Bis zu den Wahlen ist es noch immer ein gutes halbes Jahr. Der eigentliche Wahlkampf zwischen Obama und Romney hat noch gar nicht begonnen. Aber eines läßt sich jetzt schon sagen: Während es Ende vergangenen Jahres noch so aussah, als ginge der Präsident einer Niederlage entgegen, spricht inzwischen mehr für seine Wiederwahl. Das ist eine Momentaufnahme. Es kann sich noch sehr viel ändern. Aber die Ausgangsposition von Obama hat sich gebessert.
Gallup hat dazu gestern ein Gespräch seines Chefredakteurs Frank Newport mit dem Politologen Christopher Wlezien veröffentlicht, das ich im folgenden zusammenfasse. Wlezien ist Spezialist für die Analyse von Präsidentschaftswahlen in den USA und hat dazu gerade zusammen mit Robert S. Erikson das Buch The timeline of presidential elections publiziert. Er nennt folgende Punkte:
1. Die aktuellen Umfrageergebnisse. Obama liegt gegenwärtig bei den meisten Instituten knapp (ungefähr drei Prozentpunkte) vor Romney. Das besagt noch wenig, ist aber jedenfalls keine ungünstige Ausgangsposition.
2. Zufriedenheit mit Obamas Amtführung. Die Zustimmung zu Obamas Amtsführung (job approval) liegt jetzt bei ungefähr 50 Prozent. Als Faustregel aufgrund vorausgegangener Wahlen gilt, daß ein Präsident gute Chancen auf eine Wiederwahl hat, wenn er im April über 48 bis 49 Prozent (dem sogenannten cutting point) liegt. Präsidenten, die wie Carter und Bush sen., nicht wiedergewählt wurden, lagen zu diesem Zeitpunkt deutlich niedriger (Carter bei 43 Prozent, Bush bei 42 Prozent).
3. Meinung von Politologen. Im März wurden 18 Politologen nach ihrer Vorhersage des Wahlergebnisses gefragt. Gemittelt ergab sich 51,6 Prozent für Obama gegen 48,4 Prozent für Romney. Wlezien hebt allerdings hervor, daß es keine gesicherte Daten darüber gibt, wie gut solche Vorhersagen von Politologen zu einem so frühen Zeitpunkt sind.
4. Erwartung von Wählern. Fragt man die Amerikaner nicht, wen sie selbst wählen werden, sondern wessen Sieg sie erwarten, dann liegt (anders als noch im Januar) auch hier Obama inzwischen vorn: 56 Prozent erwarten seinen Sieg, nur 40 Prozent den Romneys. Solche Daten sind erfahrungsgemäß recht gute Indikatoren für einen Wahlausgang.
5. Wirtschaftliche Entwicklung. Hier ist das Bild zwiespältig. Einerseits wächst das Vertrauen in eine positive Entwicklung der amerikanischen Wirtschaft; es liegt jetzt sogar höher als in vorausgehenden Wahljahren zum selben Zeitpunkt. Aber die Einkommen sind in den letzten drei Jahren der Obama-Regierung so gut wie nicht gestiegen, und die Arbeitslosigkeit ist noch immer hoch.
6. Wettmärkte. Wir kennen das in Deutschland von Wahlstreet: Quasi-Aktienmärkte, auf denen die Bewerber oder Parteien "gehandelt" werden. Sie sagen im Schnitt einen Sieg Obamas mit einer Wahrscheinlichkeit von ungefähr 60 Prozent vorher.
Wleziens Fazit: "A slight edge for Obama, but a long way to go" - Ein kleiner Vorsprung für Obama, aber noch ein weiter Weg. Und lachend fügte er auf eine entsprechende Frage Newports hinzu: Ich würde auf Obama setzen, aber keinen großen Betrag.
Zur Vorsicht rät auch Nate Silver.
Was Umfragen angeht, macht er darauf aufmerksam, daß sie für die Wahl selbst anders interpretiert müssen als für Vorwahlen. Dort sind vor allem die jeweils letzten Umfragen wichtig, weil sich die Meinungen schnell ändern. Die Entscheidung eines Wählers für Romney oder Obama reift hingegen langsam heran und ist dann nicht mehr leicht umzustoßen. Das Auf und Ab der Umfragewerte besagt deshalb jetzt überhaupt noch nichts; erst ab Oktober wird so etwas interessant.
Silver betont dann etwas, das Sie auch in dieser Serie immer wieder lesen konnten: Daten jedes einzelnen Instituts sind mit größter Zurückhaltung zu interpretieren. Um zu guten Prognosen zu kommen, muß man die Daten aller Institute aggregieren - und zwar am besten gewichtet; mit unterschiedlichem Gewicht je nach der bisherigen Leistung dieses Instituts, der Größe der Stichprobe, der Befragungsmethode usw. Sodann ist es wichtig, ob die Stichprobe aus allen registrierten Wählern gezogen wird, oder ob in sie nur likely voters eingehen, also Personen, die wahrscheinlich wählen gehen werden.
Wie Wlezien sieht auch Silver den Schlüssel zu einer guten Vorhersage nicht nur in den Umfragedaten, sondern auch im job approval und vor allem den wirtschaftlichen Daten. Auch für diese gilt wie für Umfragewerte: Man sollte keinem einzigen Indikator große Bedeutung beimessen. Erst wenn man sie gewichtet und integriert, hat man eine einigermaßen solide Grundlage für Prognosen. Auch sollte man keinem einzelnen Institut vertrauen, sondern alle Prognosen aggregieren.
Und schließlich macht Silver darauf aufmerksam, wie schmal die Erfahrungsbasis ist, was frühere Wahlen angeht. Ganze 16 Präsidentschaftswahlen haben seit dem Zweiten Weltkrieg stattgefunden. "Regeln", die jetzt verbreitet werden ("Noch nie hat ein Präsident in letzter Zeit verloren, wenn er bei den Vorwahlen keinen Herausforderer hatte", "Noch nie wurde ein Präsident wiedergewählt, wenn die Arbeitslosigkeit über 8 Prozent lag") sind da von geringem Wert.
Gallup hat dazu gestern ein Gespräch seines Chefredakteurs Frank Newport mit dem Politologen Christopher Wlezien veröffentlicht, das ich im folgenden zusammenfasse. Wlezien ist Spezialist für die Analyse von Präsidentschaftswahlen in den USA und hat dazu gerade zusammen mit Robert S. Erikson das Buch The timeline of presidential elections publiziert. Er nennt folgende Punkte:
1. Die aktuellen Umfrageergebnisse. Obama liegt gegenwärtig bei den meisten Instituten knapp (ungefähr drei Prozentpunkte) vor Romney. Das besagt noch wenig, ist aber jedenfalls keine ungünstige Ausgangsposition.
2. Zufriedenheit mit Obamas Amtführung. Die Zustimmung zu Obamas Amtsführung (job approval) liegt jetzt bei ungefähr 50 Prozent. Als Faustregel aufgrund vorausgegangener Wahlen gilt, daß ein Präsident gute Chancen auf eine Wiederwahl hat, wenn er im April über 48 bis 49 Prozent (dem sogenannten cutting point) liegt. Präsidenten, die wie Carter und Bush sen., nicht wiedergewählt wurden, lagen zu diesem Zeitpunkt deutlich niedriger (Carter bei 43 Prozent, Bush bei 42 Prozent).
3. Meinung von Politologen. Im März wurden 18 Politologen nach ihrer Vorhersage des Wahlergebnisses gefragt. Gemittelt ergab sich 51,6 Prozent für Obama gegen 48,4 Prozent für Romney. Wlezien hebt allerdings hervor, daß es keine gesicherte Daten darüber gibt, wie gut solche Vorhersagen von Politologen zu einem so frühen Zeitpunkt sind.
4. Erwartung von Wählern. Fragt man die Amerikaner nicht, wen sie selbst wählen werden, sondern wessen Sieg sie erwarten, dann liegt (anders als noch im Januar) auch hier Obama inzwischen vorn: 56 Prozent erwarten seinen Sieg, nur 40 Prozent den Romneys. Solche Daten sind erfahrungsgemäß recht gute Indikatoren für einen Wahlausgang.
5. Wirtschaftliche Entwicklung. Hier ist das Bild zwiespältig. Einerseits wächst das Vertrauen in eine positive Entwicklung der amerikanischen Wirtschaft; es liegt jetzt sogar höher als in vorausgehenden Wahljahren zum selben Zeitpunkt. Aber die Einkommen sind in den letzten drei Jahren der Obama-Regierung so gut wie nicht gestiegen, und die Arbeitslosigkeit ist noch immer hoch.
6. Wettmärkte. Wir kennen das in Deutschland von Wahlstreet: Quasi-Aktienmärkte, auf denen die Bewerber oder Parteien "gehandelt" werden. Sie sagen im Schnitt einen Sieg Obamas mit einer Wahrscheinlichkeit von ungefähr 60 Prozent vorher.
Wleziens Fazit: "A slight edge for Obama, but a long way to go" - Ein kleiner Vorsprung für Obama, aber noch ein weiter Weg. Und lachend fügte er auf eine entsprechende Frage Newports hinzu: Ich würde auf Obama setzen, aber keinen großen Betrag.
Zur Vorsicht rät auch Nate Silver.
Was Umfragen angeht, macht er darauf aufmerksam, daß sie für die Wahl selbst anders interpretiert müssen als für Vorwahlen. Dort sind vor allem die jeweils letzten Umfragen wichtig, weil sich die Meinungen schnell ändern. Die Entscheidung eines Wählers für Romney oder Obama reift hingegen langsam heran und ist dann nicht mehr leicht umzustoßen. Das Auf und Ab der Umfragewerte besagt deshalb jetzt überhaupt noch nichts; erst ab Oktober wird so etwas interessant.
Silver betont dann etwas, das Sie auch in dieser Serie immer wieder lesen konnten: Daten jedes einzelnen Instituts sind mit größter Zurückhaltung zu interpretieren. Um zu guten Prognosen zu kommen, muß man die Daten aller Institute aggregieren - und zwar am besten gewichtet; mit unterschiedlichem Gewicht je nach der bisherigen Leistung dieses Instituts, der Größe der Stichprobe, der Befragungsmethode usw. Sodann ist es wichtig, ob die Stichprobe aus allen registrierten Wählern gezogen wird, oder ob in sie nur likely voters eingehen, also Personen, die wahrscheinlich wählen gehen werden.
Wie Wlezien sieht auch Silver den Schlüssel zu einer guten Vorhersage nicht nur in den Umfragedaten, sondern auch im job approval und vor allem den wirtschaftlichen Daten. Auch für diese gilt wie für Umfragewerte: Man sollte keinem einzigen Indikator große Bedeutung beimessen. Erst wenn man sie gewichtet und integriert, hat man eine einigermaßen solide Grundlage für Prognosen. Auch sollte man keinem einzelnen Institut vertrauen, sondern alle Prognosen aggregieren.
Und schließlich macht Silver darauf aufmerksam, wie schmal die Erfahrungsbasis ist, was frühere Wahlen angeht. Ganze 16 Präsidentschaftswahlen haben seit dem Zweiten Weltkrieg stattgefunden. "Regeln", die jetzt verbreitet werden ("Noch nie hat ein Präsident in letzter Zeit verloren, wenn er bei den Vorwahlen keinen Herausforderer hatte", "Noch nie wurde ein Präsident wiedergewählt, wenn die Arbeitslosigkeit über 8 Prozent lag") sind da von geringem Wert.
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Das Lansdowne-Porträt von George Washington, gemalt von Gilbert Stuart (1796). National Portrait Gallery der Smithsonian Institution. Das Porträt zeigt Washington, wie er auf eine weitere (dritte) Amtszeit verzichtet. Links zu allen Beiträgen dieser Serie finden Sie hier. Siehe auch die Serie Der 44. Präsident der USA von 2008.