Der Schriftsteller Günter Grass hat ein schlechtes Gedicht geschrieben, das absurde Behauptungen enthält; beispielsweise diejenige, Israel beanspruche das "Recht auf den Erstschlag, der das ... iranische Volk auslöschen könnte". Was sonst noch alles sachlich falsch an den politischen Aussagen ist, die dieses Gedicht enthält, das hat Richard Herzinger zusammengestellt. Sie konnten das Wichtigste auch in diesem Blog lesen (Günter Grass über Israel; ZR vom 4. 4. 2012).
Mein Artikel vor einer Woche trug den Untertitel "Das Gelalle eines alten Mannes. Man sollte ihm nicht auf den Leim gehen". Die Leimrute, die Grass ausgelegt hatte, war die gezielte Provokation. Er wollte die große Diskussion in Deutschland; im Mittelpunkt der Nobelpreisträger.
Das Timing war perfekt; unmittelbar vor der nachrichtenarmen Zeit des Osterfests. Die Vögel flogen auf den Leim. Da sitzen sie jetzt; und jeder, der da sitzt, lockt weitere an. Grass hat seine Debatte. Kaum jemand wird in diesen Tagen in Deutschland häufiger zitiert, wird öfter kommentiert als Günter Grass.
Es ist die falsche Debatte. Sie kreist überwiegend um Belanglosigkeiten.
Ist Grass ein Antisemit? Ja, wen sollte das denn interessieren? Vielleicht ist er einer, vielleicht nicht. Wir können ihm nicht ins Herz schauen; und was ein Antisemit ist, will ja auch erst einmal definiert sein.
Hat seine jetzige Stellungnahme etwas damit zu tun, daß er als 17jähriger noch kurz bei der Waffen-SS gewesen war und das jahrzehntelang verschwieg? Vielleicht, vielleicht nicht. Was soll diese Amateurpsychologie denn erbringen?
Die richtige Reaktion auf die Grass'sche Provokation wäre gewesen: Tiefer hängen. Zur Kenntnis nehmen, daß sich hier ein eitler Mann selbst diskreditiert hat; als Lyriker und als politischer Autor gleichermaßen.
Ich hätte das gewünscht und habe mich deshalb an der weiteren Debatte auch nicht beteiligt; sieht man von Hinweisen auf zwei Reaktionen ab, nämlich die des Iran und diejenige der deutschen Ostermarschierer.
Da aber die Debatte offenbar nicht abreißt und inzwischen auch ein kluger und honoriger Mann wie Alfred Grosser als eine Art Eideshelfer für Grass auftritt, möchte ich doch noch eine Anmerkung machen.
Über die Person Grass zu diskutieren ist fruchtlos; verschwendete Tinte, auch wenn es nicht die letzte ist. Die jetzt wieder stattfindende übliche deutsche Nabelschau über "unser Verhältnis zu Israel", über Antisemitismus, über das, was man sagen oder angeblich nicht sagen "darf" - ebenfalls geschenkt. Das ist alles ausgelutscht wie ein Kaugummi unter der Schulbank, der von Klasse zu Klasse weitergereicht wird.
Da aber nun schon debattiert wird, was das Zeug hält: Dann sollte man doch bitte über das debattieren, was relevant ist.
Relevant ist nicht die Psyche des Schriftstellers Grass und auch nicht das Unbewußte oder vielleicht eher Vorbewußte in der deutschen Seele. Relevant ist die Lage im Nahen Osten.
Als Titelbild sehen Sie eine Landkarte mit der Reichweite der iranischen Shahab-3-Rakete. Sie ist so etwas wie das Arbeitspferd der iranischen Raketentruppe, einer Teilorganisation der AFAGIR (Aerospace Force of the Army of the Guardians of the Islamic Revolution; Luftstreitkräfte der Armee der Wächter der Islamischen Revolution). Die Shahab-3 wurde bereits 2003 in Dienst gestellt, nachdem sie ab 1998 getestet worden war. Sie ist das Nachfolgemodell der Shahab-Raketen 1 und 2, die auf die nordkoreanische Rakete Rodong zurückgehen.
Inzwischen hat der Iran weitere Raketen mit größerer, teilweise noch unbekannter Reichweite entwickelt, die Fajr-2 mit Mehrfach-Sprengköpfen (MIRVs), die Ghadr-110, eine Weiterentwicklung der Shahab-3; und die Ashoura, ebenfalls eine Mittelstreckenrakete, die aber als Feststoffrakete schneller einsatzbereit ist als die Shahab-3 und ihre Nachfolger. Weiteres zur iranischen Raketenrüstung, Stand allerdings 2008, finden Sie hier: Laut Außenminister Steinmeier gibt es keine iranischen Raketen, die eine Bedrohung darstellen. Eine davon wurde gestern gezündet; ZR vom 18. 8. 2008.
Diese Raketenrüstung, die den gesamten Nahen Osten bedroht, ist eine Seite dessen, was der Iran auf verschiedenen Wegen anstrebt: Die Hegemonie in der Region.
Solange im Irak amerikanische Truppen standen, gab es hierzu ein Gegengewicht. Dieses ist jetzt weggefallen. Der schiitisch dominierte Irak steht unter massiven Einfluß des Iran; im Libanon operiert die vom Iran gesteuerte Hisbollah; der Gazastreifen wird von der inzwischen ebenfalls wesentlich vom Iran abhängigen Hamas regiert. In Syrien ist Präsident Assad zunehmend auf die Hilfe des Iran angewiesen. Sollte er sich behaupten, dann wird auch dieses Land künftig zur unmittelbaren Einflußsphäre des Iran gehören.
Zu debattieren wäre darüber, was diese neue Situation im Nahen Osten geostrategisch bedeutet; was sie auch an Reaktionen der deutschen Außenpolitik verlangt. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach der Sicherheit Israels anders als bisher; George Friedman hat das kürzlich analysiert (siehe "Ohne die Billigung der USA könnte Israel die iranische Atomrüstung nicht angreifen"; ZR vom 5. 4. 2012).
Die Sicherheit Israels ist ein Moment innerhalb dieser neuen Dynamik, die sich durch den Abzug der USA aus dem Irak und das Hegemonialstreben des Iran jetzt im Nahen Osten entwickelt. Andere Momente sind die stattgehabten oder möglicherweise bevorstehenden Regimewechsel in Ländern wie Ägypten und Syrien, welche Islamisten an die Macht gebracht haben oder sehr wahrscheinlich an die Macht bringen werden. Weitere Momente sind die alte Konfrontation zwischen Persien und Arabien sowie der in verschiedenen Formen anzutreffende Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten.
Beiträge zu diesen Themenbereichen finden Sie in der Serie "Aufruhr in Arabien". Aktuell wird es in den kommenden Wochen nicht nur um das Schicksal des Assad-Regimes in Syrien gehen, sondern vor allem auch darum, ob bei der Wahl des ägyptischen Präsidenten im Mai/Juni ein gemäßigter Islamist siegt oder der Salafist Hasim Salah Abu Ismail, dessen Vorbild der Iran ist und der den Friedensvertrag mit Israel aufkündigen will (siehe Die Lage in Ägypten vor den Präsidentschaftswahlen. Die Frage ist nur noch, wie radikal der islamistische Sieger sein wird; ZR vom 10. 4. 2012).
Dies ist die politische Lage, in die das Verhältnis Deutschlands zu Israel eingebettet ist. Darüber sollte debattiert werden; und nicht über das Gedicht, die Psyche und die Biografie von Günter Grass.
Und wenn es denn schon politische Lyrik sein soll, dann empfehle ich Ihnen das, was Harald Martenstein im "Tagesspiegel" gedichtet hat:
Mein Artikel vor einer Woche trug den Untertitel "Das Gelalle eines alten Mannes. Man sollte ihm nicht auf den Leim gehen". Die Leimrute, die Grass ausgelegt hatte, war die gezielte Provokation. Er wollte die große Diskussion in Deutschland; im Mittelpunkt der Nobelpreisträger.
Das Timing war perfekt; unmittelbar vor der nachrichtenarmen Zeit des Osterfests. Die Vögel flogen auf den Leim. Da sitzen sie jetzt; und jeder, der da sitzt, lockt weitere an. Grass hat seine Debatte. Kaum jemand wird in diesen Tagen in Deutschland häufiger zitiert, wird öfter kommentiert als Günter Grass.
Es ist die falsche Debatte. Sie kreist überwiegend um Belanglosigkeiten.
Ist Grass ein Antisemit? Ja, wen sollte das denn interessieren? Vielleicht ist er einer, vielleicht nicht. Wir können ihm nicht ins Herz schauen; und was ein Antisemit ist, will ja auch erst einmal definiert sein.
Hat seine jetzige Stellungnahme etwas damit zu tun, daß er als 17jähriger noch kurz bei der Waffen-SS gewesen war und das jahrzehntelang verschwieg? Vielleicht, vielleicht nicht. Was soll diese Amateurpsychologie denn erbringen?
Die richtige Reaktion auf die Grass'sche Provokation wäre gewesen: Tiefer hängen. Zur Kenntnis nehmen, daß sich hier ein eitler Mann selbst diskreditiert hat; als Lyriker und als politischer Autor gleichermaßen.
Ich hätte das gewünscht und habe mich deshalb an der weiteren Debatte auch nicht beteiligt; sieht man von Hinweisen auf zwei Reaktionen ab, nämlich die des Iran und diejenige der deutschen Ostermarschierer.
Da aber die Debatte offenbar nicht abreißt und inzwischen auch ein kluger und honoriger Mann wie Alfred Grosser als eine Art Eideshelfer für Grass auftritt, möchte ich doch noch eine Anmerkung machen.
Über die Person Grass zu diskutieren ist fruchtlos; verschwendete Tinte, auch wenn es nicht die letzte ist. Die jetzt wieder stattfindende übliche deutsche Nabelschau über "unser Verhältnis zu Israel", über Antisemitismus, über das, was man sagen oder angeblich nicht sagen "darf" - ebenfalls geschenkt. Das ist alles ausgelutscht wie ein Kaugummi unter der Schulbank, der von Klasse zu Klasse weitergereicht wird.
Da aber nun schon debattiert wird, was das Zeug hält: Dann sollte man doch bitte über das debattieren, was relevant ist.
Relevant ist nicht die Psyche des Schriftstellers Grass und auch nicht das Unbewußte oder vielleicht eher Vorbewußte in der deutschen Seele. Relevant ist die Lage im Nahen Osten.
Als Titelbild sehen Sie eine Landkarte mit der Reichweite der iranischen Shahab-3-Rakete. Sie ist so etwas wie das Arbeitspferd der iranischen Raketentruppe, einer Teilorganisation der AFAGIR (Aerospace Force of the Army of the Guardians of the Islamic Revolution; Luftstreitkräfte der Armee der Wächter der Islamischen Revolution). Die Shahab-3 wurde bereits 2003 in Dienst gestellt, nachdem sie ab 1998 getestet worden war. Sie ist das Nachfolgemodell der Shahab-Raketen 1 und 2, die auf die nordkoreanische Rakete Rodong zurückgehen.
Inzwischen hat der Iran weitere Raketen mit größerer, teilweise noch unbekannter Reichweite entwickelt, die Fajr-2 mit Mehrfach-Sprengköpfen (MIRVs), die Ghadr-110, eine Weiterentwicklung der Shahab-3; und die Ashoura, ebenfalls eine Mittelstreckenrakete, die aber als Feststoffrakete schneller einsatzbereit ist als die Shahab-3 und ihre Nachfolger. Weiteres zur iranischen Raketenrüstung, Stand allerdings 2008, finden Sie hier: Laut Außenminister Steinmeier gibt es keine iranischen Raketen, die eine Bedrohung darstellen. Eine davon wurde gestern gezündet; ZR vom 18. 8. 2008.
Diese Raketenrüstung, die den gesamten Nahen Osten bedroht, ist eine Seite dessen, was der Iran auf verschiedenen Wegen anstrebt: Die Hegemonie in der Region.
Solange im Irak amerikanische Truppen standen, gab es hierzu ein Gegengewicht. Dieses ist jetzt weggefallen. Der schiitisch dominierte Irak steht unter massiven Einfluß des Iran; im Libanon operiert die vom Iran gesteuerte Hisbollah; der Gazastreifen wird von der inzwischen ebenfalls wesentlich vom Iran abhängigen Hamas regiert. In Syrien ist Präsident Assad zunehmend auf die Hilfe des Iran angewiesen. Sollte er sich behaupten, dann wird auch dieses Land künftig zur unmittelbaren Einflußsphäre des Iran gehören.
Zu debattieren wäre darüber, was diese neue Situation im Nahen Osten geostrategisch bedeutet; was sie auch an Reaktionen der deutschen Außenpolitik verlangt. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach der Sicherheit Israels anders als bisher; George Friedman hat das kürzlich analysiert (siehe "Ohne die Billigung der USA könnte Israel die iranische Atomrüstung nicht angreifen"; ZR vom 5. 4. 2012).
Die Sicherheit Israels ist ein Moment innerhalb dieser neuen Dynamik, die sich durch den Abzug der USA aus dem Irak und das Hegemonialstreben des Iran jetzt im Nahen Osten entwickelt. Andere Momente sind die stattgehabten oder möglicherweise bevorstehenden Regimewechsel in Ländern wie Ägypten und Syrien, welche Islamisten an die Macht gebracht haben oder sehr wahrscheinlich an die Macht bringen werden. Weitere Momente sind die alte Konfrontation zwischen Persien und Arabien sowie der in verschiedenen Formen anzutreffende Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten.
Beiträge zu diesen Themenbereichen finden Sie in der Serie "Aufruhr in Arabien". Aktuell wird es in den kommenden Wochen nicht nur um das Schicksal des Assad-Regimes in Syrien gehen, sondern vor allem auch darum, ob bei der Wahl des ägyptischen Präsidenten im Mai/Juni ein gemäßigter Islamist siegt oder der Salafist Hasim Salah Abu Ismail, dessen Vorbild der Iran ist und der den Friedensvertrag mit Israel aufkündigen will (siehe Die Lage in Ägypten vor den Präsidentschaftswahlen. Die Frage ist nur noch, wie radikal der islamistische Sieger sein wird; ZR vom 10. 4. 2012).
Dies ist die politische Lage, in die das Verhältnis Deutschlands zu Israel eingebettet ist. Darüber sollte debattiert werden; und nicht über das Gedicht, die Psyche und die Biografie von Günter Grass.
Und wenn es denn schon politische Lyrik sein soll, dann empfehle ich Ihnen das, was Harald Martenstein im "Tagesspiegel" gedichtet hat:
Ich habe aus neueren Originalzitaten des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad ein zweites Gedicht gebastelt, das es an literarischer Kraft ohne Weiteres mit dem Werk des deutschen Nobelpreisträgers aufnehmen kann.Und so fort. Das Gedicht ist noch länger. Ich könnte es ganz zitieren, denn die Worte Ahmadinedschads dürften keinem Copyright unterliegen. Ich breche aber hier ab. Lesen Sie selbst; der Artikel Harald Martensteins ist auch sonst, wie so vieles von ihm, sehr zu empfehlen.
„Das zionistische Regime beruht
auf vielen Lügen.
Eine davon ist der Holocaust.
Der israelische Staat ist eine Krebszelle. Der Iran ist entschlossen,
Israel auszulöschen.
Israel muss von der Landkarte
des Nahen Ostens getilgt werden.
Israel ist ein künstliches Land,
entstanden durch eine Lüge.
Der Holocaust – ein Märchen,
das als Vorwand für Verbrechen
gegen die Menschheit benutzt wird.
Der Iran ist entschlossen,
Israel auszulöschen. (...)"
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Die Karte basiert auf Daten des CIA Factbook und wurde vom Autor Hashekemist in die Public Domain gestellt. Mit Dank an patzer.