28. Februar 2021

Der Mond als Reklametafel. Nachtrag





Ne serait-ce pas un spectacle capable d’alarmer les esprits faibles et d’éveiller l’attention du clergé que de voir apparaître, sur le disque même de notre satellite, sur la face épanouie de la Lune, cette merveilleuse pointe-sèche que nous avons tous admirée sur les boulevards et qui a pour exergue : À l’Hirsute? (Villiers de l'Isle-Adam, 1873)



Wäre es nicht ein Schauspiel, das so recht geeignet wäre, empfindsame Seelen aufzuregen und den Klerus zu empören, wenn auf unserem himmlischen Begleiter, auf der hellen Mondscheibe, jener wunderbare Lockenbrenner erscheinen würde, dessen Bild wir alle auf unseren Boulevards bewundert haben und der von dem Schriftzug "Für prächtige Mähnen!" umrahmt ist?


Heinlein und Clarke mögen die bekanntesten Vorschläge unterbreitet haben, den Begleiter der Erde auf ihrer Bahn um die Sonne in eine kugelförmige Litfaßsäule (Litfaß-Kugel?) umzuwidmen - sie waren aber nicht die ersten und sind auch nicht die letzten geblieben. Das Besondere ihrer "bescheidenen Vorschläge" liegt darin, daß hier Luna höchstselbst als Träger der Werbebotschaft dienen sollte, um die nächtlichen Betrachter zum Konsum einer nicht unbekannten Getränkemarke anzuregen. Ein gleicher Fall liegt in Isaac Asimovs Kurzgeschichte "Buy Jupiter!" (zuerst erschienen in Venture Science Fiction im Mai 1958), in dem außerirdische Wesen die aus reiner Energie bestehen, den Erdlingen die Nutzungsrechte für den größten Planeten des Sonnensystems abkaufen - um ihn ebenfalls mit einer Werbebotschaft zu versehen. Asimovs Pointe liegt darin, daß der Unterhändler der Vereinten Nationen den im Geschäft offenkundig nicht sehr versierten Aliens nur die Lizenz für den Jupiter abgetreten hat: die nachfolgende Konkurrenz erhält mit dem Ringplaneten Saturn einen wesentlich markanteren Blickfang.

24. Februar 2021

Richard M. Powers 1921 | 2021





(Childhood's End, Ballantine Books 33, August 1953)

Vor fast genau einem halben Jahr habe ich an dieser Stelle aus Anlaß seines 100. Geburtstages an das Werk eines Science Fiction-Künstlers erinnert, der in den 1950er Jahren mithalf, "der Zukunft" (jedenfalls ihren populären Vorstellungen davon) "ein Gesicht zu geben: H. R. van Dongen, der zu den guten drei Dutzend Zeichnern, Illustratoren und Schöpfern von Titelbildern gehörte, die nach dem Ende der Groschenheftära der "Pulp-Magazine" und der Aufnahme von SF-Titeln in das Programm angesehener Verlage den bevorstehenden Zeiten ein Gesicht verliehen, das unmittelbar wiedererkennbar war und deren Bildfindungen bis heuute ihren Wiedererkennungswert beibehalten haben.

Aus dem gleichen Anlaß möchte ich heute an einen anderen Künstler aus diesem Metier erinnern, der zur selben Zeit und im gleichen Genre tätig war, dessen Werk aber in fast jeder Hinsicht den größtmöglichen Gegensatz zu dem van Dongens darstellt. van Dongen war ein strikt repräsentativer Künstler, seine Roboter und Raumschiffe waren "realistisch" (wenngleich sie mitunter nur symbolische Funktion hatten), sie stellen konkrete "Hardware" vor. Die Bilder von Richard M. Powers begründeten eine völlig andere Art der Visualisierung der Tropen und Versatzstücke, mit denen das Genre der Science Fiction arbeitet und an denen es zu erkennen ist. Anstatt möglichst dramatische Situationen aus den Texten wiederzugeben, setzen sie auf Andeutungen, die die Evokation: amorphe Massen, fast abstrakte Liniengebilde erinnern nicht mehr an die Art-Déco-Raumkreuzer eines Flash Gordon, die sich mit regenbogenfarbenen Energiestrahlen Raumschlachten liefern, sondern an die surrealistischen Landschaften von Joan Miró oder Yves Tanguy. Heute kann man nicht mehr so recht nachvollziehen, welche bildgebende Revolution diese Bilder darstellten, als sie in der Mitte der 1950er auf den Titeln der Taschenbuchreihen von Dell und Ballantine erschienen: heutige SF-Titel - auch bei deutschen Verlagen - sind oft kaum noch als Genreliteratur zu erkennen, so unkonkret und allgemein ist die Covergestaltung mittlerweile gehalten (es sei denn, es handelt sich um einen Titel der endlosen "Media Tie-Ins" aus den narrativen Kosmen von Star Wars und Konsorten). Aber in diesen Jahren verliehen diese Bilder eine doppelte Funktion: zum einen verliehen sie den Texten des Genres die Respektabilität, die die grellbunten Groschenhefte niemals besessen hatten, die ernsthafte Leser des Genres, die an einer literarischen Auseinandersetzung mit der Zukunft, mit den Möglichkeiten von Technik und Wissenschaft, die eben nur diese Literatursparte ermöglicht, immer reklamiert hatten. Und sie setzten eine unverkennbare "optische Duftnote," sorgten für einen unmittelbaren Wiedererkennungswert, ein Markenzeichen, daß man in der Buchhandlung an den gewünschten Artikel gekommen war.

23. Februar 2021

Werbepause. Der Mond als Reklametafel





Vor einiger Zeit habe ich an dieser Stelle versucht, die Spur eines literarischen Motivs, eines Mems, nachzuzeichnen - in diesem Fall der "Blume des Paradieses," die einem Träumer im nächtlichen Kopftheater überreicht wird, und die er beim Erwachen neben sich findet. Da sich in diesem Monat die "Wiederaufnahme" der bemannten Mondlandungen nach der fast tödlich verlaufenen Mission von Apollo 13 im April 1970 zum 50. Mal gejährt hat, möchte ich diesmal die Spur eines Witzes nachverfolgen, der offenkundig aus Anlaß des "Space Race" zwischen den beiden Supermächten UdSSR und USA vor einem halben Jahrhundert entstanden ist. Alan Shepard, Edgar Mitchell und Stuart Roosa, die am 9. Februar 1971 mit der Raumkapsel "Kitty Hawk" der Mission Apollo 14 im Pazifik wasserten, leiteten nach den beiden "vorbereitenden" Missionen die Phase der länger auf dem Erdtrabanten verweilenden Visiten ein, die mehr Instrumente platzierten und mehr Mondgestein zur Erde zurückbrachten.

19. Februar 2021

Die ESA und die Diversität: ein bescheidener Vorschlag



An Herrn Johann-Dietrich Wörner, Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) und den Ministerrat der ESA
ESA HQ
4 Rue du Général Bertrand
F-75007 Paris

Sehr geehrter Herr Wörner, sehr geehrte Damen und Herren des Ministerrats,

wie Sie vielleicht aus den Nachrichten erfahren haben, sind in diesen Tagen drei Raumfahrtmissionen beim Nachbarplaneten der Erde, dem Mars, eingetroffen: die Sonde al-Amal der Vereinten Arabischen Emirate am 9. dieses Monats, der chinesische Orbiter Tianwen-1 am folgenden Tag, und gestern hat Ihre amerikanische Schwesterbehörde NASA dort einen drei Meter langen und über zwei Meter hohen Rover gelandet, der mitsamt einem Helikopter dort nach möglichen früheren Lebensspuren suchen soll.

17. Februar 2021

Klabauterbach und der Hass: Aber ich liebe Euch doch alle!

"Ich liebe - Ich liebe doch alle - alle Menschen - Na ich liebe doch - Ich setzte mich doch dafür ein!"

                                                                                       -Erich Mielke, 13. November 1989 

Karl Lauterbach, vom einen oder anderen, auch diesem Autor, zärtlich als Klabauterbach bezeichnet, wird bedroht. Das ist, im Unterschied zu den Aussagen von vielen öffentlich "Bedrohten", ausgesprochen glaubwürdig. Und ausgesprochen schlecht: Wir leben in einem freien Land (noch), es regiert die Macht des Wortes, nicht der Faust und im Allgemeinen gilt (ebenso noch) Gewalt kaum als zulässiges Mittel der Politik. Es gibt sicher inzwischen zunehmend Aufweichungen davon (wenn mal wieder aus irgendeinem linken Grunde demonstriert wird und die Gewalt der Faust als Antwort auf die "Gewalt der Worte" oder "die strukturelle Gewalt der Gesellschaft" gerechtfertigt wird), aber der grundsätzliche Betrieb ist im Allgemeinen noch friedlich. Insofern gibt es keine Berechtigung oder Rechtfertigung Karl Lauterbach zu bedrohen. Und nein, jetzt kommt auch kein aber.

Das Impeachment fällt aus



Im Forum zu diesem Netztagebuch hat der geschätzte Mit-Protokollant Llarian seine Absicht dargelegt, dem neuen amerikanischen Präsidenten Biden die übliche Schonfrist von 100 Tagen einzuräumen, sich also bis Ende April des Urteils über die neue Politik der US-Regierung zu enthalten.Ich will versuchen, mich in diesem Beitrag daran zu halten; daß es nicht völlig möglich sein wird, liegt in der Natur der Sache, die in der Wahl Bidens. der Wahl seiner Minister und den bishrigen Maßnahmen als größtmöglicher Kontrast zu seinem Amtsvorgänger und der Rückgängmachung seiner Politik begründet liegt. So wie Donald Trump und seine Politik das maximale Kontrastprogramm zum "Sozialdemokratismus" Barack Obamas darstellte, so steht Biden bislang für die Rückkehr zu dieser Ausrichtung. Und auch in dem am Samstag klanglos versandeten zweiten Amtsenthebungsverfahren kann man eine bruchlose Fortsetzung der Politik der Democracts während der letzten vier Jahre auf der Oppositionsbank ausmachen: eine grelle, weitgehend inhaltsfreie und auf Showeffekte hin ausgelegte Effekthascherei, die einmal wieder demonstriert, daß nicht nur bei uns, sondern auch in den USA die Politik als Kunst des Möglichen und Umsetzbaren durch ein vergiftetes pseudomoralisches Schwarz/Weißschema ersetzt worden ist.

10. Februar 2021

Mittwoch, 10. Februar 2021. Coronagipfel



Es gibt Meldungen, Entwicklungen, die bedürfen keines Kommentars, weil sie für sich allein wirken. Die Graphik, die in meinem Geschichtsbuch in der 7. Klasse die Stärke der Grande Armee während der Rußlandfeldzugs Napoleons von Borodino bis zum Übergang über die Beresina zeigte, ist mir aus diesem Grund ins Gedächtnis gebrannt.

6. Februar 2021

Somerset Maugham, "Der Damensalon" (1922)





"Ich denke, daraus läßt sich wirklich etwas machen," sagte sie.

Sie sah sich aufmerksam um, und die Kraft der gestalterischen Phantasie strahlte ihr aus den Augen.

4. Februar 2021

Das Impfdesaster # 3: "Im Großen und Ganzen..."



(Netzfund: Screenshot aus einem Callcenter für die Terminvergabe der Coronaimpfung in Nordrhein-Westfalen. Nb: Am 31. Januar wurden in NRW isgesamt 11.000 Impftermine vergeben.)

"...ist nichts schiefgegangen." Dieser Satz, den Bundeskanzlerin Merkel vor zwei Tagen im Interview im Stil devoter Hofbereichterstattung in der ARD-Sendung "Farbe bekennen" (allein schon der Titel der Sendung ist ein Hohn) sagte, wird von ihr bleiben. Wie auch die beiden vorigen Sätze, die von dieser sprachlich fast rührend hilflosen Person in Gedächtnis bleiben werden: "Wir schaffen das!" und "...dann ist das nicht mehr mein Land."

Eines sollte ich vorausschicken: Ich besitze seit 19 Jahren keinen Fernseher mehr. Das Radiohören habe ich schon ein paar Jahre davor eingestellt. Die letzte Zeitung habe ich vor 10 Jahren aufgeschlagen. Die Rolle der Informationsbeschaffung hat in meinem Fall in jeder Hinsicht das Internet übernommen. Zum einen befinde ich mich damit auf dem Stand einens Zeitungslesers des 19. Jahrhunderts; zum anderen steht mir damit eine Informationsfülle zur Verfügung, wie es sie in der Geschnhichte der Menschheit nie zuvor gegeben hat: die sekundenschnelle Verfügbarkeit aller gewünschten Informationen, in allen Sprachen, die ich beherrsche, die Möglichkeit, "ad fontes" zu gehen - also die Quellen und Äußerungen direkt einzusehen, und die Möglichkeit, Hintergründe und Details mit ein, zwei Suchanfragen zu erfahren: das gab es noch nie. Aber diese punktgenaue, jederzeit aufrufbare Bereitstellung ändert den Blick auf die Nachrichtenlage. Sie hängt von meinem Interesse ab, und ich spüre nichts mehr von der Omnipräsenz mancher Themen, der Allgegenwart der immergleichen Politiker, die Themen der sich mittlerweile im Halbstundentakt wiederholenden Nachrichtenblöcke. Kurz gesagt: ich habe meinen persönlichen Blick als die Weltlage; wie sie sich den "geschätzten Zuschauern draußen an den Empfangsgeräten im Lande" darbietet, kann ich nicht sagen. Das entnehme ich nur dem schwachen, verzerrten Echo der politschen Netzecken wie der "Achse des Guten" oder "Tichys Einblick," den Kommentaren der Blogger, denen ich folge und dem Rauschen in den sozialen Medien.

1. Februar 2021

Das Impfdesaster. Fortsetzung



Es gibt eine Szene in Terry Gilliams herrlichem Fantasy-Film "Time Bandits" aus dem Jahr 1982, an die ich unwillkürlich angesichts der Nachrichten an diesem Wochenende denken mußte. Gilliams groteske Komödie handelt von einer Schar - nun, da die Vokabel "Zwerge" unter dem Verdikt des Herabwürdigenden steht, sagen wir: "Heinzelmännchen" -, die im Auftrag des Weltschöpfers die Detailarbeit erledigt haben und sich ungenügend dafür entlohnt fühlen und ihm daraufhin eine Karte entwenden, die die Schlupflöcher in Raum und Zeit zeigt, um ungestraft auf Raubzug in der Vergangenheit (oder ihrer Zukunft) ziehen zu können. Auf ihrer Odyssee durch die Historie landen sie in einem nächtlichen Ozean und werden von einem vorüberkommenden Dampfer aufgefischt. Während sie sich in Liegestühlen zigarrerauchend aufwärmen, fragt ein Steward, ob sie noch etwas wünschen. Der Chefheinzel hebt sein Martiniglas und ordert: "Eis! Soviel Eis wie möglich!" Und erst in diesem Moment fällt dem Zuschauer auf, daß der Name des Schiffes auf dem Rettungsring, der an der Wand hinter ihm hängt, "Titanic" lautet.

Auch wenn es zynisch und unangemessen ist: schließlich geht es als Folge des unglaublichen Impfstoff-Desasters, das die EU und zumal die deutsche Leitung angerichtet hat, um eine unabsehbare Verlängerung des Lockdowns wohl bis in den Sommer oder gar Herbst und um zehntausende von Toten, die bei einer zügigen Bestellung zu vermeiden gewesen wären. Aber mittlerweile gibt es Momente, in denen man das Versagen unserer Classe Politique nur noch mit schwärzestem Sarkasmus goutieren mag. Und in diesem Sinn frage ich mich, ob ich mich nicht selbst als Letztverursacher für dieses Chaos, diese fleischgewordene Unfähigkeit ansehen muß. Die alten Griechen (auch die "Zeitbanditen" statten ihnen ja einen Besuch ab) wußten noch, daß man vorsichtig sein muß, mit welchen Bitten und vorschnellen Gewißheiten man die Götter behelligt. Und als Ursula von der Leyen Ende 2019 zur Präsidentin der Europäischen Kommission gewählt wurde - ohne daß einer der 400 Millionen Staatsbürger der EU bei der Wahl im Sommer eine Stimme für sie abgeben konnte - habe ich recht vernehmlich meine Erleichterung darüber geäußert, daß diese Frau, die bislang in jedem politischen Amt eklatant versagt hat, nunmehr auf die Juncker-Sinekure befördert wurde, auf der ihre absolute Unfähigkeit hinfort keinen Schaden mehr anrichten konnte. Die naturgesetzliche Gültigkeit des von Laurence J. Peter formulierten Peter-Prinzips, nach dem in einer genügend großen Hierarchie (und was ist die EU anderes als eine gigantische Hierarchie?) jeder an die Stelle befördert wird, wo seine Unfähigkeit den größtmöglichen Flurschaden hinterläßt, hätte mich warnen sollen. Ich stelle mir vor, daß auf meine Unbedachtheit hin auf dem Olymp homerisches Gelächter erscholl und Göttervater Zeus "Hold my ambrosia!" (beziehungsweise "κρατήστε την ἀμβροσία μου!") brummte.