30. April 2012

Zettels Meckerecke: Empörend!

Ist Ihnen das auch schon aufgefallen? Wenn man den Medien traut, dann sind wir eine Gesellschaft von Empörten. Ständig passiert in diesem Land etwas, über das wir empört sind. Nun gut, nicht wir alle. Aber stellvertretend für uns diejenigen, die aktuell einen Anlaß zum Empörtsein haben. Jedenfalls, wie gesagt, wenn man den Medien glaubt.

Aktuelles Beispiel: Vor einigen Stunden wurde bekannt, daß der Bundes­gerichts­hof das Urteil gegen den Vater des "Amokläufers von Winnenden" aufgehoben hat.

Kannibalismus im Hamburger "Spiegel"-Haus? Über Print- und digitale Medien. Bezahlschranke für "Spiegel-Online"? Was wird aus dem Print-"Spiegel"?

Wenn ein neues Medium auftaucht; wenn es groß wird, sich allmählich durchsetzt, dann gibt es stets diesselbe spannende Frage: Wird es die alten Medien ersetzen oder zu ihnen hinzu­treten? Verdrängung oder Bereicherung?

Im Grunde ist das eine Frage, die auch die biologische Evolution immer wieder stellt und - auf die ihr eigene lakonische Art - beantwortet. Eine neue Art, eine neue Unterart kann sich entwickeln und zu den vorhandenen hinzukommen. Sie kann aber auch diesen den Garaus machen.

Das geläufigste Beispiel für diesen zweiten Fall ist der Homo sapiens; ja nicht das Endprodukt einer linear verlaufenen Evolution, sondern diejenige Unterart von Homo, die sich gegen die anderen durchgesetzt hat, zuletzt gegen den Neandertaler.

Werden die Printmedien das Schicksal des Neandertalers teilen? Oder ist in dem Biotop "Medienlandschaft" für beide Platz, sie und die digitalen Medien; so, wie die Säugetiere die Echsen nicht verdrängt haben, sondern sich in ihrer eigenen ökologischen Nische einrichteten?

29. April 2012

Frankreichs Wahljahr 2012 (5): Sarkozys Aussichten sind dahin. Drei Gründe, warum er nicht mehr gewinnen kann












Zwei Wahlgänge im Abstand von zwei Wochen, wie bei der Wahl des französischen Präsidenten - das kann für einen Kandidaten eine zweite Chance sein. Es kann auch ein Tal der Tränen sein, das er durchschreiten muß; dann nämlich, wenn er weiß, daß seine Aussichten dahin sind, er aber so tun muß, als glaube er noch an einen Sieg.

Nicolas Sarkozys Aussichten sind dahin. Er hätte am Abend des 22. April, heute vor einer Woche, vielleicht noch eine geringe Chance gehabt, wenn mindestens einer dieser drei Fälle eingetreten wäre:

28. April 2012

Zettels Meckerecke: Gegen die Unverfrorenheit, Erziehung als Sache des Staats zu definieren, hilft vielleicht wirklich nur noch das Betreuungsgeld

Von der Sache her ist das Betreuungsgeld aus meiner Sicht eine zwiespältige Angelegenheit: Einerseits ist es wünschenswert, die Wahlfreiheit der Eltern zu stärken, was die Erziehung von Kleinkindern angeht. Wenn die Erziehung in einer Kita mit dem Geld des Steuerzahlers gefördert wird; warum dann nicht auch die Erziehung zu Hause? Andererseits sollte sich der Staat aus dem einen wie dem anderen besser ganz heraushalten.

Die Eltern und nicht der Staat sind für die Erziehung der Kinder zuständig.

Zitat des Tages: "Die Situation ist verworren". Hier geht es zum Livestream der Piratenpartei

Soeben, um 14.30 Uhr, wurde die unterbrochene Sitzung des Parteitags der "Piraten" in Neumünster wieder aufgenommen. Das erste, was ich hörte, als ich mich wieder zuschaltete, war die Feststellung des Versammlungsleiters: "Die Situation ist verworren". Das letzte, was ich hörte, bevor ich diesen kleinen Artikel abschicke, war: "Ich war eben etwas rüde. Jetzt bin ich wieder cool". Wie schön.

Marginalie: Neues von Sarrazin. Nichts Neues über ihn. Ein Gastbeitrag von Juno

Thilo Sarrazin hat ein Buch über den Euro geschrieben, das am 22. Mai erscheinen soll. Wer jetzt schon wissen will, was er davon zu halten hat, kann das bei "Cicero-Online" nachlesen. (Wer die Zeit nicht hat, das zu lesen, für den hier die Kurzfassung des verlinkten Textes: Sarrazin ist ein "Brüllaffe").

Die Besprechung stammt von Christoph Schwennicke (ehemals stellvertretender Leiter des Hauptstadtbüros des gedruckten "Spiegel"), und sie schafft ein hübsches Kunststück:

Marginalie: Obama oder Romney - wer ist der bessere Bin-Laden-Killer? Etwas aus dem amerikanischen Wahlkampf

Seit die Nominierung von Mitt Romney faktisch feststeht, hat der eigentliche Wahlkampf begonnen. Die Vorwahlen sind, obwohl sie noch bis Juni stattfinden, abgehakt. Jetzt heißt es Romney vs. Obama.

Auf welchem Niveau Obamas Team diesen Wahlkampf führen wird, können Sie sich in diesem Wahlspot der Obama-Kampagne ansehen. Sein Inhalt: Obama wird gepriesen, weil er den Befehl zur Tötung Bin Ladens gegeben hat. Es wird in Zweifel gezogen, daß Romney das auch gemacht hätte.

27. April 2012

Marginalie: Berliner Koalitionsspiele

In der FAZ gibt es heute einen kundigen Artikel über die Stimmung im politischen Berlin; eine Gemeinschaftsarbeit der Berliner Redaktion der FAZ, deren Leute sich bei den einzelnen Parteien umgehört haben.

Die zentrale Frage ist, ob die Koalition halten wird.

Zitat des Tages: "Ist Günter Grass womöglich ein bißchen verrückt geworden?" Harald Martensteins Nachbetrachtung zu einer Affäre, die keine war

Ist der Nobelpreisträger Günter Grass womöglich ein bisschen verrückt geworden? Diese Frage habe ich mir ganz ernsthaft gestellt. Dass Israel das iranische Volk mittels eines Atomkrieges auslöschen möchte, diese Meinung stellt meiner Meinung nach keine Meinung dar, sondern eine Verrücktheit. So was hat nicht mal Nordkorea mit Südkorea vor.
Harald Martenstein in seiner Kolumne im aktuellen "Zeit-Magazin". Überschrift: "Gerade Nobelpreisträger werden auffällig häufig sonderlich".

Kommentar: Harald Martenstein beherrscht etwas, das einst der legendäre Kolumnist der Washington Post Art Buchwald meisterhaft konnte: Auf den Grat zwischen Realistischem und Übertreibung balancieren; dort, wo man nicht weiß, ob die Wirklichkeit wieder einmal so absurd ist, wie er sie schildert, oder ob er sich die Freiheit des Satirikers nimmt, die Wirklichkeit zur Kenntlichkeit zu verzerren.

Zum Fall Grass macht Martenstein auf andere Nobelpreisträger aufmerksam - Linus Pauling, der empfahl, täglich so viel Vitamin C zu sich zu nehmen, wie es in hundert Kilo Orangen enthalten ist; oder Knut Hamsun, der Adolf Hitler "eine Gestalt von höchstem Rang" nannte. Auch Thomas Mann fehlt nicht, dessen Denken sehr stark um seinen Stuhlgang kreiste.

26. April 2012

Zettels Meckerecke: "Bedenken wegen pädagogischer Minderwertigkeit". Totalitäres Denken bei attac

Nein, ich kann "Freizeitparks" wie dem Phantasialand nichts abgewinnen. Mir fehlt der Sinn für die Art von Vergnügungen, die da geboten werden - von der Wuze Town bis zur großen Abendschau Fantissima.

Aber anderen gefällt das. Kindern der Park mit seinen Attraktionen; vielen Erwachsenen diese Abendshow und was sonst für sie geboten wird. Sie haben jedes Recht, sich so zu amüsieren; wie ich das Recht habe, mir das zu leisten, was für mich ein "Event" ist, ein "gelungener Kurzurlaub"; ein schöner Tag oder ein schönes Wochenende eben.

So weit, so trivial? Keineswegs. Denn nicht alle Mitmenschen in Deutschland sehen das so. Wenn jeder sich so amüsieren kann, wie es ihm gefällt - wo bleibt dann die Volkserziehung?

Marginalie: Mineralien auf Asteroiden schürfen - sind das nur "wahnwitzige Pläne"? Kann sich das rechnen? Eine überraschende Antwort

Die Meldung ging vorgestern und gestern durch die Medien: Das US-Unternehmen Planetary Resources plant, auf Asteroiden nach Metallen zu graben. "Spiegel-Online" über den Firmengründer Eric Anderson:
Seltene Metalle wie Platin will Andersons Team auf den Asteroiden gewinnen und dann zur Erde schaffen, wo sie extrem knapp und teuer sind. Nach Angaben von Planetary Resources kann ein 30 Meter großer Asteroid Platin im Wert von 25 bis 50 Milliarden Dollar enthalten, berechnet nach heutigen Preisen.
Als ich das las, erschien es mir als eine der vielen spinnerten Phantasien, die gerade in den USA sozusagen im Raum zwischen Science Fiction und naiver Raumfahrtbegeisterung schweben. Auch die Redaktion von "Zeit-Online" hatte offenbar diesen Eindruck, als sie im Vorspann ihres gestrigen Artikels zu diesem Thema von "wahnwitzigen Plänen" sprach.

25. April 2012

Marginalie: Die Netto-Einwanderung aus Mexiko in die USA ist auf null gesunken. Nebst einem kleinen Quiz

Die illegale Einwanderung ist eines der Hauptthemen des amerikanischen Wahlkampfs; vor allem diejenige aus Mexiko.

Seit gestern macht in der amerikanischen Presse eine Meldung Furore, die dieses Thema in einem neuen Licht erscheinen läßt: Nach der Untersuchung eines renommierten Instituts ist die Welle der Einwanderung aus Mexiko zum Stillstand gekommen und hat sich möglicherweise schon umgekehrt - mehr Rückwanderer aus den USA nach Mexiko also als in umgekehrter Richtung.

Kurioses, kurz kommentiert: Assanges gestrige Gäste. Ein furioser konservativ-linker Schlagabtausch

Vor einer Woche war zu erfahren, daß der per elektronische Fußfessel in London sistierte Julian Assange jetzt unter die Journalisten gegangen ist, und zwar bei dem staatlichen russischen Sender RT, bis vor kurzem noch als Russia Today bekannt; einem Informationssender im Stil von CNN, aber mit kaum verhüllter propagandistischer Zielrichtung.

Die Sendung läuft wöchentlich, dauert eine halbe Stunde und enthält Interviews mit Menschen, von denen Assange meint, daß sie etwas zur - so der Titel der Sendung - World Tomorrow zu sagen haben, zur Welt morgen also, die sich Assange als revolutionär vorstellt.

US-Präsidentschaftswahlen 2012 (25): Fünf von sechs Indikatoren sprechen gegenwärtig für einen Sieg Obamas. Warum dennoch noch alles offen ist

Bis zu den Wahlen ist es noch immer ein gutes halbes Jahr. Der eigentliche Wahlkampf zwischen Obama und Romney hat noch gar nicht begonnen. Aber eines läßt sich jetzt schon sagen: Während es Ende vergangenen Jahres noch so aussah, als ginge der Präsident einer Niederlage entgegen, spricht inzwischen mehr für seine Wiederwahl. Das ist eine Momentaufnahme. Es kann sich noch sehr viel ändern. Aber die Ausgangsposition von Obama hat sich gebessert.

Gallup hat dazu gestern ein Gespräch seines Chefredakteurs Frank Newport mit dem Politologen Christopher Wlezien veröffentlicht, das ich im folgenden zusammenfasse. Wlezien ist Spezialist für die Analyse von Präsidentschaftswahlen in den USA und hat dazu gerade zusammen mit Robert S. Erikson das Buch The timeline of presidential elections publiziert. Er nennt folgende Punkte:

24. April 2012

Marginalie: "Angst vor dem Stillstand in Den Haag". Hollands Krise und die künftige Entwicklung in Deutschland

"Die Angst vor dem Stillstand in Den Haag" titelt derzeit "Zeit-Online". Der Autor Tobias Müller beschreibt, wie die jetzige Regierungskrise in den Niederlanden nur die letzte einer immerwährenden Folge von Krisen ist. Letztmals, so informiert er uns, konnte eine Regierung dort im Jahr 1998 eine Legislaturperiode im Amt beenden.

Holland entwickelt sich damit zügig in Richtung auf Verhältnisse, wie sie in Deutschland in der Weimarer Republik herrschten, in Frankreich in der Vierten Republik, bis diese 1958 kollabierte, in Italien seit der Gründung der Republik 1948:

Mehrheiten sind nur durch unnatürliche Bündnisse zu erreichen; also durch Koalitionen zwischen Parteien, die unterschiedliche Ziele verfolgen und allein durch die numerischen Gegebenheiten im Parlament zusammen­gezwungen werden. Oder (und/oder) eine Regierung muß sich, um überhaupt handlungsfähig zu sein, von nicht mitregierenden Parteien tolerieren lassen, wie Rutte jetzt von Wilders' PVV; zuletzt auch noch, wie Müller schreibt, von einer fundamental-calvinistischen Splitterpartei, der SGP.

Zitat des Tages: "Ich will keine Bio-Deutsche sein". Monika Maron über die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört

Ich möchte nicht, dass man mich jetzt mit der rassistischen Bezeichnung Bio-Deutsche belegt, wie ich auch gerne auf die Klassifizierung "mit Migrationshintergrund" verzichten würde, wenn die so Genannten sich auch als Deutsche verstehen wollten, weil sie hier geboren wurden, vielleicht sogar schon ihre Eltern, weil wir alle gemeinsam hier leben, und weil es mir gleichgültig ist, an welchen Gott jemand glaubt, solange es dem anderen auch gleichgültig ist.

Das heißt aber nicht, dass außer seinen Gläubigen auch gleich der zugewanderte Gott in das deutsche Selbstverständnis integriert werden muss, unabhängig davon, ob der Islam eine prägende Rolle für die deutsche Kultur gespielt hat oder nicht.
Monika Maron gestern in "Welt-Online" in einem Artikel mit der Überschrift "Warum der Islam nicht zu Deutschland gehört".

Kommentar: Auf Monika Maron bin ich zuerst aufmerksam geworden, als 1987/88 im "Zeit-Magazin" ihr west-ostdeutscher Briefwechsel mit Joseph von Westphalen erschien, der später unter dem Titel "Trotzdem herzliche Grüße" in Buchform publiziert wurde, was Maron, die damals noch in der DDR lebte, dort Ärger einbrachte.

Mir schien damals, daß Monika Maron in diesen als Briefe drapierten Artikeln auf subtile Weise gleich doppelt gegen das zu verstoßen versuchte, was man von ihr erwartete:

23. April 2012

Frankreichs Wahljahr 2012 (4): Der Wahlabend der ersten Runde. (Abschließende Aktualisierung: Das vorläufiges amtliche Endergebnis)












17.30 Uhr: Wie es zu erwarten gewesen war, gelangen trotz aller Bemühungen der französischen Polizei die Zwischen­ergebnisse fortlaufend an die Öffentlichkeit. Derzeit sieht es so aus:

Zitat des Tages: "Die Piraten verstärken die Politikverdrossenheit". Die Piratenpartei ist die bisher fehlende populistische deutsche Protestpartei

Die repräsentative Demokratie durch Volksentscheide zu ersetzen, den Parteien die Konsensfähigkeit abzusprechen und Parlamente und Abgeordnete pauschal zu verunglimpfen - das schafft keine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Die Piraten lassen Enttäuschte zurück, wenn die Welt am Ende doch nicht so einfach ist, wie sie glauben machen. Damit verstärken sie am Ende die Politikverdrossenheit.
Björn Böhning, netzpolitischer Sprecher der SPD und Chef der Berliner Senatskanzlei, heute in der FAZ über die Piratenpartei.

Kommentar: Vielleicht verstärken die Piraten die "Politik­verdrossenheit", also den Verdruß an der Politik. Vor allem aber verdanken sie diesem Verdruß, der Unzufriedenheit mit den "etablierten Parteien", ihren Aufstieg.

Diese Unzufriedenheit gibt es überall in Europa, und überall hat sie Protestparteien großgemacht - den FN in Frankreich, den Vlaams Belang in Belgien, die Lega Nord in Italien und so fort.

22. April 2012

Frankreichs Wahljahr 2012 (3): Die Polizeiaktion gegen eine Publikation vor 20 Uhr. Sie ist nutzlos. Die ersten Resultate sind schon bekanntgeworden












Es ist eine Farce, die sich heute zwischen dem späten Nachmittag und 20 Uhr abspielen wird. Das französische Gesetz verbietet es, Resultate vor 20 Uhr zu veröffentlichen. Da sie aber vorliegen, wird es diverse Kanäle geben, auf denen sie durchdringen. Auch in diesen Blog.

Stratfors Analysen: "Die Türkei ist auf dem Weg zur Großmacht". George Friedman über die Neuorientierung der Türkei (mit deutscher Zusammenfassung)

Zusammenfassung: Die Türkei entwickelt sich gegenwärtig zu einer führenden regionalen Macht. In gewisser Weise knüpft sie damit an die Tradition des Osmanischen Reichs an; aber die Bedingungen sind heute anders.

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs schrumpfte die Türkei von einem Reich, das von Arabien bis zum Balkan gereicht hatte, zu einem kleinasiatischen Staat mit einem kleinen Gebietsteil in Europa. Als roter Faden durchzog beide Perioden die Furcht vor Rußland, das sowohl zur Zarenzeit als auch unter kommunistischer Herrschaft ein zentrales strategisches Interesse an einer Kontrolle des Bosporus und damit einem Zugang zum Mittelmeer hatte. Nach dem Zweiten Weltkrieg war diese russische Bedrohung ein wesentliches Motiv dafür, daß die Türkei sich der NATO anschloß.

21. April 2012

Frankreichs Wahljahr 2012 (2): Eine absurde Sperrfrist. Die Dynamik der Kandidaten im Rückblick. Eine kleine Korrektur meiner Prognose












Schlag zwölf um Mitternacht zum heutigen Samstag wurde in Frankreich, wie das Gesetz es befiehlt, der Wahlkampf beendet. Seither ist auch die Veröffentlichung von Umfrageergebnissen verboten; beides bis zur Schließung der letzten Wahllokale morgen um 20 Uhr. Das sind die Wahllokale in den Großstädten; die übrigen schließen schon um 18 oder 19 Uhr.

Auch Wahlergebnisse und Hochrechnungen dürfen vor diesem Zeitpunkt nicht publik gemacht werden. In den USA beispielsweise wäre eine solche Sperrfrist undenkbar; dort gehen die Ergebnisse jedes Wahllokals sofort - und oft auf direktem Weg - in die Rechner von CNN und der anderen Nachrichtensender. Aber in Frankreich denkt man eben auch in diesem Punkt zentralistisch: Paris entscheidet; und in Paris kann nun einmal bis 20 Uhr gewählt werden. Bis dahin wird anderswo gezählt, aber das Ergebnis bleibt geheim.

Zitat des Tages: Pendlersteuer statt Pendlerpauschale? Des Professor Straubhaar reductio ad absurdum und wie sie mißverstanden wurde

"Abgase, Verkehrslärm, Stau oder Parkplatzmangel könnten gute Gründe sein, die Pendlerpauschale abzuschaffen und sie durch eine Pendlersteuer zu ersetzen", sagte der Leiter des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI). "Damit könnten Städter für das Leid entschädigt werden, das ihnen autofahrende Pendler antun." (...) "... Für die Gesellschaft entstehen negative Folgekosten durch Staus, Unfallgefahren und die Zersiedelung der Landschaft, während sich die Pendler im Grünen über tiefe Landpreise, günstige Grundstücke und Mieten freuen." (...) Der Wirtschaftsexperte stellt sich damit gegen Forderungen der FDP.
"Zeit-Online" gestern in einem Artikel mit der Überschrift "Ökonom will Pendler besteuern statt ihnen etwas zahlen" über Äußerungen des Direktors und Sprechers der Geschäftsführung des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI) Thomas Straubhaar.

Kommentar: Als ich diesen Artikel gelesen hatte, schien mir die Sache klar zu sein: Da äußert sich jemand, der die Steuerpolitik als Instrument der Gesellschaftspolitik einsetzen will. Erwünschtes Verhalten soll vom Staat belohnt, unerwünschtes besteuert werden.

Aber das war ein Irrtum gewesen. Journalisten hatten einen Wissenschaftler mißverstanden, weil er im Konjunktiv geschrieben hatte. Zuviel offenbar für ihr intellektuelles Auffassungsvermögen.

Frankreichs Wahljahr 2012 (1): Sarkozy gegen Hollande. Mélenchon gegen Le Pen. Bayrou gegen die Zehn-Prozent-Marke. Die Lage vor dem ersten Wahlgang












Im morgigen ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl wird noch nichts entschieden. Dennoch verspricht der Wahlabend spannend zu werden; denn es finden drei Rennen statt:

An der Spitze entscheidet sich, wer als der Sieger dieses premier tour - der ersten Runde - in die zweite Runde am 6. Mai einzieht. Zweitens hat sich ein Rennen entwickelt, das noch vor wenigen Wochen niemand erwartet hätte: Der Kandidat der extremen Linken, Jean-Luc Mélenchon, ist inzwischen Marine Le Pen, der Kandidatin der extremen Rechten, auf den Fersen und hat es zu seinem expliziten Ziel erklärt, sie zu schlagen. Manche in Frankreich halten es für möglich, daß ihm das am Sonntag gelingen wird.

Das sind zwei Duelle ähnlich einem Sprint im Radsport, in dem jeweils Paare von Fahrern gegeneinander fahren. Das dritte Rennen entspricht eher einem Zeitfahren: François Bayrou hat keinen unmittelbaren Gegner, kämpft aber darum, mindestens 10 Prozent zu schaffen.

20. April 2012

Marginalie: Zustimmung zur Politik der Regierung Merkel weltweit am höchsten

Mitte dieser Woche gingen Meldungen durch die deutschen Medien, wonach das amerikanische Nachrichtenmagazin Time Angela Merkel in eine Liste der "100 Mächtigsten der Welt" aufgenommen hat. Die Laudatio des Magazins können Sie hier lesen.

Wenig verwunderlich, aus zwei Gründen: Erstens rangiert die Kanzlerin bei derartigen Umfragen und Nominierungen traditionell ganz oben. Vergangenes Jahr wurde sie von Forbes sogar zur mächtigsten Frau der Welt ernannt; vor Hillary Clinton und der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff. Zweitens wäre es in der Tat seltsam, wenn die Regierungschefin des größten und wirtschaftlich stärksten Landes der EU nicht unter den Top 100 der Mächtigsten rangierte; auch wenn diese Liste nicht nur Politiker umfaßt.

Wirklich bemerkenswert ist hingegen eine Meldung, die es bisher offenbar nicht in die deutschen Schlagzeilen geschafft hat:

19. April 2012

Zitat des Tages: "Wir brauchen eine Steuerbremse im Grundgesetz". Ein bemerkenswerter Vorstoß von Hermann Otto Solms

Aufgrund der guten Konjunktur sind die öffentlichen Einnahmen gestiegen. Das hat den raschen Schuldenabbau erleichtert. Es zeigt aber auch, dass mehr Geld in den Steuerkassen keineswegs zu weniger Ausgaben führt. Im Gegenteil: Es werden unverzüglich neue vermeintliche Gerechtigkeitslücken ge- oder erfunden, die zugunsten von Wählerstimmen, aber auf Kosten der Steuerzahler abgedeckt werden sollen, wie zum Beispiel die Zuschussrente oder das Betreuungsgeld. (...)

Wenn wir nicht wollen, dass im Alltagsgestrüpp des politischen Geschäftes die Notwendigkeit zum Sparen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird, muss die Steuerbremse ins Grundgesetz.
Hermann Otto Solms, Vorsitzender des Arbeitskreises für Wirtschaft und Finanzen der FDP im Bundestag, in einem Gastbeitrag für die heutige FAZ. Überschrift: "Wir brauchen eine Steuerbremse im Grundgesetz".

Kommentar: Solms' Argumentation ist stringent: Wenn die Schuldenbremse die Finanzierung von Staatsausgaben über Neuverschuldung begrenzt, dann wird der Staat in seinem Bestreben, dem Bürger neue Wohltaten zukommen zu lassen, verstärkt auf Steuererhöhungen setzen. Das läßt sich nur durch einen gesetzlichen Riegel gegen unbegrenzt steigende Steuern verhindern.

Die vorgeschlagene Steuerbremse, die nach dem Vorbild der Schuldenbremse im Grundgesetz verankert werden soll, könnte nach Solms' Vorstellungen für Arbeitnehmer eine Belastungsobergrenze von 50 Prozent festlegen, für unternehmerische Einkünfte von 30 Prozent. Dort niedriger, weil ja ein großer Teil dieser Einkünfte reinvestiert wird.

Das wäre in der Tat vernünftig; denn ohne eine solche Begrenzung wirkt die Schuldenbremse zugleich als ein Gashebel für immer weiter steigende Steuern. Sie macht es dem Staat schwerer, in den einen Topf zu greifen. Umso begieriger wird er in den anderen, weit geöffneten langen. Aber ist eine solche Forderung auch politisch klug?

Marginalie: Breivik und die Gelassenheit der norwegischen Justiz. Eine Erinnerung an den Stammheimer Prozeß gegen die Terroristen der RAF

Gestern Nachmittag übertrug der Sender Phoenix die Pressekonferenz, die im Anschluß an den dritten Verhandlungstag gegen Anders Behring Breivik standfand. Es äußerten sich die Staatsanwältin Inga Bejer Engh und ihr Kollege Svein Holden, dann die Verteidiger Breiviks, Geir Lippestad und Vibeke Hein Baera. Danach blendete sich Phoenix leider aus der Übertragung aus, so daß man die Stellungnahme der Anwälte der Opfer nicht mehr sehen konnte.

Das ist schade. Man hätte gern gewußt, ob sie, die den Opfern und ihren Hinterbliebenen besonders nah sind, sich ähnlich kühl und beherrscht geäußert haben wie Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Denn es hat etwas Eindrucksvolles, etwas vielleicht auch Staunenswertes, wie die norwegische Justiz mit diesem Fall eines barbarischen Massenmordes umgeht: Geschäftsmäßig, ohne erkennbare Emotionen. Gelassen, sachlich und korrekt.

18. April 2012

Zitat des Tages: "Das Recht der Eltern gerät unter Verdacht, das Gemeinwohl zu schädigen". Zur Ideologisierung der Debatte um das Betreuungsgeld

Dieses gute Recht jeder Mutter, jedes Vaters [den Nachwuchs in den ersten drei Lebensjahren privat statt im Kindergarten zu betreuen,] gerät plötzlich ... unter Verdacht, das Gemeinwohl zu schädigen, die Anstrengungen für Arbeit, Bildung und Integration zu unterlaufen. Geht’s noch? Indem man das Betreuungsgeld mit gesamtgesellschaftlichen Befürchtungen überfrachtet, wird eine legitime, verfassungsrechtlich verbürgte Ausübung des Elternrechts öffentlich rechtfertigungsbedürftig. Dieser Stil der Betreuungsgeldgegner, mit schwerem Geschütz aufs Ganze zu gehen, lässt für Wahlfreiheit in der Tat kaum Spielraum übrig.
Christian Geyer heute in der FAZ über die Diskussion um das Betreuungsgeld.

Kommentar: Zum Betreuungsgeld habe ich eigentlich keine ausgeprägte Meinung:

Sein Ziel ist es, die Wahlfreiheit der Eltern bei der Entscheidung zu verbessern, ob sie Kleinkinder zu Hause betreuen oder in eine Kinderkrippe geben. Das scheint mir aus liberaler Sicht ein vernünftiges, ein unterstützenswertes Ziel zu sein.

Andererseits sollte aus meiner Sicht kein Steuergeld für etwas ausgegeben werden, das Privatsache ist; wie dies die Erziehung der Kleinkinder darstellt. Statt dem Bürger erst Geld wegzunehmen und es ihm dann in Form von Geschenken wie einem Betreuungsgeld zurückzugeben, sollte der Staat es ihm besser gleich lassen.

Gedanken zu Frankreich (42): Jean-Luc Mélenchon, die Renaissance des französischen Kommunismus und der diskrete Geburtshelfer Oskar Lafontaine

Der Wahlkampf um das Amt des französischen Präsidenten ist bisher überwiegend unspektakulär verlaufen. Aber es gibt eine Ausnahme: den Aufstieg des linksextremen Kandidaten Jean-Luc Mélenchon.

Die Beliebtheitswerte Mélenchons haben sich im Lauf des Wahlkampfs nahezu verdoppelt. Der Prozent­satz der Wähler, die ihm laut den aktuellen Umfragen am Sonntag ihre Stimme geben wollen, ist inzwischen ebenfalls fast doppelt so hoch wie zu Beginn des Wahlkampfs. In den Umfragen von acht Instituten, die in der vergangenen Woche und zu Beginn dieser Woche stattfanden, liegt Mélenchon zwischen 12 und 17 Prozent.

Im selben Bereich (zwischen 14 und 17 Prozent) bewegen sich die Werte für die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen. Nimmt man die beiden trotzkistischen Kandidaten Nathalie Arthaud und Philippe Poutou hinzu, die zusammen ein bis zwei Prozent erreichen dürften, dann werden extremistische Kandidaten am kommenden Sonntag ungefähr ein Drittel aller Stimmen erlangen.

17. April 2012

Zitat des Tages: Breivik, der Wahn, die Gesellschaft

Was aber ist, wenn Breivik weiß, was in der Gesellschaft als Recht und Unrecht gilt, er sich selbst aber eben aufgrund seines Wahns nicht für einen Vertreter der "Bösen" hält, sondern für einen der Größten unter den "Guten"? Wenn er sich für jemanden hält, der besser als die Gesellschaft weiß, was richtig und was falsch ist, und sich in seinem Wahn berufen fühlt, seine Ziele mit brutaler Gewalt durchzusetzen? (...)

Anders Behring Breivik könnte als Fall in die Geschichte der Justiz eingehen, der demonstriert, dass das Wissen darum, was Unrecht ist und die Fähigkeit, gezielt vorzugehen, noch keine ausreichenden Argumente sind, um einem Straftäter für zurechnungsfähig zu halten.
Markus C. Schulte von Drach heute in "Süddeutsche.de" zur Frage der Schuldfähigkeit von Anders Behring Breivik.

Kommentar: Setzen Sie an die Stelle des Namens von Anders Breivik den von Christian Klar, Uwe Mundlos, Osama bin Laden oder auch Heinrich Himmler. Dann sehen Sie die Problematik, die in diesem Zitat angesprochen wird.

16. April 2012

Wie man einen Skandal macht

Große Aufregung im deutschen Blätterwald. Die Demokratie ist in Gefahr. Freien Abgeordneten soll ein "Maulkorb" verpaßt werden. Sie sollen nur noch Rederecht haben, wenn sie ihrer Fraktion "nach dem Mund reden". Ein Kommentator nach dem anderen nimmt sich empört des Themas an. Im Internet ist ohnehin schon der Teufel los, Protesterklärungen werden verbreitet mit allen wilden Schmähungen gegen die Urheber der geplanten "Zensur".

Erstaunlicherweise finden sich nirgendwo Details. Nirgendwo ist nachzulesen, wie die GO-Änderung denn konkret aussehen, was sich eigentlich ändern soll. Eine Riesenaufregung - völlig ohne Fakten.

Und wenn man dann die Artikel durchgeht, dann wird klar, daß alle nur von einer einzigen Quelle abschreiben. Das Neue Süddeutschland hat den "Skandal" entdeckt. Und Chefinquisitor Prantl fällt auch gleich das Urteil: Der Bundestag wird "kaputt gemacht".

Die SZ gibt an, den Entwurf des Geschäftsordnungs­ausschusses zu kennen - aber sie veröffentlicht ihn nicht. Damit sich keiner selbst ein Bild machen kann. Damit niemand merkt, wie hier ein Skandal herbeigelogen wird.

Zitat des Tages: "Die deutsche Gründlichkeit läuft auf Intoleranz hinaus". Der Schweizer Roger Köppel versteht die Deutschen

Die deutsche Gründlichkeit läuft logisch auf politische Intoleranz hinaus. Der Gründliche duldet keinen Widerspruch, weil es keinen Widerspruch geben kann, wenn eine Sache ergründet worden ist. Hat der Gründliche den letzten Grund einmal erreicht, kann nur einer vollständig recht und können nicht mehrere teilweise recht haben. Der Gründliche geht ­davon aus, dass alle Menschen, hätten sie die Dinge so durchschaut wie er, nach den gleichen Vorstellungen leben würden. Andere Lebensweisen irritieren ihn, weil sie ihm als Ausdruck schlechter Moral oder mangelnder Intelligenz erscheinen.
Der Schweizer Publizist Roger Köppel im Editorial der aktuellen Ausgabe der von ihm herausgegebenen "Weltwoche".

Kommentar: Köppel kennt uns Deutsche aus eigener Erfahrung ganz gut. Von 2004 bis 2006 war er Chefredakteur der Hamburger "Welt". Mancher mag sich auch an seine Auftritte in deutschen Talkshows erinnern, beispielsweise im September 2010 zum Thema Sarrazin und Ende vergangenen Jahres bei Sandra Maischberger.

Ein treffliches Porträt Köppels hat Philip Plickert in der FAZ gezeichnet:

15. April 2012

Ein Mädchen namens Lars, und kein "er" und "sie" mehr. Geschlechtsneutralität in Schweden. Mit einer Bemerkung über die Gleichheit aller Menschen


Wenn jemand "Andrea" heißt, dann handelt es sich in Deutschland um eine Frau oder ein Mädchen. Im Italienischen ist dies aber ein männlicher Vorname. Andrea Doria beispielsweise war ein genuesischer Admiral des frühen 16. Jahrhunderts; er mag den einen aus Schillers "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua" bekannt sein, den anderen aus Udo Lindenbergs Song "Alles klar auf der Andrea Doria", der auf den Untergang des nach Andrea Doria benannten Schiffs im Jahr 1956 anspielte.

Der Vorname weist auf das Geschlecht eines Menschen hin. So war und ist es in den meisten Kulturen.

14. April 2012

Marginalie: Eine Premiere bei "Spiegel-Online"? Der kalte April, die globale Erwärmung und der Suppenstein

Das dürfte es lange nicht mehr bei "Spiegel-Online" gegeben haben; vielleicht ist es überhaupt eine Premiere: Heute können Sie dort einen Artikel über das aktuelle Wetter lesen, in dem die globale Erwärmung mit keinem Wort erwähnt wird! Das ist ungefähr so, als hätte Erich Honecker eine Rede gehalten, ohne den Sozialismus zu erwähnen.

Es geht in dem Artikel von Axel Bojanowski um den dieses Jahr besonderes kalten April

13. April 2012

Copy & Waste

Manchmal ist das Leben doch gerecht.
Ausgerechnet die Piraten, mit ihrem internet-affinen "neuen" Politikstil, mit ihrem groß herausgestellten Anspruch auf Transparenz und Ehrlichkeit - ausgerechnet diese Lieblinge der deutschen Medien werden bei massivem Wählerbetrug erwischt. Und noch krasser: Sie werden bei Plagiat ertappt, durch Verwendung eines Internet-Tools.

Wer hätte erwartet, daß ausgerechnet sie nach Guttenberg, Koch-Mehrin et al. die nächsten "Opfer" einer Plagiats-Recherche im Internet sein würden? Für politisch inkorrekte Zeitgenossen ein echter innerer Reichsparteitag.

Und außerdem ein gutes Beispiel für wirklichen Qualitätsjournalismus. Da wurden die Programme aller Parteien sauber überprüft, fair bewertet, alle nötigen Informationen verständlich präsentiert und dann eine durch Belege gut abgesicherte Kommentierung gegeben.
Ja natürlich, das war kein Journalist der deutschen "Leitmedien", nicht von Spiegel oder Neuem Süddeutschland, auch nicht von den GEZ-Sendern. Sondern ein Blogger.

Mal wieder ein kleines Quiz: Welche deutsche Partei hat dies als zentrale Ziele?

Dies ist ein sehr kurzes Quiz. Hier sind drei zentrale Parteiziele, aktuell formuliert von führenden Vertretern einer der deutschen Parteien:

Marginalie: Die Amerikaner werden immer weniger umweltbewußt

Auch die Präsidentschaft von Barack Obama und dessen "grüne Ökonomie" haben daran nichts geändert: Seit mehr als einem Jahrzehnt sinkt das Umweltbewußtsein der Amerikaner stetig. Um die Jahrtausendwende machten sich noch 72 Prozent Sorgen wegen einer Luftverschmutzung; jetzt sind es noch 48 Prozent. Die Besorgtheit um sauberes Trinkwasser sank im gleichen Zeitraum von 59 auf 36 Prozent. Im einzelnen können Sie das in dieser Grafik sehen.

Derselbe Trend ist, wie Gallup aus einer aktuellen Umfrage berichtet, in Bezug auf andere Umweltprobleme zu beobachten. Um den tropischen Regenwald beispielsweise sorgten sich im Jahr 2000 51 Prozent der Befragten; jetzt sind es noch 37 Prozent. Die Besorgtheit um den Verlust des Artenreichtums ging von 45 auf 36 Prozent zurück.

Am Bemerkenswertesten aus deutscher Sicht dürfte sein, daß auch die globale Erwärmung von diesem Trend nicht ausgenommen ist: Sie machte im Jahr 2000 noch 40 Prozent der Befragten Sorgen; jetzt sind es noch gerade einmal 30 Prozent.

Diese Daten beziehen sich auf "erhebliche Sorgen" (worry a great deal). Nimmt man diejenigen hinzu, die sich "einige Sorgen" machen (worry a fair amount), dann liegen die absoluten Zahlen höher (um zwischen 25 und 35 Prozentpunkte); der Trend bleibt aber derselbe.

Die Abnahme der Sorge um die Umwelt ist unabhängig von der politischen Einstellung zu finden. Nimmt man die insgesamt sieben in den Umfragen erfaßten Bereiche (Trinkwasser, Luft, Flüsse und Seen, Giftmüll, tropischer Regenwald, globale Erwärmung, Artenvielfalt) zusammen, dann ging der Prozentsatz derer, die sich erhebliche Sorgen machen, bei den Republikanern um 16 Prozentpunkte zurück, bei den Demokraten um 13 Prozentpunkte und bei den Unabhängigen um 18 Prozentpunkte.

Interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Einstellung der Amerikaner zur Kernenergie; siehe Laut Gallup sind die Amerikaner unverändert mehrheitlich für die Kernenergie. Aber es gibt eine "Kluft zwischen Männern und Frauen"; ZR vom 27. 3. 2012.­
Zettel



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Grass und Sarrazin: Unsere deutsche Konsensgesellschaft und ihre Abweichler

In seiner Kolumne im aktuellen "Zeit-Magazin" schildert Harald Martenstein zwei seiner Erlebnisse als Raucher:

Wie er auf einem Bahnsteig in Uerdingen nicht das gelb gekenn­zeichnete Raucherquadrat fand und ganz ans Ende des fast leeren Bahnsteigs ging, um dort einsam seine Zigarette anzuzünden. Worauf ein junges Paar sich auf den Weg - hundert Meter bis zu ihm - machte, um sich zu äußern: "Sie dürfen hier nicht rauchen". Und: "Sie belästigen uns".

Und wie er in einem Kieler Hotel mit einer E-Zigarette gesichtet worden war (die bekanntlich keinen Rauch erzeugt) und flugs eine Rechnung über 120 Euro in sein Nichtraucherzimmer zugestellt erhielt - über den "Reinigungsbetrag" für die damit erforderlich gewordene Reinigung dieses Zimmers.

Ich vermute, daß viele Leser der "Zeit" - sofern sie überhaupt einen Blick in Martensteins Kolumne werfen - die, milde gesagt, Verwunderung des Autors über derartige Erlebnisse keineswegs teilen.

Denn: Rauchen ist nun einmal schädlich, da sind wir uns doch alle einig, oder etwa nicht?

12. April 2012

Gedanken zu Frankreich (41): Mélenchons Aufstieg, Bayrous Entscheidung, eine kleine Chance für Sarkozy. Die Lage zehn Tage vor dem ersten Wahlgang

In zehn Tagen findet in Frankreich die Wahl des Präsidenten statt; der erste Wahlgang. Es ist gewiß, daß danach aber der Sieger noch nicht feststeht, denn die erforderliche absolute Mehrheit wird keiner der Kandidaten erreichen. Es kommt dann zu einer Stichwahl am 6. Mai; und sie wird sehr wahrscheinlich zwischen Nicolas Sarkozy und François Hollande stattfinden.

So außerordentlich sicher wie der Umstand, daß es einen zweiten Wahlgang (deuxième tour) geben wird, ist diese Kandidatenpaarung allerdings nicht. Es hat da schon Überraschungen gegeben. Vor zehn Jahren, am 21. April 2002, verfehlte der damalige sozialistische Premierminister Lionel Jospin knapp den als sicher angesehenen minestens zweiten Platz; in die Stichwahl gegen Jacques Chirac ging der extreme Rechte Jean-Marie Le Pen. Die letzten Umfragen hatten Jospin mit ungefähr 18 Prozent noch deutlich vor Le Pen mit rund 13 Prozent gesehen. Es war eine der großen Niederlagen der Demoskopie.

Daß sich so etwas jetzt wiederholt, ist allerdings kaum zu erwarten.

11. April 2012

Statt mehr Transparenz eine Stärkung der Eigenverantwortung und des Parlamentarismus. Ein Gastbeitrag von Erling Plaethe

Die Forderung nach mehr Transparenz wird üblicherweise nicht im zwischenmenschlichen Miteinander erhoben. Was jemand preisgibt, soll ihm zum Vorteil gereichen; das gestehen wir einander zu. Kommt doch einmal etwas heraus, das man besser für sich hätte behalten sollen, dann schliesst sich meist der hoffnungsvolle Versuch der Abnahme des Versprechens an, es nicht weiter zu sagen; oder er geht sogar voraus.

Jeder hat Leichen im Keller; und weil dies alle wissen, dient die Preisgabe, dient die Weitergabe derartiger persönlicher Informationen nicht der vertrauensvollen Zusammenarbeit, sondern eher der verbalen Kriegsführung.



Wir bringen einander Vertrauen entgegen. Dieses persönliche Vertrauen ist eine wichtige Grundlage für Verträge. Die andere Grundlage ist das Vertrauen in die Gültigkeit der Gesetze für jedermann, für juristische Personen und für den Staat.

Aber je größer die Gruppe der Menschen wird, die einen Vertrauensvorschuss wünschen, desto schwächer wird die Bereitschaft, ihn zu gewähren. Kann das fehlende Vertrauen nicht durch Kontrolle ersetzt werden, wird die Forderung nach Transparenz erhoben. Die totale Transparenz - diejenige, die natürlich am besten und reibungslosesten funktionieren würde - bestünde darin, daß alle Karten auf den Tisch gelegt werden.

Günter Grass: Die falsche Diskussion


Der Schriftsteller Günter Grass hat ein schlechtes Gedicht geschrieben, das absurde Behauptungen enthält; beispiels­weise diejenige, Israel beanspruche das "Recht auf den Erstschlag, der das ... iranische Volk auslöschen könnte". Was sonst noch alles sachlich falsch an den politischen Aussagen ist, die dieses Gedicht enthält, das hat Richard Herzinger zusammengestellt. Sie konnten das Wichtigste auch in diesem Blog lesen (Günter Grass über Israel; ZR vom 4. 4. 2012).

Mein Artikel vor einer Woche trug den Untertitel "Das Gelalle eines alten Mannes. Man sollte ihm nicht auf den Leim gehen". Die Leimrute, die Grass ausgelegt hatte, war die gezielte Provokation. Er wollte die große Diskussion in Deutschland; im Mittelpunkt der Nobelpreisträger.

Das Timing war perfekt; unmittelbar vor der nachrichtenarmen Zeit des Osterfests. Die Vögel flogen auf den Leim. Da sitzen sie jetzt; und jeder, der da sitzt, lockt weitere an. Grass hat seine Debatte. Kaum jemand wird in diesen Tagen in Deutschland häufiger zitiert, wird öfter kommentiert als Günter Grass.



Es ist die falsche Debatte. Sie kreist überwiegend um Belanglosigkeiten.

Marginalie: Rick Santorums Rückzug

Warum ist Rick Santorum so plötzlich aus dem Rennen um die Präsidentschaft ausgeschieden, ohne die Vorwahlen in seinem Heimatstaat Pennsylvania am 24. April abzuwarten?

In den US-Medien diskutiert man vor allem zwei mögliche Motive:

10. April 2012

Marginalie: Warum ist es so schwer, zu beurteilen, ob Anders Breivik schuldfähig ist? Eine Anmerkung zu dem neuen psychiatrischen Gutachten

Es ist selten, daß ich einen Artikel in "Spiegel-Online" uneingeschränkt empfehlen kann. Es ist (wieder einmal) ein Beitrag von Gerald Traufetter; jetzt zu der neuen Wendung im Fall Breivik: "Ein Massenmörder, zwei Gutachten". Traufetter ist Redakteur nicht von "Spiegel-Online", sondern des gedruckten "Spiegel"; und auch nicht in einem politischen Ressort, sondern im Ressort Wissenschaft. Er geht dieser Tätigkeit jedoch nicht in der Hamburger Redaktion, sondern in Stavanger in Norwegen nach und berichtet deshalb auch zu anderen Themen aus diesem Land.

Den Sachverhalt werden Sie schon den Medien entnommen haben: Dem Gericht, das über den Massenmörder Anders Behring Breivik zu urteilen hat, liegt jetzt ein zweites psychiatrisches Gutachten vor. Es war im Januar in Auftrag gegeben worden, nachdem sich in der norwegischen Öffentlichkeit Zweifel - auch von Fachleuten - an einem ersten Gutachten vom November 2011 geregt hatten, in dem bei Breivik eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert worden war. Das zweite Gutachten bestätigt diese Diagnose nicht.

Marginalie: "Ostermärsche im Zeichen der Grass-Debatte". Wer ist Willi van Ooyen?

"Ostermärsche im Zeichen der Grass-Debatte" titelte die "Tagesschau" an den Ostertagen und berichtete:
In mehreren Städten Deutschlands sind die diesjährigen Ostermärsche fortgesetzt worden, allerdings mit mäßigem Zulauf. Nach Angaben der Organisatoren wurde vielfach Unterstützung für Günter Grass' Aussage laut, wonach es kein Recht auf präventive Militärschläge gebe. (...) Dass Israel gegen Grass ein Einreiseverbot verhängt habe, sei ein "unmögliches Verfahren", sagte deren Sprecher, Willi van Ooyen.
Und der Hessische Rundfunk schrieb:
Für seinen Vorwurf, Israel gefährde mit Drohungen gegen Iran den Weltfrieden, erhielt der 84-jährige Schriftsteller am Sonntag unter anderem Unterstützung von der bundesweiten Informationsstelle Ostermarsch in Frankfurt. "Was Grass angestoßen hat, kann nicht als antisemitisch unter den Teppich gekehrt werden", sagte van Ooyen.
Wer ist dieser Willi van Ooyen? Ein naiver Pazifist; ein friedensbewegter Gutmensch?

Keineswegs. Wenn Sie ZR regelmäßig lesen, dann ist Ihnen sein Name schon des öfteren begegnet.

Aufruhr in Arabien (26): Die Lage in Ägypten vor den Präsidentschaftswahlen. Die Frage ist nur noch, wie radikal der islamistische Sieger sein wird

Durch eine Kuriosität ist der Wahlkampf zur Wahl des ägyptischen Präsidenten jetzt in Deutschland in die Schlagzeilen geraten: Die Facebook-Seite von Präsident Obama, so meldet es die französische Nachrichten­agentur AFP, sei mit Beiträgen von Ägyptern angefüllt, die ihn auffordern, etwas zugunsten des Kandidaten Hasim Salah Abu Ismail zu unternehmen.

Diesem droht die Ablehnung durch die Wahl­kommission, weil seine verstorbene Mutter, wie es heißt, Bürgerin der USA gewesen war. Der Fall ist, wie man in der New York Times lesen kann, aber nicht ganz klar. Offenbar hoffen viele in Ägypten, der mächtigste Mann der USA könne da eingreifen.

So wird man jetzt in Deutschland auf eine Wahl aufmerksam, die freilich nicht wegen dieser Randnote Beachtung verdient, sondern weil sie von großer Bedeutung für die weitere Entwicklung im Nahen Osten ist; damit auch für die Sicherheit Israels, die durch eine andere Kuriosität - die lyrische Wortmeldung von Günter Grass - im Augenblick in Deutschland diskutiert wird.

9. April 2012

Zitat des Tages: "Unsere Gesellschaft gleicht einer Stammesgesellschaft". Der Philosoph Byung-Chul Han über Transparenz

[Die] Transparenzgesellschaft ... ist eine Gesellschaft, die gleichsam mit einer riesigen, kollektiven Netzhaut überzogen ist. Hier ist alles der Sichtbarkeit ausgeliefert. Unter diesen medialen Bedingungen gleicht unsere Gesellschaft einer Stammesgesellschaft, in der es sehr schwierig ist, etwas zu verbergen. In der Stammesgesellschaft weiß jeder über jeden Bescheid. Dort spielt das Vertrauen keine Rolle für die soziale Interaktion. Das Vertrauen wird nur in einer Gesellschaft relevant, wo das Wissen über andere nur beschränkt möglich ist. Vertrauen ist nur möglich in einem Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen. Vertrauen heißt, trotz Nichtwissen gegenüber dem anderen eine positive Beziehung zu ihm aufzubauen.
Der Professor für Philosophie und Medientheorie an der Karlsruher Staatlichen Hochschule für Gestaltung Byung-Chul Han in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".

Kommentar: Der Ruf nach Transparenz ist das Markenzeichen der Piratenpartei, auf die Han auch in diesem Interview eingeht. Das, was diese Piraten wollen, ist aber keineswegs neu und originell; sondern sie haben ihm nur einen neuen Namen gegeben. Unter dem Namen "totale Öffentlichkeit" wurde das bereits in der Zeit der Rebellion der Achtundsechziger propagiert.

Die Übereinstimmung ist nahezu perfekt. Auch damals entsprang der Ruf nach totaler Öffentlichkeit dem Verlust an Vertrauen; damals an Vertrauen in die Generation der Eltern - ihre Werte, ihre Ehrlichkeit, vor allem ihre Moral

8. April 2012

Allen Lesern ein frohes Ostern!

Dieser Kupferstich Albrecht Dürers von der Auferstehung Christi entstand 1512, ist also genau ein halbes Jahrtausend alt. Er gehört zu einer Serie von sechzehn Stichen zur Passionsgeschichte, die Dürer zwischen 1501 und 1513 schuf und die als die "Kupferstichpassion" bezeichnet werden.

Klicken Sie zweimal auf das Bild, um es vergrößert zu sehen. Es lohnt sich, die Details zu betrachten.

7. April 2012

Zettels Meckerecke: Peng!

Eigentlich wollte ich zu diesem Thema nichts mehr schreiben; zu einem Thema, das kein politisches ist, sondern ein psychologisches: die Selbstdemontage - die Selbstentlarvung vielleicht auch - des zeitlebens überschätzten Schriftstellers Günter Grass.

Was dazu aus meiner Sicht zu sagen war, das habe ich am Mittwoch zu sagen versucht (Günter Grass über Israel. Das Gelalle eines alten Mannes. Man sollte ihm nicht auf den Leim gehen; ZR vom 4. 4. 2012). Jetzt gibt es aber doch noch diesen kleinen Nachtrag. Es ist ein Zitat, das präzise und wortgewaltig den Punkt trifft, der in der Diskussion der vergangenen Tage leider vernachlässigt wurde:

Zitat des Tages: "Was diese Mädchen erzählen, liegt außerhalb unserer Vorstellungskraft". Schicksale moslemischer Mädchen in Deutschland

Das, was diese Mädchen erzählt haben, was in diesen Familien, aus denen sie geflüchtet sind, tatsächlich zum Alltag gehört, das liegt total außerhalb unserer Vorstellungskraft. Also es ist so, daß manche Mädchen zu Hause zum Beispiel keine Bücher lesen dürfen, nicht arbeiten dürfen, manche sich nicht einmal auf dem Balkon zeigen können. Daß, wenn sie irgendwie im Internet mal chatten, daß ihnen das gleich als Prostitution ausgelegt wird. Oder es gab auch ein Mädchen, die ist einmal zu spät nach Hause gekommen, und dann mußte sie sofort zum Arzt, weil ihre Eltern prüfen wollten, ob sie noch Jungfrau ist.
Die "Spiegel"-Redakteurin Antje Windmann in einem Video zu ihrem Artikel "Abschied zum Ich" im gedruckten "Spiegel" der kommenden Woche (Heft 15/2012 vom 7. 4. 2012, S. 32 - 37).

Kommentar: Bei den Mädchen handelt es sich um Töchter moslemischer Familien, die in Deutschland leben. Die Redakteurin berichtet auf dem Video, daß sie zunächst beabsichtigt gehabt hatte, einen Artikel über "Ehrenmorde" zu schreiben; daß sie bei den Recherchen dann aber auf die Schicksale von Mädchen stieß, die der Gefahr, Opfer eines solchen Verbrechens zu werden, durch die Flucht vor der Familie entgangen waren. Sie leben jetzt größtenteils versteckt, oft unter einer neuen Identität, weil sie auch weiter eine Verfolgung durch ihre Familie fürchten müssen.

6. April 2012

Kleines Klima-Kaleidoskop (28): Eisige Ostern. Einzelne Wetterereignisse und die globale (Nicht-) Erwärmung

"Die Kaltfront eines von Südskandinavien zur Ostsee ziehenden Tiefs erfasst in der Nacht Deutschland und zieht am Samstag nach Süden durch. Dadurch wird kalte Polarluft herangeführt. (...) In der Nacht zum Samstag ist in der Mitte und im Bergland leichter Frost möglich. In den nördlichen Mittelgebirgen fällt oberhalb etwa 400 m zunehmend Schnee. Im Norden sinkt die Schneefallgrenze bis zum Morgen zum Teil bis ins Flachland."

Dies ist die aktuelle Vorhersage des Deutschen Wetterdienstes. Eisige Ostern also; dabei liegt der Ostertermin dieses Jahr keineswegs ungewöhnlich früh, sondern ungefähr in der Mitte der Spanne möglicher Termine (22. März - 25. April).

Ostern wird kalt. Also ist es nichts mit der globalen Erwärmung?

Marginalie: Hat Obama versucht, das Oberste Bundesgericht einzuschüchtern? Ein bemerkenswerter Brief seines Justizministers, richterlich angeordnet

In den USA ist gestern ein auf den ersten Blick kurioser Streit zwischen der Obama-Administration und der Justiz vorerst beigelegt worden: Präsident Obamas Justizminister Eric Holder hat ein förmliches Schreiben an den Fifth Circuit Court (ein Oberes Berufungsgericht des Bundes) gerichtet, in dem er zusichert, daß der Präsident die Rechte des Obersten Bundesgerichts respektieren wird. Sie können dieses bemerkenswerte Schreiben hier als Faksimile lesen. Es heißt darin:

5. April 2012

Zitat des Tages: "Grass hat Israel einen tödlichen lyrischen Schlag zugefügt". Die Reaktion aus Teheran. "VIELE, VIELE, VIELE werden folgen!"

Never in the history of postwar Germany has a prominent intellectual attacked Israel in such a brave way as Günter Grass with his controversial new poem. Metaphorically, the Nobelist has delivered a lethally lyrical strike against Israel.

(Nie in der Geschichte von Nachkriegsdeutschland hat ein prominenter Intellektueller Israel so bravourös angegriffen wie Günter Grass mit seinem kontroversen Gedicht. Metaphorisch gesprochen hat der Nobelpreisträger Israel einen tödlichen lyrischen Schlag zugefügt).
Der staatseigene iranische Nachrichtensender Press TV zu dem Gedicht von Günter Grass "Es muß gesagt werden".

Kommentar: Neben den deutschen Kommunisten (beispielsweise denen von der "Jungen Welt") sind es - wie anders - vor allem die Iraner, die sich von der Qualität des Grass'schen Gedichts tief beeindruckt zeigen.

Lesenswert sind bei Press TV auch die Kommentare von Lesern außerhalb des Iran (der Sender wendet sich an das Ausland). Beispielsweise schreibt Leserin Regina aus Deutschland:

Stratfors Analysen: "Ohne die Billigung der USA könnte Israel die iranische Atomrüstung nicht angreifen" (Mit deutscher Zusammenfassung)

Zusammenfassung: Israel befindet sich jetzt an der Schwelle zu einer neuen strategischen Lage. Es ist die dritte seit Bestehen des Staats.

Die erste dauerte von der Staatsgründung bis zum Friedensschluß mit Ägypten. In dieser Phase war die staatliche Existenz Israels bedroht gewesen. In der zweiten Phase - von damals bis heute - wurde Israel nicht mehr durch andere Staaten bedroht; in ihr ging es um den Libanon, die Palästinenser und den radikalen sunnitischen Islamismus. Gegenwärtig beginnt die dritte Phase, in der die strategische Lage Israels durch den Aufstieg des Iran zur regionalen Macht bestimmt wird; damit durch die Notwendigkeit für Israel, Koalitionen gegen die Bedrohung durch den Iran zu schmieden.

4. April 2012

Zettels Meckerecke: Günter Grass über Israel. Das Gelalle eines alten Mannes. Man sollte ihm nicht auf den Leim gehen

Ein Gedicht von Günter Grass mit dem Titel "Was gesagt werden muß" ist seit heute Vormittag das Thema des Aufmachers von "Spiegel-Online". Der "Tagesspiegel" widmet diesem Gedicht gleich die drei Kopfartikel seines Internetportals: Eine Polemik des Chefs seines Meinungs­ressorts, Malte Lehming; darunter einen ausführlichen Bericht von Peter von Becker und einen Artikel mit dpa-Meldungen zu den ersten Reaktionen.

Eine literarische Sensation also? Ist dem Dichter Günter Grass noch einmal ein großer Wurf gelungen; von einer solchen künstlerischen Brillanz, daß die Medien sich darauf stürzen?

Sehen wir uns das an.

Zitat des Tages: "Im Reich des Unsinns". Der Staat und das Betreuungsgeld. Formierte Gesellschaft à la "Walden Two"

Was will dieser Staat nun: dass Mütter arbeiten gehen oder dass Mütter zu Hause bleiben? Dass Mütter ihre Kinder in eine Kita geben oder nicht?
Aus einem Artikel im gedruckten "Spiegel" (46/2011 vom 14. 11. 2011, S. 20 - 22) über das geplante Betreuungsgeld; Überschrift: "Im Reich des Unsinns". Verfaßt wurde der Artikel von Kerstin Kullmann, Peter Müller, Alexander Neubacher, René Pfister und Merlind Theile.

Kommentar: Anders als in seinen ersten Jahrzehnten nennt der "Spiegel" heute die Namen der Autoren seiner Stories. Oft sind es aber so viele, daß der Informationswert nahe null ist; denn man weiß nicht, wer was geschrieben hat. Ein Hauptautor, der für den gesamten Artikel verantwortlich zeichnet, wird nicht angegeben.

Bei dem jetzigen Artikel hätte mich wegen der zitierten Passage interessiert, wer das geschrieben und wer es zu verantworten hat. Denn besser als an diesen beiden Sätzen kann kaum sichtbar werden, woran Deutschland krankt.

3. April 2012

Zitat des Tages: Lindner, Rösler und die Wahlen in NRW. Sterbeglöcklein und Sensenmann

Wenn die FDP überleben will, müssen Kubicki und Lindner ihre Wahlen gewinnen; wenn Rösler überleben will, muss er sagen können, dass er dazu auch was beigetragen hat. Sonst müsste er damit rechnen, dass die Sieger ihn als überflüssig wegfegen.
Ein unbekannter Spitzenmann der FDP, zitiert von Robert Birnbaum im "Tagesspiegel".

Kommentar: Wer immer der Anonymus war, den Birnbaum zitiert - er hat die Lage griffig beschrieben. Allerdings hat diese Situation das Potential, nicht nur Rösler hinwegzufegen, sondern gleich auch noch die FDP.

Oder anders gesagt: Das Sterbeglöcklein der FDP bimmelt, "ganz silberig und unüberhörbar", wie es der zum Poetischen tendierende Rudolf Augstein einst formulierte. Es bimmelt und bimmelt, inzwischen vielleicht eher blechern; und man hat sich nachgerade angewöhnt, nicht mehr hinzuhören. Jetzt erscheint Christian Lindner als der Sensenmann und baut sich am Fußteil des Sterbebetts auf.

Deutschland im Öko-Würgegriff (30): Alarmstufe "gelb". Die "Energiewende" bringt das Stromnetz an den Rand des Zusammenbrechens

Das, was da am Sonntag Nachmittag in "Welt-Online" zu lesen war, hätte eigentlich von den Agenturen verbreitet werden und gestern ein Hauptthema in allen Medien sein müssen. Aber nichts geschah. Gestern Nachmittag zog "Bild.de" nach. Vielleicht findet der Vorfall jetzt doch noch die Aufmerksamkeit, die ihm zukommt.

Es trug sich am Mittwoch vergangenener Woche zu; Daniel Wetzel, der Autor des "Welt-Online"-Artikels, hat es recherchiert und beschreibt es so:

2. April 2012

Zitat: "Die Enttäuschung kommt zeitversetzt mit der Rechnung". Rainer Brüderle über den Fall Schlecker. Voodoo-Politik

Die Empörung der Öffentlichkeit verläuft immer nach einem Muster: Vor Kameras und Mikrofonen inszenieren bestimmte Politiker Solidarität und fordern lauthals staatliche Hilfen. Wer könnte denn schließlich auch etwas dagegen haben, dass man sich mit denen solidarisiert, die schuldlos in Existenzsorgen geraten sind?

Es werden Erwartungen geweckt, obwohl die Enttäuschung programmiert ist. Wo am Ende staatliche Hilfen gezahlt werden, kommt die Enttäuschung zeitversetzt mit der Rechnung für den Steuerzahler. Nachhaltig geholfen haben staatliche Notkredite und Bürgschaften in den seltensten Fällen. Weder den Beschäftigten noch den Unternehmen. Der Baukonzern Holzmann ist heute Geschichte. Gerhard Schröders Jubelauftritt als "Retter" bleibt den Beteiligten in peinlicher Erinnerung. Die ehemaligen Mitarbeiter arbeiten längst für andere Unternehmen.
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle heute in einem Gastbeitrag für das "Handelsblatt" mit dem Titel "Keine Staatshilfen!"

Kommentar: Der - zum Glück an der FDP gescheiterte - Versuch, ein Schmierenstück "Rettung der Schlecker-Frauen" à la "Holzmann-Rettung" zu inszenieren, gehört in die Kategorie dessen, was ich einmal als Voodoo-Politik bezeichnet habe (Voodoo-Politik. Kinderpornographie, Reichensteuer etc. Statt wirksam zu handeln, werden "Zeichen gesetzt"; ZR vom 18. 4. 2009).

Das Ärgerlichste an dieser Voodoo-Politik ist der Zynismus derer, die sie praktizieren.

Zettels Meckerecke: Schweizer Haftbefehle, die SPD und das Bundesverdienstkreuz. Häßlicher kann er kaum noch sein, der Deutsche

Drei Männer werden von der Schweizer Bundesanwaltschaft in Bern mit Haftbefehl gesucht, weil nach deren Erkenntnissen der Verdacht besteht, daß sie sich in der Schweiz strafbar gemacht haben. Der Fall schlägt Wellen. Wie reagiert die SPD? Einer ihrer Spitzenleute macht einen Vorschlag:
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, fordert, die Steuer­fahnder mit dem Bundesverdienstkreuz auszuzeichnen.

Der "Bild"-Zeitung sagte er, sie hätten sich mit ihrem "Kampf gegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung um den Rechtsstaat verdient gemacht". Die Bundesregierung müsse die deutschen Fahnder schützen und gegen die Schweizer Haftbefehle vorgehen.
Wie denn die Bundesregierung gegen die Schweizer Haftbefehle "vorgehen" soll, sagte der Volljurist Oppermann nicht. Es wäre interessant, zu erfahren, welche juristischen Wege er kennt, gegen Haftbefehle in einem anderen demokratischen Rechtsstaat vorzugehen, die von der dortigen unabhängigen Justiz erlassen wurden.

Der Fall Trayvon Martin. Der Stand der Erkenntnisse. Die Herrschaft des Rechts. Aktualisierte Fassung

Der Tod des schwarzen Jugendlichen Trayvon Martin beschäftigt noch immer die US-Medien; und zwar nach wie vor höchst kontrovers. Er beschäftigt auch weiterhin die deutschen Medien. Hier aber kaum kontrovers. Repräsentativ für die dem deutschen Konsumenten vermittelte Sicht auf den Fall ist das, was gestern in der "Frankfurter Rundschau" (FR) zu lesen war:

1. April 2012

Zitat des Tages: "Die übergroße Mehrheit der DDR-Bevölkerung", wie sie Gregor Gysi im März 1989 sah. Und wieder einmal: Gysi und das MfS

SPIEGEL: Wäre es nicht das einfachste, die DDR schafft Verhältnisse, unter denen die DDR-Bürger lieber hier bleiben?

GYSI: Die übergroße Mehrheit der Bevölkerung der DDR empfindet ganz offensichtlich die sozialen und sonstigen Bedingungen so, daß sie in diesem Lande verbleiben will. Und was den Teil der Bürger betrifft, die für ständig ausreisen wollen, da muß bei den Entscheidungen auch an die übergroße Mehrheit und deren Interessen mitgedacht werden. Auch die gesamte historische Entwicklung, die Entwicklung der beiden deutschen Staaten muß bei der Beurteilung mit berücksichtigt werden, auch die völlig unterschiedliche ökonomische Situation, etwa bei den Arbeitskräften.
Gregor Gysi, damals Vorsitzender des Ost-Berliner Rechtsanwaltskollegiums und Vorsitzender des Rates der Anwaltskollegien der DDR, in einem "Spiegel"-Gespräch mit Axel Jeschke und Ulrich Schwarz (Heft 11/1989 vom 13. März 1989, S. 36-47).

Kommentar: Das sagte Gergor Gysi ein gutes halbes Jahr, bevor die "übergroße Mehrheit der Bevölkerung" damit begann, ihm und den anderen Mitgliedern der SED-Nomenklatura klarzumachen, wie sie "die ökonomischen und sozialen Bedingungen" in der DDR "empfindet".

Als das "Spiegel"-Gespräch mit Gysi erschien, paßte es genau in die damalige Strategie der SED-Führung, die zunehmenden Rufe nach Glasnost und Perestroika in der DDR abzuwehren: