4. April 2012

Zettels Meckerecke: Günter Grass über Israel. Das Gelalle eines alten Mannes. Man sollte ihm nicht auf den Leim gehen

Ein Gedicht von Günter Grass mit dem Titel "Was gesagt werden muß" ist seit heute Vormittag das Thema des Aufmachers von "Spiegel-Online". Der "Tagesspiegel" widmet diesem Gedicht gleich die drei Kopfartikel seines Internetportals: Eine Polemik des Chefs seines Meinungs­ressorts, Malte Lehming; darunter einen ausführlichen Bericht von Peter von Becker und einen Artikel mit dpa-Meldungen zu den ersten Reaktionen.

Eine literarische Sensation also? Ist dem Dichter Günter Grass noch einmal ein großer Wurf gelungen; von einer solchen künstlerischen Brillanz, daß die Medien sich darauf stürzen?

Sehen wir uns das an. Einen Link zu diesem Gedicht - zu einer Fotokopie bei Twitter - finden Sie im ersten Absatz dieses Artikels bei "Zeit-Online". Kostprobe:
Jetzt aber, weil aus meinem Land,
das von ureigenen Verbrechen,
die ohne Vergleich sind,
Mal und Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird,
wiederum und rein geschäftsmäßig, wenn auch
mit flinker Lippe als Wiedergutmachtung deklariert,
ein weiteres U-Boot nach Israel
geliefert werden soll, dessen Spezialität
darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe
dorthin lenken zu können, wo die Existenz
einer einzigen Atombombe unbewiesen ist,
sage ich, was gesagt werden muß.
So ist das ganze Gedicht. Holpernde Zeilen, die so klingen, als habe sie ein Gymnasiast, mit Versmaß noch nicht recht vertraut, als lyrische Fingerübungen verfaßt. Mal poetisch geziert ("mit flinker Lippe"), mal im Stil einer Zeitungsmeldung. In den "allesvernichtenden Sprengköpfen" trifft das mit unfreiwilliger Komik zusammen; halb Homer und halb dpa.

Und er sagt nicht schlicht das, was er - der Dichter Günter Grass - sagen will; nein, was gesagt werden "muß". Keiner traute sich, diesen Auftrag des Weltgeistes zu übernehmen. Nur er, der Nobelpreisträger hob den Zeigefinger und meldete sich freiwillig. Es mußte sein. Er war bereit.

Grass läßt uns - auch das mit der Komik eines mißglückten Pathos - an seinen inneren Konflikten teilhaben:
Doch warum untersage ich mir,
jenes andere Land beim Namen zu nennen,
in dem seit Jahren - wenn auch geheimgehalten -
ein wachsendes nukleares Potential verfügbar
aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung
zugänglich ist?
Ja, warum untersagt er sich das, der Dichter? Fällt ihm, dem fast 85jährigen, das Wort "Israel" einfach nicht ein? Leidet er unter einer neurotischen Sprech- oder Schreibblockade? Man kann sich schwer eine größerne Albernheit vorstellen als dieses "Huch, das kann ich nicht aussprechen".



Gedankenlyrik? Ja, wo sind denn die Gedanken? Was Grass in den zitierten Versen, was er in dem ganzen Gedicht an Gedanken vorlegt, ist tausendmal gesagt worden; jeder Feind Israels schreibt das oder Ähnliches. Es ist zudem gedanklich schief, was Grass da zu Lyrik aufbläht. Es ist unlogisch; es zeigt auch, daß Grass sich schlicht nicht informiert hat.

Wer deklariert denn die Lieferung eines U-Boots nach Israel als "Wiedergutmachung", ob nun mit flinker Lippe oder vielleicht in normalem Sprechtempo? Wer, der bei Verstand ist, hat denn die Existenz einer Atombombe im Iran behauptet?

So ist es überall in diesem Gedicht: Was Grass präsentiert, das ist lyrisch aufgeblasene Ignoranz.

Der Dichter schreibt von dem,
was offensichtlich ist und in Planspielen
geübt wird, an deren Ende als Überlebende
wir allenfalls Fußnoten sind.

Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag
Welche Planspiele kennt Grass, die dergleichen beinhalten? "Erstschlag" - Grass sollte es wissen - ist ein Begriff aus der Nuklearstrategie. Nie hat Israel auch nur andeutungsweise ein solches Recht für sich in Anspruch genommen.

"Planspiele" gibt es in Israel sehr wohl für einen Angriff auf iranische Atomanlagen, um zu verhindern, daß Teheran die Atombombe bekommt. Selbstverständlich würde das kein atomarer "Erstschlag" sein, sondern ein Angriff mit konventionellen Waffen. Wieso wären in einem solchen Fall "wir" die "Überlebenden"? Was meint Grass mit "allenfalls Fußnoten"?

Wenn Grass hier einen konventionellen Präventivangriff Israels auf iranische Atomanlagen mit dem atomaren Inferno vermengt, dann kann man das wohlwollend seiner Ignoranz zurechnen. Man kann es auch als bösartige Verdrehung der Tatsachen interpretieren.

Nur noch als bösartig kann ich es verstehen, wenn Grass gegen Ende des Gedichts Israel in die Nähe von Schurkenstaaten rückt:
Weil gesagt werden muß,
was schon morgen zu spät sein könnte;
auch weil wir - als Deutsche belastet genug -
Zulieferer eines Verbrechens werden könnten,
das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld
durch keine der üblichen Ausreden
zu tilgen wäre.
Eines Verbrechens, das voraussehbar ist? Nicht die Mullahs in Teheran, die Israel von der Landkarte tilgen wollen, sind für Grass potentielle Verbrecher, sondern die Israelis, die es möglicherweise wagen, sich das nicht gefallen zu lassen.



Das ist alles schon recht erbärmlich. Am Erbärmlichsten aber ist die Art, wie Grass dieses Gedicht an die Öffentlichkeit gebracht hat. So, als handle es sich um ein Dokument von großem Wert und höchster Brisanz, hat er es in Deutschland der "Süddeutschen Zeitung" angeboten, im Ausland der der italienischen Repubblica und dem Vernehmen nach weiteren Zeitungen. Offenbar mit einer Sperrfrist versehen, so daß sie es nun heute zeitgleich publizieren.

Grass war immer gleichermaßen eitel und von Sendungs­bewußtsein durchtränkt. Jetzt wollte er offenbar noch einmal einen großen Auftritt inszenieren. Den Auftritt des alten Mimen, der unbedingt ein letztes Mal auf die Bühne will. Es war nur noch ein Gelalle.

Man sollte ihm nicht auf den Leim gehen, diesem Mann, der sich seit einem halben Jahrhundert einbildet, er sei zum praeceptor germaniae berufen, zum Lehrer Deutschlands. Er ist kein Lehrer, er ist ein Narr. Man sollte über diesen peinlichen Abtritt von der Bühne zur Tagesordnung übergehen.
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Zettel



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