27. April 2012

Marginalie: Berliner Koalitionsspiele

In der FAZ gibt es heute einen kundigen Artikel über die Stimmung im politischen Berlin; eine Gemeinschaftsarbeit der Berliner Redaktion der FAZ, deren Leute sich bei den einzelnen Parteien umgehört haben.

Die zentrale Frage ist, ob die Koalition halten wird. Manches spricht dafür - der Stil der Kanzlerin, die nicht zu Husarenritten à la Schröder neigt; die Lage der FDP, der Neuwahlen jetzt nicht recht sein können; die ungeklärte Frage des Kanzlerkandidaten bei der SPD und deren geringe Bereitschaft, nach ihren Erfahrungen mit der Großen Koalition ein zweites Mal als Juniorpartner in eine Regierung Merkel zu gehen.

Vieles spricht aber auch dafür, daß die Koalition nicht halten wird - Streitfragen wie Betreuungsgeld und Vorrats­daten­speicherung; das Klima in der Koalition.



Zwei Punkte habe ich in dem Artikel vermißt:
  • Die zu erwartenden Folgen der Landtagswahlen in NRW und Schleswig-Holstein. Es sieht im Augenblick so aus, als könne die FDP in beiden Ländern den Wiedereinzug in den Landtag schaffen. Auch wenn das knapp scheitern sollte - bereits eine 4 vor dem Komma wäre in Anbetracht der Umfragen der letzten Monate ein Erfolg. Ein Erfolg für Christian Lindner, der sich inzwischen als Gegner seines einstigen Mitstreiters Rösler profiliert; ein Erfolg für den Parteirebellen Kubicki.

    Das würde sehr wahrscheinlich den Sturz des Parteivorsitzenden Rösler bedeuten und damit auch eine Kabinettskrise. Denn wer immer dann die FDP führt - Lindner oder Brüderle -, er hätte Anspruch auf das Amt des Vizekanzlers. Eine Krise wäre also da, so oder so.

  • Der Aufstieg der Piraten. Er ist ein politisches Erdbeben, wie es die Bundesrepublik noch nicht erlebt hat: Fast aus dem Stand ist diese Partei in den bundesweiten Umfragen auf rund 10 Prozent gesprungen, wenn nicht mehr (die jeweils aktuellsten Umfragen der sechs großen Institute sehen sie zwischen 9 und 13 Prozent; arithmetisches Mittel 11,2 Prozent).

    Bei Neuwahlen wären damit eine schwarzgelbe (falls die FDP es schafft) ebenso wie eine rotgrüne Koalition mangels Mehrheit so gut wie ausgeschlossen. Es wäre die Situation da, die ich kürzlich beschrieben habe: Verhältnisse wie in den Niederlanden ("Angst vor dem Stillstand in Den Haag". Hollands Krise und die künftige Entwicklung in Deutschland; ZR vom 24. 4. 2012).
  • Diese beiden Gesichtspunkte wirken gegenläufig: Die zu erwartende Führungskrise in der FDP wird zwangsläufig auch eine Koalitionskrise mit sich bringen und damit den Bruch der Koalition eigentlich wahrscheinlich machen. Aber die Aussicht auf Neuwahlen mit einem Ergebnis, das nur noch unnatürliche Bündnisse oder aber die Große Koalition erlaubt, dürfte andererseits abschreckend wirken.

    Man hat den Eindruck: Keiner in Berlin hat ein Interesse daran, auf einen Bruch der Koalition hinzuarbeiten. Aber die Frage ist, ob dies reicht, um eine zunehmend durch objektive Faktoren bestimmte Entwicklung noch zu steuern, die auf einen Bruch hinauszulaufen scheint.­
    Zettel



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