der Halleysche - die Sonne in eine Richtung umwandeln, die der der Planeten entgegengesetzt ist. Diese Tatsachen allein genügen, die Nebulartheorie und damit die gesamte mechanistische Weltanschauung so zu erschüttern, daß ein ferneres Festhalten an dieser nicht mehr einen wissenschaftlichen Charakter beanspruchen darf.

Die nächste Frage ist demnach: was sind denn nun eigentlich die astralen Weltkörper?

Um diese Frage ein wenig einzuschränken, wollen wir zunächst nur fragen: was sind denn eigentlich die Kometen?

21. Dezember 2021

Illegale Spaziergänge

Machen Sie eine Zeitreise mit mir, lieber Leser! Versetzen Sie sich ins Jahr 2018 zurück und vergessen Sie alles was Sie in den letzten zwei Jahren gelesen, gedacht oder erlebt haben. Seien Sie drei Jahre jünger, seien Sie drei Jahre weniger belesen und setzen sich in einen virtuellen, kleinen Ohrensessel und lassen Sie mich Ihnen ein paar Schlagzeilen vorlesen:

"Kindergeburtstag in Marxloh - Polizei stoppt Feier."

"Polizei löst Protest vor dem Sächsischen Landtag auf"

"Polizei löst Techno-Party in Hohlraum von Autobahnbrücke auf"

"Verweilverbot in Düsseldorfer Altstadt: Noch keine Einsätze der Polizei nötig"

"In Ostdeutschland ist der Rechtsstaat gefordert, bei Dutzenden rechtswidrigen Spaziergängen"

20. Dezember 2021

Paul Scheerbart, "Der Halleysche Komet" (1909)







(Die Krolloper in Berlin („Kroll’s Etablissement“), Stahlstich von Rohbock & Höfer, 1855. Die von Wilhelm Beer 1829 eingerichtete Privatsternwarte auf dem Dach seiner Villa im Tiergarten ist rechts im Hintergrund zu sehen.)

Im Jahre 1835 besuchte der berühmte Astronom Mädler den Salon der Frau Martha Faber in der Französischen Straße zu Berlin. Dreißig Damen und Herren des besten literarischen Gesellschaft waren im Salon und tranken Tee. Und Mädler stand auf und sagte:

19. Dezember 2021

Manchmal triffts den richtigen. Ein Krankheitssplitter.

Der eine oder andere mag es witzig finden und vielleicht mit einem innerlichen Grinsen aufnehmen, aber abzustreiten ist es nicht mehr: Llarian hat Corona.

Dieses enorm wichtige Ereignis darf vielleicht nicht unter dem Standard der „vernünftigen Gedanken von Gott oder der Seele des Menschen“ qualifizieren, aber die eine oder andere Anekdote möchte ich doch nicht liegen lassen. Wie immer bei Artikeln zur persönlichen Nabelschau ist jeder, den das nicht interessiert, herzlich eingeladen nicht weiterzulesen.

16. Dezember 2021

Randbemerkung: Omikron und der Zeitgeist

Es gab eine Zeit, da war die westliche Welt eine optimistisch positive. Die Älteren von uns werden das noch erinnern, aber die sechziger und siebziger Jahre, vielleicht auch noch die achtziger waren eine Zeit großer Hoffnung auf den Fortschritt, man strengte sich an, damit es die Kinder einmal besser haben würden und irgendwo war der Zeitgeist ein fast Jugendlicher, der zunächst mal die positiven Dinge betont hat und Gefahren und Ängste zumindest nicht in den Vordergrund stellte.

Das fand ein zwar nicht jähes aber doch schleppendes Ende mit dem grundsätzlichen Politikwechsel, der in der gesamten westlichen Welt Anfang der siebziger Jahre begann und dann mehrere Jahrzehnte später zunehmend dominant wurde und irgendwo da raus kam, wo wir heute sind. Würde man polemisieren wollen würde man hier den "Marsch durch die Institutionen" erwähnen, die 68er, die Grünen und die Umweltbewegung an sich, aber darum soll es ausnahmsweise hier gar nicht gehen. Was man beobachten kann ist ein genereller Wechsel der Betrachtung des Lebens an und für sich, und gerade dieser Tage wird uns in Deutschland eindrucksvoll klar gemacht, wie stark dieser Wandel sich inzwischen in die Gesellschaft gegraben hat.

13. Dezember 2021

Paul Scheerbart, "Die Nachtseite der Venus" (1910)





(Zeichnung: Paul Scheerbart, aus "Jenseitsgalerie")

Wir saßen am Ufer des Missouri. Nicht weit ab war eine große Eisenbahnbrücke. Es war mondlose Nacht. Fern am Horizont leuchtete die Venus sehr hell - wie ein unruhiges Auge.

Frau Haverland neben mir sprach sehr lebhaft von der Venus.

"Es ist doch höchst merkwürdig," sagte sie, "daß man auf astronomischen Gebieten alles Mögliche behaupten kann, ohne Ärgernis zu erregen. Das gilt auch von der Bewohnbarkeit der Planeten. Tausendmal haben große Astronomen erklärt, daß auf den Planeten ganz andere Stoffverbindungen möglich sind, die eine ganz andere Art des Lebens ermöglichen könnten. Aber trotzdem erörtert man immer wieder. ob auf der Venus erdhaftes Leben möglich ist. Selbst wenn es ganz klar bewiesen wäre, daß dort drüben auf der Venus erdhaftes Leben unmöglich ist - so ist doch ohne weiteres klar, daß ein anderes, von allem Erdhaften gründlichst verschiedenes leben doch dort da sein kann. Regen wir uns nicht darüber auf. Jedenfalls nehme ich an, daß auf der Venus sehr viele vernünftig denkende Wesen existieren könnten."

"Sie existieren!" sagte ich sehr bestimmt.

12. Dezember 2021

"Ich bin auch der Kanzler der Ungeimpften" oder wie man sich mit Anlauf lächerlich macht

Zugegeben, es ist politischer Usus (selbst in Tagen wie diesen), dass man einer Regierung 100 Tage einräumt, bevor man ihre bis dahin angerichteten Absurditäten und Fehler zur Sprache bringt und auch dieser Autor möchte, auch wenn es noch so in den Fingern juckt, diese Tradition noch gern bewahren. 

Und so soll auch nicht die Politik dieser Regierung hier das Thema sein, sondern nur eine Aussage, die in ihrer Lächerlichkeit so absurd ist, dass sie mit dem Wort Realsatire wohl noch am besten beschrieben ist, wobei Realgrotesque es vermutlich besser treffen würde. So zitiert ihn die Welt aus einem Interview mit den Worten: 
„Ich will das Land zusammenhalten. Und bin also auch der Kanzler der Ungeimpften.“

10. Dezember 2021

Streiflicht: Nie wieder FDP? Ja, warum eigentlich nicht?

Ich kann das "Siehste" im Raum, dass mir einige Zimmerleute nun gerne zuraunen würden, allzu deutlich fühlen. Es ist noch keine drei Monate her, da schrieb ich einen Beitrag zur Bundestagswahl in der auch der denkwürdige Satz enthalten war: " Das ist aber kein Grund nicht wenigstens die FDP zu wählen." Und diverse Leute haben mir schon im kleinen Zimmer geschrieben, dass sie das ein wenig anders sehen.

9. Dezember 2021

"Der passende Soundtrack"





Aus der Rubrik: aus gegebenem Anlaß, angelegentlich der Vereidigung eines neuen Bundeskanzlers und seiner Ministerriege, hat „Zettels Raum“ sein aktuelles Musikprogramm geändert.

Nein, kein eigener Beitrag – eher ein Gastbeitrag; zumindest ein „Netzfund.“ Denn dieser Einfall ist nicht meinem Hirn entsprungen, sondern verdankt sich einem glücklichen Fund. Auf Joachim Hacks Netzseite „Schelmenstreich.de“ findet sich nämlich heute die Erkenntnis, daß die passende Begleitmusik zum Antritt der neuen Regierungsmannschaft schon vor 38 Jahren Jahren, in „Orwells Jahr“ 1984 in Jonathan Demmes Konzertfilm „Stop Making Sense“ von den Talking Heads, der Combo um David Byrne, zu Gehör gebracht worden ist.

7. Dezember 2021

"Donnerkarl der Schreckliche"





Angesichts der medialen Dauerpräsenz eines unserer notorischsten Coronatoren mit der Lizenz zum Tröten – nennen wir ihn der Form halber kurz „Klabauterbach“ oder „Propellerkarl“ – fallen dem kleinen Zyniker, die mir beim Schreiben stets über die Schulter blickt, seit einigen Vierteljahren hartnäckig diese Zeilen aus Paul Scheerbarts Bändchen „Katerpoesie“ aus dem Jahr 1909 ein:

"Donnerkarl der Schreckliche"

Ein Heldengedicht

Reich mir meine Platzpatronen,
denn mich packt die Raserei!
Keinen Menschen will ich schonen,
alles schlag ich jetzt entzwei.

Hunderttausend Köpfe reiß ich
heute noch von ihrem Rumpf!
Hei! das wilde Morden preis′ ich,
denn das ist der letzte Trumpf!
Welt, verschrumpf!

Eine nette Volte erhält diese Assoziation durch eine Liste von Ankündigungen, mit denen die Antwort der deutschen Politik auf Alphonse Daudets Tartarin von Tarascon seit längerem den Aufbruch ins letzte Gefecht ankündigt, die seit Mitte November auf diversen sozialen Medien, u.a. Twitter zirkuliert:

2. Dezember 2021

Acht Stühle, eine Meinung. Oder die Frage warum der Staat im Eimer ist.

In früheren Zeiten, vor allem in der Bonner Republik, gab es mal den Begriff von den "A....löchern aus Karlruhe". Womit sich die Politik daran abarbeitete, dass das damalige Verfassungsgericht einem übergriffigen Staat gerne mal an die Karre fuhr und den politischen Raum des auch damals schon angestrebten aber nicht erreichten "Durchregierens" gerne mal einengte.

Davon kann nach mehreren Jahrzehnten, insbesondere nach 16 Jahren Merkel, nun keine Rede mehr sein. Wie es die NZZ treffend schreibt: Der einzige, der sich derzeit noch auf das Verfassungsgericht verlassen kann, ist die Bundesregierung. Meinte man schon mit Susanne Baer einen Tiefpunkt in der Berufung von Verfassungsrichtern gefunden zu haben, so war mit Stephan Harbarth ein neuer Level erreicht, der sich entsprechend in der heutigen Rechtssprechung oder besser Regierungsrechtsprechung niedergeschlagen hat. 

21. November 2021

Symboldbild(er). Wieder einmal



Eins der Themen, das sich seit Jahren wie ein Generalbass durch meine Beiträge in diesem Netztagebuch zieht (jedenfalls soweit es die politischen Zustände in diesem Land betrifft), ist die Ansicht, daß die Classe politique dieses Staats, und das ziemlich unbeschadet ihrer jeweiligen Ausrichtung und Parteizugehörigkeit, seit Jahren nicht mehr in der Lage ist, zielgerichtet und planvoll zu handeln. Daß sie, wie ich es mehrfach präzisiert habe: nur noch in der Lage ist, einen einmal eingetretenen Zustand nach besten Kräften aufrechtzuerhalten und in die Zukunft zu verlängern – egal wie rechtswidrig und bedrohlich er sich für diese Zukunft erweist. Stattdessen werden sinnlos Milliarden von Euro verteilt – an NGOs, an Berater, an die Regierungen anderer Länder, an Gemeinden im eigenen Land, in der vagen Hoffnung, daß sich das Problem schon „irgendwie von selbst erledige“ oder zumindest Zeit damit gewonnen wird. So war es in der Eurorettung und dem Aufspannen der diversen Schutzschirme vor nun fast einem Jahrzehnt, so war es im blinden Verfolgen der Planziele der „Energiewende,“ dem Ausstieg aus Atom und Kohle als Energieträgern (und seit dieser Woche auch aus dem Gas), so war es nach der Grenzschleifung im Herbst 2015 und der Einladung an sämtliche dazu Willigen dieser Welt, hier aufgenommen und auf unabsehbare Zeit versorgt zu werden. So sehen wir es seit über anderthalb Jahren bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie.

Nun ist dieses letzte Beispiel nicht ganz gerecht. Denn andere Staaten haben hier ebenfalls in gleichem Maß versagt wie die deutsche Regierung. Aber SARS-CoV-2 war die erste Krise, die von außen über dieses Land hereingebrochen ist – über alle Länder der Welt. Anders als der Atomausstieg und die de facto-Abschaffung der Landesgrenzen handelt es sich dabei nicht um ein Problem, das unsere Regierung erst selbst erschaffen hat und an dessen Bewältigung sie so scheitert wie Goethes Zauberlehrling.

Dennoch zeigt sich auch hier dasselbe Phänomen, das ich bei den anderen Krisen als Konstante bemerkt und hier in den letzten Monaten mehrfach zum Thema gemacht habe: neben dem wahllosen Verteilen von Steuermilliarden eignet unseren Politikern die Gabe, mit einer fast erschreckenden Sicherheit Symbolbilder zu finden, die ihre Unfähigkeit in einer einzigen Geste, eine kleinen Handlung auf den Punkt bringen. In der sich der Zustand dieses Landes so zeigt wie im Ansinnen des römischen Kaisers Caligula, sein Lieblingspferd zum römischen Senator ernennen zu lassen. (*)

15. November 2021

Pandemie der Geimpften

Die "Pandemie der Ungeimpften" ist inzwischen fast schon zu einer Standardvokabel des deutschen Mainstreams geworden, vorgegeben durch "Politiker" wie Markus Söder, breit gewalzt vom Staatsfernsehen, ist dem deutschen Michel inzwischen deutlich klar gemacht worden, dass der ganze Corona-Tanz auf den immer kleiner werdenden Teil der Bevölkerung zurück geführt werden muss, der sich bis jetzt standepede weigert sich "den kleinen Piks" geben zu lassen.

Und vieles ist seit dem dazu geschrieben worden, aber eine interessante Randnotiz ist bei einer Meldung des gestrigen Tages im Wesentlichen liegen geblieben. So ermittelte das bayrische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittel, dass 30% der durch (oder mit) Corona Verstorbenen doppelt geimpft gewesen seien. Diese Zahl ist aus unterschiedlichen Gründen sehr spannend, deshalb sei dem Leser gleich der erste Ansatz zur Übung überlassen, der den Argumentationsfehler aufdeckt, wenn diese 30% nun durch Vorerkrankungen wegerklärt werden sollen (dies sollte, mal ab von Angestellten des ÖR, niemanden überfordern). 

4. November 2021

Herr Musk twittert auf Chinesisch





我想用中文写这篇课文. 我已经放弃了它, 因为我记得, 也许不是所有的读者, 读书「波頓的室」能够轻松阅读中文。

为什么是?

Ich hatte mir überlegt, ob ich diesen Beitrag nicht auf Chinesisch (中文) schreiben sollte, bis mir einfiel, daß die meisten Leser von „Zettels Raum“ sicher kein Chinesisch lesen.

Worum geht es?

I.
Elon Musk, gegenwärtiger Amtsinhaber des Postens „Reichster Mann der Welt mit interessanten Macken“ und als solcher ein würdiger Nachfolger seiner Amtsvorgänger John D. Rockefeller und Scrooge McDuck (a.k.a. „Onkel Dagobert“), ist dies unter anderem dadurch, daß er einer der wenigen Gründe für Nicht-Twitterati ist, sich bei diesem Kurznachrichtendienst zu registrieren. (Seit einigen Monaten ist es dort nicht Eingeschriebenen nicht mehr wie bislang möglich, die Tweets und Antworten oder die weiteren Etappen eines Threads nachzuverfolgen. Man bekommt nur noch den letzten, zuoberst im Konto stehenden Post angezeigt.) (Die beiden anderen Gründe waren die Wortspenden von Präsident Trump, bis ihm noch vor Ende seiner Amtszeit der Zugang zu sämtlichen (un-)sozialen Medien gesperrt wurde; und die Vorher/Nachher-Kontrastierungen von ArgoNerd.) Musks Meldungen – soweit sie sich nicht auf die Belange von Tesla oder SpaceX beziehen – zeichnen sich in aller Regel durch einen hohen Unterhaltungswert und ein beträchtliche ludische Beimengung aus.



("Reichster Mann der Welt mit charmanten Schrullen." Drei Amtsinhaber)

20. Oktober 2021

Die Impfung. Das Versprechen – und was daraus wurde. Eine Medienrevue





Zwei Dumme – ein Gedanke. Auf der „Achse des Guten“ hat heute nachmittag (16:30) Claudio Casula auf eine kurze, nur 2 Minuten währende Videosequenz verwiesen, die, die ein(e?) Nutzer(in) namens „Kelly Bee“ vor zwei Tagen auf Twitter verlinkt hat. Es handelt sich dabei um eine rasante Zusammenstellung der „Headlines“ der Überschriften in den Nachrichtenportalen der großen (englischsprachigen) Medien aus den Versprechungen und Ankündigungen über die Wirksamkeit der Impfstoffe und Impfkampagnen gegen SRAS-CoV-2, wie sie im Lauf der letzten 18 Monate permanent, Tag um Tag, auf uns eingeprasselt sind. Die gut 100 Schlagzeilen, vermischt mit einigen kurzen Ausschnitten aus Sachstandsberichten etwa im Wissenschaft-Wochenblatt „Nature,“ ließen sich beliebig vermehren – auch mit Beispielen aus dem deutschen Sprachraum. Sie sind nicht vollständig, aber doch im Großen und Ganzen chronologisch angeordnet, und der Trend dürfte ins Auge springen, auch wenn man diese Strecke nur flüchtig Revue passieren läßt.

Ich habe mich gestern am späten Abend für eine veränderte Präsentation entschieden. Anstatt den Reigen im Sekundentakt vorbeiziehen zu lassen, habe ich die jeweiligen Schlagzeilen im Folgenden als Einzelbild herausgelöst und so in eine Bilderstrecke umgemünzt. Eingedenk der Tatsache, daß im deutschen Sprachraum der eine oder andere Leser sich vielleicht doch selbst das Lesetempo vorgeben möchte, ist dies dem Prinzip „die Menge macht’s“ geschuldet. Der damit verbundene Mehraufwand hat dazu geführt, daß ich es erst heute abend poste. (Ein Klick auf die Bilder vergrößert diese.)

Anzumerken bleibt, daß dies nicht, definitiv nicht, als Plädoyer gegen die Impfung verstanden werden soll. Ich nehme diese Revue nur als Erinnerung daran, mit welchen Erwartungen und Versprechen diese weltweite Kampagne vor nunmehr fast einem Jahr lanciert worden ist, wie nach und nach Ernüchterung um sich griff – und als Fingerzeig darauf, daß niemand überrascht sein sollte, wenn sich dieser Trend auch in der nächsten Zeit bruchlos fortsetzt.







17. Oktober 2021

Zettels Raum reloaded: Die Inflation

"Nun sind sie halt da" ist eines der mehr oder minder berüchtigten Zitate, dass man Angela Merkel im Bezug auf ihre Gäste von 2015 zuschreibt, auch wenn es dafür keine offizielle Bestätigung gibt. Passen tut es auf jeden Fall. Schulterzucken. Ist halt so. Gehen Sie bitte weiter, es gibt hier nichts zu sehen.

Mit dem selben Schulterzucken würde sie vermutlich darauf reagieren, wenn man sie auf die extreme Inflation anspräche, die inzwischen selbst von den staatseigenen Propganda-Medien zugegeben, ja teilweise in unfreiwillig komischen Bekenntnissen begrüsst wird. "Mit doch egal, wenn wir eine Monsterinflation haben. Jetzt ist sie halt da." (Im Ton der ARD: "Gut so!")

16. Oktober 2021

Gastbeitrag. „Moderner Kapitalismus. Eine politisch nicht ganz korrekte Einführung."



Aus aktuellem Anlaß hat „Zettels Raum“ sein Fernsehprogramm geändert.

Diesmal, anders als bei meinem letzten Posting, ein genuiner Gastbeitrag. Da es sich um einen auf YouTube eingestellten Beitrag handelt, der jedermann öffentlich zugänglich ist, geht es nur darum, auf ihn hinzuweisen, um (wenn Fortuna es will) die Reichweite noch ein wenig zu erhöhen. Da es Lesern/Zuschauern aus dem deutschen Sprachbereich nicht unbedingt zuzumuten ist, sich ungewarnt eine völlig unbekanntes Video von fast einer Viertelstunde Länge anzutun, habe ich den Text des Dialogs übersetzt; auch, um etwaigen Verständnisschwierigkeiten vorzubeugen – zumal mir auch die Erfahrung und die Übung fehlen, ein Video mit deutschen Untertiteln zu versehen.

Natürlich hat das Ganze etwas Schulfunkmäßiges. Die Animation ist schlicht; aber simpler als in der „Sendung mit der Maus“ ist dies auch nicht; während das Wechselspiel der beiden Sprecher als Kienzle und Hauser gemahnt (die allerdings konträre Standpunkte zu ihren Themen einnahmen. Einnehmen konnten. Tempi passati). Lesern von „Zettels Raum“ werden die aufgeführten Punkte nicht neu sein; es gilt das Schulfunk-Prinzip: eine kurze Wiederholung des Altbekannten kann nicht schaden. Von daher sei das Folgende allen Kindern zwischen 8 und 88 Jahren nahegelegt. Bei vielen davon, die in Medien und Politik tätig sind, ist freilich zu befürchten, daß sie mit diesen Aspekten des „modernen Kapitalismus“ noch nie konfrontiert worden sind. Manche von ihnen dürften aktuell sogar an den laufenden Berliner Koalitionsverhandlungen beteiligt sein.

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Michael Malice: Ich mag das Landleben ja wirklich. Eisangeln! Wie in alten Zeiten! Holla – da hat einer angebissen.

(Tom Woods taucht aus dem Eisloch auf, eingefroren in einem Eisblock wie Ötzi oder Monsieur Synthése in Louis Boussenards Roman 10.000 ans dans un bloc de glace (1890).

MM: Moment mal: das ist gar kein Fisch. Das ist Tom Woods! Wie in alten Zeiten.

Tom Woods: Schon gut, schon gut. Ich bin wieder mal im Eis eingebrochen. Wie lange war ich diesmal weg?

MM: Nach diesem mottenzerfressenen Löwenfell zu urteilen, so an die zehntausend Jahre.

TW: Wie bitte? 10.000 Jahre? Michael, kann ich mal deine Toilette benutzen? Ich muß mal gerade dinosauriermäßig…



[Titel] „Moderner Kapitalismus. Eine politisch nicht ganz korrekte Einführung“

9. Oktober 2021

Netzfund. Ein Blick in die Zukunft im Zeichen der Corona-Diktatur – am Beispiel Litauen





(Ich habe geschwankt, ob ich diesen Beitrag als „Netzfund“ deklarieren sollte, da er über den Rahmen der dort üblichen kurzen Wortmeldungen, Bilder und kurzen Medienmeldungen hinausgeht – oder als „Gastbeitrag.“ Ich habe mich dann gegen die zweite Wahl entschieden, weil dies kein ein für ein solches Netztagebuch wie dieses verfaßter Beitrag ist, sondern nur eine Reihe von Impressionen, die vorgestern auf dem Kurznachrichtendienst Twitter unter dem Nutzenamen "Gluboco Liiuteva" (offenkundig legt der User Wert auf seine Anonymität) gepostet worden sind. „Netzfunde“ sind gewöhnlich solche, denen der Weiterverbreiter zu größerer Aufmerksamkeit verhelfen möchte und die bezeichnend für die Gegenwart sind. Da es sich bei Twitter um ein öffentliches, von jedermann einsehbares Medium handelt, gehe ich davon aus, daß diese Weitergabe auch im Sinn des Verfassers ist.

Mein Beitrag beschränkt sich lediglich darauf, den auf Englisch verfaßten Kurzmeldungen eine deutsche Übersetzung voranzustellen und auf meine abschließende Anmerkung. Die im Strang zitierten Regierungsanordnungen und der Leitartikel am Schluß finden sich in dort mit einem Link auf das jeweilige litauisch-sprachige Original. U.E.)

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Gluboco Liiuteva @gluboco
5:23 PM – 7. Oktober 2021

1/ Ohne einen COVID-Paß sind meine Frau und ich aus der Gesellschaft ausgestoßen worden.
Wir haben kein Einkommen mehr. Wir dürfen das meiste nicht mehr einkaufen. Wir können uns kaum am Leben erhalten.

Aber wir werden den Autoritarismus nicht hinnehmen.

So sieht das Leben nach einem Monat in Litauen unter der ersten flächendeckenden Verpflichtung zum Führen eines COVID-Impfnachweises in Europa aus.

2/ Meine Frau und ich sind seit vier Wochen ohne Arbeit, ohne Lohnfortzahlung.

Wir dürfen nicht an unsere Arbeitsplätze zurückkehren.

Ich weiß auch nicht, ob unsere Arbeitsgeber uns das erlauben würden.

Selbst wenn sie es würden, würden uns unsere Arbeitskollegen meiden und uns in den sozialen Medien den Tod wünschen. Das läßt sich nie mehr rückgängig machen. Wir können hier nicht mehr arbeiten.

4. Oktober 2021

Flutkatastrophe Ahrtal 2021: Status quo nach 3 Monaten, Ein Gastbeitrag von Frank2000

(Der geschätzte Forist Frank2000 hat gestern im Diskussionsforum zu diesem Netztagebuch, Zettels Kleinem Zimmer, einen Überblick über die Zustände im Ahrtal, dem von der Flutkatastrophe im Juli am schlimmsten betroffenen Gebiet, gepostet. Ich fand diesen Beitrag so informativ (und ja: auch zornig machend), daß ich mich entschlossen habe, ihn als Gastbeitrag im "Zettels Raum" aufzunehmen, um ihn nicht in den Tiefen des Forums ungelesen "versinken" zu lassen. Die Fotos am Ende des Beitrages stammen sämtlich vom Verfasser und sind am 2. Oktober 2021 entstanden. U.E.)

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Aus den überregionalen Medien ist das Thema verschwunden. Lediglich lokale Zeitungen begleiten das Thema noch: zum Beispiel der Bonner General-Anzeiger oder der SWR in der Lokalredaktion. Ich wohne in der Nähe und berichte hier, wie der Status quo ist.

Die Flutkatastrophe hat beginnend ab etwa Ahrdorf bis zur Mündung der Ahr in den Rhein ganz grob folgende Dörfer erfasst (flussabwärts):

- Ahrdorf
- Müsch
- Antweiler
- Fuchshofen
- Schuld
- Insul
- Dümpelfeld
- Hönningen
- Ahrbrück
- Altenahr
- Mayschoß
- Rech
- Dernau
- Walporzheim
- Ahrweiler
- Bad Neuenahr
- Heimersheim
- Sinzig

Das sind ganz grob 50 km Flusslauf. Natürlich hatten viele weitere Dörfer und Dorfteile auch nasse Keller oder sogar im tragischen Einzelfall mal einen großen Schaden an einem Haus. Aber dieses obige Gebiet ist die Kernzone, in der kein Stein auf dem anderen geblieben ist. Der Höchststand des Pegels wird heute mit 7 m angegeben - der Normalpegel liegt so etwa bei 50 cm bis zu einem Meter bei Starkregen.

- In diesem Gebiet sind 136 Menschen gestorben.
- 500 Gebäude sind komplett zerstört.
- Weitere 2500 Gebäude sind schwer beeinträchtigt oder beschädigt.
- Dadurch sind 17.000 Menschen betroffen: entweder komplett obdachlos oder zumindest substanziell in der Wohnfähigkeit eingeschränkt.

Eine solche eingeschränkte Wohnfähigkeit liegt zum Beispiel auch vor, wenn immer noch (nach drei Monaten) wenigstens eine Versorgungsleitung abgeschnitten ist (Wasser, Abwasser, Strom) und zumindest der Keller überflutet war.

In dem Fall kann das Haus zwar im Prinzip bewohnt werden, aber eben nur im Prinzip: wie soll man da leben, wenn man im kommenden Winter nicht mal heizen kann oder die Toilette nicht geht?
Die Schadensklassen für die Häuser werden nicht einheitlich verwendet. Vor wenigen Tagen hat ein Immobilienbewerter einen Bericht veröffentlicht, in dem nur 200 Häuser mit Totalschaden (statt 500) angegeben sind - dafür aber fast 4000 Häuser mit schweren Beschädigungen (statt 2500). Insgesamt sollte für den Leser die Größenordnung der Schäden aber sichtbar sein.

NICHT mitgezählt sind Häuser, bei denen zwar zumindest der Keller überflutet war, aber die inzwischen wieder komplett an das Versorgungsnetz angeschlossen sind. (SWR Aktuell vom 19.9.2021)

2. Oktober 2021

Die Stimme der Provinz: "Tand, Tand, ist das Gebilde von Menschenhand"



„Manchmal hat man den Eindruck, daß die Einschläge näher kommen.“ General v. Erdacht

I.
„Wollte Gott, ich säße in Nubien an meinem Schreibtisch,“ seufzt A&O, eine der drei Erzählerinstanzen in Arno Schmidts letztem fertiggestellten mehrspaltigen Typoskriptroman „Abend mit Goldrand“ (1975) am Ende des ersten Tages im IV. Aufzug. (Da zitiert er den Stoßseufzer des Bliomberis aus August von Platens Drama „Der Schatz des Rhampsinit“ aus dem Jahr 1824.) Daß mein Schreibtisch, an dem ich die Texte für dieses Netztagebuch tippe, in einem Provinznest im nördlichen Münsterland lokalisiert ist, auf altem Flachmeerboden und über einem Karstquellengebiet, das niemand als solches kenntlich ist, der nicht am geologischen Detail interessiert ist, spielt für diese Beiträge zumeist keinerlei Rolle. Wenn ich Neuigkeiten aus dem Andromedanebel referiere oder über die Possierlichkeiten aus der Berliner Menagerie den Kopf schüttele, ist es gleichgültig, ob ich dies in meinen persönlichen Utopien Taiwan oder Singapur tue, in (nun) Nubien oder in der hiesigen urbanistischen Terrain vague, die Element of Crime vor 16 Jahren auf ihrem ironischerweise „Mittelpunkt der Welt“ betitelten Album in Verse gebracht haben, deren benehmende Banalität ihren Kern trifft: „Hinter Huchting ist ein Graben / der ist weder breit noch tief. / Und dann kommt gleich Getränke Hoffmann. / Sag‘ Bescheid, wenn du mich liebst.“ (Kleine ironische Fußnote: zu unserem lokalen „Getränke Hoffmann“ – nicht in Delmenhorst lokalisiert – ist es gut ein halber Kilometer.) Dies ist eben nicht die „Stimme der Provinz,“ die ihr die geschätzte Cora Stephan seit Anfang des Jahres im Wochentakt bei den Kollegen von „Tichys Einblick“ und der „Achse des Guten“ verleiht. Aber wenn die zufällige Reihung von ähnlichen Ereignissen in der (relativen) Nachbarschaft dazu führt, daß sich die eingangs zitierte Lagebeurteilung aufdrängt, dann darf so etwas auch Erwähnung finden.


(Getränke Hoffmann - NICHT in Delmenhorst)

30. September 2021

Symbolbild, das einunddrölfzigste





Es ist an dieser Stelle – und innerhalb dieser Serie, zu der bislang noch kein Ende in Sicht ist – zu einem Gemeinplatz geworden. Aber die Gabe unserer Obrigkeit, für ihre Unfähigkeit in allen Dingen, die zu ihrem Kerngeschäft zählen, zumindest schlagende Symbole zu finden, erstaunt immer wieder. Nach dem Chaos, das die Verwaltung im „Bundeshauptslum“ (©Don Alphonso, das Alter Ego des „Welt“-Journalisten und Zeitgeist-Chronisten Rainer Meyer) am vergangenen Wochenende anzurichten wußte, war sich der hier stets mitschreibende Kleine Zyniker sicher: diesmal wird es ihnen verwehrt sein. Stundenlange Warteschlangen vor den Wahllokalen, zuwenige Wahlscheine, falsch belieferte Wahllokale … dafür findet sich nichts, das dieses systemische Versagen in ein, wie man heute sagt, griffiges Mem faßt. Weit gefehlt. Mit dem heute gemeldeten „vorläufigen amtlichen Endergebnis“ hat sich die Berliner Republik selbst übertroffen.

25. September 2021

Wahlempfehlung





Zwei Tage nach dem geschätzten Ko-Autor Llarian möchte ich – als zweiter verbliebener Führer dieses Netztagebuchs – an dieser Stelle, sozusagen „auf den letzten Drücker," ebenfalls eine Empfehlung für die morgige Bundestagswahl abgeben. Allerdings keine halbe, sondern eine dezidierte – wohl wissend, daß dies für niemanden ausschlaggebend sein wird und allein meine persönliche Einstellung reflektiert, der sich niemand anschließen muß. Allerdings meine ich auch, daß ich gute Gründe habe, so zu votieren, wie ich es tun werden – ganz ungeachtet meiner persönlichen Vorlieben und meiner politischen Einstellung.

23. September 2021

Die Wahl, die FDP und überhaupt.

Es ist nicht ganz untraditionell in Zettels Raum vor großen Wahlen, wenn auch nicht unbedingt eine direkte Wahlempfehlung, so doch ein paar Gedanken zu Papier zu bringen, was man denn vielleicht in des einen oder anderen Lesers Überlegungen einfließen lassen könnte. Und auch wenn es dieses Jahr etwas chaotisch anmutet (und eigentlich sehr spät ist), so möchte ich mit dieser Tradition an dieser Stelle fortfahren. Ich verzichte an dieser Stelle explizit auf die ansonsten von mir meist verwendete indírekte Formulierung des "Autors dieses Artikels", da es meine persönliche Meinung darstellt und ich an der Stelle keine Trennung zwischen Faktenlage und Meinung suggerieren kann und möchte. 

20. September 2021

Watergate 2.0





Mit dem Wort „Watergate“ verbindet sich der größte innenpolitische Skandal der Vereinigten Staaten von Amerika seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs – vom Einbruch in die Parteizentrale der Demokratischen Partei im Juni 1972 im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen, bei denen Amtsinhaber Richard Nixon im November im Amt bestätigt wurde, über die Aufklärung und die Enthüllung, daß der Präsident selbst hinter dem Versuch, „die Konkurrenz“ durch die Installierung von Abhörmikrophonen auszuhorchen, stand, bis hin zu Nixons Rücktritt im August 1974, mit dem er dem drohenden Amtsenthebungsverfahren zuvor kam. Eine wirklich nette Volte – die sich kein Thrillerautor hätte erlauben dürfen - besteht darin, daß Nixon sich selbst durch Tonbandmitschnitte seiner Anweisungen in den Besprechungsräumen im Oval Office ans Messer geliefert hatte, auf deren Herausgabe der Untersuchungssausschuß zur Affäre im Oktober 1973 einklagte – und daß das System zum Mitschneiden aller mündlichen Anweisungen im Februar 1971 auf Betreiben Nixons selbst installiert worden war – zunächst im Oval Office und dem Konferenzsaal des Weißen Hauses und ein Vierteljahr darauf in Nixons Büro im Eisenhower Executive Building und in seinem Arbeitszimmer in Camp David.

Einen ganz gewichtigen Anteil daran, daß sich dieser Skandal wie eine Lawine entwickelte, die bei der Schußfahrt ins Tal alles, was ihr unterkommt, mitreißt, hatten die Reportagen einer einzigen Zeitung, der „Washington Post,“ in der zwei junge Reporter Bob Woodward und Carl Bernstein, die trotz Pressionen von Seiten der Politik, gedeckt durch den Chefredakteur Ben Bradlee, „am Ball blieben“ und auf Informationen aus erster Hand von Zeugen des Geschehens zurückgreifen konnten: die Folgen waren die Rücktritte der für den ursprünglichen Einbruch verantwortlichen Staatsekretäre J.R Haldeman und John Ehrlichman („Nomen est omen,“ flüstert der kleine Zyniker) im April 1973 und die Bestätigung drei Monate darauf, daß die erwähnten Tonbandmitschnitte aus dem Weißen Haus tatsächlich existierten. Lange Zeit war unklar, wer sich hinter dem von Woodward und Bernstein nur „Deep Throat“ genannten Hauptzeugen verbarg. Erst durch die Enthüllungen seiner Familie wurde 2005 klargestellt, daß es sich um Mark Felt handelte, der als Associate Director des FBI und Vorgesetzter des Untersuchungsleiters Charles Nuzum dessen Berichte zugestellt bekam. (Die Gestalt des Zigarettenrauchers, des „Cigarette Smoking Man,“ in Chris Carters Fernsehserie „Die X-Akten“ ist eine verspätete Referenz daran.)

11. September 2021

"Hey Joe"





(Link: https://www.youtube.com/watch?v=DMYx3FrjKIM)

Aus aktuellem Anlaß hat „Zettels Raum“ sein Musikprogamm geändert.

Es geht um das Video zum einem neu-alten Protestsong jener klassischen Machart, die älteren Zeitgenossen noch aus der Ära der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung im Ohr ist, damals vorgetragen von Joan Baez, Pete Seger und „His Bobness“ Dylan, Gitarrenballaden über die Themen Krieg und Rassenbenachteiligung – zu jenen Zeiten, als solcher Protest im Zeichen der „Great society“ Präsident Eisenhowers noch ein weites und durchaus auch von konservativer Seite begrüßtes Echo fand. Und als der Aufschrei gegen die bestehenden Verhältnisse durchweg von der „linken“ Seite kam, im Namen der Teilhabe und Achtung. Tempi passati. Protest gegen die politische Korrektheit, die „Wokeness,“ den Niedergang alles Politischen im Namen einer gekaperten Symbolpolitik kann heute nur noch von einer Seite erfolgen, die von der Politik und den ihnen aufs engste verbundenen Medien umstandslos in der „rechten Ecke“ verortet wird.

(Ein Beiseit vorweg: da der Blogeditor, auf dem „Zettels Raum“ gehostet wird, bei meiner letzten „Musiksendung“ („Mit Musik geht alles besser“) die dort eingestellten Videosequenzen, die zunächst eingestellt worden waren, im Lauf der nächsten zwölf Stunden teilweise oder ganz – je nach verwendetem Browser - wieder löschte und einen Link an ihre Stelle plazierte, die aber auch nicht in allen Browsern angezeigt werden, werde ich nicht nur die unten behandelten drei Videos einbinden, sondern auch noch die URL separat als Link zum Anklicken bringen.)

9. September 2021

Neues von der Impfung: Das Narrativ muss stimmen!

Der eine oder andere mag es schon in den letzten Tagen gelesen haben: In einem Seniorenheim in Oberhausen kam es im Rahmen einer Aktion zum Thema "Booster-Impfung" zu einer Reihe von Impfkomplikationen. Kurz gesagt, von den 90 "nachgeimpften" Senioren hatten 9 schwere Impfkomplikationen, Zwei musten reanimiert werden und zunächst wurde fälschlicherweise auch berichtet es habe einen Toten gegeben.

Jetzt wäre das prinzipiell noch kein Beinbruch. Die Stichprobe ist für statistische Verhältnisse nicht nur klein, sie ist so klein, dass man fast keine Aussage daraus ableiten kann. Impfkomplikationen sind nicht neu (gerade mit den COVID-Impfstoffen) und entsprechend treten sie trivialerweise(!) auch gehäuft auf. Das ist am Ende ähnlich den Krebs-Clustern in der Nähe von Kernkraftwerken, die auch am Ende nur dem Zufall geschuldet sind. Also alleine noch kein Grund zur Panik. Es ist erst einmal auffällig, keine Frage, aber es für den Statistiker(!) weit davon entfernt einen Notfallalarm auszulösen.

4. September 2021

Symboldbild, das Drölfzigste.





Mit Dank für die Zusammenstellung an Argo Nerd, dessen Twitter-Account eine nie versiegende Quelle für solche Vorher-Nachher-Beispiele darstellt.

2. September 2021

Die Pandemie der Ungeimpften. Finde den Fehler!

Wenn Markus Söder nicht damit beschäftigt ist mal wieder ein bischen gegen "den Mann der ihm die Kanzlerschaft nahm" zu intrigieren, verkündet er schon einmal seine großen Weisheiten zum Thema Corona. Seine letzte große Weisheit dabei war, dass es jetzt keine Corona-Pandemie an sich, sondern nur noch eine Pandemie der Ungeimpften gäbe.


1. September 2021

Randbemerkung: Der Absturz der Union ist zwar überraschend aber folgerichtig

Neben Corona und Afghanistan ist es wohl das Thema: Der Absturz der Union und der damit einhergehende Aufstieg von Olaf Scholz (der so tut als habe er mit der SPD nix zu tun). Zunächst mal erscheint diese Entwicklung überraschend. Doch mit ein bischen Reflexion kommt man nicht umhin zu bemerken: Es wäre erstaunlich, wenn es anders wäre. Und das hat weder etwas mit Armin Laschet noch mit Olaf Scholz direkt zu tun.

30. August 2021

"Mit Musik geht alles besser"





Entschuldigen Sie, ist das der Sonderzug nach Treptow?
Ich muß mal eben dahin, mal rüber nach Ostberlin.
Ich find das echt gut, mit euren Oberindianern,
Bei euch ist alles im Lot:
Das ist ein Top-Angebot!

Du fährst ganz easy um halb elf mit der Ringlinie los
Und die Fahrt gibt's für umme, ich find das famos,
Und den Schuß gibt's dazu
Und alle jubeln: juhuu!

Bei Halt und bei Fahrt:
Das ist die Berliner Art.
So erreicht man sein Soll
Und kriegt die Statistiken voll.
Man muß das einfach wollen
Denn die Räder müssen rollen.
(Und klappts damit nicht
Droht die Punktierungspflicht.)

Geht nach dem Motto: was muß, das muß!
Und Doktor Brinkmann himself, der setzt dir den Schuß.
Dit iss der helle Wahnsinn!
Ja sehnse: dit iss Berlin!

Aus gegebenem Anlaß hat „Zettels Raum“ sein aktuelles Musikprogramm geändert.

„Chattanooga Choo Choo,“ neben „In the Mood“ und “Pennsylvania 6-5000” eine der Erkennungsmelodien des Glenn Miller Orchestra, war einer der Höhepunkte des Musicalfilm „Sun Valley Serenade“ der Twentieth Century Fox, am 10 August 1941 in den amerikanischen Kinos angelaufen. Die Schallplattenveröffentlichung auf dem Label Bluebird der Plattenfirma RCA Victor war zwei Wochen vorher, am 25. Juli, erschienen, als B-Seite für den langsamen, getragenen Foxtrot („Slowfox“) „I Know Why (And So Do You“). Es war aber die B-Seite, die dazu führte, daß sich die 78er Schellackplatte bis zum Februar 1942 mehr als 1,2 Millionen Mal verkaufte und als erste Ausnahme überhaupt mit einer Goldenen Schallplatte ausgezeichnet wurde. Sonja Henie, die in „Sun Valley Serenade“ gewissermaßen sich selbst spielte – eine Geflüchtete aus dem fernen Europa – glänzte dort eher weniger (ihr Metier war eher der Eisschnelllauf; in dieser Hinsicht war sie so einiges mit „Tarzan“ Johnny Weissmuller gemein) – ironischerweise hatte sie vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und bevor sie 1940 die amerikanische Staatsbürgerschaft erwarb, eher Sympathien für die Machthaber des Dritten Reichs gezeigt. Die Tatsache, daß auf ihrem Konzertflügel in ihrem Heim im norwegischen Landoya ein handsigniertes Photo von Hitler einen Ehrenplatz einnahm, führt dazu, daß die deutschen Truppen nach der Besetzung Norwegen den Hof „off limits“ erklärten und von Beschlagnahmen und Zerstörungen ausnahmen.

29. August 2021

Symboldbild 3.2 - Noch einmal zu Afghanistan





Ein Beiseit vorweg: Die Dezimale zeigt an, daß es sich wie im Fall von Software-Releases nicht um eine neue Vollversion, sondern um eine Nachmeldung zu dem vor einer Woche behandelten Versagen unserer Politik in Afghanistan handelt. Trotzdem macht die Treffsicherheit, mit der die sonst zu nichts mehr fähigen Politiker des Westens immer wieder aufs Neue sind, hierfür sinnträchtige Auftritte vor der Weltöffentlichkeit zu inszenieren.

# # #

Es ist mißlich, wenn die eigene, aus Gründen bruchstückhafte Erinnerung nicht genügend Anhaltspunkte liefert, um eine Frage zu klären, und die üblichen Wasserstellen im Weltnetz hier keine weiterführende Handreichung bieten. So kann ich denn nicht genau sagen, welcher sowjetische Propagandafilm mir im Lauf der letzten Woche einige Male ins Gedächtnis gekommen ist. Genauer gesagt: eine bestimmte Szene aus diesem Streifen. (Vielleicht ist ja der eine oder andere Leser in der Lage, meinen lückenhaften Erinnerungen auf die Sprünge zu helfen.) Aber ich habe den betreffenden Film vor fest 30 Jahren gesehen, in einer spätnächtlichen Ausstrahlung des ZDF, in unsynchronisierter Fassung mit Untertiteln. Da war, bevor ich mich ein wenig mit der russischen Sprache befaßt habe; mit einmal die kyrillischen Buchstaben konnte ich zu jener Zeit lesen. Bei diesem Film handelte es sich um eine Ausgrabung in den damals, zum Höhepunkt von Glasnost‘ weitgehend zugänglichen russischen Archiven. Nach Aussage des Ansagers (ja, so etwas gab es damals im Fernsehen noch!) war der als Monumentalstreifen angelegte Film kurze Zeit nach seiner Kinopremiere der Zensur zum Opfer gefallen und seither in Vergessenheit geraten. (Dieses Schicksal traf solche Großproduktionen nicht selten: auch der letzte Science-Fiction-Film der Stalinzeit, „Die Kosmische Reise“, Космический рейс, 1936 durch das größte Filmstudio der UdSSR, Mosfilm, unter der Regie von Wassili Schuralow gedreht, der letzte Stummfilm der russischen Filmgeschichte und mehr als deutlich von Fritz Langs „Frau im Mond,“ sagen wir, „inspiriert,“ traf dieses Schicksal zwei Wochen nach seiner Moskauer Kinopremiere, einschließlich des Vergessenwerdens.)

WARUM der Bannstrahl der Zensur den späteren Film traf, ist leicht verständlich. Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs, des „Großen Vaterländischen Kriegs“ entstanden, also Ende 1945 oder 1946 produziert, wird dort in kurzen exemplarischen Szenen die Geschichte des Kriegs umrissen – aber anders als in den „offiziellen“ Produktionen ist der Film über weite Strecken als leichte Unterhaltung, ja als Musical gestaltet: zu Beginn sieht man eine Brigade Kolchosbauern singend bei der Ernte; als am Ende die T-34-Panzer vor dem Berliner Reichstagsgebäude ausrollen, springt ein Rotarmist heraus und beginnt zur Ziehharmonikabegleitung Kasatschok zu tanzen … Der Kontrast zum schweren, bleiern lähmenden Pathos von Filmen wie Освобождённая земля / Die befreite Erde (Regie: Alexander Medwedkin, 1946) oder Великий перелом / Der Wendepunkt (Regie: Fridrich Ermler, 1945) könnte größer nicht sein. Und dieser Machart verdankt sich auch die oben erwähnte Szene: Im Frühjahr 1939 begehrt dort der Moskauer Botschafter in Paris Audienz vom französischen Premierminister Edouard Daladier, um ihn zu warnen: er solle dem Abkommen von München nicht vertrauen; Hitlers Diktatur plane einen Krieg und einen Angriff nicht nur auf Russland, sondern auch auf Westeuropa und wolle Frankreich besetzen; die einzige Lösung sei, sich zusammenzuschließen und darauf vorbereitet zu sein (der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt vom August 1939 war also, wie man sieht, aus der offiziellen Geschichtsversion getilgt).

Daladier ist in dieser Szene als groteske Karikatur gezeichnet: im Morgenmantel, ein Glas Cognac in der Hand, offensichtlich schwer betrunken, während hinter ihm in seinem Büro eine lärmende Party über die Bühne geht, dargestellt von einem kleinwüchsigen, grell geschminkten Knallchargenspieler, der sichtlich mit Hinblick darauf ausgesucht wurde, daß seine Physiognomie jenem Zerrbild entsprach, mit dem die Nazi-Karikaturisten (und später auch die Zeichner der sowjetischen Propaganda) etwa die Juden entstellten. Die Blindheit, die Ahnungslosigkeit der wirklichen Lage, die „französische Überheblichkeit,“ die hier die Folie abgeben, sind bis zum Anschlag überdreht. Nur: von solchen Propaganda-Machwerken erwartet man es nicht anders. Nicht erwartet wird hingegen, daß reale Politiker im realen Leben sich aufführen, als würden sie wetteifern, wer einem solchen Zerrbild möglichst nahe kommt.

22. August 2021

Symboldbild III. Unser Vietnam



Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen – aber das ist ja schließlich Thema dieser kleinen Reihe, die so nicht geplant war, zu der unsere flächendeckend unfähige Politik aber immer neue Illustrationen liefert: es ist immer aufs Neue frappant, wie grandios die Riege von Berufspolitikern, Ministern, Letztverantwortlichen, denen wir die Führung dieses Landes anvertraut haben, an jeder tatsächlichen Krise, an jeder Herausforderung an Können und Führung scheitert – außer in der traumwandlerischen Fähigkeit, dafür symbolische Bilder zu liefern.

So auch im Fall (im doppelten Sinn) unseres Vietnam. Daß der Fall der afghanischen Hauptstadt Kabul an die Taliban, elf Tage nach dem Beginn ihrer Offensive, auf der ihnen das gesamte Land kampflos in die Hände fiel, an den Fall Saigons im April 1975 erinnert, als die letzten US-Bürger mit Hubschraubern von den Dächern des Botschaftskomplexes ausgeflogen wurden, ist in der letzten Woche unzählige Male in den Medienberichten erklärt worden. Aber es wird dadurch nicht falsch. Es ist sogar noch schlimmer; noch peinlicher und bloßstellender für die politischen und militärischen Führungen der westlichen Länder, die an dem jetzt nach zwei Jahrzehnte zu Ende gehenden längsten Militäreinsatz seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs teilgenommen haben. In Vietnam hatten die letzten amerikanischen Truppen Anfang 1973 das Land nach dem Abschluß des Pariser Abkommens im Jahr zuvor das Land verlassen; die Niederlage Saigons war seitdem absehbar; die „Operation Frequent Wind“ war unter Außenminister Kissinger seit Anfang des Jahres geplant worden. Und bei dieser Rettungsoperation, die in nur neun Stunden über die Bühne ging, wurden knapp 980 US-Bürger und 1.100 vietnamesische Helfer ausgeflogen. Das war nur die letzte Phase der Evakuierung: gut 40.000 Menschen waren in den acht Tagen zuvor vom Luftwaffenstützpunkt Tan Son Nhut ausgeflogen worden. So dramatisch die Bilder sich auch gleichen (die US-Regierung war vom schnellen Vorrücken der nordvietnamesischen Armee ebenfalls überrascht), steht dies im Kontrast zu dem völligen Versagen und dem Chaos, das uns seit einer Woche am Hamid Karzai Airport in Kabul vorgeführt wird.

17. August 2021

Auf dem Weg in die Barbarei. Ein Gedankensplitter.

Eine Unterart der in Australien geheimateten Kängurus sind die sogenannten Quokkas, Kurzschwanzkängurus, die so um die 60 cm groß werden. Eine auffällige und weniger attraktive Eigenschaft der Quokkas, die ansonsten recht possierlich wirken, ist ihre Bereitschaft den eigenen Nachwuchs zu opfern, wenn es opportun erscheint, bzw. wenn die Tiere sich bedroht fühlen. Die Kängurumutter wirft in diesem Fall das Jungtier aus dem Beutel und verdrückt sich, in der Hoffnung das der potentielle Räuber sich vom Jungtier ablenken lässt und sie selbst somit entkommen kann. Evolutionär ein scheinbar erfolgreiches Verhalten, wenn auch nicht unbedingt kompatibel zu menschlichen Ethik-Vorstellungen.

Heute kann man zurecht feststellen: Die deutsche Gesellschaft hat das moralische Verhalten von Quokkas erfolgreich übernommen und steht somit auf einer neuen ethischen Stufe.

16. August 2021

Streiflicht: Versteckt den Onkel!

Früher wurde das Motiv eher im Witz oder in der Klamotte gerne verwendet: Vor der großen Feier, der Hochzeit, dem Geburtstag oder auch nur der großen Party, wird der komische Onkel oder ersatzweise auch die halb demente Oma gerne versteckt. Muss ja nicht jeder wissen, dass der Onkel seine Finger nicht bei sich behalten kann oder die Oma nicht mehr ganz auf diesem Planeten lebt.

Mit der amerikanischen Präsidentenwahl 2020 wurde das Motiv dann endgültig auf die Politik ausgedehnt, nur mit der lustigen Pointe, dass man statt dem komischen Onkel lieber den eigentlichen Kandidaten verstecken musste, damit das gemeine Wahlvolk nicht merkt, dass dieser eigentlich nicht mehr auf diesem Planeten weilt und gerne mal bei Damen höchst unterschiedlichen Alters an den Haaren schnüffelt. Und wie es sich dann für die Realität gehört, wurde aus der Groteske dann endgültig die Farce, indem der komische Onkel dann auch tatsächlich zum Präsidenten gekürt wurde (heute hat man es als Satiriker nicht mehr allzu leicht es mit der Realität aufzunehmen. Well played, reality!). 

15. August 2021

"Aus der Tangentialen." Zum Tod von Karl Heinz Bohrer





Hand aufs Herz, lieber Leser: Wann haben Sie das letzte Mal etwas von Günter Grass gelesen?

* * *

Diese Frage ist als Auftakt eines kleinen Nachrufs für Karl Heinz Bohrer, der in der vorigen Woche im Alter von 88 Jahren in London gestorben ist, nicht ganz so frivol, wie es zuerst scheinen mag. Umformuliert zu „Wann haben Sie zuletzt eine Ausgabe des ‚Merkur‘ gelesen?“ macht sie schlagartig zwei Aspekte deutlich. Zum einen, wie weit uns die Debatten der „alten Bundesrepublik,“ der oft verlachten „Bunzreplik“ Bonner Zuschnitts und ihre intellektuellen Vertreter doch inzwischen entfernt sind; zum anderen, welch eine geistige Fallhöhe es zwischen diesen intellektuellen Fehden und Kontroversen der Jahre der Kanzlerschaft von Schmidt und Kohl – der Haltung zur terroristischen Gewalt der RAF, der „Nachrüstungsdebatte“ etwa – und dem gibt, was an „Kontroversen“ in der Berliner Republik seit Jahren aufgeführt wird. Wobei „Debatten,“ „Kontroversen“: das sind die falschen Worte: es gibt nur ein schrilles Gekreisch des Immergleichen und der Immergleichen, wenn einem Autor nachgesagt wird, er habe bei einem politisch mißliebigen, also „rechten“ Verlag publiziert. Nach spätestens einer Woche verstummt es, und beim nächsten „Vorfall“ wiederholt es sich wortgleich. Es gibt keinen Erkenntnisfortschritt, keine Rückbesinnung, keine Klärung unterschiedlicher Positionen, kein Ausleuchten der unterschiedlichen Aspekte mehr – also das, was das Wesen einer solchen Kontroverse ausmacht, die ja nicht darin besteht, daß man die Gegenseite von der Richtigkeit der eigenen Sicht überzeugt, und das die andere Seite gute Gründe für ihre Position beanspruchen kann. Es gibt nur noch schwarz und weiß, keine Grauzonen mehr, der einzige Wettbewerb besteht in der Schrille, mit der Abweichendes verdammt wird. Was die geistige Enge und Provinzialität angeht, so steht die Berliner Republik seit Mitte der 2010er Jahre ihrer Vorgängerin am gleichen Ort vor 1989 um nichts nach.

12. August 2021

Stolpern bis der Arzt kommt. Heute mit Armin Flaschet.

Armin Laschet, von diesem Autor kosend auch gerne als Flaschet bezeichnet, macht seinem Namen alle Ehre. Der Ball lag in den letzten Wochen mehrmals auf dem Elfmeterpunkt und Flaschet kam, sah, und ballerte den Ball in traumtänzerischer Sicherheit weit über den Kasten. Und das selbst dann, als weit und breit kein Torhüter auf dem Platz war.

10. August 2021

Rand Paul, "Der Moment der Wahrheit"





Heute, an dem Tag, da nach langer Pause wieder die BIK, , die Bundesinnenministerkonferenz – erweitert um den Gesundheitsminister und die Bundeskanzlerin – ein Gremium, das im Grundgesetz nicht vorgesehen ist und laut Gesetzeslage über keinerlei Weisungs- und Beschlußfähigkeit verfügt, sondern allein einen informellen Informationsaustausch dient und bei der es absehbar ist, daß uns „weitere drei, vier schwere Monate“ bevorstehen werden, die „epidemische Notlage von nationaler Trageweite“ bis weit in die Zeit nach der Wahl verlängert wird, und Schikanen gegen alle, die sich dem Druck, sich impfen zu lassen aufgebaut werden, die einem vor einem Jahr in Verbindung mit den Worten „freiheitlichen Rechtsstaat“ als unmöglich erschienen wäre – heute also hat die BILD-Zeitung, die sich in der letzten Zeit zu einem Bollwerk gegen die Einschränkungen, die planlosen Verlängerungen und den Machtrausch dieser Politik entwickelt hat, mit diesem Titelbild aufgemacht.

Unter den Reaktionen in den sozialen Medien fand sich auch der Satz: „Wenn das so weitergeht, wird Reichelt bald bald auf der Titelseite auf Artikel 20 (4) berufen.“ In Aussicht steht etwa, für Ungeimpfte ab Oktober die PCR-Tests, ohne deren negatives Ergebnis, das nicht älter als 48 Stunden sein darf, sie keine Veranstaltungen, Kino, Restaurants mehr betreten dürfen – ja nicht einmal mehr Lebensmittelgeschäfte oder Supermärkte. Dies käme einer Angewiesenheit auf Lieferdienste und einem völligen Ausschluß vom sozialen Leben gleich. Unter den gegenwärtigen Bedingungen eines „Lockdown light“ reicht es, beim Betreten eines Geschäfts der Maskenpflicht nachzukommen. Da die Kosten eines solchen PCR-Tests zwischen 30 und 50 Euro liegen, kann man sich vorstellen, welche Belastung durch solche eine Verordnung entstehen würde.

Deshalb scheint dies eine gute Gelegenheit, auf ein kurzes Video-Statement hinzuweisen, das Rand Paul, Senator im Kongreß der Vereinigten Staaten für den US-Bundesstaat Kentucky, vor zwei Tagen auf einer Facebook-Seite, auf Twitter und auf YouTube eingestellt hat und das in unserer Medien-Öffentlichkeit wohl nicht ohne Grund keinerlei Beachtung gefunden hat. Zettels Raum dokumentiert die dreieinhalb Minuten lange Rede im Folgen im Wortlaut und in Übersetzung.

7. August 2021

Wahlkampfauftakt



Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.



Heute, am Samstag, den 7. August, ist in Deutschland – jedenfalls in dem mikroskopischen Ausschnitt, den ich selbst in Augenschein nehmen konnte, nämlich Münster - der Bundestagswahlkampf 2021 in seine heiße Phase eingetreten – die sich dadurch auszeichnet, daß die antretenden Parteien an Lampenpfählen und Plakatwänden mit dem Aushängen der Konterfeis ihrer Kandidaten begonnen haben – hier bei uns zunächst nur die Grünen; dann in erheblich geringerem Maß, die Genossen mit den zukunftsfroh stimmenden Gesichtern der Großen Vorsitzenden Esken und dem Wunderkind Kevin Kühnert, von dem unsereins fast geglaubt hätte, er sei auf einer Expedition zum Andromedanebel verschollen. (Erste Abschweifung: da es ja 1. einen gehörigen Sturm im Wasserglas um die akademischen Meriten von Annalena „ich komm‘ aus dem Völkerrecht“ Baerbock gegeben hat und 2. die meistgefragte Wissensquelle Wikipedia im Ruch steht, über linke V.I.P.s nur Schmeichelhaftes zu verbreiten: die „allwissende Müllhalde teilt für den Genossen K. in dieser Hinsicht Folgendes mit: „Ein 2009 begonnenes Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin, in das er sich zuvor eingeklagt hatte, brach er ab und arbeitete anschließend dreieinhalb Jahre lang in einem Callcenter.“) Als Dritte im Bunde wurden Plakate der wahrscheinlich chancenlosen Kleinpartei VOLT gesichtet, deren Ausrichtung den meisten Lesern – und Wählern – völlig schleierhaft sein dürfte. Wenn man erfährt, daß sich die nationalen Ableger dieser Organisation in allen europäischen Ländern ein wortgleiches Programm zugelegt haben, daß sie sich „Progressismus“ und „globale Teilhabe“ auf die Fahnen geschrieben haben und sich als „pro-europäische Bürgerrechtsbewegung“ verstehen, beschleicht den skeptischen Beobachter der leise Verdacht, hier könnte es sich um eine Tarnorganisation der EU-Zentrale in Brüssel handeln.

2. August 2021

Impfung oder auch nicht. Ein Blick von der anderen Seite des Zauns.





Als zweiter verbliebener Hausautor dieses Netztagebuchs möchte ich den Beitrag des sehr geschätzten Kollegen Llarian von vorgestern zum Für und Wider der Entscheidung, sich prophylaktisch gegen den Erreger des Schweren Akuten Respiratorischen Syndroms (kurz SARS-CoV-2 genannt), zum Anlaß nehmen, um meine eigene Sicht auf dieses Dilemma kurz zu umreißen.

1. August 2021

Zwei Herzen in meiner Brust. Impfung oder auch nicht. Ein Gedankensplitter.

Vor einigen Monaten hatten wir in Zettels kleinem Zimmer eine recht interessante Diskussion zum Thema Impfung, seinerzeit insbesondere bezogen auf den Impfstoff von Astra-Zeneca. Ich habe zu diesem Zeitpunkt einen sehr "impf-affinen" Standpunkt vertreten, was allerdings dummerweise kaum ins Reale übertragen werden konnte, da zu diesem Zeitpunkt der Impfstoff in Deutschland noch sehr knappe Ware gewesen ist und noch lange Zeit knapp sein würde.

25. Juli 2021

Acqua alta. Noch einmal zum Hochwasser



Fünf Minuten im Studio
und schon steht für euch fest,
dass wir Verbrecher sind,
Ungeziefer, das die Erde
befallen hat.

(Hans Magnus Enzensberger, "Propheten im Studio". Aus "Wirrwarr", 2020)



Jetzt, elf Tage, also anderthalb Wochen nach dem verheerenden Überflutungen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz mit mehr als 200 Toten (allein in Deutschland sind aktuell 184 geborgen worden) und einem noch immer nicht abzuschätzenden Ausmaß an Zerstörungen, wird immerhin eines deutlich: diese Katastrophe ist das Zeichen, das Signum, das als Bild für das Ende der Ära Merkel stehen wird, das den Zustand des Landes, dem sie nun seit 16 Jahren vorsteht, in Bilder faßt. Nicht nur, weil diese Bilder der Schlammfluten, der zerstörten Gebäude, der grabenden Helfer im Schlick alle anderen Bilder des Jahres überlagern werden, sondern weil darin der katastrophale Zustand, in dem sich dieses Land mittlerweile befindet, unmittelbaren Ausdruck findet.

Und die Spaltung dieses Gemeinwesens wurde hier, zum ersten Mal, unmittelbar mit gewissenmaßen mit den Händen greifbar, deutlich. Während auf der Ebene der engagierten Helfer, der Feuerwehren, der THW (meistens jedenfalls), auch der im Katastrophengebiet aufgebrochen Bundeswehreinheiten die Rettungs- und Räumarbeiten unverzüglich und mit großen Engagement in Angriff genommen wurden, hat dieses Land, dieser Staat, auf seiner institutionellen Ebene in jeder Hinsicht versagt. Daß der WDR es in der Katastrophennacht nicht schaffte, sein Programm zu ändern, den Zuhörern Warnungen zu übermitteln und sie nach Möglichkeit über die Lage vor Ort aufzuklären, steht bespielhaft für dieses totale Versagen. Daß die Leitung des größten Sendehauses der ARD, jährlich mit einem Budget von 1,38 Milliarden Euro zwangsfinanziert, mit einem Stab von 4000 Mitarbeitern, nicht in der Lage ist, die Bürger vor der unmittelbaren Bedrohung für Leib und Leben zu waren, ist ja nur das eine. Daß im Rheinisch-Bergischen Kreis in NRW nach Aussage der Einsatzleitung die dort immerhin noch vorhandenen Sirenen bewußt nicht Alarm gaben, um „die Leute nicht in Panik zu versetzen,“ macht selbst hartgesottene Zyniker denn doch ein wenig sprachlos. Um die Leiterin der Pressestelle des Kreises, Birgit Bär, wörtlich zu zitieren:

21. Juli 2021

Streiflicht: Der erste gute Vorschlag.

Ein schönes, urdeutsches (und wahnsinnig langweiliges) Ritual ist es immer wieder, wenn nach Extremereignissen die Politiker aus ihrem Winterschlaf (okay, Sommerruhe) kommen und Vorschläge machen. Gerne auch solche, die am Ende mit dem Ereignis nur am Rande zu tun haben, aber vor allem ihrer politischen Richtung Wind geben.

20. Juli 2021

Jetzt will es keiner gewesen sein. Mehr Geschichten von der Flut.

Das mit dem Klimawandel war dann vielleicht doch ein bischen zu offensichtlich und inzwischen wird offenbar, dass es doch etwas seltsam anmutet, dass bei der letzten großen Flut vor etwas mehr als fünfzig Jahren, mitten in einer heute als so dunkel und verspiessert wahrgenommenen Zeit, die Vorkehrungen und Maßnahmen irgendwie besser funktioniert haben als im modernen 2021.

17. Juli 2021

Frau Baerbock, die Grünen, und die "Kobayashi Maru"



Logbuch “Zettels Raum,” Sol III, Sternzeit -301457,58.

Kirk : You're bothered by your performance on the Kobayashi Maru. Saavik : I failed to resolve the situation. Kirk : There's no correct resolution. It's a test of character.

I.
Lieber Leser: Ist Ihnen der „Kobayashi-Maru-Test“ ein Begriff?

Es ist kein Zeichen von Unbildung, auch nicht popkultureller Unbedarftheit, wenn dem so sein sollte. Aber nicht weniger Begriffe aus dem Bereich des Star-Trek-Universums, vor allem dem, was unter „Trekkies“ nur als „TOS“ bezeichnet wird (das Kürzel steht für „The Original Series,“ bei uns allgemein als „Raumschiff Enterprise“ geläufig, die drei Staffeln um Captain Kirk, „Pille“ MyCoy und Mr Spock, die in der USA in den Jahren 1967 bis 1969 ausgestrahlt wurden). Etwa der Ausdruck „Beam me up, Scottie!“ – der in dieser Form in dem 79 Folgen nie so fiel, der aber im englischen Sprachgebrauch zur stehenden Redenswendung wurde, stets mit ironisch-verzweifeltem Augenrollen geäußert wird und etwa unserem „Nun reichts aber endgültig!“ entspricht. Das Konzept des Beamens selbst, das Entmaterialisieren und Wiedererscheinens von Gegenständen und Personen durch technische Zauberei. Die Logik sagt zwar, daß für die Rückverwandlung aus einem Energiepuls mindestens eine der Sendestation entsprechende Empfangsvorrichtung vorhanden sein sollte (man stelle sich vor, mit einem Smartphone jemanden ohne „Händy“ anrufen zu können, weil die Schallwellen „in der leeren Luft“ erzeugt werden können, um die Absurdität des Konzept zu ahnen). Gene Roddenberry hatte sich für diesen Trick entschieden, um nichts von den 42 Minuten jeder Sendefolge mit umständlichen Anreise- und Landeszenen zu verschwenden, um „unsere Helden“ (und die unvermeidlichen „Rothemden“ als Kanonenfutter) an den Ort des Geschehens zu befördern. „Pilles“ ausdrucksloser Blick, wenn er den Sensorkopf seines Tricorders über einen leblosen Körper führte und das stets überraschende „Er ist tot, Jim!“ konstatierte. (Bei diesem „Sensorkopf“ handelte es sich übrigens um einen schlichten Salzstreuer aus Kunststoff.) Und eben den „Kobayashi-Maru“-Test.

16. Juli 2021

Keine Krise ungenutzt lassen

"Wer jetzt noch nicht begriffen hat, dass der Klimawandel seine Folgen hat, dem kann man nicht mehr helfen." 
                                                - Marie-Luise Anna Dreyer, MP
So manchem ist nicht mehr zu helfen. Angesichts der Fluten, die sich in den letzten Tagen über große Teile von NRW und dem nördlichen Teil von Rheinland-Pfalz ergossen haben, haben nicht wenige Menschen ihre Existenz verloren, einige ihr Leben und noch viel mehr ihr Dach über dem Kopf. Das ist nicht witzig und für den Betroffenen mit Sicherheit ein Schicksalsschlag härtester Sorte. Was es jedoch dummerweise nicht ist: Ein Zeichen für den Klimawandel. 

14. Juli 2021

Symbolbild II: "Der Dank des Vaterlandes"



Motto: „Wie Sie sehen, sehen Sie nichts.“

Vor ein paar Wochen schrieb ich an dieser Stelle, daß die Politik in diesem Land, wie es scheint, zu nichts mehr fähig außer dazu, für ihre Versagen vor den Aufgaben eines Staates mit traumwandlerischer Sicherheit symbolische Gesten und Sinnbilder zu finden. Ich schrieb es nicht zum ersten Mal – seit nun sechs Jahren ist es so etwas wie ein Basso continuo, ein Generalbaß, der sich in meinen Begleitungen zu der Politik in diesem Land zeigt. Auch bei der Rückkehr der letzten Bundeswehrsoldaten vom Einsatz in Afghanistan, dem Kommando Spezialkräfte (KSK) in den niedersächsischen Fliegerhorst Wunstorf, vor nun zwei Wochen, am 30 Juni, wurde dies wieder einmal deutlich. Weder die oberste Dienstherrin der Soldaten, Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, noch die Bundeskanzlerin oder der Bundespräsident als Vertreter dieser Regierung, kein Bundestagsabgeordneter, kein Staatssekretär hat es für nötig gefunden, den Abschluß des fast zwei Jahrzehnte dauernden längsten Nachkriegseinsatzes deutscher Soldaten im Ausland zu würdigen.

29. Juni 2021

Rudolf Presber – „Pierrot guckt nach dem Mars“ (1914)





("Selfie" des chinesischen Mrs-Rovers Zhurong, aufgenommen am 4. Juni 2021 auf der Ebene Utopia Planitia. Die Bilddaten wurden am 5. Juni vom Orbiter Tianwen-1 zur Erde übertragen.)

Pierrot guckt nach dem Mars

Neues Forschen, neues Ahnen –
Und der Blick fliegt durch das Rohr.
Raucht es dort nicht von Vulkanen,
Treten dort nicht Berge vor?
Welch ein Wallen, welch ein Glimmen,
Tausend, tausend Meilen weit –
Kleine Glitzerinseln schwimmen
Auf der Meere Einsamkeit …
Und ich wache und ich zähle
- Unbekümmert des Katarrhs –
Fern die Seen und die Kanäle
Auf dem Mars.

Stunde, da die Sterne sprechen,
Sei willkommen meinem Wahn!
Dort die breiten weißen Flächen,
Deuten sie den Ozean?
Jene langen hellen Flecken,
Wie die Finger einer Hand,
Dehnt sich dort in öden Strecken
Wohl der Wüste flücht’ger Sand?
Dort, wo sanft in dunklen Blasen
Sich die Helle unterbricht,
Grünen schattige Oasen
Auf zum Licht? …

Müssen dort in Weltenweiten,
Ach, zu kurzem Schau’n beseelt,
Brüder unsresgleichen leiden
An der Sehnsucht, die uns quält?
Fahren dort auf schwanken Kielen
Durch das tück’sche Element
Schiffe auch nach fernen Zielen,
Die der Steuermann nicht kennt? …
Grübelnd über dem Geschicke
Wand ich, müde des Gestarrs,
Meine glanzbetäubten Blicke
Ab vom Mars.

Lange hab‘ ich noch gestanden
Auf der Warte, schlummerlos,
Und der Mars und die Trabanten
Standen hell und riesengroß.
Und sie schnitten mir Gesichter:
„Armer sphärischer Tourist,
Weh, daß du ein halber Dichter
Und ein halber Forscher bist!“
Und der Sterne hellster glühte:
„Ach, wie manchen, manchen Narrs,
Der, wie du, umsonst sich mühte,
Lacht‘ der Mars!“

19. Juni 2021

J.B.S.Haldane, "Das jüngste Gericht" (1927)





(J.B.S.Haldane)

„Denique montibus altior omnibus ultimis ignis
Surget, inertibus ima tenentibus, astris benignis,
Flammaque libera surget ad aēra, surget ad astra,
Diruet atria, regna, suburbia, castra.

Bernard von Cluny, De contemptu mundi, I, 33-36

Das Gestirn, das wir bewohnen, ist einst entstanden und wird ohne Zweifel einmal ein Ende finden. Es ist schon oft versucht worden, dieses Ende zu schildern, in unterschiedlich ausgefallener Weise. Die christliche Version enthält manches, das unserer Bewunderung wert ist, leidet aber unter zwei entscheidenden Nachteilen. Zum einen schildert sie die Ereignisse aus der Perspektive der Engel und nur eines kleinen Teils der Menschheit. Ein unparteilicher zukünftiger Historiker darf Anspruch auf die Pläne und Kommuniqués des Tieres aus der Offenbarung und seines Gefolges anmelden. Schließlich waren das Tier und sein falscher Prophet durchaus in der Lage, Wunder zu bewirken und ausgezeichnete Propagandisten. Eine Meldung wie „Weiterer Luftangriff auf Babylon abgewehrt. Siebzehn Erzengel von der Flugabwehr abgeschossen“ wäre für die Frühphase des Kriegs kennzeichnend, während „Mehr Greueltaten des Feindes: Prophet in brennenden Schwefel geworfen“ auf die Friedensverhandlungen hinweisen würde.

16. Juni 2021

Der Anti-Atommüll - Erfolgslauf

Der Anti-Atommüll - Erfolgslauf

ein Gastbeitrag von Frode.


Kernkraftwerke sind eine grundlastfähige, hoch verfügbare und CO2 - freie Form der Energieerzeugung. In Deutschland ist dennoch der Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen und eine Rückkehr ist extrem unwahrscheinlich. Die Proteste der Anti-Atombewegung haben letzten Endes zum Erfolg geführt. 

14. Juni 2021

Symbolbild





Ein Bild, so lautet das Sprichwort, sagt mitunter mehr als tausend Worte.

Vor einer Woche habe ich an dieser Stelle geschrieben, daß – nach meinem subjektiven, aber hartnäckigen Empfinden – die Politik dieses Landes zu nichts mehr fähig ist: weder zur Analyse der Lage, noch zu einem zielgerichteten Handeln. Mit einer vielsagenden Ausnahme: der Symbolpolitik. Mit der traumwandlerischen Fähigkeit, Situationen und Bilder hervorzubringen, in denen der desolate Zustand dieses Landes und seiner politischen Klasse schlagartig zur Kenntlichkeit entstellt wird.

Und wie zur Bestätigung dieser These findet sich heute mit dem Signum der ZDF, des Zweiten Deutschen Fernsehens, mithin einer öffentlich-rechtlichen Institution, die durch zwangsweise erhobene und nicht zu umgehende Tributzahlungen des Souveräns, des Staatsbürgers, unterhalten wird (hier bekommt dieses Verb, Verzeihung, dieses Tu-Wort, einen netten Doppelsinn) eine „Kachel,“ zur Verbreitung flotter Sprüche und Motti in den sozialen Medien gedacht, die deutlich macht, wie man bei diesem Staatssender sein Publikum einzuschätzen scheint.