Wenn jemand "Andrea" heißt, dann handelt es sich in Deutschland um eine Frau oder ein Mädchen. Im Italienischen ist dies aber ein männlicher Vorname. Andrea Doria beispielsweise war ein genuesischer Admiral des frühen 16. Jahrhunderts; er mag den einen aus Schillers "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua" bekannt sein, den anderen aus Udo Lindenbergs Song "Alles klar auf der Andrea Doria", der auf den Untergang des nach Andrea Doria benannten Schiffs im Jahr 1956 anspielte.
Der Vorname weist auf das Geschlecht eines Menschen hin. So war und ist es in den meisten Kulturen. Männer und Frauen tragen unterschiedliche Namen; so, wie sie sich in ihrer Haartracht, ihrer Kleidung, in dem von ihnen erwarteten Rollenverhalten unterscheiden. In keiner bisherigen Kultur in der Geschichte der Menschheit - seien es primitive Stammeskulturen, seien es Hochkulturen - war es anders.
Bisher. Bis zu unserer westliche Kultur in ihrer jetzigen Befindlichkeit. Erstmals gibt es in ihr jetzt Bestrebungen - teilweise schon recht weit fortgeschrittene Bemühungen -, diese sozialen Markierungen des Geschlechts so weit wie möglich aufzuheben.
Das Ziel ist es, Menschen überhaupt nicht mehr sozial in Männer und Frauen einzuteilen. Gewiß, da gibt es biologische Unterschiede; Männer können keine Kinder gebären und Frauen keine zeugen. Aber das wird als eine Belanglosigkeit betrachtet; so, wie es blonde und dunkelhaarige, große und kleine Menschen gibt. Sozial relevant soll das Geschlecht nicht in größerem Maß sein als derartige triviale biologische Unterschiede.
Sie meinen, ich übertreibe? Nein, ich übertreibe nicht. Lesen Sie einmal diesen Artikel von Nathalie Rothschildt, der am vergangenen Mittwoch im Internet-Magazin Slate erschien. Er befaßt sich mit Schweden, wo diese Tendenz, Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu nivellieren, mit am weitesten fortgeschritten ist.
Was Vornamen angeht, ist es in Schweden bereits weit verbreitet, daß sie das Geschlecht nicht erkennen lassen; 170 geschlechtsneutrale Vornamen sind gesetzlich anerkannt. (In Deutschland galt bis 2008, daß mindestens einer der Vornamen, die beim Standesamt eingetragen werden, das Geschlecht erkennen lassen mußte; diese Regelungen wurden vom Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 5. Dezember 2008 aufgehoben).
Aber der geschlechtsneutrale Vorname ist für diejenigen in Schweden, die es ernst meinen mit der Geschlechtsneutralität, nur ein erster Schritt. Angestrebt wird, daß beispielsweise das hier abgebildete Kind ebenso Lars heißen könnte wie Linda. Jeder Vorname soll jedem Menschen gegeben werden können. Was logisch ist, wenn man überhaupt nur noch Menschen kennen will und keine Geschlechter.
Nun können Eltern ja wenigstens selbst über den Namen ihres Kindes entscheiden. Wer sich den Geschlechtsneutralisten nicht anschließen will, der kann immer noch seinen Sohn Lars und seine Tochter Linda nennen. Einschneidender ist, daß die Bestrebungen, die Geschlechter innerhalb der Gesellschaft abzuschaffen, in Schweden auch dort im Gang sind, wo die Eltern keine Möglichkeiten der Einwirkung haben.
Beispielsweise in der Vorschulerziehung. Etliche schwedische Vorschulen haben bereits jeden Hinweis auf das Geschlecht der Kinder aus ihren Räumen verbannt. Die Kinder werden nur noch geschlechtsneutral angeredet; und natürlich spielen alle dasselbe. Das schwedische Spielzeughaus Leklust wirbt bereits mit einem Katalog, der ein als Spiderman verkleidetes Kind (Junge? Mädchen?) zeigt, wie es einen Puppen-Kinderwagen schiebt.
Im vergangenen Herbst besuchten 200 Lehrer eine von der Regierung organisierte Konferenz, in der darüber beraten wurde, wie man in den schwedischen Schulen "traditionelle Geschlechterrollen" abschaffen kann. Die schwedischen Grünen fordern, daß jede Stockholmer Schule jemanden mit der Amtsbezeichnung - in englischer Übersetzung - gender pedagogue erhält; auf Deutsch wäre das wohl politisch korrekt mit "Gender-PädagogIn" wiederzugeben.
In einer schwedischen Vorschule wurde "freies Spielen" vom Unterrichtsplan gestrichen, weil - wie es jemand aus dem Lehrkörper formulierte - das Spielen ohne pädagogische Aufsicht und Anleitung "stereotypisierte Geschlechtsrollen erzeugt und zementiert". In einer anderen Vorschule wurden die Spielzeugautos abgeschafft, weil die Jungen das Spiel mit ihnen als "männlich" aufgefaßt hatten (gender-coded them).
In einer weiteren Stockholmer Vorschule wird alles, von den Bildern an den Wänden bis zu den Spielsachen, mit Sorgfalt so ausgewählt, daß keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu erkennen sind. Wenn "Familie" gespielt wird, dann soll diese beispielsweise aus "Vater, Vater und Kind" bestehen, aus "Mutter, Mutter, Kind", aus "Mutter, Mutter, Tante, Kind" oder jeder anderen Kombination. Immerhin darf "Vater, Mutter, Kind" auch vorkommen. Ein Weihnachtslied hat man in dieser Vorschule so umgedichtet, daß nicht mehr "sie" den Kuchen backt, sondern hen.
Dieses Pronomen hen wird derzeit in Schweden heiß debattiert. Im Schwedischen gibt es nämlich kein Äquivalent zu unserem neutralen "es"; nur han (er) und hon (sie). Diesem Mißstand soll jetzt durch das Kunstwort hen abgeholfen werden; so daß man dann nicht mehr "sie" oder "er" sagen muß, sondern von jedem Menschen als hen sprechen kann. Im Deutschen könnte man analog immer "es" sagen. Oder wir führen auch ein Kunst-Pronomen ein; sagen wir "ser".
All men are created equal, heißt es in der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, alle Menschen sind gleich geschaffen. So, wie diese Maxime 1776 im Geist der Aufklärung gemeint gewesen war, wird sie heute nachgerade universell anerkannt: Alle Menschen sind gleich geschaffen in dem Sinn, daß niemandem aufgrund seiner Herkunft besondere Privilegien zustehen. In Feudalgesellschaften waren solche Privilegien selbstverständlich gewesen; und auch allgemein akzeptiert worden.
Alle Menschen sind gleich geschaffen - damit ist seit der Aufklärung gemeint, daß sie nicht schon von Geburt an verschiedene Rechte und Pflichten haben. Alle sollen unter denselben Voraussetzungen ins Leben starten können, um von einem fundamentalen Recht Gebrauch zu machen, das ebenfalls in der Unabhängigkeitserklärung der dreizehn vereinigten Staaten von Amerika stand: the pursuit of happiness, dem Recht, nach dem eigenen, dem individuellen Glück zu streben.
Es scheint, daß man daran erinnern muß; denn inzwischen ist von diesem Begriff der Gleichheit wenig geblieben. Nicht gleiche Chancen, die, indem die Einzelnen sie nutzen, zwangsläufig zur Verschiedenheit ihres Lebens führen, werden angestrebt; sondern die Verschiedenheit der Menschen und ihrer Lebensumstände soll im Gegenteil so weit wie möglich beseitigt werden.
Gleichheit wurde damit von der Voraussetzung zum Ziel. In der Regel ohne rechtfertigende Begründung wird es als gut, als moralisch, als folglich erstrebenswert angesehen, daß alle Menschen möglichst gleich leben, daß sie sich in jeder Hinsicht möglichst wenig voneinander unterscheiden. Wenn jetzt angestrebt wird, die Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu beseitigen, dann ist das nur konsequent.
Der Vorname weist auf das Geschlecht eines Menschen hin. So war und ist es in den meisten Kulturen. Männer und Frauen tragen unterschiedliche Namen; so, wie sie sich in ihrer Haartracht, ihrer Kleidung, in dem von ihnen erwarteten Rollenverhalten unterscheiden. In keiner bisherigen Kultur in der Geschichte der Menschheit - seien es primitive Stammeskulturen, seien es Hochkulturen - war es anders.
Bisher. Bis zu unserer westliche Kultur in ihrer jetzigen Befindlichkeit. Erstmals gibt es in ihr jetzt Bestrebungen - teilweise schon recht weit fortgeschrittene Bemühungen -, diese sozialen Markierungen des Geschlechts so weit wie möglich aufzuheben.
Das Ziel ist es, Menschen überhaupt nicht mehr sozial in Männer und Frauen einzuteilen. Gewiß, da gibt es biologische Unterschiede; Männer können keine Kinder gebären und Frauen keine zeugen. Aber das wird als eine Belanglosigkeit betrachtet; so, wie es blonde und dunkelhaarige, große und kleine Menschen gibt. Sozial relevant soll das Geschlecht nicht in größerem Maß sein als derartige triviale biologische Unterschiede.
Sie meinen, ich übertreibe? Nein, ich übertreibe nicht. Lesen Sie einmal diesen Artikel von Nathalie Rothschildt, der am vergangenen Mittwoch im Internet-Magazin Slate erschien. Er befaßt sich mit Schweden, wo diese Tendenz, Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu nivellieren, mit am weitesten fortgeschritten ist.
Was Vornamen angeht, ist es in Schweden bereits weit verbreitet, daß sie das Geschlecht nicht erkennen lassen; 170 geschlechtsneutrale Vornamen sind gesetzlich anerkannt. (In Deutschland galt bis 2008, daß mindestens einer der Vornamen, die beim Standesamt eingetragen werden, das Geschlecht erkennen lassen mußte; diese Regelungen wurden vom Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 5. Dezember 2008 aufgehoben).
Aber der geschlechtsneutrale Vorname ist für diejenigen in Schweden, die es ernst meinen mit der Geschlechtsneutralität, nur ein erster Schritt. Angestrebt wird, daß beispielsweise das hier abgebildete Kind ebenso Lars heißen könnte wie Linda. Jeder Vorname soll jedem Menschen gegeben werden können. Was logisch ist, wenn man überhaupt nur noch Menschen kennen will und keine Geschlechter.
Nun können Eltern ja wenigstens selbst über den Namen ihres Kindes entscheiden. Wer sich den Geschlechtsneutralisten nicht anschließen will, der kann immer noch seinen Sohn Lars und seine Tochter Linda nennen. Einschneidender ist, daß die Bestrebungen, die Geschlechter innerhalb der Gesellschaft abzuschaffen, in Schweden auch dort im Gang sind, wo die Eltern keine Möglichkeiten der Einwirkung haben.
Beispielsweise in der Vorschulerziehung. Etliche schwedische Vorschulen haben bereits jeden Hinweis auf das Geschlecht der Kinder aus ihren Räumen verbannt. Die Kinder werden nur noch geschlechtsneutral angeredet; und natürlich spielen alle dasselbe. Das schwedische Spielzeughaus Leklust wirbt bereits mit einem Katalog, der ein als Spiderman verkleidetes Kind (Junge? Mädchen?) zeigt, wie es einen Puppen-Kinderwagen schiebt.
Im vergangenen Herbst besuchten 200 Lehrer eine von der Regierung organisierte Konferenz, in der darüber beraten wurde, wie man in den schwedischen Schulen "traditionelle Geschlechterrollen" abschaffen kann. Die schwedischen Grünen fordern, daß jede Stockholmer Schule jemanden mit der Amtsbezeichnung - in englischer Übersetzung - gender pedagogue erhält; auf Deutsch wäre das wohl politisch korrekt mit "Gender-PädagogIn" wiederzugeben.
In einer schwedischen Vorschule wurde "freies Spielen" vom Unterrichtsplan gestrichen, weil - wie es jemand aus dem Lehrkörper formulierte - das Spielen ohne pädagogische Aufsicht und Anleitung "stereotypisierte Geschlechtsrollen erzeugt und zementiert". In einer anderen Vorschule wurden die Spielzeugautos abgeschafft, weil die Jungen das Spiel mit ihnen als "männlich" aufgefaßt hatten (gender-coded them).
In einer weiteren Stockholmer Vorschule wird alles, von den Bildern an den Wänden bis zu den Spielsachen, mit Sorgfalt so ausgewählt, daß keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu erkennen sind. Wenn "Familie" gespielt wird, dann soll diese beispielsweise aus "Vater, Vater und Kind" bestehen, aus "Mutter, Mutter, Kind", aus "Mutter, Mutter, Tante, Kind" oder jeder anderen Kombination. Immerhin darf "Vater, Mutter, Kind" auch vorkommen. Ein Weihnachtslied hat man in dieser Vorschule so umgedichtet, daß nicht mehr "sie" den Kuchen backt, sondern hen.
Dieses Pronomen hen wird derzeit in Schweden heiß debattiert. Im Schwedischen gibt es nämlich kein Äquivalent zu unserem neutralen "es"; nur han (er) und hon (sie). Diesem Mißstand soll jetzt durch das Kunstwort hen abgeholfen werden; so daß man dann nicht mehr "sie" oder "er" sagen muß, sondern von jedem Menschen als hen sprechen kann. Im Deutschen könnte man analog immer "es" sagen. Oder wir führen auch ein Kunst-Pronomen ein; sagen wir "ser".
All men are created equal, heißt es in der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, alle Menschen sind gleich geschaffen. So, wie diese Maxime 1776 im Geist der Aufklärung gemeint gewesen war, wird sie heute nachgerade universell anerkannt: Alle Menschen sind gleich geschaffen in dem Sinn, daß niemandem aufgrund seiner Herkunft besondere Privilegien zustehen. In Feudalgesellschaften waren solche Privilegien selbstverständlich gewesen; und auch allgemein akzeptiert worden.
Alle Menschen sind gleich geschaffen - damit ist seit der Aufklärung gemeint, daß sie nicht schon von Geburt an verschiedene Rechte und Pflichten haben. Alle sollen unter denselben Voraussetzungen ins Leben starten können, um von einem fundamentalen Recht Gebrauch zu machen, das ebenfalls in der Unabhängigkeitserklärung der dreizehn vereinigten Staaten von Amerika stand: the pursuit of happiness, dem Recht, nach dem eigenen, dem individuellen Glück zu streben.
Es scheint, daß man daran erinnern muß; denn inzwischen ist von diesem Begriff der Gleichheit wenig geblieben. Nicht gleiche Chancen, die, indem die Einzelnen sie nutzen, zwangsläufig zur Verschiedenheit ihres Lebens führen, werden angestrebt; sondern die Verschiedenheit der Menschen und ihrer Lebensumstände soll im Gegenteil so weit wie möglich beseitigt werden.
Gleichheit wurde damit von der Voraussetzung zum Ziel. In der Regel ohne rechtfertigende Begründung wird es als gut, als moralisch, als folglich erstrebenswert angesehen, daß alle Menschen möglichst gleich leben, daß sie sich in jeder Hinsicht möglichst wenig voneinander unterscheiden. Wenn jetzt angestrebt wird, die Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu beseitigen, dann ist das nur konsequent.
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Abbildung: Das als "Androgyn XIIr" bezeichnete Bild aus der aus der "Nürnberger Chronik" von Hartmann Schedel (1440-1514) (Schedel'sche Weltchronik).