Ist der Nobelpreisträger Günter Grass womöglich ein bisschen verrückt geworden? Diese Frage habe ich mir ganz ernsthaft gestellt. Dass Israel das iranische Volk mittels eines Atomkrieges auslöschen möchte, diese Meinung stellt meiner Meinung nach keine Meinung dar, sondern eine Verrücktheit. So was hat nicht mal Nordkorea mit Südkorea vor.
Kommentar: Harald Martenstein beherrscht etwas, das einst der legendäre Kolumnist der Washington Post Art Buchwald meisterhaft konnte: Auf den Grat zwischen Realistischem und Übertreibung balancieren; dort, wo man nicht weiß, ob die Wirklichkeit wieder einmal so absurd ist, wie er sie schildert, oder ob er sich die Freiheit des Satirikers nimmt, die Wirklichkeit zur Kenntlichkeit zu verzerren.
Zum Fall Grass macht Martenstein auf andere Nobelpreisträger aufmerksam - Linus Pauling, der empfahl, täglich so viel Vitamin C zu sich zu nehmen, wie es in hundert Kilo Orangen enthalten ist; oder Knut Hamsun, der Adolf Hitler "eine Gestalt von höchstem Rang" nannte. Auch Thomas Mann fehlt nicht, dessen Denken sehr stark um seinen Stuhlgang kreiste. Martensteins bündiger Schluß: "Ich habe ... festgestellt, dass gerade Nobelpreisträger auffällig häufig sonderlich werden".
Vermutlich werden sie das nicht. Aber es mag schon - abseits aller Satire gesagt - der Fall sein, daß sie selbst, fortgeschrittenen Alters, ihre Absonderlichkeit seltener erkennen als andere Leute; und daß ihre Umwelt es ihnen auch seltener sagt. Bei anderen, auch einst Bedeutenden, schweigt man eher gnädig, wenn sie anfangen, Dummheiten zu produzieren. Dem Nobelpreisträger traut man die Dummheit nicht zu. Man nimmt ihn dort ernst, wo man über den nicht durch den Nobelpreis Geadelten lachen würde.
Dieser Preis, dessen Verleihung doch gerade im Fall der Literatur nicht eben die Bedeutendsten zu treffen pflegt, schafft eine Aura, die nicht nur Genie umhüllen kann, sondern auch Peinlichkeit verschleiern. (Zu den bedeutenden deutschen Schriftstellern, die den Nobelpreis nicht zuerkannt erhalten haben, und zu den fast durchweg weniger bedeutenden, die ihn bekamen, siehe "Der Nobelpreis vernachlässigt konsequent die bedeutendsten Autoren"; ZR vom 7. 10. 2009).
Grass' Gedicht zu Israel war schlicht dumm. Hätte so etwas ein beliebiger Journalist zu Papier gebracht und diese miserable, aufgeblasene Prosa nicht "Gedicht" genannt, jede seriöse Zeitung und Zeitschrift hätte es ihm zurückgeschickt. Aber wenn ein Grass so etwas schreibt - dann, nicht wahr, muß doch etwas dran sein?
Es war aber nichts dran. Was Grass da geschrieben hatte, das war von vornherein indiskutabel gewesen; im Wortsinn: Nämlich keine Basis für eine ernsthafte Diskussion. Wie will man über eine Sicht auf den Nahen Osten diskutieren, die voller Irrtümer ist, was die grundlegenden Fakten angeht? Auf einem Informationsstand unterhalb dem, den ein durchschnittlicher Leser von "Bild" hat? Allenfalls hätte man diese Grass'sche Kopfgeburt zum Anlaß nehmen können, über die tatsächlichen Probleme und Gefahren im Nahen Osten zu debattieren (siehe Günter Grass: Die falsche Diskussion; ZR vom 11. 4. 2012).
Diese Grass-Debatte hatte deshalb etwas seltsam Gespenstisches. Statt Grass auszulachen, wurde er ernstgenommen; und sei es nur als angeblicher Tabubrecher. Harald Martenstein hat die wahre Lage durchschaut; seine literarische, also parodistische Verarbeitung dieser Einsicht konnte man schon zu Beginn der Affäre im "Tagesspiegel" lesen. Nun also hat er dem noch eine Marginalie hinzugefügt.
Lassen Sie mich das meinerseits durch eine Marginalie ergänzen. Ich lese im Augenblick Eckermanns "Gespräche mit Goethe"; übrigens eine für mich überraschend spannende und anregende Lektüre. Unter dem 29. Januar 1827 notierte Eckermann:
Harald Martenstein in seiner Kolumne im aktuellen "Zeit-Magazin". Überschrift: "Gerade Nobelpreisträger werden auffällig häufig sonderlich".
Kommentar: Harald Martenstein beherrscht etwas, das einst der legendäre Kolumnist der Washington Post Art Buchwald meisterhaft konnte: Auf den Grat zwischen Realistischem und Übertreibung balancieren; dort, wo man nicht weiß, ob die Wirklichkeit wieder einmal so absurd ist, wie er sie schildert, oder ob er sich die Freiheit des Satirikers nimmt, die Wirklichkeit zur Kenntlichkeit zu verzerren.
Zum Fall Grass macht Martenstein auf andere Nobelpreisträger aufmerksam - Linus Pauling, der empfahl, täglich so viel Vitamin C zu sich zu nehmen, wie es in hundert Kilo Orangen enthalten ist; oder Knut Hamsun, der Adolf Hitler "eine Gestalt von höchstem Rang" nannte. Auch Thomas Mann fehlt nicht, dessen Denken sehr stark um seinen Stuhlgang kreiste. Martensteins bündiger Schluß: "Ich habe ... festgestellt, dass gerade Nobelpreisträger auffällig häufig sonderlich werden".
Vermutlich werden sie das nicht. Aber es mag schon - abseits aller Satire gesagt - der Fall sein, daß sie selbst, fortgeschrittenen Alters, ihre Absonderlichkeit seltener erkennen als andere Leute; und daß ihre Umwelt es ihnen auch seltener sagt. Bei anderen, auch einst Bedeutenden, schweigt man eher gnädig, wenn sie anfangen, Dummheiten zu produzieren. Dem Nobelpreisträger traut man die Dummheit nicht zu. Man nimmt ihn dort ernst, wo man über den nicht durch den Nobelpreis Geadelten lachen würde.
Dieser Preis, dessen Verleihung doch gerade im Fall der Literatur nicht eben die Bedeutendsten zu treffen pflegt, schafft eine Aura, die nicht nur Genie umhüllen kann, sondern auch Peinlichkeit verschleiern. (Zu den bedeutenden deutschen Schriftstellern, die den Nobelpreis nicht zuerkannt erhalten haben, und zu den fast durchweg weniger bedeutenden, die ihn bekamen, siehe "Der Nobelpreis vernachlässigt konsequent die bedeutendsten Autoren"; ZR vom 7. 10. 2009).
Grass' Gedicht zu Israel war schlicht dumm. Hätte so etwas ein beliebiger Journalist zu Papier gebracht und diese miserable, aufgeblasene Prosa nicht "Gedicht" genannt, jede seriöse Zeitung und Zeitschrift hätte es ihm zurückgeschickt. Aber wenn ein Grass so etwas schreibt - dann, nicht wahr, muß doch etwas dran sein?
Es war aber nichts dran. Was Grass da geschrieben hatte, das war von vornherein indiskutabel gewesen; im Wortsinn: Nämlich keine Basis für eine ernsthafte Diskussion. Wie will man über eine Sicht auf den Nahen Osten diskutieren, die voller Irrtümer ist, was die grundlegenden Fakten angeht? Auf einem Informationsstand unterhalb dem, den ein durchschnittlicher Leser von "Bild" hat? Allenfalls hätte man diese Grass'sche Kopfgeburt zum Anlaß nehmen können, über die tatsächlichen Probleme und Gefahren im Nahen Osten zu debattieren (siehe Günter Grass: Die falsche Diskussion; ZR vom 11. 4. 2012).
Diese Grass-Debatte hatte deshalb etwas seltsam Gespenstisches. Statt Grass auszulachen, wurde er ernstgenommen; und sei es nur als angeblicher Tabubrecher. Harald Martenstein hat die wahre Lage durchschaut; seine literarische, also parodistische Verarbeitung dieser Einsicht konnte man schon zu Beginn der Affäre im "Tagesspiegel" lesen. Nun also hat er dem noch eine Marginalie hinzugefügt.
Lassen Sie mich das meinerseits durch eine Marginalie ergänzen. Ich lese im Augenblick Eckermanns "Gespräche mit Goethe"; übrigens eine für mich überraschend spannende und anregende Lektüre. Unter dem 29. Januar 1827 notierte Eckermann:
"Die Sache ist sehr einfach," sagte Goethe. "Um Prosa zu schreiben, muß man etwas zu sagen haben; wer aber nichts zu sagen hat, der kann doch Verse und Reime machen, wo denn ein Wort das andere gibt und zuletzt etwas herauskommt, das zwar nichts ist, aber doch aussieht, als wäre es was."
Zettel
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