Der Wahlkampf um das Amt des französischen Präsidenten ist bisher überwiegend unspektakulär verlaufen. Aber es gibt eine Ausnahme: den Aufstieg des linksextremen Kandidaten Jean-Luc Mélenchon.
Die Beliebtheitswerte Mélenchons haben sich im Lauf des Wahlkampfs nahezu verdoppelt. Der Prozentsatz der Wähler, die ihm laut den aktuellen Umfragen am Sonntag ihre Stimme geben wollen, ist inzwischen ebenfalls fast doppelt so hoch wie zu Beginn des Wahlkampfs. In den Umfragen von acht Instituten, die in der vergangenen Woche und zu Beginn dieser Woche stattfanden, liegt Mélenchon zwischen 12 und 17 Prozent.
Im selben Bereich (zwischen 14 und 17 Prozent) bewegen sich die Werte für die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen. Nimmt man die beiden trotzkistischen Kandidaten Nathalie Arthaud und Philippe Poutou hinzu, die zusammen ein bis zwei Prozent erreichen dürften, dann werden extremistische Kandidaten am kommenden Sonntag ungefähr ein Drittel aller Stimmen erlangen.
Die übrigen zwei Drittel verteilen sich auf Staatspräsident Sarkozy (24 bis 28 Prozent), den jetzt wieder leicht führenden Sozialisten François Hollande (26,5 bis 30 Prozent), den Liberalen François Bayrou mit rund 10 Prozent, die Grüne Eva Joly mit ungefähr 2 bis 3 Prozent und zwei konservative Kandidaten, die mit zusammen kaum mehr als einem Prozent rechnen können. (Für nähere Informationen zu den Kandidaten siehe Mélenchons Aufstieg, Bayrous Entscheidung, eine kleine Chance für Sarkozy. Die Lage zehn Tage vor dem ersten Wahlgang; ZR vom 12. 4. 2012).
Wenn François Hollande am 6. Mai zum neuen Staatspräsidenten gewählt wird (was allein noch François Bayrou verhindern könnte, wenn er zwischen den beiden Runden ein Abkommen mit Sarkozy schließen sollte), dann wird er das wesentlich denjenigen Franzosen zu verdanken haben, die am kommenden Sonntag Mélenchon wählen. Was sind das für Wähler; wer ist dieser Mann?
Jean-Luc Mélenchon ist ein Politiker, wie es ihn in Deutschland nicht geben könnte: Ein Kommunist, der Jahrzehnte in der überwiegend sozialdemokratischen Sozialistischen Partei (PS) tätig war und in ihr sogar bis zum Minister aufstieg.
Daß eine solche politische Biografie in Frankreich möglich ist, hat hauptsächlich zwei Gründe:
Er radikalisierte sich im Mai 1968 noch als Schüler, war dann Funktionär der kommunistisch beherrschten Studentenorganisation AGEB-UNEF und schloß sich zugleich der OCI an, deren Organisation in Besançon er von 1972 bis 1975 leitete. Außerdem trat er in die PS ein, die auf wesentliche Initiative Mitterands auf dem Kongreß von Épinay 1971 gegründet worden war; der klassische Weg des Entrismus, der ihn schließlich in die französische Regierung brachte.
Bis es so weit war, lag sein Schwerpunkt an der "Basis". Er trat als Agitator hervor und war zum Beispiel wesentlich an der "Besetzung" der Firma Lip Anfang der siebziger Jahre beteiligt. Im bürgerlichen Leben arbeitete der studierte Philosoph als Lehrer, Journalist und in diversen anderen Berufen.
Diesen Hintergrund muß man kennen, um das zu verstehen, was Sie durch dieses Bild illustriert sehen:
Den Herrn vorn rechts kennen Sie. Neben ihm, in der Mitte, sitzt Jean-Luc Mélenchon; in Mimik und Gestik wie ein Klon Lafontaines wirkend. Das Bild illustriert damit sehr schön die Situation, in der es aufgenommen wurde: Unter Geburtshilfe der deutschen Partei "Die Linke" wurde am 28. November 2008 die Partei Parti de Gauche (Linkspartei) gegründet. Ich habe damals darüber berichtet ("Die Linke" bekommt einen französischen Franchise-Partner; ZR vom 30. 11. 2008):
Bei den Präsidentschaftswahlen 2007 hatte die Kommunistin Marie-George Buffet, Kandidatin der einst stärksten Partei Frankreichs KPF, gerade noch 1,93 Prozent der Stimmen erreicht; und das trotz Wahlhilfe durch Oskar Lafontaine (siehe Oskar Lafontaine und die französischen Kommunisten; ZR vom 21. 3. 2007). Was tun?
Die Antwort auf diese Frage Lenins lautete, es den deutschen Kommunisten nachzumachen. Diese hatten das Ende der DDR überstanden, sie hatten sich sogar in der Bundesrepublik als bedeutende politische Kraft etabliert, indem sie sich vom Konzept der leninistischen Kaderpartei trennten und sich allen kommunistischen Strömungen öffneten; mit der Aufnahme der WASG sogar den einstigen Todfeinden, den Trotzkisten.
Das konnte in Frankreich angesichts der Tradition der KPF nicht durch deren Öffnung für Trotzkisten und sonstige Linksextremisten geschehen. Also mußte man eine neue Partei gründen, die von vornherein auf eine enge Zusammenarbeit mit der KPF hin angelegt war.
Das Bündnis aller Kommunisten, das Mélenchon 2008 angekündigt hatte, ist inzwischen unter dem Namen Front de Gauche (Linksfront) realisiert. Auf seiner Grundlage konnte Mélenchon seinen über alle Erwartungen erfolgreichen Wahlkampf führen.
Es ist aber nicht nur dieses neue Konzept einer kommunistischen Partei nach dem Vorbild der deutschen "Die Linke", das ihn erfolgreich gemacht hat. Es ist auch seine große politische Begabung; vor allem seine Fähigkeit zum Agitator, die er schon in jungen Jahren bewiesen hat.
Auch wenn Sie kein Französisch verstehen, mögen Sie sich vielleicht einige Augenblicke der Rede ansehen, die Mélenchon am vergangenen Samstag in Marseille gehalten hat. Klassische französische Rhetorik, vorgetragen mit dem Pathos eines de Gaulle. So stellen sich die Franzosen einen Staatsmann vor.
Und dann vergleichen Sie das bitte mit dem hölzern-aufgeregten Auftritt Nicolas Sarkozys am Sonntag bei seiner Versammlung auf der Place de la Concorde in Paris. Dann verstehen Sie nicht nur, warum Mélenchon der Überraschungsgewinner - wenn auch nicht der Sieger - dieser Wahl sein wird; und warum Sarkozy aller Wahrscheinlichkeit nach auf ein zweites quinquenat, eine zweite fünfjährige Amtszeit, wird verzichten müssen.
Die Beliebtheitswerte Mélenchons haben sich im Lauf des Wahlkampfs nahezu verdoppelt. Der Prozentsatz der Wähler, die ihm laut den aktuellen Umfragen am Sonntag ihre Stimme geben wollen, ist inzwischen ebenfalls fast doppelt so hoch wie zu Beginn des Wahlkampfs. In den Umfragen von acht Instituten, die in der vergangenen Woche und zu Beginn dieser Woche stattfanden, liegt Mélenchon zwischen 12 und 17 Prozent.
Im selben Bereich (zwischen 14 und 17 Prozent) bewegen sich die Werte für die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen. Nimmt man die beiden trotzkistischen Kandidaten Nathalie Arthaud und Philippe Poutou hinzu, die zusammen ein bis zwei Prozent erreichen dürften, dann werden extremistische Kandidaten am kommenden Sonntag ungefähr ein Drittel aller Stimmen erlangen.
Die übrigen zwei Drittel verteilen sich auf Staatspräsident Sarkozy (24 bis 28 Prozent), den jetzt wieder leicht führenden Sozialisten François Hollande (26,5 bis 30 Prozent), den Liberalen François Bayrou mit rund 10 Prozent, die Grüne Eva Joly mit ungefähr 2 bis 3 Prozent und zwei konservative Kandidaten, die mit zusammen kaum mehr als einem Prozent rechnen können. (Für nähere Informationen zu den Kandidaten siehe Mélenchons Aufstieg, Bayrous Entscheidung, eine kleine Chance für Sarkozy. Die Lage zehn Tage vor dem ersten Wahlgang; ZR vom 12. 4. 2012).
Wenn François Hollande am 6. Mai zum neuen Staatspräsidenten gewählt wird (was allein noch François Bayrou verhindern könnte, wenn er zwischen den beiden Runden ein Abkommen mit Sarkozy schließen sollte), dann wird er das wesentlich denjenigen Franzosen zu verdanken haben, die am kommenden Sonntag Mélenchon wählen. Was sind das für Wähler; wer ist dieser Mann?
Jean-Luc Mélenchon ist ein Politiker, wie es ihn in Deutschland nicht geben könnte: Ein Kommunist, der Jahrzehnte in der überwiegend sozialdemokratischen Sozialistischen Partei (PS) tätig war und in ihr sogar bis zum Minister aufstieg.
Daß eine solche politische Biografie in Frankreich möglich ist, hat hauptsächlich zwei Gründe:
Mélenchon, in Tanger (Marokko) 1951 als Sohn spanisch-französischer Eltern geboren, hat die klassische politische Biografie eines Achtundsechzigers:Erstens gab es in Frankreich nie den ausgeprägten Gegensatz zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten, der in Deutschland seine Wurzel in den Jahren nach 1919 hat, als die einen die parlamentarische Demokratie wollten und die anderen eine Diktatur nach dem Vorbild von Lenins Sowjetunion. In Frankreich besteht im Gegenteil eine Tradition der Zusammenarbeit zwischen Sozialisten und Kommunisten, die auf die Volksfront der Jahre 1936 bis 1938 zurückgeht, als die Sozialisten und die Radikalsozialisten mit Unterstützung der Kommunisten regierten.
Diese Tradition war zwar in der Zeit des Kalten Kriegs zeitweise unterbrochen, als die Kommunisten sich auf die Seite Moskaus und die Sozialdemokraten (damals organisiert in der S.F.I.O.) auf die Seite des Westens stellten. Aber François Mitterand begann bereits in den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts mit ihrer Neubelebung, die ihn schließlich 1981 ins Amt des Präsidenten brachte, gestützt auf eine Koalition aus Sozialisten und Kommunisten. Noch bis zum Mai 2002 amtierten in Frankreichs Regierung - damals geführt von Lionel Jospin - zwei kommunistische Minister, der Verkehrsminister Gayssot und die Ministerin für Jugend und Sport Marie-George Buffet.Zweitens hat die kommunistische Bewegung in Frankreich, anders als in Deutschland, einen starken trotzkistischen Flügel. Die trotzkistische Bewegung gliedert sich ihrerseits in zahlreiche Gruppen und Strömungen, von denen ein Teil die Taktik des sogenannten Entrismus (von frz. entrer, eintreten) verfolgt: Man tritt in die jeweilige sozialdemokratische Partei ein, um sie von innen zu verändern, sie also zu unterwandern.
Ein solcher Entrist war der sozialistische Premierminister Lionel Jospin, der Jahrzehnte ein Doppelleben als offizieller Sozialdemokrat und heimlicher Trotzkist führte (siehe Gedanken zu Frankreich (3): Die staatsfrommen Revolutionäre; ZR vom 25. 10. 2006). Jospin gehörte der trotzkistischen Organisation Organisation Communiste Internationaliste (OCI) an; und deren Mitglied war auch Jean-Luc Mélenchon, unter Jospin Staatsminister im Bildungsministerium.
Er radikalisierte sich im Mai 1968 noch als Schüler, war dann Funktionär der kommunistisch beherrschten Studentenorganisation AGEB-UNEF und schloß sich zugleich der OCI an, deren Organisation in Besançon er von 1972 bis 1975 leitete. Außerdem trat er in die PS ein, die auf wesentliche Initiative Mitterands auf dem Kongreß von Épinay 1971 gegründet worden war; der klassische Weg des Entrismus, der ihn schließlich in die französische Regierung brachte.
Bis es so weit war, lag sein Schwerpunkt an der "Basis". Er trat als Agitator hervor und war zum Beispiel wesentlich an der "Besetzung" der Firma Lip Anfang der siebziger Jahre beteiligt. Im bürgerlichen Leben arbeitete der studierte Philosoph als Lehrer, Journalist und in diversen anderen Berufen.
Diesen Hintergrund muß man kennen, um das zu verstehen, was Sie durch dieses Bild illustriert sehen:
Den Herrn vorn rechts kennen Sie. Neben ihm, in der Mitte, sitzt Jean-Luc Mélenchon; in Mimik und Gestik wie ein Klon Lafontaines wirkend. Das Bild illustriert damit sehr schön die Situation, in der es aufgenommen wurde: Unter Geburtshilfe der deutschen Partei "Die Linke" wurde am 28. November 2008 die Partei Parti de Gauche (Linkspartei) gegründet. Ich habe damals darüber berichtet ("Die Linke" bekommt einen französischen Franchise-Partner; ZR vom 30. 11. 2008):
Es gibt Politiker, für die ihr Land zu klein ist. Oskar Lafontaine ist so einer. Als Saarländer ohnehin dem Welschen verbunden, leistet er jetzt Geburtshilfe für einen französischen Ableger von "Die Linke".Als die Parti de Gauche gegründet wurde, befand sich der französische Kommunismus im Niedergang.
Gut, "Ableger" ist vielleicht zu hart. Sagen wir, einen Franchise- Partner. Die neue Partei heißt, wie anders, Parti de Gauche (Linkspartei) und wurde gestern in Anwesenheit von Oskar Lafontaine feierlich gegründet. (...)
Das Ziel des Parteigründers Jean-Luc Mélenchon, der die französische Sozialistische Partei so verlassen hat, wie Oskar Lafontaine einst die SPD, lautet "changer la gauche, affronter la droite et ouvrir une alternative au capitalisme"; die Linke verändern, die Rechte bekämpfen und eine Alternative zum Kapitalismus eröffnen.
Dazu soll ein Front Commun dienen, eine gemeinsame Front, die Mélenchon bereits am 18. November angekündigt hat - Seit' an Seit' mit der Generalsekretärin der Kommunistischen Partei Frankreichs, Marie-George Buffet.
Wie Mélenchon auch noch mitteilte, hat er Kontakt zum Führer der größten französischen trotzkistischen Bewegung, Olivier Besancenot, aufgenommen, der allerdings seinerseits gern eine kommunistische Einheitsfront gründen möchte, den Nouveau Parti Anticapitaliste (NPA), die Neue Antikapitalistische Partei.
Auch für einen Dialog mit dem linksnationalen Mouvement Républicain et Citoyen (MRC) und mit den linksextremen Bewegungen Lutte Ouvrière und Parti Ouvrier Indépendant ist Mélenchon offen.
Bei den Präsidentschaftswahlen 2007 hatte die Kommunistin Marie-George Buffet, Kandidatin der einst stärksten Partei Frankreichs KPF, gerade noch 1,93 Prozent der Stimmen erreicht; und das trotz Wahlhilfe durch Oskar Lafontaine (siehe Oskar Lafontaine und die französischen Kommunisten; ZR vom 21. 3. 2007). Was tun?
Die Antwort auf diese Frage Lenins lautete, es den deutschen Kommunisten nachzumachen. Diese hatten das Ende der DDR überstanden, sie hatten sich sogar in der Bundesrepublik als bedeutende politische Kraft etabliert, indem sie sich vom Konzept der leninistischen Kaderpartei trennten und sich allen kommunistischen Strömungen öffneten; mit der Aufnahme der WASG sogar den einstigen Todfeinden, den Trotzkisten.
Das konnte in Frankreich angesichts der Tradition der KPF nicht durch deren Öffnung für Trotzkisten und sonstige Linksextremisten geschehen. Also mußte man eine neue Partei gründen, die von vornherein auf eine enge Zusammenarbeit mit der KPF hin angelegt war.
Das Bündnis aller Kommunisten, das Mélenchon 2008 angekündigt hatte, ist inzwischen unter dem Namen Front de Gauche (Linksfront) realisiert. Auf seiner Grundlage konnte Mélenchon seinen über alle Erwartungen erfolgreichen Wahlkampf führen.
Es ist aber nicht nur dieses neue Konzept einer kommunistischen Partei nach dem Vorbild der deutschen "Die Linke", das ihn erfolgreich gemacht hat. Es ist auch seine große politische Begabung; vor allem seine Fähigkeit zum Agitator, die er schon in jungen Jahren bewiesen hat.
Auch wenn Sie kein Französisch verstehen, mögen Sie sich vielleicht einige Augenblicke der Rede ansehen, die Mélenchon am vergangenen Samstag in Marseille gehalten hat. Klassische französische Rhetorik, vorgetragen mit dem Pathos eines de Gaulle. So stellen sich die Franzosen einen Staatsmann vor.
Und dann vergleichen Sie das bitte mit dem hölzern-aufgeregten Auftritt Nicolas Sarkozys am Sonntag bei seiner Versammlung auf der Place de la Concorde in Paris. Dann verstehen Sie nicht nur, warum Mélenchon der Überraschungsgewinner - wenn auch nicht der Sieger - dieser Wahl sein wird; und warum Sarkozy aller Wahrscheinlichkeit nach auf ein zweites quinquenat, eine zweite fünfjährige Amtszeit, wird verzichten müssen.
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie findet man hier. Titelvignette: Eugène Delacroix, La Liberté guidant le peuple (1830); Ausschnitt. Abbildung: Oskar Lafontaine und Jean-Luc Mélenchon auf dem Gründungsparteitag der Parti de Gauche am 29. 11. 2008. Vom Autor Piou unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported-Lizenz freigegeben.