22. Oktober 2025

Und wenn das Krokodil einen dann doch zuerst frisst

Schadenfreude ist mitunter ein ziemlich negatives Gefühl, dass mehr über den Fühlenden aussagt, als dem lieb ist. Schadenfreude ist ebenso ein typisch deutscher Begriff, der so im angloamerikanischen Sprachraum nicht vorkommt, was eben auch damit zusammenhängt, dass man sich in Deutschland vielleicht ein bischen weniger schämt, sie zu empfinden.

Und dennoch kommt dieser Autor nicht umhin derzeit ein bischen Schadenfreude zu empfinden, wenn er sieht wie Friedrich Merz und Wolfram Weimer derzeit öffentlich versohlt werden für Aussagen, die nicht nur völlig undramatisch sondern im Kern absolut richtig sind.

Aber es trifft die richtigen. Weimer vielleicht nur indirekt, weil er Teil der Regierung Merz ist, aber zumindest Friedrich Merz sei es von ganzem Herzen gegönnt. Merz, der Lügner, der praktisch jedes Wahlversprechen mit Anlauf gebrochen hat (und das bereits Stunden nach der Auszählung), und der gar nicht brav genug Männchen vor seinem Vizekanzler machen kann, um zu beweisen, wie links es tatsächlich in seinem Herzen tickt, wird jetzt ausgerechnet von denen auseinander genommen, deren Lied er seit seiner Wahl doch brav jeden Tag gesungen hat.

Merz hat es zu 100 Prozent verdient, er hat sich denen, die ihn jetzt einen Rassisten und Menschenfeind nennen, angedient und denjenigen, die ihm die Hand gereicht haben, mehrfach in eben jene geschlagen und sie angespuckt. Es war (und ist) die Feigheit vor dem Krokodil in der Hoffnung als letzter gefressen zu werden, aber jetzt erlebt er, dass es dem linken Establishment nie links genug sein kann und das schon kleine Gesten der Nichtunterwerfung unter deren Mantra, mit Exkommunikation und öffentlicher Erniedrigung einher gehen. 

                    "Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister Werd’ ich nun nicht los."

Wohl bekomms!
­
Llarian

© Llarian. Für Kommentare bitte hier klicken.

21. Oktober 2025

Der kleine Johannes und das große Wirtschaftswunder



„Ich will euch etwas von dem kleinen Johannes erzählen. Meine Geschichte erinnert zwar sehr an ein Märchen, aber dennoch ist alles in Wirklichkeit so geschehen. Sobald ihr das nicht mehr glaubt, sollt ihr nicht weiterlesen, denn ich schreibe dann nicht für euch. Auch dürft ihr nie zu dem kleinen Johannes darüber sprechen, wenn ihr ihm jemals begegnen solltet, denn das würde ihm Kummer bereiten und ich würde es bereuen, euch dies alles erzählt zu haben.“

Frederik van Eeden, Der kleine Johannes (1885/1887/1892/1906)


Namenswitze sind zurecht verpönt und man sollte sie sich tunlichst verkneifen, auch wenn es im Bereich der sozialen Medien mitunter en vogue ist, wie im Fall von Ursula-fond-of-Lying oder Greta Thunfisch. Manche Verehrer von Marcel Proust tragen es ihrem Idol bis heute nach, daß der Verfasser der „Suche nach der verlorenen Zeit“ sich in jungen Jahren ein mattes Wortspiel mit dem Namen seines Freundes Marcel Plantevignes erlaubt hat, als er seinen Namen zum Anlaß dafür nahm: „… Wenn ich Rebstockpflanzer hieße / ließ ich auf dem Balkon die Reben sprießen.“ Und dennoch … mitunter gilt der Satz Oscar Wildes: „I can resist anything but temptation.“ Johann Wadephul, seit jetzt 167 Tagen Nachfolger der glanzlosen Frau Baerbock im Amt des deutschen Außenministers, hat nämlich am Freitag aus Gelegenheit seiner Visite in der Türkei aus Anlaß des 64. Jahrestags des Anwerbeabkommen mit der damaligen türkischen Regierung ganz offiziell auf dem Twitter- (Entschuldigung: X)-Account des Auswärtigen Amtes dies erklärt, bzw. erklären lassen:



„Es waren Menschen aus der Türkei, die das Wirtschaftswunder möglich gemacht & Deutschland mit aufgebaut haben. Heute ist die #Türkei ein wichtiger strategischer Partner, sowohl innerhalb der NATO als auch der G20“ – @AussenMinDE im Gespräch mit @Hurriyet: 12:04 PM Oct 17, 2025


Wörtlich lautet der Passus aus dem Interview mit der Zeitung „Hürriyet“ (die sich übrigens mit „ü“ schreibt, liebes Social-Media-Team unseres Außenminderleisters), das das Auswärtige Amt am Freitag hochgeladen hat (immerhin in deutscher Übersetzung, was mittlerweile nicht mehr selbstverständlich scheint angesichts der Tipps zum Bürgergeld und zur Abschiebungsumgehung auf Arabisch, bei denen man auf deutsche Fassungen aus nachvollziehbaren Gründen verzichtet):

Frage:

Das Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei wurde vor ca. 64 Jahren unterzeichnet. Was bedeutet die Beschäftigung dieser Menschen für Deutschland?

Johann Wadephul:

Das Anwerbeabkommen ist auch heute noch bedeutend und prägend für Deutschland. Es waren ganz entscheidend auch Frauen und Männer aus der Türkei, die mit harter Arbeit unter teils sehr schwierigen Umständen das sogenannte „Wirtschaftswunder“ möglich gemacht haben – sie haben das moderne Industrieland Deutschland mit aufgebaut. Das ist viel zu lange nicht ausreichend gewürdigt worden.


19. Oktober 2025

Anmerkungen zu Trump, zu Israel und anderer schöner Dinge

Dröhnendes Schweigen trifft es nicht wirklich, denn auch die deutsche Presse berichtet (unter vielem anderen) über den Friedensplan Nahost der Trump Regierung. Kein Vergleich zu den Schlagzeilen der letzten zwei Jahre, wo uns eindrücklich erklärt wird, wie böse doch die IDF ist, wie böse Trump ist und was für ein übler Völkermord in "Palästina" da vor sich geht, aber immerhin nach oben schafft es der eine oder andere Artikel, so lange man nicht darüber berichten "muss", was der böse Donald da wieder angestellt hat. 

15. Oktober 2025

Ein leichter Kontrast



Manchmal fügt es der Zufall, der unvorhersehbare Gang der Zeitläufe (angesichts der Tragik der Ereignisse wäre es allerdings frivol, hier Hegels Wendung von der „List der Vernunft“ zu bemühen), daß ein Bild – oder in diesem Fall: der Kontrast zwischen mehreren – wie nichts anderes dazu taugt, einen Moment in der Geschichte symbolisch festzuhalten, zu illustrieren, eine Wendung im Gedächtnis der Nachwelt einzufrieren. Das sind Bilder, die tatsächlich „mehr als tausend Worte sagen“ – und bei denen man sich jede weitere Erläuterung schenken kann. Das berühmte Foto, das der deutsche Photograph Thomas Höpker (er ist vor einem Jahr im Alter von 88 Jahren gestorben) am 11. September 2001 aufgenommen hat, gehört dazu: Im Hintergrund, auf der anderen Seite des Hafens von New York, steigen schwarz die Rauchsäulen aus den getroffenen Twin Towers wie ein Fanal in den Himmel, und davor sitzt eine Gruppe junger Menschen, die unbeschwert und ohne jede Ahnung des entsetzlichen Geschehens in ein Gespräch vertieft sind. Vergangenheit und Zukunft zugleich: in einer Sekunde für alle Zeit auf ein Bild gebannt.

Im aktuellen Fall, fast ein Vierteljahrhundert danach, geht es mir um etwas viel „Niederschwelligeres,“ nämlich den Kontrast zwischen der Sicht der Medien auf einen Politiker, die wie kein anderer in diesen 25 Jahren eben diese Medien (die klassischen wie die modernen „sozialen“) gespalten und polarisiert hat, seit er zuerst vor acht Jahren für ein öffentliches Amt kandidiert hat: aus deutscher Perspektive – und aus der Sicht der von ihm verantworteten Politik unmittelbar Betroffenen.

8. Oktober 2025

Premi Nobel de Literatura. Invitació a un Joc.





„Mantrana ist ein Flächen- und Raumdomino. Es wird mit Maximen gespielt. Sie seien ‚Steine‘ genannt. … Die Steine brauchen von ihrem Inhalt nach von den Mitspielern nicht anerkannt zu werden. Sie stellen Ansatzpunkte dar und sollen nur eine Reaktion hervorrufen … Die Steine haben die Form knapper Maximen, die Erfahrungen oder Ansichten ausdrücken. Sie sind in der Regel in einen Satz gefaßt. Ihr Umfang sollte kaum über drei Sätze hinausgehen. Sie sollen in sich selbständig sein, an sich verständlich und ohne polemischen Bezug.“

Ernst Jünger, „Mantrana. Einladung zu einem Spiel“ (1958)


Sprecher:

[A] Männlich, lebhaft, Bariton.
[B] Männlich. Baß, gravitätisch.
[C] Für Zitate. Weiblich, Alt, möglichst ohne Modulation. Ideal wäre die Sprachausgabe eines Textprogramms.
(Der Klangraum deutet eine akustische Isolierung an, als würde das Gespräch in einer Privatbibliothek oder einem Arbeitszimmer stattfinden. Gedämpfte Verkehrsgeräusche sollten unauffällig unterlegt werden, um „Kontur“ statt Ortlosigkeit zu erzeugen. Während der durch (***) angedeuteten kurzen Sprechpausen wird „das Geräusch fallender Blätter“ hörbar. Auftakt- und Abspannmusik sind die ersten Takte von Erik Saties „Gnossienne no 4.“)

Während die Musik nach ungefähr 30 Sekunden langsam ausgeblendet wird, wird links das Umblättern der Seiten in einem offenkundig größeren Buch hörbar (2-Sekundentakt). Von rechts nähern sich gedämpfte Schritte, dann leises Klopfen an einer Tür.

[A]: Wie passend, Sie zum Monatswechsel so zu finden. [Zitiert:] ‚Die Mönche mit haarigen Fingern schlugen das Buch auf: Oktober.‘ Darf man einmal sehen?

[B]: Bei Celan heißt es allerdings ‚September.‘ Non importa. Gemäß den Propheten unserer neuen Staatsreligion sind wir ja unterwegs zu Zuständen, bei denen kein Unterschied mehr auszumachen ist, weil ihnen allen gemeinsam ist, daß sie heißer und trockener und katastrophaler waren als alle bisherigen in den letzten 128.000 Jahren. Wie in der Kurzgeschichte von Steve Rasnic Tem, in der der menschengemachte Klimawandel die Unterschiede zwischen den Jahreszeiten völlig eingeebnet hat und der graue, stickig-neblige Dauerzustand mit „Twember“ bezeichnet wird.