31. Januar 2019

„Europas Seele“?

Welchen stimmigen Ersatz gibt es für den umstrittenen Begriff „christliches Europa“? Es existiert noch das poetische Relikt „die Seele Europas“, aber das wirkt peinlich und überholt. Vielleicht die vagen Bezeichnungen „Europas ideelles Band“, „ideelle Substanz“? Da fehlen aber die Migranten, der Pluralismus. „Wertekosmos“ klingt ungeografisch und opahaft. „Wirtschaftsgemeinschaft“ wäre realer – aber das Leben ist bunter und hässlicher: Gemeinschaft auch mit Armen, mit Kinderehen, Genitalverstümmelungen und Antisemiten? Niemanden ausgrenzen – eine Utopie? Oder der Biss eines „europäischen Gewissens“? Am einfachsten ist es, man spricht nur abstrakt von einer „Identität Europas“. Ein Lokal ohne aushängende Speisenkarte.

30. Januar 2019

"Зимняя ночь" / "Winternacht"




Aus gegebenem Anlaß.

- Борис Пастернак, "Зимняя ночь" (1946)

Мело, мело по всей земле
Во все пределы.
Свеча горела на столе,
Свеча горела.
Как летом роем мошкара
Летит на пламя,
Слетались хлопья со двора
К оконной раме.
Метель лепила на стекле
Кружки и стрелы.
Свеча горела на столе,
Свеча горела.
На озаренный потолок
Ложились тени,
Скрещенья рук, скрещенья ног,
Судьбы скрещенья.
И падали два башмачка
Со стуком на пол.
И воск слезами с ночника
На платье капал.
И все терялось в снежной мгле
Седой и белой.
Свеча горела на столе,
Свеча горела.
На свечку дуло из угла,
И жар соблазна
Вздымал, как ангел, два крыла
Крестообразно.
Мело весь месяц в феврале,
И то и дело
Свеча горела на столе,
Свеча горела.

27. Januar 2019

Wann wird es Zeit für Mistgabeln?

Zugegeben: Die Frage ist natürlich mit einem kleinen Zwinkern gestellt. Aber auch nur mit einem kleinen. Denn angesichts dessen, dass diese Regierung sich inzwischen nicht mehr auf eine Möglichkeit beschränkt dieses Land zu vernichten, stellt sich wirklich die Frage, ob es nicht wirklich allmählich eine Revolution braucht, um diesem Spuk ein Ende zu machen.

24. Januar 2019

Aus der Schwalbenperspektive (19): Ist der Handball der bessere Fußball?

Auch bei Menschen, die sich für Fußball interessieren oder gar als Fans dieser Sportart bezeichnen, gehört Gejammer beziehungsweise, um es vorsichtiger zu wenden, eine kritische Haltung bezüglich einiger Phänomene im Zusammenhang mit der Lederkugeltreterei gleichsam zum guten Ton: Die Kapitalismusskeptiker betrauern die Kommerzialisierung der einstigen Arbeitervergnügung; an Fairness und Nüchternheit orientierte Zeitgenossen werden von der Schwalben- und Rudelbildungstheatralik abgestoßen, und außerdem wäre da ja noch der Videobeweis, der wie wahrscheinlich wenige andere Modifikationen des Regelwerks die Zuschauergemeinde spaltet.

23. Januar 2019

Marginalie: Der Polizist, dein Helfer und (vielleicht zukünftiger) Freund

Wer über die Beatles ein bisschen mehr weiß, als es der Allgemeinbildungskanon der Popkultur erfordert, kennt zweifellos das Lied „Lovely Rita“, das – auf dem nach Ansicht des Verfassers überschätzten Album Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band veröffentlicht – so etwas wie eine Liebesgeschichte zwischen dem lyrischen Paul-McCartney-Alter-Ego und einer meter maid, der offenbar eine reale Politesse vornamens Meta Pate stand (was uns jetzt nicht zu Meta-Reflexionen beschwingen soll), tonkünstlerisch fingiert.

Gefühlsberauschende Begegnungen zwischen der Staatsgewalt und dem einfachen Bürger (m/w) gibt es aber auch in der außermusikalischen Wirklichkeit, und so sucht(e?) die Berliner Polizei auf ihrem offiziellen Instagram-Account laut Pressemeldungen nach einer charmanten, wegsuchenden Unbekannten, die einem Uniformierten den Kopf verdreht hat.

„Das Netz“ reagiert(e?) auf diesen Aufruf, wenn man zum Beispiel WELT- und SPIEGEL-Online Glauben schenken darf, zum kleineren Teil mit einem Seufzer ob so hoher Romantik und zum größeren Teil mit Ablehnung, da diese zwischenmenschliche Dienstleistung in die Nähe von Stalking zu rücken sei.

Ansicht des Verfassers: Gerade die Berliner Polizei hätte etwas anderes zu tun, als den moderatore d’amore zu spielen, aber für einen #aufschrei reicht diese zweifellos gut gemeinte Aktion bei weitem nicht aus. Um es mit dem großen kanadischen Schauspieler William Shatner zu formulieren: „Get a life!“

Noricus

© Noricus. Für Kommentare bitte hier klicken.

17. Januar 2019

Dumm, dümmer, Gillette? Ein Streiflicht zu Filterblasen.

Der Markenname Gillette dürfte den meisten Erwachsenen der westlichen Welt ein Begriff sein. Auch wenn es das Unternehmen in eigener Form  nicht mehr gibt (es gehört seit 2005 zu Procter & Gamble) so ist die Marke Gillette immer noch deutlicher Marktführer bei Nassrasierprodukten, mit fast 50% Marktanteil. Und das will schon etwas heißen, auch in Anbetracht dessen, dass im Bereich dieser Produkte Gillette im oberen Preisbereich aufgestellt ist.

9. Januar 2019

Mitgeprügelt? Nein. Aber auch nicht unschuldig.

Die Republik ist entsetzt. Nicht zu Unrecht. Ein Bundestagsabgeordneter wurde von drei Vermummten niedergeschlagen, und als er bewusstlos am Boden lag noch mit Fußtritten attackiert. Das war dann doch einer zuviel. Das Bild, das die AfD daraufhin ins Netz stellte und von diversen Medien (wenn auch verpixelt) verbreitet wurde, trug dann vielleicht auch einen nicht unmaßgeblichen Teil dazu bei, dass man die ganze Aktion nicht, wie inzwischen schon zur Routine geworden, mit einem Schulterzucken ignorierte. Zu brutal und deutlich waren die Spuren und zu deutlich die Assoziation, dass es sich hier nicht um eine scheinbar so harmlose "Prügelei" handelte, sondern um einen bewussten Ausbruch von Brutalität, der, wenn eine Tötungsabsicht schon nicht nachgewiesen werden kann, so doch zumindest die Inkaufnahme einer Tötung impliziert.­

8. Januar 2019

Aus der Schwalbenperspektive: Ribe(r)ye oder La Bavette d'Or


Ein leider viel zu früh verstorbener Freund von mir arbeitete seinerzeit als Schlossführer in einer prächtigen fränkischen Barockresidenz. An ihn musste ich kürzlich denken, denn er hatte die Angewohnheit, bei seinen mehr als kurzweiligen Führungen immer dieselbe Fangfrage zu stellen. War die Besuchergruppe gegen Ende der Runde im mit reichlich Zierat versehenen Thronsaal versammelt, ließ er sie immer schätzen, wie viel Gold wohl in der prunkvollen Ausstattung verwendet worden war. Und meistens tappte der überwiegende Teil der Gruppe in die Falle: "Ein Kilo", hieß es - ja bis zu zehn Kilo wurden aufgerufen, bis mein Freund mit diebischer Freude verkündete, dass ein Gramm Blattgold ungefähr eine Fläche von einem halben Quadratmeter bedecken könne.

Nun ist selbst ein "Tomahawk-Steak", wenn man es rundum mit dem glänzenden Element überzieht, keinen halben Quadratmeter groß - der reine Materialwert der "kostbaren" Verpackung von Franck Ribérys Abendmahlzeit liegt also ungefähr einen Euro teurer als ein Meter Melitta Toppits extra reißfeste Alufolie, falls der französische Balltreter schwächeln und sich den Rest auf den Weg einpacken lassen sollte.

5. Januar 2019

Land unter im südlichen Bayern: Vorsicht vor einfachen Klimawahrheiten

Das Foto, mit dem ich diesen Beitrag illustriere, habe ich heute kurz vor Mittag im äußersten Südosten Bayerns aufgenommen. Es zeigt zwei Skistöcke mit einer Länge von 125 Zentimetern, die ich auf einer ebenen Fläche in einer Höhe von etwa 1000 Metern in den unberührten Schnee gerammt habe. Die Spitze (also der unterste Teil) der Stöcke erreichte übrigens nicht den Boden, sondern eine weitere, harte bis eisige Schneeschicht, die zu durchdringen die Stockteller verhinderten. Realistischerweise kann man von einer Schneehöhe an meinem Messort – Stand heute Mittag – von mindestens 130 bis 140 Zentimetern ausgehen. In den circa sieben Stunden seit meiner Sondierung dürften an der besagten Stelle noch einmal 15 bis 30 Zentimeter Schnee gefallen sein.

Warum erzähle ich Ihnen das? Wenn Sie nicht beschlossen haben, dieses Wochenende nachrichtenlos zu verbringen, haben Sie zweifellos von dem „Schneechaos“ – so ein häufig gebrauchter Terminus – in den Bergen gehört oder gelesen. Freunde des passiven Wintersportgenusses werden auch mitbekommen haben, dass der Qualifikationsdurchgang für das morgige Dreikönigsspringen in Bischofshofen – einem Ort im Salzburger Pongau, also in den östlichen Nordalpen (oder nördlichen Ostalpen, wenn man so will) – abgesagt wurde.

1. Januar 2019

Bitte ohne Schall und Rauch: Gedanken zur alljahresendlichen Feuerwerkskritik

Hand aufs Herz: Haben Sie gestern (beziehungsweise heute) die eine oder andere Rakete in den Nachthimmel steigen lassen? Wenn ja, dann haben Sie die – soweit ersichtlich – einhellige Empfehlung der Multiplikatoren-Elite dieses Landes, auf die Silvesterknallerei zu verzichten, entweder nicht mitbekommen oder vorsätzlich missachtet. „Brot statt Böller“ ist der Klassiker unter den Jahresendabrüstungsforderungen, später wurde die Kracherkritik dann auch auf den zu vermeidenden Stress für Haus- und Wildtiere gestützt, seit neuestem rücken die Gesundheitsgefahren für den Menschen, neben Verbrennungen und Schädigungen der Sinnesorgane auch körperliche Belastungen durch die Feinstaubfreisetzung, in den Vordergrund. Und der MDR rechnet uns dann noch die Anzahl an Straßenkilometern respektive Lehrern vor, die man mit dem Geld, das die Deutschen am 31. Dezember in die Luft blasen, sanieren beziehungsweise einstellen könnte.