2. April 2012

Zettels Meckerecke: Schweizer Haftbefehle, die SPD und das Bundesverdienstkreuz. Häßlicher kann er kaum noch sein, der Deutsche

Drei Männer werden von der Schweizer Bundesanwaltschaft in Bern mit Haftbefehl gesucht, weil nach deren Erkenntnissen der Verdacht besteht, daß sie sich in der Schweiz strafbar gemacht haben. Der Fall schlägt Wellen. Wie reagiert die SPD? Einer ihrer Spitzenleute macht einen Vorschlag:
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, fordert, die Steuer­fahnder mit dem Bundesverdienstkreuz auszuzeichnen.

Der "Bild"-Zeitung sagte er, sie hätten sich mit ihrem "Kampf gegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung um den Rechtsstaat verdient gemacht". Die Bundesregierung müsse die deutschen Fahnder schützen und gegen die Schweizer Haftbefehle vorgehen.
Wie denn die Bundesregierung gegen die Schweizer Haftbefehle "vorgehen" soll, sagte der Volljurist Oppermann nicht. Es wäre interessant, zu erfahren, welche juristischen Wege er kennt, gegen Haftbefehle in einem anderen demokratischen Rechtsstaat vorzugehen, die von der dortigen unabhängigen Justiz erlassen wurden. In diesem Fall von der Bundesanwaltschaft in Bern, deren Motto lautet:
Für das Recht unabhängig
Mit Menschen fair
Gegen Verbrechen konsequent
Für das Recht unabhängig ist sie, diese Bundesstaatsanwaltschaft. Will Oppermann, indem Deutschland gegen die Haftbefehle "vorgeht", die Schweizer Regierung dazu zwingen, gegen diese Unabhängigkeit zu verstoßen? Wie soll die Regierung in Bern das denn tun? Indem sie die Schweizer Gesetze bricht?

Und mit welchen Mitteln will Oppermann sie dazu zwingen? Boykott von Uhren und Käse aus der Schweiz? Oder will er vielleicht die Bundeswehr mit dem Säbel rasseln lassen? Teilmobilisierung an der deutsch-schweizer Grenze?



Sie finden, das mit dem Säbelrasseln gehe zu weit, auch für eine "Meckerecke"? Natürlich wäre das absurd. Aber wie anders als mit einer Übertreibung ins Absurde will man denn noch dem beikommen, was Oppermann sich herausnimmt? Oder beispielsweise die SPD-Wahlkämpferin Hannelore Kraft, die den Erlaß der Haftbefehle einen "ungeheuerlichen Vorgang" nannte. Ungeheuerlich findet es diese Politikerin, daß die unabhängige Justiz eines demokratischen Rechtsstaats ihre Pflicht tut und einem Verdacht nachgeht.

Natürlich ist die Empörtheit gespielt. Es geht um etwas Anderes. Es geht um den Wahlkampf der SPD. Jetzt in NRW; vor allem aber 2013 im Bund. Heute kann man beispielsweise in "Zeit-Online" dies lesen:
Der frühere Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) hat seiner Partei geraten, im kommenden Bundestagswahlkampf für höhere Steuern zu werben. (...) "Ich bin dafür, dass die Sozialdemokratie offensiv den Standpunkt vertritt, in Teilbereichen Steuern zu erhöhen", sagte Steinbrück, der als möglicher SPD-Kanzlerkandidat gehandelt wird.
Bereits Anfang des Jahres gab es Meldungen, nach denen die Steuerpolitik ein Hauptthema des Wahlkampfs 2013 werden dürfte.

Das Thema "Steuern" ist für den Bürger ambivalent. Er selbst will in der Regel weniger Steuern zahlen (sofern er überhaupt welche zahlt); aber vor allem in den Wohlfahrtsstaaten möchte er gern, daß andere mehr Steuern zahlen, um die sozialen Wohltaten zu finanzieren, von denen er profitiert.

Einst galt die Vorstellung, das Volk könne selbst höhere Steuern für sich fordern, als so absurd, daß Lewis Carroll seinen surreal-vertrackten Roman "Sylvie und Bruno" mit der Verrücktheit beginnen läßt, daß das Volk einen Aufzug vor dem Regierungsgebäude veranstaltet und nach höheren Steuern ruft (siehe Staatsmacht; ZR vom 22. 8. 2006).

Heute rechnet sich der mögliche Kanzlerkandidat Steinbrück Chancen aus, wenn er mit der Forderung nach Steuererhöhungen in einen Wahlkampf zieht. So haben sich die Zeiten geändert. Carrolls Satire ist Realität geworden.



Das ist die eine Seite von Oppermanns Vorstoß: Das Thema "Steuern" soll, zum Zweck der Vorbereitung des Wahlkampfs 2013, assoziativ mit den Reichen, mit Steuerhinterziehungen, mit Steuerfahndung in Zusammenhang gebracht werden. Höhere Steuern sollen als mehr Gerechtigkeit verkauft werden. Also werden Steuerfahnder als edle Ritter dargestellt, die der deutsche Staat mit einem Orden auszeichnen sollte.

Auch wenn sie - und das ist die andere Seite - nach Ansicht der zuständigen Schweizer Behörde in dem Verdacht stehen, Straftäter zu sein.

Eine wohlbegründete Ansicht. Es war bereits im Jahr 2010, als dieser Fall seinen Anfang nahm, für jeden klar, daß die deutschen Behörden sich am Rand der Legalität bewegten - man könnte auch sagen: in der Grauzone zur Illegalität -, als sie entschieden, sich als Hehler zu betätigen und eine in der Schweiz von Kriminellen beschaffte CD mit Bankdaten "anzukaufen". Vielleicht mögen Sie den Artikel nachlesen, in dem ich damals als die Meinung von Strafverteidigern dies zitiert habe:
Der Staat setze sich mit dem Datendieb an einen Tisch. Er belohnt für das Delikt, erzeugt einen ganzen Markt krimineller Datensammler und macht sich nebenbei auch noch selbst zum Datenhehler. Kurz gesagt: Um eine mittelschwere Straftat (Steuerbetrug) zu verfolgen, begehen Organe des Rechtsstaats selbst Straftaten (Hehlerei, Begünstigung, Beihilfe zur strafbaren Verwertung von Geschäftsgeheimnissen, Hehlerei). Ein rechtswidrig handelnder Staat habe jede Legitimation verloren, die Gerechtigkeit wiederherzustellen. (Der Finanzminister als Hehler?; ZR vom 31. 1. 2010)
Und damals, im Februar 2010, schrieb der promovierte Jurist und "Spiegel-Redakteur" Thomas Darnstädt:
Der Staat nimmt sich das Recht, das Recht zu brechen, weil seine Politiker so eigene Vorstellungen von Gerechtigkeit haben wie SPD-Chef Sigmar Gabriel, der haarscharf am Problem vorbei das heikle Geschäft rechtfertigen will: "Wir können Gauner nicht laufen lassen, nur weil sie von Ganoven entlarvt werden." (...)

Ist das die SPD-Gerechtigkeit - selbst zum Gauner zu werden, um Steuersünder zu fangen? Wer meint, der Zweck, den Steuersack zu füllen, heilige die Mittel, zeigt, dass er ein taktisches Verhältnis zum Rechtsstaat hat. Er maßt sich an, über dem Strafrecht zu stehen: Der Ankauf gestohlener Ware um des eigenen Vorteils willen ist Hehlerei, Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, der Versuch ist strafbar. (...)

Wenn der Staat sich sein Recht selbst sucht, warum nicht erst recht der Bürger?
Auch das habe ich damals kommentiert: "Der Staat nimmt sich das Recht, das Recht zu brechen". Noch einmal zum Staat als Hehler; ZR vom 2.2. 2010.

Später hat das Bundesverfassungsgericht sich mit der Frage befaßt, ob solche Daten von den Behörden verwendet werden dürfen (in diesem konkreten Fall zur Begründung einer Haussuchung); unabhängig davon, ob deren Beschaffer "nach innerstaatlichem Recht rechtswidrig oder gar strafbar gehandelt" hatten. Dies hat das Gericht bejaht, denn:
Die Unzulässigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Beweiserhebung führt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht ohne weiteres zu einem Beweisverwertungsverbot.
Das ist der entscheidende Punkt: Nach diesem Urteil darf der Staat sich solcher Daten bedienen, auch wenn es bei ihrer Beschaffung zu Rechtsverstößen kam. Aber damit bleiben es natürlich rechtswidrige oder strafbare Handlungen. Nichts an der deutschen Rechtslage rechtfertigt es, dies von vornherein in Zweifel zu ziehen.

Solchen Rechtsverstößen geht die Schweizer Bundes­anwalt­schaft jetzt nach. Wie es sich in einem Rechtsstaat gehört, hat sie die Haftbefehle nach sorgfältiger Prüfung und Abwägung erlassen. Dazu die "Financial Times Deutschland":
"Es besteht der konkrete Verdacht, dass aus Deutschland klare Aufträge gegeben worden sind zum Ausspionieren von Informationen der Credit Suisse", sagte der Schweizer Bundesanwalt Michael Lauber am Samstag im Schweizer Radio DRS.
Von wem diese Aufträge kamen, sagte der Bundesanwalt nicht. Möglicherweise hatten die drei Steuerfahnder, die jetzt per Haftbefehl gesucht werden, Hintermänner in deutschen Behörden.



Der Rechtsstaat Deutschland sollte dem Rechtsstaat Schweiz Amtshilfe leisten und die drei Gesuchten festnehmen; wie es dann weitergeht, wird nach den geltenden Gesetzen zu entscheiden sein.

Das Verfahren wird dann jedenfalls in der Schweiz seinen geordneten Gang gehen. Vielleicht werden die jetzt Gesuchten freigesprochen, vielleicht werden sie verurteilt. Falls sie sich des Verstoßes gegen Schweizer Gesetze schuldig gemacht haben, wird natürlich auch zu klären sein, welche Anstifter und Mitwisser es möglicherweise in den deutschen Behörden gegeben hat.

Ja gewiß, ich scherze. Natürlich wird das nicht geschehen. Die Bundesrepublik benimmt sich in dieser Sache der Schweiz gegenüber wie das Wilhelminische Deutschland gegenüber den Völkern, denen man sich überlegen wähnte: rücksichtslos, großkotzig, arrogant.

Die Forderung Oppermanns, denjenigen auch noch das Bundesverdienstkreuz zu verleihen, die von der Schweizer Justiz als Verdächtige betrachtet werden, ist - von der juristischen Seite ganz abgesehen - Ausdruck einer unverschämten Überheblichkeit. Es ist eine Beleidigung, eine Verhöhnung des Schweizer Rechtsstaats.

Da ist er wieder, der häßliche Deutsche; häßlicher geht es kaum noch. Oppermann darf so etwas sagen, ohne daß ein Aufschrei der Empörung durch die deutsche Öffentlichkeit geht und er am nächsten Tag sein Amt los ist.

Die Deutschen benehmen sich in dieser Affäre mehrheitlich so, wie viele Schweizer sie ohnehin sehen (Deutsche in der Schweiz. Unüberbrückbare Mißverständnisse? Nein, nur eine gewisse Ungleichzeitigkeit. Eine Antwort an Manfred Messmer; ZR vom 7. 11. 2010). Nein, sie benehmen sich schlimmer; erheblich schlimmer.­
Zettel



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