31. Mai 2010

Ein "Hilfskonvoi" für Gaza. Israelfeindliche Berichterstattung. Nein, neu ist daran nichts

Heute stürmte die israelische Marine einen Konvoi von sechs Schiffen, die mit der erklärten Absicht auf den Gazastreifen zusteuerten, die israelische Blockade zu durchbrechen. Dabei kamen etwa fünfzehn Besatzungsmitglieder oder Passagiere der Blockadebrecher ums Leben; weitere dreißig Personen - darunter sieben israelische Soldaten - wurden teils schwer verletzt.

Die Reaktionen? Wie nicht anders zu erwarten. Frankreichs Präsident Sarkozy bezeichnete Israels Vorgehen als "unverhältnismäßig". Die Türkei, unter deren Flagge einige der aufgebrachten Schiffe fuhren, spricht von "inakzeptablen Handlungen". Ban Ki-Moon "verurteilt diese Gewalt". Mahmoud Abbas: ein "Massaker".

Und die deutsche Presse schließt sich diesem Tonfall an, so etwa Günther Nonnenmacher in der FAZ: "Die gegenwärtige israelische Regierung scheint bei der Durchsetzung ihrer Gaza-Blockade jegliches Maß verloren zu haben; dass sie die Meinung der Öffentlichkeit keinen Deut schert, hat sie schon vorher gezeigt." Nun ja, dass bislang noch gar nicht so viel bekannt ist über die Hintergründe, dass es bislang etwa nur israelische Darstellungen der Hintergründe gibt, das konnte Herr Nonnenmacher ja nicht wissen, das schrieb die FAZ schließlich erst einige Stunden nach seinem Kommentar.

Aber vielleicht schauen wir uns diese israelischen Darstellungen und den Kontext ja doch erst einmal an, bevor wir reflexhaft Israel verdammen?

Der Gazastreifen wird seit Jahren von der israelischen Marine blockiert. Fremde Schiffe dürfen nicht anlegen. Der Grund dafür - es ist mir unverständlich, dass man offensichtlich noch immer daran erinnern muss - ist im Gazastreifen zu finden. Die Bewohner Gazas haben die Hamas an die Regierung gewählt, die nach wie vor in ihrer Charta die Vernichtung Israels fordert. Erst letzten Freitag wurde wieder aus dem Gazastreifen heraus eine Rakete auf die israelische Kleinstadt Sderot abgefeuert, wurde ein Sprengstoffanschlag palästinensischer Terroristen vereitelt, die daraufhin Israel mit Mörsern beschossen. Ban Ki-Moons Verurteilung dieser Gewalt scheint mir entgangen zu sein. Und sagt Ihnen der Name Gilad Shalit etwas? Shalit, ein israelischer Soldat, wurde am 25.6.2006, also vor fast vier Jahren, von der Hamas entführt und wird seitdem im Gazastreifen festgehalten, ohne Kontakt zur Außenwelt, ohne dass auch nur dem Roten Kreuz Zugang zu ihm gewährt wird.

Hört sich das nach einem Gemeinwesen an, zu dem man jedem Schiff Zugang gewähren sollte?

Nun kann man einwenden, dass Gaza "ein großes Gefängnis" sei (19500 Google-Treffer), in dem eine "humanitäre Krise" (18700 Google-Treffer) herrsche. Wenn die Israelis ("die Juden" sagt man heutzutage nicht mehr) keine Hilfsgüter hineinlassen, dann ist es schließlich ein Gebot der Menschlichkeit, diese "unmenschliche Blockade" (45200 Google-Treffer - aber immerhin ein paar ironische Verwendungen des Begriffs) zu brechen.

So weit, so gut. Diese Argumentation hat nur einen Haken: Israel lässt sehr wohl humanitäre Hilfe in den Gazastreifen. 2009 wurden 738.576 Tonnen Hilfsgüter von Israel in den Gazastreifen transportiert, eine Steigerung von 180 Prozent gegenüber 2008, dazu über 100 Mio. Liter Diesel für das Kraftwerk in Gaza. 10.544 Patienten aus dem Gazastreifen wurden in Israel medizinisch behandelt. Die von den Organisatoren angegebene Beladung des Konvois von etwa 15.000 Tonnen entspricht etwa den 14.069 Tonnen an Hilfsgütern, die in einer einzigen Woche Mitte Mai 2010 von Israel in den Gazastreifen gelangten.

So. Es gibt also sehr gute Gründe für die Blockade. Und es gibt keine humanitäre Katastrophe im Gazastreifen, die eine Durchbrechung dieser Blockade rechtfertigen würde.

Schauen wir uns an, was bislang über die Vorgänge heute bekannt ist.

Der Konvoi von ursprünglich neun, später acht und zuletzt sechs Schiffen brach unter großem Marketing von Cork, Istanbul und Kreta auf, mit der expliziten und wiederholt verkündeten Absicht, die Blockade zu durchbrechen. Israel warnte den Konvoi und seine Organisierer (einer davon, der türkischen Hilfsorganisation Insani Yardim Vakfi, wird vorgeworfen, terroristische Vereinigungen organisatorisch und finanziell zu unterstützen) wiederholt und wies darauf hin, dass die Schiffe notfalls mit Gewalt am Durchbrechen der Blockade gehindert werden würden. Statt dessen wurde der Konvoi aufgerufen, Kurs auf den israelischen Hafen Ashdod zu nehmen, wo die Ladung kontrolliert und dann auf dem Landweg nach Gaza transportiert würde. Der Konvoi hielt aber unbeirrt Kurs auf Gaza.

In der Nacht enterten dann israelische Soldaten die Schiffe. Nach Aussage eines Augenzeugen sollen sie dabei wahllos in die schlafende Menge gefeuert haben. Nach Aussage der israelischen Armee seien sie mit Brechstangen, Messern, Äxten und Molotovcocktails empfangen worden. Nun, in Anbetracht dessen, dass mehrere israelische Soldaten verletzt wurden, einige davon schwer, erscheint es mir unwahrscheinlich, dass an Bord nur friedliebende Blumenkinder waren, die nichtsahnend unter Deck "Kumbayah" sangen und gazanisches Kinderfernsehen ansahen. Übrigens werden derzeit alle Verletzten, Israelis und Blockadebrecher, in israelischen Krankenhäusern behandelt.

Zurück zur deutschen Medienlandschaft. Günther Nonnenmacher erklärt uns, man werde doch behaupten dürfen, "dass die israelische Kriegsmarine die Fähigkeiten und Mittel gehabt hätte, den Zugang zur Küste ohne Anwendung direkter Gewalt zu sperren oder die schlecht organisierte Gaza-Flotille einfach abzudrängen". Wie stellt sich das Herr Nonnenmacher vor? Soll die Zahal-Marine einen doppelten Stacheldrahtzaun vor die Küste Gazas durchs Meer legen? Sollen israelische Zerstörer die Schiffe des Konvois so lange sanft rammen, bis sie abdrehen? Und wie hätten Herr Nonnenmacher und seine Kollegen auf solch eine Vorgehensweise der Israelis reagiert? Hätten sie dann vielleicht darauf hingewiesen, warum die Blockade existiert, und Israel für besonnenes Vorgehen gelobt? Oder hätten die Schlagzeilen nicht vielmehr gelautet: "Israel versucht, Hilfskonvoi zu rammen"? "Neuer Stacheldraht um Gaza"?

Wie oben angedeutet - am unverständlichsten erscheint mir, dass man auf all diese sattsam bekannten Punkte noch eigens hinweisen muss.


© Gorgasal. Für Kommentare bitte hier klicken.

(Das dümmste) Zitat des Tages: Bundespräsident Köhler. Mann und Amt. "Spiegel-Online" at its worst

Mann und Amt passten einfach nicht zusammen.

Ronald Nelles in "Spiegel-Online" über den zurückgetretenen Bundespräsidenten.


Kommentar: Natürlich paßten Amt und Mann zusammen. Bundespräsident Köhler war ein Präsident so, wie das Grundgesetz ihn vorsieht.

Er war einer in der Reihe der großen Bundespräsidenten - Theodor Heuß, Gustav Heinemann, Richard von Weizsäcker, Roman Herzog. Ein bedeutender Mann. Gerade, ehrlich, kompetent und ohne Allüren.

Wie die Genannten war er ein politischer Präsident. Es waren Männer mit klaren Überzeugungen. Natürlich mit verschiedenen - Theodor Heuß und Roman Herzog beispielsweise haben als Liberale meine höchste Wertschätzung; aber auch Gustav Heinemann war, als Linker, ein geradliniger Mann mit ehrlichen Überzeugungen.

Es ist ein weit verbreitetes Mißverständnis, daß nach dem Grundgesetz der Bundespräsident eine Art Pausenclown sei; einer, der nur die Honneurs zu machen und ansonsten hübsch bescheiden zu sein hätte.

Das Amt des Bundespräsidenten ist aber ein politisches Amt. Gewiß haben die Väter des Grundgesetzes, nach den leidvollen Erfahrungen mit dem senil gewordenen Paul von Hindenburg, die Befugnisse des Präsidenten eingeschränkt, verglichen mit der Verfassung von Weimar.

Notverordnungen kann er folglich nicht mehr erlassen, der Bundespräsident. Aber nichts kann zum Gesetz werden, das er nicht unterzeichnet. Niemand kann Kanzler oder Minister werden, ohne daß er das billigt. Kommt nach Wahlen nicht alsbald eine Regierung zustande, dann hat er weitreichende Befugnisse; bis hin zur Auflösung des Bundestags.



Wir werden jetzt die Rolle des Bundespräsidenten definieren müssen. Wir werden darüber debattieren müssen, ob und in welchem Umfang es eigentlich die Institutionen unseres demokratischen Rechtsstaats zulassen dürfen, daß sie herabgewürdigt werden.

Der Kommentar von Roland Nelles gibt einen Vorgeschmack auf das, was uns in den kommenden Tagen erwarten wird. Man wird auf der Linken versuchen, den Präsidenten als eine Versager, als einen Gescheiterten hinzustellen.

Horst Köhler wird als einer hingestellt werden, der persönlich beleidigt war; in seinem Amt überfordert. Die Linke wird ihren Triumph nicht verhehlen, einen Liberalen zu Fall gebracht zu haben.

Und wir, die Liberalen und Konservativen? Wo sind denn diejenigen, die den Präsidenten verteidigen?



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.

Es war richtig, daß Horst Köhler zurückgetreten ist

Politiker treten heutzutage in der Regel nur dann - und erst dann - zurück, wenn sie nicht mehr anders können. Das jüngste Beispiel ist der Minister Jung, der als Verteidigungsminister sein Ressort zu keinem Zeitpunkt im Griff gehabt hatte; zurückgetreten ist er, als er schon im sicheren Hafen des Arbeitsministeriums angekommen zu sein schien.

In diesen Tagen erleben wir zwei souveräne Rücktritte. Roland Koch hat Anfang vergangener Woche seinen Rücktritt angekündigt, ohne daß irgendwer oder irgend ein Umstand ihn dazu gezwungen hätte; "unbedrängt", wie man im Sport sagt (siehe Kochs Knaller; ZR vom 25. 5. 2010).

Und jetzt also Horst Köhler.

Koch hat sich für einen Politiker atypisch verhalten. Köhler ist kein Politiker; er ist nie ein Politiker gewesen. Er hat sich so verhalten, wie sich ein Ehrenmann verhält.

In dem telefonischen Interview, das schließlich zu seiner heutigen Entscheidung führte, hat Köhler - ich habe es hier kommentiert - das gesagt, was eine bare Selbst­verständ­lichkeit ist, nämlich "daß im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren".

Ja, selbstverständlich ist das so. Man kann nicht Militär einsetzen, ohne daß dies der Wahrung der eigenen Interessen dient. Das wäre unverantwortlich. Es wäre in hohem Maß unmoralisch.

Jeder deutsche Minister, der Kanzler und der Bundespräsident schwören mit dem Amtseid, den Nutzen des deutschen Volkes zu mehren und Schaden von ihm zu wenden. Deutsche Soldaten sterben zu lassen, ohne daß dies unseren Interessen dient, wäre eine gröbliche Verletzung ihres Amtseids.



Köhler aber hat mit dieser Äußerung eine Meute geweckt.

Keinem Bundespräsidenten seit Theodor Heuß ist jemals von Kommentatoren, die ernst zu nehmen sind, vorgeworfen worden, er hätte es an Treue zum Grundgesetz fehlen lassen. Der "bedeutendste juristische Theoretiker der Neuen Linken" aber, der Staatsrechtler Ulrich K. Preuß, hat das explizit getan.

Die Meute ist über den Präsidenten hergefallen; bis hin zu Äußerungen wie derjenigen des stellvertretenden Vorsitzenden der Fraktion der Grünen im Bundestag, Frithjof Schmidt:
Man weiß nicht, was schlimmer wäre: ein Bundespräsident, der das wirklich so sieht, oder einer, der sich über die Zusammenhänge so in Unkenntnis befindet.
Köhler hatte nichts gesagt, was einen gerechtfertigten Grund zur Beanstandung gegeben hätte. Aber selbst dann, wenn er etwas Problematisches gesagt hätte, wäre ihm in einer funktionierenden Demokratie mit derjenigen Zurückhaltung zu widersprechen gewesen, die das Amt verlangt.

Nichts davon. Die Meute - die linke Meute - hat sich so benommen, als fehle ihr jeder Respekt für die Institutionen dieses demokratischen Rechtsstaats; was ja vermutlich auch der Fall ist.

Und es fehlte an Widerspruch. Selten war die linke Meinungsdominanz in Deutschland so offensichtlich wie in dieser Debatte. Selbst Rupert Polenz, außenpolitischer Experte der CDU, brachte nicht mehr zustande als ein "Verständnis für die nach Angaben des Senders zahlreichen Zuschriften empörter Zuhörer. 'Ich glaube, der Bundespräsident hat sich hier etwas missverständlich ausgedrückt.'"



Nein, er hat sich klar ausgedrückt, der Bundespräsident Köhler. Er hat das gesagt, was in jedem Staat der Welt - außer eben unserem - eine Selbstverständlichkeit ist: Daß man nicht die eigenen Soldaten sterben lassen darf, wenn der betreffende militärische Einsatz nicht den Interessen der Nation dient.

Der Bundespräsident hat in den vergangenen Tagen gesehen, wie er damit die Angriffe der vereinigten Linken auf sich zog; und er hat gesehen, daß die Liberalen und Konservativen keinen Finger rührten, ihn zu verteidigen.

Der Bundespräsident hat in diesen letzten Tagen verfolgen können, wie man ihn behandelte, als sei er ein beliebiger Politiker und nicht das Oberhaupt unseres Staats. Und es gab keinen - es gab so gut wie keinen - Widerspruch.

Sein Rücktritt wird vielleicht - das mag seine Hoffnung sein - die dringend notwendige Debatte über den Respekt vor unseren demokratischen Institutionen anstoßen; und vielleicht auch die nicht minder notwendige Debatte darüber, wozu wir eigentlich unsere Soldaten ins Feuer schicken.

Ich fürchte allerdings, daß Horst Köhler auch darin enttäuscht werden wird. Ich fürchte, daß die Debatte der kommenden Tage sich um die Frage zentrieren wird, wer denn nun mit wem kungeln wird, um wen zu seinem Nachfolger zu machen.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: IMF; in der Public Domain.

Ein Ehrenmann


"Meine Äußerungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr am 22. Mai dieses Jahres sind auf heftige Kritik gestoßen. Ich bedauere, dass meine Äußerungen in einer für unsere Nation wichtigen und schwierigen Frage zu Missverständnissen führen konnten. Die Kritik geht aber so weit, mir zu unterstellen, ich befürwortete Einsätze der Bundeswehr die vom Grundgesetz nicht gedeckt wären. Diese Kritik entbehrt jeder Rechtfertigung. Sie lässt den notwendigen Respekt für mein Amt vermissen.

Ich erkläre hiermit meinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten - mit sofortiger Wirkung. Ich danke den vielen Menschen in Deutschland, die mir Vertrauen entgegengebracht und meine Arbeit unterstützt haben. Ich bitte sie um Verständnis für meine Entscheidung.

Verfassungsgemäß werden nun die Befugnisse des Bundespräsidenten durch den Präsidenten des Bundesrates wahrgenommen. Ich habe Herrn Bürgermeister Böhrnsen über meine Entscheidung telefonisch unterrichtet, desgleichen den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages, die Frau Bundeskanzlerin, den Herrn Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und den Herrn Vizekanzler. Es war mir eine Ehre, Deutschland als Bundespräsident zu dienen."



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Foto: IMF, in der Public Domain.

30. Mai 2010

Das Wahlergebnis in Tschechien. Ein Gastbeitrag von Ungelt

In Tschechien wurde am Samstag ein neues Parlament gewählt. Hier das vorläufige amtliche Endergebnis mit einigen kommentierenden Anmerkungen:

22,09% (56 Sitze / -18) CSSD - Sozialdemokraten mit derzeit bedenklicher Nähe zu den Kommunisten und mit einem starken Hang, Wahlgeschenke zu verteilen, unabhängig von der Staatsverschuldung. Bisher mit einem sehr problematischen Vorsitzenden - Paroubek -, der jetzt zurückgegetreten ist.

11,27% (26 Sitze / unverändert) KSCM - Kommunisten, kaum gewendet, nach meinem Eindruck. Ich muß aber zugeben, daß ich aus gesundheitlichen Gründen deren Politik nicht verfolge. ;-

2,44% (0 Sitze / -6) SZ - Die tschechischen Grünen, zuvor für grüne Verhältnisse relativ konservativ, heute zerstritten, praktisch zerfallen und an der 5%-Hürde klar gescheitert.

20,22% (53 Sitze / -28) ODS - Ehemals die "Klaus-Partei", aus der dieser jedoch schon vor einiger Zeit ausgetreten ist und deren Ehrenvorsitz er niedergelegt hat. Bis vor kurzem von Topolanek geführt, jetzt von Petr Necas, der auf mich einen wesentlich besseren (integreren) Eindruck macht. Er wird es aber nicht leicht haben, das verloren gegangene Vertrauen wieder zu gewinnen und gegen die vorhandenen "Strukturen" anzukämpfen. Die Partei befand/befindet sich leider in einem speziellen Wettbewerb mit den Sozialdemokraten - es ging darum, wer bereit war, mehr Wahlgeschenke zu versprechen.

16,71% (41 Sitze / +41) TOP 09 - Neugründung des ehemaligen Finanzministers Kalousek (zuvor KDU-CSL: s.u.) und des sehr populären Fürsten Schwarzenberg, der bis zum letzten Sommer als Parteiloser für die Grünen als Außenminister in der Regierung gewesen war. (Seine Nominierung für dieses Amt war von Václav Havel "angeregt" worden). Die Partei tritt für eine Gesundung der Staatsfinanzen und gegen Korruption ein, ist aber leider auch relativ EU-freundlich.

10,88% (24 Sitze / +24) VV - Ebenfalls eine Neugründung, die sich insbesondere an die unzufriedenen ehemaligen ODS-Wähler wendet. Sie ist für mich noch schwer einzuschätzen; ich sehe aber einige hoffnungsvolle Ansätze. Die Partei ist z.B. explizit gegen einen Beitritt der Türkei zur EU, für einen "schlanken Staat", für klare Rechtsvorschriften und die direkte Wahl des Präsidenten; und sie praktiziert innerparteiliche Demokratie per Internetabstimmung.

4,39% (0 Sitze / -13) KDU-CSL - Eine ehemalige "christliche" Blockflöte, gern zwischen den Sozialdemokraten und der ODS pendelnd. Parteitechnisch ein "Urgestein"; seit 40 Jahren im tschechischen Parlament. Jetzt wie die Grünen an der 5% Hürde gescheitert.



Die Sozialdemokraten haben also kräftig verloren und können die Regierung gemeinsam mit den (oder Duldung durch die) Kommunisten, die sie anstrebten, nicht bilden. Die "bürgerlichen" Parteien - also die jenseits von Sozialdemokraten und Kommunisten - haben dagegen eine solide Mehrheit von 118 Sitzen.

Und wie titelt dazu "Spiegel-Online"? So: "Verluste der Volksparteien - Sozialdemokraten siegen nur knapp bei Tschechien-Wahl".



Noch einiges, das in den deutschen Medien wenig Beachtung gefunden hat:
  • Das Wahlsystem ermöglicht die Vergabe von Präferenzstimmen; der Wähler kann maximal vier einzelnen Kandidaten so zu einem besseren Platz bei der Vergabe der Mandate verhelfen. Diese Möglichkeit wurde jetzt ausgiebig genutzt. Sie bewirkte, daß eine Reihe von Kandidaten ins Parlament kamen, obwohl sie auf einem der hinteren Listenplätze gestanden hatten.

  • Die Wahlentscheidung wird nach übereinstimmenden Vermutungen verschiedener Kommentatoren und Politiker auch die Folge haben, daß der bisher von den Grünen blockierte Ausbau des Atomkraftwerks Temelin um weitere zwei Blöcke jetzt genehmigt werden wird.

  • TOP 09 hatte als Wahlwerbung u.a. Post-Zahlscheine über 121.000 Kronen (ca.4.700 €) zur "Rückzahlung der Staatsschulden" an die Wähler verschickt. Die Sozialdemokraten brandmarkten dies als eine üble Methode, alte Omas zu erschrecken, von denen mindestens eine angeblich einen Herzinfarkt erlitt.

  • Interessant ist, daß die Sozialdemokraten und Kommunisten mehrheitlich auf dem Land und auch mehrheitlich von älteren Menschen gewählt wurden. Die jüngeren Wähler sind eindeutig gegen diese beiden Parteien eingestellt. Eine Testwahl, die rund vier Wochen vor der Parlamentswahl an 128 Gymnasien, "mittleren Fachschulen" und Berufsschulen durchgeführt wurde, liefert dazu interessante Informationen: TOP09 war mit 26,59% die mit Abstand beliebteste Partei. Die Sozialdemokraten erreichten gerade einmal 5,27% und die Kommunisten 2,95%. Die Grünen bekamen in dieser Umfrage 5,3%. ODS erreichte 17,56%, VV 12,11% und KDU/CSL 1,7%.
  • Die Regierungsbildung geht jetzt den üblichen Weg. Der Präsident hat bereits für morgen Gespräche mit Vertretern aller Parteien anberaumt. Ich erwarte eine sehr schnelle Einigung zwischen ODS und TOP 09 und eine etwas langwierigere mit VV.

    Ich zweifle aber nicht daran, daß eine Einigung möglich sein wird, wenn auch der angekündigte Rückzug des Chefs der Sozialdemokraten wohl Verhandlungen mit weniger "belasteten" Personen ermöglichen soll. Paroubek selbst hätte wohl überhaupt keine Chance gehabt, jenseits der Kommunisten einen Partner zu finden.



    Nicht daß ich mit dem Ergebnis wirklich zufrieden wäre, aber besser als eine Mehrheit der (eindeutigen) Linksparteien ist es allemal, natürlich. Und Chancen für eine vernünftige Politik sehe ich durchaus.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Der Autor ist gebürtiger Prager und lebt seit den Ereignissen von 1968 in Deutschland.

    Zitat des Tages: Lena, stark

    I’m not strong enough to take this. This is not real.

    Lena Meyer-Landrut, künftig wohl nur noch Lena, nachdem Sie den European Song Contest gewonnen hatte; berichtet zum Beispiel in "Welt-Online".


    Kommentar: Bevor eine falsche Übersetzung sich Bahn bricht: Lena sagte das, als sie die soeben gewonnene Gewinnerstatue (ein aus massivem Material gefertigtes Mikrophon, wenn ich das richtig gesehen habe), vom Vorjahressieger Alexander Rybak überreicht bekommen hatte und sie nun diesen Trumm in ihren zierlichen Händen hielt.

    "I am not strong enough to take this" sagte sie und reichte die schwere Trophäe weiter; sie wollte - so zeigt es der Kontext - sagen, daß sie zu schwach sei, um das Ding länger zu halten. Nicht das beste Englisch, aber es war klar, was sie meinte.

    Ich schreibe das nur vorbeugend, bevor die Legende aufkommt, Lena hätte so etwas sagen wollen wie "Ich bin mental nicht stark genug, um das auszuhalten". Denn davon kann keine Rede sein.

    Daß sie eine starke Persönlichkeit ist, habe ich in dem Artikel von gestern geschrieben. Daß sie es damit an die Spitze schaffen würde, habe ich nicht erwartet.

    Umso größer die Freude.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.

    29. Mai 2010

    Wird Lena unsere neue Nicole? Ich glaube das nicht. Die Wetten andererseits ...

    Was war das damals für ein Auftritt, am 24. April 1982 in Harrogate, UK! Als achtzehnte und damit letzte war sie ausgelost worden, unsere Nicole. Ein blonder Rauschgoldengel, gehüllt in ein bis fast zum Boden reichendes Kleid, nachthimmelfarben mit Pünktchen darauf, diese glitzernd wie Sterntaler. Weiße Aufschläge an den Ärmeln, weiße Krägelchen dort, wo das Kleid hochgeschlossen endete.

    Sie hatte auf einer Art Barhocker Platz genommen, aber anders als bei Marlene Dietrich im "Blauen Engel" sah man nichts von ihm, denn alles verhüllte dieses Kleid. Auch von Nicole sah man fast nichts, außer ihrem Kopf mit dem goldglänzenden Engelshaar, der auf dieses wallende Kleid aufgesetzt erschien wie der porzellane Kopf einer Puppe auf deren textilen Körper.

    Nur hatte er keine Harfe, dieser Engel, sondern eine Gitarre. Die Harfe aber schlug eine Harfinistin hinter ihr; bei einigen Einstellungen war sie groß zu sehen und verstärkte den Eindruck, daß da ein Engel vom Himmel gestiegen war.

    Es war die perfekte optische Inszenierung; Sie können sie sich beispielsweise hier ansehen.

    Und dieser Engel sang den perfekte Text; den dem Lebensgefühl jener Jahre sozusagen auf den Leib geschriebenen Text.

    Im April 1982 war es erst ein paar Monate her, daß die großen Friedensdemonstrationen Europa bewegt hatten. Im Oktober 1981 zum Beispiel diejenigen im Bonner Hofgarten (300.000 Teilnehmer) und in Brüssel; im November waren es fast 400.000 Menschen in Amsterdam gewesen.

    Man hatte Angst wie schon lange nicht mehr; man "bekannte sich zu seiner Angst", wie eine beliebte Formel hieß. Die Symbole der Angst waren beispielsweise die Neutronenbombe und vor allem die Pershing II-Raketen, die in Europa stationiert werden sollten. Die wollte man "weg haben", und man verband das mit der seltsam naiven Vorstellungen, daß Deutschland und Europa sicherer werden würden, wenn dann nur noch die Sowjets vergleichbare Raketen (SS-20 im Nato-Code) haben würden, gerichtet auf deutsche und andere europäische Städte.

    Und in dieser Stimmung nun, die ganz Europa erfaßt hatte, trat ein Engel hin, komplett mit Rauschgoldhaar und Harfe, und sang:
    (...) Ich singe aus Angst vor dem Dunkeln mein Lied,
    und hoffe, dass nichts geschieht. (...)

    Ich weiß, meine Lieder, die ändern nicht viel,
    ich bin nur ein Mädchen, das sagt, was es fühlt.
    Allein bin ich hilflos, ein Vogel im Wind,
    der spürt, daß der Sturm beginnt. (...)

    Ein bisschen Frieden, ein bisschen Träumen
    und dass die Menchen nicht so oft weinen.
    Ein bisschen Frieden, ein bisschen Liebe,
    dass ich die Hoffnung nie mehr verlier' .
    Sing mit mir ein kleines Lied,
    dass die Welt im Frieden lebt.
    Auch eine schlechtere Sängerin als Nicole hätte mit dieser Inszenierung, mit einem solchen Text und mit einer passablen Melodie gute Chancen auf den Sieg gehabt; aber Nicole ist noch dazu, wie sie in den 30 Jahren seither bewiesen hat, eine gute Sängerin.

    So erlangte sie den bisher einzigen deutschen Sieg in dem Wettbewerb, der einmal Grand Prix Eurovision de la Chanson hieß und der jetzt European Song Contest heißt.

    Und jetzt also Lena? Schafft sie es für Deutschland zum zweiten Mal? Wird sie die neue Nicole? Ich glaube es nicht. Ich wundere mich, daß so viele es glauben.



    Als ich heute mit der Straßenbahn fuhr, saß mir gegenüber eine Mutter mit ihrem Dreijährigen. Ein lebhaftes Kind, das die Dinge um es herum benannte, so wie sie vor seinem Auge auftauchten: "Da, Polizei ... da, Baaart!" (das war ich). Und dann: "Da, Deutschland-Auto!". Und tatsächlich: Der Dreikäsehoch hatte ein Auto entdeckt, das Deutschland war. Mit Schwarzrotgold groß auf dem Kühler, mit Schwarzrotgold klein als Fähnlein ringsherum aufgesteckt.

    Ein intelligentes Kind war das; ein kleiner Intellektueller, der zwei Konzepte zu einem neuen zusammengefügt hatte.

    Ich habe dann tatsächlich heute noch etliche "Deutschland-Autos" gesehen. Ich bin nicht sicher - aber ich vermute, sie wurden für Lena beflaggt. Jedenfalls würde das zu der Stimmung passen, die unser Land ergriffen hat. Nicht weniger seltsam als die Mischung aus irrationaler Angst und pseudoreligiöser Hoffnung im Jahr 1982.

    Ich weiß nicht, ob ich sie begreife, diese Lena-Stimmung.

    Natürlich ist sie das Ergebnis der Public-Relations-Maschine von Stefan Raab; ungleich effizienter als das, was damals Ralph Siegel auf die Beine stellen konnte. Lena wurde nach allen Regeln des Gewerbes aufgebaut - mit einer Casting Show, mit Auftritten bei Raab, mit entsprechender Medien-Begleitung. Das war Medienbusiness vom Feinsten.

    Andererseits hätte das wohl nicht gereicht, einen Hype zu entzünden, wenn Lena nicht schon ein seltsames Wesen wäre.

    Ob sie gut singt, kann ich nicht beurteilen. Immerhin kann sie keine Noten lesen; das ist schon einmal eine gute Voraussetzung.

    Wenn ich ihr "Satellite" höre - und man kann dem ja gar nicht entgehen -, dann kommt mir das seltsam unmusikalisch vor. Fast schon ein Sprechgesang, gesprochen in etwas, das der englischen Sprache ähnelt. Dem Cockney soll es verwandt sein, habe ich gelesen. Mir klingt es eher so wie die Bemühungen von mir und meinen Mitschülern, wenn wir in der Obertertia Shakespeare "mit verteilten Rollen" laut vorlesen mußten.

    Aber seinen Reiz hat das schon. Eine gewisse trotzige Entschlossenheit kann man heraushören. Take it or leave it. Ich singe so, wie es mir gefällt.

    Und so wirkt sie auch bei ihren nichtmusikalischen Auftritten, unsere Lena. Sie hat "Präsenz", wie man so sagt; was wohl meint, daß ihr die Meinung der Leute ziemlich egal ist und sie ihr Ding macht.

    Das wirkt stark. Der Vergleich mag Ihnen seltsam vorkommen - aber mich erinnert das an den Mynheer Peeperkorn im "Zauberberg", der nie etwas Gescheites sagt, der aber alle ungemein beeindruckt durch die Kraft seiner Persönlichkeit; durch seine "undeutlich – spöttischen Abgerissenheiten".

    So ist sie, unsere Lena: Undeutlich, spöttisch, mit Abgerissenheiten wirkend. Irgendwie beeindruckend, aber halt nur irgendwie.

    Wird das die Juroren beeindrucken, die diesmal mit ihrem Urteil zur Hälfte das Ergebnis bestimmen? Wird es das Publikum in den Ländern Europas beeindrucken, die das zur anderen Hälfte tun? Ich kann mir das schwer vorstellen. Ich sehe nicht, wie Lena so in die Stimmung der Zeit passen könnte wie damals Nicole.

    Und weiter: Anders als 1982 gibt es inzwischen die voting blocks des Balkans, der Osteuropäer; dazu existiert weiter derjenige der Skandinavier, den es auch damals schon gab. Das heißt nicht, daß ein Bewerber, der dadurch nicht begünstigt wird, keine Chancen hätte. Nur hat er es eben schwerer.

    Er und vor allem sie; denn es stimmen wohl mehr weibliche Musikbegeisterte ab als männliche. Wer da als Frau aus Deutschland gewinnen will, der muß schon sehr, sehr gut sein. Und diese Sängerin muß den Geist der Zeit treffen, wie damals Nicole. Bei Lena kann ich das nicht erkennen.



    Woher also der Hype in Deutschland, die "Deutschland-Autos" gar?

    Vielleicht brauchen wir wieder einmal ein Erfolgserlebnis. Nie seit dem Sommermärchen 2006 war die Stimmung in Deutschland so gedrückt wie jetzt; selbst die Mundwinkel der Kanzlerin sinken noch tiefer, als sie schon immer gesunken waren.

    Nichts, woran man sich aufrichten, nichts, wofür man sich begeistern könnte. Fußball in Südafrika? Wir ahnen doch alle, daß das nichts wird. Das Wetter? Trübe und unfreundlich; keine Spur von globaler Erwärmung.

    Die persönliche Lage? Viele rechnen damit, daß sie schlechter werden wird. 37 Prozent meinen, laut einer Mai-Umfrage von Infratest dimap, daß es ihnen in zehn Jahren wirtschaftlich schlechter gehen wird als jetzt; nur halb so viele sind optimistisch.

    Da würde uns eine zweite Nicole doch richtig guttun.

    Wunschdenken also? Vielleicht doch nicht. Als ich eben nachgesehen habe, wie denn die Wetten stehen, habe ich gestaunt: Lena mit 1:4,33 auf Platz zwei; nur Safura aus Aserbeidschan liegt mit 1:4,00 leicht vor ihr.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Lena Meyer-Landrut am 23. Mai 2010 in Oslo. Vom Autor EnemyOfTheState unter Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic Licence freigegeben (bearbeitet).

    28. Mai 2010

    Marginalie: "Die Angstmacher der bürgerlichen Presse" und der Riesenstaatsmann Sigmar Gabriel

    "Die Angstmacher der bürgerlichen Presse" - wo würden Sie eine solche Überschrift vermuten? In der Sozialistischen Tageszeitung "Neues Deutschland"? In der kommunistischen "Jungen Welt"? Sie dürfen noch einmal raten.

    Richtig, in "Zeit-Online".

    In den Jahren, als ich sie noch regelmäßig und gründlich las, gehörte die "Zeit" (Verleger: Der liberale CDU-Abgeordnete Gerd Bucerius; langjährige Chefredakteurin und dann Herausgeberin: Die noch liberalere ostpreußische Landadlige Marion Gräfin Dönhoff) selbst zur "bürgerlichen Presse".

    Heutzutage macht sich der stellvertretende Chef von "Zeit-Online", Karsten Polke-Majewski, über sie her, die bürgerliche Presse. "Hysterie und Honecker-Vergleiche: Wie manche Medien in der Griechenland-Krise die Ressentiments der Bürger schüren, ist unerträglich" lautete der Untertitel seines Kommentars, der vor vier Wochen erschien, am 28. April.

    "Unerträglich"; ein bemerkenswertes Wort, wenn ein Journalist über Journalisten schreibt.

    Polke-Majewski (Buchpublikation 2005: "Land in Angst"; mit der Angst hat er's offenbar) geißelte in diesem Artikel etwas, von dem zwar Politiker oft sprechen, auch wohl der eine oder andere Blogger, die professionellen Kollegen aber eher selten: Eine Pressekampagne:
    Was ist hier eigentlich los? Die Bild-Zeitung kreischt "Angst um unser Geld". Die Frankfurter Allgemeine lässt sich ausgerechnet von einem fundamentalistischen Europa-Kritiker, dem tschechischen Präsidenten Václav Klaus, bestätigen, der Euro sei an der griechischen Tragödie Schuld. Die Welt beruft sich auf Erich Honecker, um einen vermeintlichen Fortschritts-automatismus in der Europäischen Union zu geißeln und erzählt dem geneigten Leser, was die Hellenen alles erreichen könnten, wenn sie nur die Drachme wieder hätten. Geht’s noch? (...)

    ... die Art und Weise, wie einige, vornehmlich bürgerliche Blätter, in diesen Tagen Angst und Ressentiments schüren, ist schwer erträglich.
    Das also war vor vier Wochen. Die Journalisten der "bürgerlichen Blätter" haben sich bisher von der Schelte ihres Kollegen von "Zeit-Online" nicht sonderlich beeindruckt gezeigt, sondern die Lage weiter so beschrieben, wie sie sich ihnen nun einmal darstellt.

    Aber eine Langzeitwirkung hatte er offenbar, der Kommentar von Karsten Polke-Majewski; nämlich bei Sigmar Gabriel, derzeit Vorsitzender der SPD.



    Sei es, daß Sigmar Gabriel den Kommentar damals gelesen und ihn dann einen Monat lang in seinem Herzen bewegt hat; sei es, daß er erst jetzt dazu gekommen ist, die alten Beiträge in "Zeit-Online" aufzuarbeiten - jedenfalls hat er jetzt der "Zeit" ein Interview gegeben, das man in ihrer aktuellen Ausgabe vom 27. 5. auf Seite 4 lesen kann. Und darin hat er offenbar das verinnerlicht, was Polke-Majewski vor einem Monat an Kritik vorgetragen hatte. Jetzt gibt er es, in einer originellen Variante von Selbstreferentialität, an die "Zeit" zurück.

    Freilich mit einer bemerkenswerten, sagen wir, Weiterentwicklung. In "Zeit-Online" gab es dazu am Mittwoch einen Vorabbericht. Auszug:
    Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Guido Westerwelle (FDP) vorgeworfen, nicht entschieden auf die Anti-Griechenland-Kampagne der Bild-Zeitung reagiert zu haben. Die Kanzlerin hätte sich dezidiert gegen die Bericherstattung der Bild stellen müssen. "Das wäre ihr Job gewesen!", sagte Gabriel der ZEIT. "Da hätte sie sagen müssen: Das geht zu weit! – Wenn nicht sie, so mindestens der Außenminister".
    "Unerträglich" hatte Polke-Majewski die Berichterstattung seiner Kollegen gefunden. Wenn etwas unerträglich ist, dann muß natürlich die Regierung etwas dagegen unternehmen, wird sich Sigmar Gabriel gesagt haben. Das ist seine Weiterentwicklung. Sozialdemokraten denken nun einmal so. Wenn etwas nicht gut ist, dann muß die Regierung es reparieren.

    Pressefreiheit hin, Pressefreiheit her. Die Presse als Vierte Gewalt? Pff! Der Vorsitzende der SPD sieht es als Aufgabe der Bundesregierung an, Presseschelte zu üben, wenn Journalisten etwas schreiben, was ihr nicht zusagt.

    Offenbar übt er schon für das Amt des Kanzlers, der Riesenstaatsmann Gabriel.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Mit Dank an C.

    27. Mai 2010

    Marginalie: Bundespräsident Köhlers "Wirtschaftskrieg-Rhetorik". Deutscher Eiertanz

    Es dürfte schwer sein, einen anderen Staat zu finden, in dem eine solche Debatte stattfinden könnte.

    Bundespräsident Köhler hat unsere Truppen in Afghanistan besucht. Und er hat dazu in einem Interview mit Deutschlandradio Kultur laut "Welt-Online" dies gesagt:
    Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganz regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen.
    Er hat also das Selbstverständliche gesagt: Daß Deutschland, wie jeder Staat, im Notfall Truppen einsetzt, wenn seine Interessen das verlangen.

    Dann, und nur dann. Es anders zu handhaben würde den Amtseid jedes Verantwortlichen verletzen, mit dem er bekanntlich schwört, den Nutzen des deutschen Volkes zu mehren und Schaden von ihm zu wenden.

    Gewiß ist der Schutz wirtschaftlicher Interessen nur ein Aspekt einer Entscheidung wie derjenigen, daß Deutschland sich an der ISAF beteiligt. Anfangs stand der Aspekt der unmittelbaren Gefährdung der Sicherheit im Vordergrund; es galt zu verhindern, daß die Kaida in Afghanistan erneut Fuß faßt.

    Auch jetzt spielt dieser Gesichtspunkt weiter eine große Rolle; Deutschland ist nach wie vor im Visier des islamistischen Terrorismus. Aber selbstverständlich geht es auch darum, "regionale Instabilitäten zu verhindern", wie der Bundespräsident es formuliert hat. Ein wieder von den Taliban beherrschtes Afghanistan würde die Stabilität der Region gefährden. Pakistan ist inzwischen politisch so instabil, daß es dann ebenfalls vom Islamismus unmittelbar bedroht wäre; mit wiederum unabsehbaren Folgen für den Konflikt mit Indien.

    Und natürlich hätte eine solche Entwicklung schwerwiegende wirtschaftliche Folgen, gerade auch für Deutschland. Darauf hat der Bundespräsident hingewiesen. Für das "Handelsblatt" ist das "Wirtschaftskrieg-Rhetorik".



    Köhler hat sich mit der ihm eigenen Direktheit geäußert. SPD-Oppermann hat das kritisiert; CDU-Polenz beschwichtigt und nennt die Äußerung von Köhler "keine besonders glückliche Formulierung".

    Der Grünen-Fraktionsvize im Bundestag Frithjof Schmidt setzt - so im "Handelsblatt" zu lesen - noch eins drauf:
    Man weiß nicht, was schlimmer wäre: ein Bundespräsident, der das wirklich so sieht, oder einer, der sich über die Zusammenhänge so in Unkenntnis befindet.
    Er befindet sich in Kenntnis der Zusammenhänge, der Bundespräsident Köhler. Natürlich befindet sich auch Frithjof Schmidt in Kenntnis der Zusammenhänge. Nur traut Köhler sich, sie zu nennen, diese Zusammenhänge.

    Während Schmidt sie gern vertuscht sehen möchte. Er möchte gern den Eiertanz weiter tanzen, den die Grünen einst veranstaltet haben, als sie dem Afghanistan-Einsatz zustimmten. Soldaten ja, aber bitte kein Krieg. Intervention ja, aber bitte nicht zur Wahrung deutscher Interessen.

    Denn, nicht wahr, Interessenpolitik gab es ja nur im 19. Jahrhundert. Das jedenfalls meint Ulrich K. Preuß, laut einer Laudatio im "Linksnet" einer der "bedeutendsten juristischen Theoretiker der Neuen Linken". Dazu das "Handelsblatt":
    Kritik daran kommt auch von Verfassungsrechtler Ulrich Preuß, der an der Berliner Hertie School of Governance lehrt. "Das ist eine durch das Grundgesetz schwerlich gedeckte Erweiterung der zulässigen Gründe für einen Bundeswehreinsatz um wirtschaftliche Interessen", sagte Preuß "Spiegel Online". Politisch halte er Köhlers Einlassungen für "höchst irritierend". "Da ist ein imperialer Zungenschlag erkennbar", so der Jurist. "Mich erinnert das an die englischen Imperialisten des 19. Jahrhunderts, die mit ähnlichen Argumenten ihre Seeherrschaft verteidigten."
    Wie schön, daß es heute solche geopolitischen Interessen nicht mehr gibt. Jedenfalls nicht für Deutschland. Oder sagen wir: In Deutschland gehört es sich nicht, laut darüber zu reden. Schon gar nicht, wenn man Bundespräsident ist.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.

    Zitat des Tages: Was ist heute konservativ?

    Dabei ist es nicht so, dass ein konservatives Lebensgefühl in der Union – und außerhalb – keine Chance mehr hätte. Es sind vielmehr gerade die Jungen, die sich in dieser Hinsicht besonders radikal geben. (...) Namen könnte man da einige nennen (...) wie die junge Familienministerin Kristina Schröder. Die zum Beispiel will neben dem Rechts- auch den Linksextremismus bekämpfen, verlangt von Migranten Anpassung, und als sie heiratete, übernahm sie brav den Namen ihres Mannes.

    Katharina Schuler in "Zeit-Online" über Konservative in der Union.


    Kommentar: Fürwahr, wer den Linksextremismus bekämpft, wer von Einwanderern erwartet, daß sie sich in ihre neue Heimat einfügen und wer - horribile dictu! - bei der Heirat gar einen gemeinsamen Familiennamen wählt, der gibt sich damit "besonders radikal" konservativ.

    Ein Blick auf das politische Koordinatensystem im Deutschland des Jahres 2010.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.

    Kurioses, kurz kommentiert: Günter Wallraff wurde Opfer eines Fakes. Darf man da lachen?

    Nein, eigentlich darf man natürlich nicht lachen, wenn jemand Opfer einer Straftat wurde; eines Raubs am hellichten Tag in diesem Fall, auf sozusagen offener Szene.

    Aber ich mußte lachen, als ich die Episode erst in der FAZ beschrieben gelesen habe und dann, ausführlicher, in El País, dem spanischen Pendant zur FAZ.

    Also, da saß am vergangenen Samstag dieser Meister des Trügens und Täuschens - laut El País "uno de los grandes del periodismo de infiltración en las más deleznables cloacas de Europa"; einer der Großen des Einschleich-Journalismus in den dürftigsten Kloaken Europas - in Barcelona auf der Terrasse des Park Hotel Barcelona in der Calle Marqués de Argentera; drei Sterne, Zimmerpreise um die 100 Euro pro Nacht.

    Er saß da zusammen mit seinem spanischen Übersetzer, um über ein Buch zu reden, dessen spanische Ausgabe demnächst im Verlag Anagrama erscheinen soll.

    Dann spielte sich der Fake ab: Jemand stolperte theatralisch über einen Stuhl, es gab ein kleines Spektakel, alles blickte dorthin; und als die Unruhe sich wieder gelegt hatte, war die Tasche weg, die Wallraff unter seinen Tisch gestellt hatte. Also ein klassischer Trick. Der berufsmäßige Faker Wallraff war auf einen Fake hereingefallen

    Das finde ich lustig. Ich kann diese Schadenfreude damit rechtfertigen, daß, evolutionsbiologisch gesehen, das Lachen wohl zuerst eine Reaktion auf ein Mißgeschick gewesen sein dürfte, das einem anderen widerfährt (siehe Chaplin, Schmidt, Borat. Bemerkungen zum Lachen und zum Humor; ZR vom 9. 12. 2006). Aber ich will gern einräumen, daß meine Reaktion auch durch die tiefe Abneigung motiviert ist, die ich gegen Wallraffs Art von windigem Journalismus empfinde; siehe Wallraff der Lügner, zum zweiten; ZR vom 19. 10. 2009.



    Das ist aber noch nicht die ganze Geschichte. Das Kuriose kommt noch, und es paßt zu Wallraff. Im Artikel von El País steht im wesentlichen das, was ich berichtet habe. Der Autor des Artikels in der FAZ, Paul Ingendaay, hat aber offensichtlich von Günter Wallraff weitere Informationen erhalten. Oder vielmehr: Er hat sich Wallraffs Lamento anhören dürfen:
    Der Verlust ist für Wallraff eine Katastrophe. All die Leute, die ihn schriftlich um Hilfe gebeten haben: Ihre Briefe sind weg. "Ich warte darauf", sagt er, "dass sie sich irgendwann wieder enttäuscht oder erzürnt an mich wenden." (...)

    Jetzt also heißt es: warten. Vielleicht liest ein Straßendieb Zeitung. Vielleicht sogar diese Zeitung, man will es nicht ausschließen.
    Nein, das wollen wir doch ganz gewiß nicht ausschließen, daß man in Kreisen der Trickdiebe von Barcelona die FAZ liest.

    Und wenn nicht die FAZ - ganz bestimmt liest man dort "Zettels Raum". Also hier mein Aufruf:

    Habt ein Herz für die Mühseligen und Beladenen, ihr Diebe von Barcelona! So hartherzig könnt ihr doch nicht sein, diesen guten Menschen Wallraff daran zu hindern, auch weiter Gutes zu tun. Gebt ihm die Bittbriefe zurück.

    Und bedenkt doch auch, was Wallraff dem Autor Ingendaay auch noch anvertraut hat: "Ich war mit dieser Tasche regelrecht verwachsen".



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.

    26. Mai 2010

    Die Absurdität des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, erläutert anhand des Falls des NPD-Vorsitzenden Udo Voigt

    Bis zum 18. August 2006 herrschte in Deutschland zwischen den Anbietern von Waren oder Dienstleistungen und ihren potentiellen Kunden Vertragsfreiheit. Der Kunde war frei, etwas zu kaufen oder es sein zu lassen. Er war frei, eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen oder nicht. Der Anbieter war frei darin, zu entscheiden, ob er jemandem eine Ware oder eine Dienstleistung verkaufen wollte. Niemand war gezwungen, etwas zu kaufen oder zu verkaufen.

    Am 18. August 2006 aber trat es in Kraft, das AGG, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Seither ist in Deutschland die Vertragsfreiheit eingeschränkt. Genauer: Der Kunde kann weiter frei entscheiden, wessen Ware er kaufen und von wem er eine Dienstleistung in Anspruch nehmen will. Der Anbieter kann aber nicht mehr frei entscheiden, ob er jemandem eine Ware oder eine Dienstleistung verkauft.

    Über dieses AGG ist erstaunlich wenig gestritten worden; es ist bemerkenswert selten vom Grundsatz her kritisiert worden. In diesem Blog allerdings schon; siehe zum Beispiel Allgemeine Gleichbehandlung; ZR vom 20. 6. 2006, Überraschung beim Feinkosthändler; ZR vom 27. 10. 2006, und Die Ossis sind nun doch kein Volksstamm; ZR vom 15. 4. 2010.

    Der Titel des letztgenannten Artikels lautete in dem barocken Stil, den ich in Überschriften gern verwende, vollständig so: "Zettels Meckerecke: Die Ossis sind nun doch kein Volksstamm, hat heute ein Gericht entschieden. Die Absurdität des Allgemeinen Gleichbehandlungesetzes".

    Über diese Absurdität gibt es Aktuelles zu berichten.



    Stellen Sie sich einmal vor, Sie sind ein Hotelier, und sie verabscheuen die Neonazis so, wie das beispielsweise ich tue. Würden Sie dann einen Neonazi als Mitarbeiter einstellen? Würden Sie an einen Neonazi ein Zimmer vermieten? Oder nur eines von beiden? Wenn ja, welches noch eher?

    Man kann das verschieden beantworten. Vielleicht werden Sie sagen, auch ein Neonazi könne ja ein qualifizierter Mitarbeiter sein. Vielleicht werden Sie sagen, ein Hotelier hätte sich nicht um die politische Richtung seiner Gäste zu kümmern. Solange sie zahlen und das Zimmer nicht demolieren, sollten sie ihm recht sein.

    Wie auch immer - einer Meinung werden Sie wahrscheinlich nicht sein: Daß sie gern einen Neonazi als Mitarbeiter einstellen würden, es aber strikt ablehnen, so jemanden als Gast zu beherbergen.

    Ich vermute das deshalb, weil die beiden Meinungen "Ich möchte keinen Neonazi als Mitarbeiter haben" und "Ich möchte keinen Neonazi als Hotelgast haben" Ausdruck derselben Einstellung - einer demokratischen, antinazistischen Einstellung - sind. Sie markieren aber verschiedene Stärken dieser Einstellung.

    Auf diesem Unterschied zwischen einer Einstellung und den verschiedenen Meinungen, die unterschiedliche Stärken dieser Einstellung ausdrücken, hat der amerikanisch-israelische Soziologe Louis Guttman eine Methode der Skalierung von Einstellungen aufgebaut.

    Wer keinen Neonazi als Mitarbeiter haben möchte, der ist in einem bestimmten Grad antinazistisch eingestellt. Wer noch nicht einmal einen solchen Hotelgast haben möchte, der ist das in einem höheren Grad. Man kann also die Stärke von Einstellungen messen, indem man die Zustimmung zu solchen Meinungen erhebt.

    Das war die Idee von Guttman. Die Logik seines Testverfahrens besteht darin, daß jemand, der in einem starken Maß eine bestimmte Einstellung hat, auch solchen Meinungen zustimmen wird, die Ausdruck eines schwächeren Ausmaßes derselben Einstellung sind. Umgekehrt ist das aber nicht der Fall.



    Beziehen wir das nun auf das AGG. Lesen Sie bitte einmal diese beiden Paragraphen des Gesetzes, und zwar - bitte! - sorgfältig:
    § 1 Ziel des Gesetzes

    Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.


    § 19 Zivilrechtliches Benachteiligungsverbot

    (1) Eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, wegen des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse, die
    1. typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen (Massengeschäfte) oder bei denen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen oder

    2. eine privatrechtliche Versicherung zum Gegenstand haben,
    ist unzulässig.
    Haben Sie sorgfältig gelesen? Dann haben Sie gemerkt, daß im Paragraphen 19 wörtlich dieselben Gründe für eine Benachteiligung genannt werden wie im ersten Paragraphen - fast. Denn es fehlt "Weltanschauung".

    Und damit sind wir beim Fall Udo Voigt.

    Der erste Paragraph des AGG nennt die Merkmale für eine Diskriminierung, wie sie ohne Abstriche im Arbeitsrecht gelten. Der Paragraph 19 bezieht sich hingegen auf das, was die Juristen "Schuldverhältnisse" nennen und was wir anderen als das Abschließen beispielsweise eines Kauf- oder eines Beherbergungsvertrags bezeichnen würden.

    Um einen Beherbergungsvertrag geht es im Fall Udo Voigt. Wie man zum Beispiel bei "Spiegel-Online" oder in der taz lesen kann, wollte der Vorsitzende der NPD gern Gast im Wellness-Hotel "Esplanade" in Bad Saarow sein. Das aber lehnte dessen Direktor Heinz Baumeister ab, weil er einen Rechtsextremen nicht beherbergen wollte. Jetzt hat Voigt geklagt und sich dabei auf das AGG bezogen.



    Voigt hat in diesem Prozeß schlechte Karten. So schlechte, daß man sich fragt, warum er überhaupt klagt. Vermutlich rechnet er nicht damit, den Prozeß zu gewinnen, sondern erwartet sich von ihm nur Publicity.

    Denn die Rechtslage gemäß AGG ist eindeutig: Allgemein - erster Paragraph des AGG - ist eine Benachteiligung wegen der Weltanschauung verboten. Aber wenn es um "Schuldverhältnisse" geht, also beispielsweise einen Beherbungsvertrag, ist sie erlaubt.

    Ein Hotelier darf also keinen Bewerber, der bei ihm gern Empfangschef werden möchte, mit Hinweis darauf ablehnen, daß der Betreffende ein bekannter Neonazi sei. Tut er das, dann wird der Benachteiligte ihn verklagen, und er wird den Prozeß gewinnen und Schadenersatz erhalten.

    Der Hotelier darf aber denselben Herrn, wenn er bei ihm gern eine Übernachtung buchen möchte, mit Hinweis auf dessen Betätigung als Neonazi ablehnen. Denn bei der Beherbergung von Hotelgästen darf man zwar nicht nach Rasse, Geschlecht oder sexueller Identität diskriminieren. Auch nicht nach Religion. Wohl aber - anders als im Arbeitsrecht - nach Weltanschauung.

    So absurd ist es. So gegen jede Logik ist dieses AGG formuliert.

    Als ich das nachlas, dachte ich zuerst an einen Fehler in dem Text, den ich benutzte, und erwog sogar, daß im Gesetzgebungsverfahren vielleicht schlicht das Wort "Weltanschauung", das im Paragraphen 1 steht, bei der Übernahme der Passage in den Paragraphen 19 vergessen worden war. Auch Gesetzgeber sind Irrtümern unterworfen.

    Aber weit gefehlt. Das Jura-Forum liefert die Aufklärung:
    Bei den im Zivilrechtsverkehr aufgenommenen Antidiskriminierungsmerkmalen wurden bis auf das Merkmal "Weltanschauung" alle in § 1 AGG aufgeführten Diskriminierungsgründe übernommen. Das Merkmal der Weltanschauung wurde zur Vermeidung eines Rechtsmißbrauchs durch rechtsradikale Personen herausgenommen.
    Mit anderen Worten: Würde man auch im Zivilrechtsverkehr eine Diskriminierung aufgrund der Weltanschauung verbieten, dann könnten Rechtsradikale davon Gebrauch machen. Und das wäre dann - meint offenbar der Gesetzgeber - ein Mißbrauch. Weil es ja Rechtsextreme wären, die davon Gebrauch machen würden.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Die Titelvignette wurde vom Autor NavBack unter Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic License freigegeben.

    25. Mai 2010

    Der wahre Hintergrund von Kochs Rücktritt

    Wo die politische Analyse noch schweigt, mangels genauerer Kenntnis, da kann das Feuilleton bereits munter losschwatzen.

    Manches wurde von den Profis schon erklärt: wie Kochs Hoffnung, in das Bundeskabinett einzutreten, als Nachfolger des kranken und - wie man wohl sagen muß, überforderten - Schäuble, an der Kanzlerin gescheitert ist, und wie der Rücktritt gerade jetzt, wo Merkel sich selbst in der Krise befindet, ihr einen herben Schlag verpasst: so argumentieren eben Journalisten, immer an der Oberfläche nach Animositäten suchend, durch die vermeintlich das Verhalten der Politiker gesteuert wird.

    Das war es sicher nicht. So kleinkariert denkt ein Kopf wie Koch auf keinen Fall.

    Man mag an Persönliches denken: so wie manche Wissenschaftler alle zehn Jahre das Arbeitsgebiet wechseln - oder Eheleute den Partner - um noch einmal frisch von vorne anzufangen, so könnte auch Koch die Welt außerhalb der Politik gelockt haben, die er kaum kennengelernt hat, als eine terra incognita, die er sich noch erobern kann. Etwas in dieser Art hat er auf der Pressekonferenz selber angedeutet.

    Doch das ist nicht sehr wahrscheinlich bei einem Politiker. Das Beispiel Genschers, auf das Zettel verweist, ist schon ebenfalls mißdeutet, wenn man die Gesundheitsgründe, die er damals anführte, für bare Münze nimmt. In Wirklichkeit hatte Genscher, der mit den Verhältnissen des Kalten Krieges in der Phase der Entspannungspolitik intim vertraut war, keine Vorstellung davon, wie deutsche Außenpolitik nach dem Ende der Sowjetunion aussehen könnte. Che farò? Dove andrò? fragte er sich ratlos wie Orpheus und wurde Rentner.

    Ein vergleichbarer Fall liegt heute vor beim Rücktritt Roland Kochs. Wir erleben gerade einen ebenso tiefen Einschnitt wie es der Mauerfall gewesen ist, vielleicht sogar noch einen tieferen: das Ende einer Ära des Aufbaus, der Prosperität und des Friedens, der großen Zeit Europas zwischen dem achten und dem neunten Mai. Was jetzt kommt? Hauen und Stechen unter dem Druck einer harten Sparpolitik, Auflösung der staatlichen Strukturen zugunsten einer Serie von Kriseninterventionen in immer neuen Notlagen, oder auch die fortgesetzte Abfederung von allerlei Risiken mit folgendem umso lauterem Knall? So oder so Krise, Zerfall, Niedergang.

    Der Niedergang ist aber keine Zeit, wo ein kluger Mensch sich in der Politik aufhält. Lass die anderen scheitern! wird sich Koch gedacht haben. Mir scheint, er spekuliert auf Baisse; in zehn Jahren, wenn der Karren im Dreck steckt, wird er vielleicht wieder gebraucht - wer weiß, womöglich als Europakanzler - und würde dann vergleichsweise mühelos als Held in Erscheinung treten können.

    Umgekehrt ist das Risiko des Rücktritts freilich ebenso klar: wenn es den Merkel, Schäuble und Westerwelles gelingt, die Krise zu meistern, dann hätte Koch seine besten Jahre mit irgendeiner Form von Werktätigkeit vergeudet, zu der tausend andere ebenso begabt sind wie er, und aller Ruhm käme anderen zu, während er vergessen sein würde.

    Das meiste, was die Politik jetzt macht, dient dem Zeitgewinn. Kochs Rücktritt, auf seine Weise, ebenfalls.

    © Kallias. Für Kommentare bitte hier klicken.

    Marginalie: Kochs Knaller

    Einen solchen Rücktritt habe ich noch nicht erlebt: Unbedrängt, wie man im Sport sagen würde. Aus heiterem Himmel, wie der Volksmund das nennt. Mitten aus dem politischen Leben herausgerissen, sozusagen. Mit 52 Jahren.

    Gerade hatte er doch erst mit dem "Spiegel"-Interview signalisiert, daß er in der jetzigen Krise seinen Mann stehen will. Mit einem Auge auf Berlin schien es konzipiert worden zu sein, dieses Interview. Provokativ, wie es Kochs Stil ist. Aber wohlkalkuliert, und er hatte ja Recht, wenn er auf den Ernst der finanziellen Situation hinwies.

    Als Hans-Dietrich Genscher ebenso unerwartet wie jetzt Koch zurücktrat, war er auf dem Gipfel seines Ansehens. Fünf Wochen nach seinem 65 Geburtstag gab er 1992 seinen Rücktritt vom Amt des Außenministers bekannt. Er hatte -- nahezu - alles erreicht, was er erreichen konnte, und sich entschlossen, fortan mit Rücksicht auf seine Gesundheit zu leben.

    Als Oskar Lafontaine im März 1999 "den Oskar machte", wie man das bald danach nannte, hatte er den Machtkampf mit seinem Kanzler Schröder verloren und zog die Konsequenz. Auf seine Art: Rücksichtslos, öffentlichkeitswirksam, theatralisch.

    Aber jetzt Koch? Er ist - das hat er immer wieder bewiesen - ein Kämpfer. Er hat durchgehalten, als ihm das Amt nach der verlorenen Wahl 2008 schon schon entglitten zu sein schien; er hat sich 2009 eine solide Mehrheit zurückgeholt. Im Februar 2009 wurde er erneut zum Ministerpräsidenten gewählt; vor noch nicht einmal 16 Monaten.

    Koch tritt nicht nur Ministerpräsident zurück; sondern wie Lafontaine, wie Friedrich Merz hat er angekündigt, aus allen Ämtern auszuscheiden. Aber Merz hatte, wie Lafontaine gegen Schröder, einen Machtkampf verloren; er denjenigen gegen Angela Merkel. Nichts dergleichen jetzt bei Koch.



    Was steckt dahinter? Bisher ist das völlig unklar. Hat Koch ein so attraktives Angebot in einem anderen Bereich als dem der Politik erhalten, daß ihn das zum Ausstieg bewog? Oder gab es innerhalb des Politischen für ihn Gesichtspunkte, die nicht offen zutageliegen?

    Ich bedauere die Entscheidung von Koch. Mir hat seine kühle und direkte Art gefallen. Ein fähiger Kopf, ein durchsetzungsstarker Politiker. In manchem ähnelt er Friedrich Merz; ja auch, was die liberalkonservative Grundhaltung angeht.

    Wolfgang Clement ist aus der SPD ausgetreten. Nach Merz verliert jetzt die CDU wieder einen ihrer besten Männer. Alle drei kantige Leute, die nicht allein die Meinungsumfragen als ihre Leitlinie ansahen.

    Im Englischen hat das Wort "to resign" zwei Bedeutungen. Es bedeutet "zurücktreten". Es bedeutet zugleich, wie im Deutschen, resignieren.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.

    Mal wieder ein kleines Quiz: Warum wurde am gestrigen Feiertag in Frankreich gearbeitet?

    Der gestrige Montag war auch in Frankreich ein Feiertag, der Lundi de Pentecôte. Dennoch haben gestern die Franzosen in erheblichem Umfang gearbeitet. Warum?
    (A) Ein Gesetz aus dem Jahr 2004 bestimmt, daß an diesem Tag, obwohl er ein Feiertag ist, regulär gearbeitet werden muß; jedoch unentgeltlich. Dieses unter dem Premierminister Raffarin verabschiedete Gesetz war eine Reaktion auf die Hitzewelle des Sommers 2003.

    (B) Als Maßnahme zur Gleichstellung der Geschlechter wurde unter der bisher einzigen Premierministerin Frankreichs, Édith Cresson, im Jahr 1991 ein Gesetz verabschiedet, das verheiratete Männer verpflichtet, am Pfingstmontag alle Hausarbeiten zu erledigen, einschließlich einer gründlichen Reinigung der Wohnung.

    (C) In vielen Gemeinden Frankreichs sind die Einwohner im Alter zwischen 18 und 55 Jahren zu sogenannten corvées verpflichtet (etwa: Hand- und Spanndienste), die am Pfingstmontag abgeleistet werden. Diese aus dem Feudalismus stammenden Dienstverpflichtungen überdauerten die Revolution und dienen inzwischen hauptsächlich zur Verschönerung von Städten und Dörfern.

    (D) Die drei großen Gewerkschaften CGT, CFDT und FO haben gemeinsam dazu aufgerufen, an diesem Tag nach dem Vorbild des sozialistischen Subbotnik ohne Lohn zu arbeiten. Der Erlös soll an griechische Arbeitnehmer überwiesen werden, die aufgrund der Maßnahmen der EU einer exploitation exacerbée (verschärften Ausbeutung) in Form von Lohnkürzungen ausgesetzt seien.
    Die Lösung finden Sie wie immer in Zettels kleinem Zimmer.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.

    24. Mai 2010

    Marginalie: Kleine Atomreaktoren werden zum großen Geschäft

    So jedenfalls titelte Business Week am vergangenen Donnerstag: "Small nuclear reactors are becoming big business". Unterzeile: "The race is on to develop refrigerator-size reactors that could power small towns or plants"; der Wettlauf zur Entwicklung von Reaktoren von der Größe eines Kühlschranks habe begonnen, die kleine Städte oder Werksanlagen mit Strom versorgen könnten.

    Diese neuen Reaktoren würden sich zu den traditionellen Kernkraftwerken so verhalten wie ein iPod zu einem Großrechner, meint einer der Pioniere auf diesem Gebiet, John Deal, der Vorstandsvorsitzende der Firma Hyperion Power Generation, die an solchen Kleinanlagen arbeitet. Sie ist eine von etlichen Firmen, die in dieses Geschäft eingestiegen sind; darunter Weltfirmen wie General Electric, Westinghouse und Toshiba.

    Hyperion hat bereits mehr als 150 Kaufverpflichtungen von Kunden vorliegen; beispielsweise von Betreibern von Bergwerken in abgelegenen Gebieten. Der Reaktor, der auf einem Truck transportiert werden kann, soll 25 Megawatt liefern und um die 50 Millionen Dollar kosten. Er befindet sich in einem versiegelten Gehäuse; die Wartung soll weniger aufwendig sein als die eines herkömmlichen Kraftwerks. Untergebracht werden soll eine solche Anlage in einem unterirdischen Gewölbe; zum Schutz gegen Manipulationen und Einflüsse von außen.

    Eine Betriebsgenehmigung für diesen neuen Reaktortyp steht in den USA allerdings noch aus; sie könnte drei bis fünf Jahre benötigen.



    Klingt interessant, nicht wahr? Aber natürlich haben sich die üblichen Verdächtigen längst gemeldet. Für Greenpeace hat dessen Chef für den Nuklearbereich, Jan Beránek, bereits die zu erwartenden Warnungen zu Protokoll gegeben: Solche Anlagen seien so wenig sicher wie die bisherigen KKWs; überdies könnten Terroristen sie in ihre Gewalt bringen.

    Die Vorteile dieser neuen Technologie erscheinen freilich so groß, daß die Bedenkenträger sich wohl nicht durchsetzen werden. Wie ein Sprecher von Toshiba, Keisuke Ohmori, mitteilte, wird seine Firma demnächst die Genehmigung zur Errichtung einer solchen Anlage für die Stadt Galena in Zentralalaska beantragen.

    Keine Hochspannungsleitungen führen zu dieser Stadt. Mehr als sechs Monate im Jahr ist sie auch vom Schiffsverkehr abgeschnitten, weil der Yukon dann zugefroren ist. Bisher hat man Strom mit Dieselaggregaten erzeugt, was aber immer teurer wird; allein in den letzten zwölf Monaten stieg der Preis von Dieselöl um 48 Prozent. Ein Kleinreaktor wäre der ideale Energielieferant.

    Daß deutsche Firmen bei dieser Zukunftstechnologie mit von der Partie sein könnten - darauf allerdings habe ich keinen Hinweis finden können.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.

    Marginalie: Kämpft die University of California in San Diego gegen Rassismus? Aber ja. Es sei denn, er richtet sich gegen Juden

    Darüber, was zu sagen und zu schreiben toleriert werden sollte und was nicht, kann man unterschiedlicher Meinung sein. Das gilt für das allgemeine Strafrecht. Es gilt auch für das, was beispielsweise auf dem Campus einer Universität toleriert wird.

    Viele US-Universitäten sind da sehr strikt; zum Beispiel die University of California at San Diego (UCSD; die University of California besteht aus mehreren Teil-Universitäten, von denen eine in San Diego liegt). Sie hat erst kürzlich eine Kampagne "Battle Against Hate" (Kampf dem Haß) ins Leben gerufen, mit Ansteck-Buttons "Racism not in our Community" (Kein Rassismus in unserer Gemeinschaft).

    Der Anlaß dazu war der folgende Vorfall gewesen:

    In den USA wird im Februar der black history month (Monat der Geschichte der Schwarzen) begangen. Dieses Jahr nun hatten das verschiedene studentische Vereinigungen (fraternities) zum Anlaß für eine Motto-Party genommen (sie fand nicht auf dem Gelände der Universität statt), zu der die Gäste laut Einladung in Ghetto-Kleidung erscheinen und sich entsprechend vulgär benehmen sollten - laut sprechen, fluchen, schmatzen, anderen den Finger entgegenstrecken usw. Das Ganze hatte man "Compton Cookout" getauft. Compton ist ein überwiegen schwarzer Vorort von Los Angeles, und ein cookout ist eine Grillparty.

    Man kann das nur geschmacklos finden. Man kann es auch rassistisch finden. Die Leitung der UCSD fand es rassistisch. Die Kanzlerin schrieb dazu einen langen Brief des Bedauerns ("Unsere Campus-Gemeinschaft erlitt eine Verletzung, aber der Prozeß der Heilung hat begonnen"), und es wurde eben jene Aktion "Kampf gegen Haß" ins Leben gerufen.



    So weit, so gut. Wenn eine Universität eine solch strikte Politik gegen alles, was als rassistisch verstanden werden kann, auf ihre Fahnen schreibt, dann ist das ihr gutes Recht. Wenn Sie Kampf gegen Haß als ihre Aufgabe ansieht, dann soll sie das tun.

    Nun trug sich aber an dieser Universität etwas zu, über das Jonah Goldberg in seiner aktuellen Kolumne in der Los Angeles Times berichtet:

    Auf Einladung u.a. der konservativen Jugendorganisation Young Americans for Freedom sprach vor knapp drei Wochen, am 5. Mai, der Publizist David Horowitz, der für seine kritische Auseinandersetzung mit dem Islamismus bekannt ist.

    In der Diskussion meldete sich eine Studentin mit Kopftuch zu Wort, um den Hals ein Palästinenser-Tuch geschlungen. Den Wortwechsel, der sich dann entspann, können Sie hier auf YouTube verfolgen.

    Es ging zunächst um die MSA, die Vereinigung moslemischer Studenten. Was dann geschah, faßt Goldberg so zusammen:
    In less than two minutes, she revealed herself as a supporter of the terrorist group Hamas. Horowitz then noted that Hezbollah, another terrorist organization, wants all Jews to return to Israel so they can be more conveniently liquidated in one place. Horowitz asks Albahri whether she's for or against that proposition. She is "for it."

    In noch nicht einmal zwei Minuten entpuppte sie sich als als Unterstützerin der terroristischen Gruppe Hamas. Horowitz wies dann darauf hin, daß die Hisbollah, eine weitere terroristische Organisation, dafür eintritt, daß alle Juden nach Israel zurückkehren, damit sie leichter am selben Ort liquidiert werden können. Horowitz fragte Albahri [das ist der Name der Studentin], ob sie für oder gegen diesen Vorschlag sei. Sie ist "dafür".



    Goldberg schrieb an eine Email an die UCSD und erkundigte sich, ob diese Studentin wegen ihres Eintretens für einen Genozid belangt wurde, oder ob das Video irreführend sei.

    Er erhielt einen Standardtext als Antwort, in dem mit Hinweis auf Aristoteles mitgeteilt wurde, die UCSD trete für Diskurs und Debatte ein. Weiter hieß es, daß "the very foundations of every great university are set upon the rock-solid principles of freedom of thought and freedom of speech"; daß jede bedeutende Universität ihre ureigenste Grundlage in den felsenfesten Prinzipien der Gedanken- und Redefreiheit hätte.

    Jonah Goldberg fragte zurück, ob dies auch die Antwort gewesen wäre, wenn jemand für die Vernichtung der Schwulen oder der Schwarzen eingetreten wäre.

    Er erhielt erneut einen vorgestanzten Text, der ihn diesmal darüber informierte, wie sich studentische Gruppen an der UCSD finanzieren.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.

    23. Mai 2010

    Zitat des Tages: "Die größten Apokalyptiker sitzen im Garten und trinken Tee". Harald Schmidt im Interview

    Die größten Apokalyptiker sind bestens gelaunt, werden alle neunzig, sitzen im Garten, trinken Tee. Neulich habe ich wieder ein super Foto gesehen von Beckett in kurzen Höschen in Casablanca am Strand. Die armen Irren, die sich all das Negative reinziehen und dran glauben, die tun mir leid. Der geistige Mittelstand.

    Harald Schmidt im Gespräch mit Volker Corsten und Claudius Seidl von der FAZ. Anlaß für das Interview war die bevorstehende Premiere von "Volpone" von Ben Johnson im Staatstheater Stuttgart, wo Schmidt die Titelrolle spielen wird.


    Kommentar: Das Gespräch ist angenehm zu lesen, weil Schmidt nicht bei jeder Antwort mindestens eine Pointe zu setzen versucht, wie es sonst seine Art ist.

    In diesem Dauerwitzbeschuß geht unter, daß Schmidt ja manchmal Kluges sagt, und daß er es auch trefflich auszudrücken weiß. Wie das Zitat es illustriert.

    Ja, die großen Pessimisten sind nicht selten zugleich Freunde des angenehmen Lebens gewesen. Schopenhauer wird oft genannt, der es als gelernter Kaufmann geschafft hatte, sein Erbe so geschickt anzulegen, daß er sorgenfrei und in gediegenem Luxus leben konnte. Autoren wie E.T.A. Hoffmann und Gottfried Keller, in deren Werk das Düstere überwiegt, waren im richtige Leben nachgerade Bonvivants.

    Derlei ist gewissermaßen Lieschen Müller, spiegelverkehrt.

    Wer bescheiden leben muß, der imaginiert sich hinein in die Welt der Hedwig Courths-Mahler und der Lore-Romane, heute auch der Daily Soaps und Telenovelas. Und wer als Künstler oder Philosoph - oder, wie Samuel Beckett, als beides - eine beklemmende, deprimierende Welt gestaltet, der hat halt als seine Gegenwelt das reale Leben, in dem er sich's gut gehen läßt.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.

    Frohe Pfingsten!


    Das Fresco "Pfingsten" von Johann Jakob Zeiller in der Basilika Ottobeuren (1758). Für eine Vergrößerung bitte auf das Bild klicken.



    Laut einer Umfrage von Emnid (2006; 1001 Befragte) verteilten sich die Antworten auf die Frage "Was feiern wir an Pfingsten?" wie folgt: 4% Kreuzigung Jesu, 12% Mariae Himmelfahrt, 15% Auferstehung Jesu, 23% keine Ahnung, 47% Entsendung des Heiligen Geistes.

    Das deutet auf einen erfreulich hohen Informationsstand der Deutschen hin: Fast jeder zweite weiß, was er an Pfingsten feiert.

    Allerdings könnte das Ergebnis daran gelegen haben, daß in der Umfrage nur diese Alternativen vorgegeben worden waren. Stellt man die Frage offen - läßt man also den Befragten sagen, was ihm einfällt -, dann könnten die Ergebnisse deprimierender ausfallen.

    Das legt jedenfalls eine Umfrage des Institut Gewis aus dem Jahr 2007 nahe, bei der allerdings nur Frauen im Alter zwischen 16 und 65 Jahren befragt wurden. Dort wußten nur 27 Prozent die richtige Antwort. Zwei Prozent waren der Meinung, an Pfingsten werde der Papst gewählt.



    In meinem Pfingstartikel 2008 habe ich allerlei Links zum Thema "Pfingsten" zusammengestellt.

    Als ich darüber nachgedacht habe, wieso ich vor zwei Jahren Zeit hatte, das alles zu recherchieren, kam mir der Verdacht auf schlechtes Pfingstwetter. Ich habe also nachgesehen. In der Tat war damals das Wetter nicht besonders. Vor allem gab es wohl nicht dieses unverhofft freundliche Wetter nach deprimierender Kälte wie in diesem Jahr.

    Der Link führt zu der sehr schönen Wetter-WebSite "Frank Wettert" von Frank Abel, der ich außerdem entnommen habe, daß es am vergangenen 15. Mai, also gestern vor einer Woche, in Potsdam so kalt war wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1893. Die globale Erwärmung schlägt schon seltsame Kapriolen.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Das Fresco wurde von Wolfgang Sauber fotografiert, der das Bild unter GNU Free Documentation License Version 1.2 oder später freigegeben hat.

    22. Mai 2010

    Marginalie: Die Flüge des MdB Klaus Ernst. Linke können nicht mit Geld umgehen? Oh doch!

    Manchmal gerät einer in die Bredouille weniger durch das, was er versabbelt hat, als vielmehr durch die Entschuldigung, mit der er sich herauszuwinden trachtet.

    Der frisch gewählte Vorsitzende der Partei "Die Linke", Klaus Ernst, ist von Beruf Gewerkschaftssekretär. Als solcher hat er Posten in Aufsichtsräten inne und reist zu deren Sitzungen. Als solcher hat er in der Frankfurter Zentrale der IG Metall zu tun. Und da er ein vielbeschäftigter Mann ist, nimmt er dafür auch schon einmal das Flugzeug.

    Nun haben, wie man einer gestern publizierten Vorabmeldung zum "Spiegel" der kommenden Woche entnehmen kann, Recherchen des Magazins ergeben, daß sein Büro derartige Flüge regelmäßig beim Bundestag abgerechnet habe. Denn Ernst ist auch MdB.

    Mit anderen Worten: Wenn die Informationen des "Spiegel" stimmen, dann fliegt der Gewerkschafter Klaus Ernst auf Kosten des Steuerzahlers nach Frankfurt, um dort in der Zentrale der IG Metall seinen Obliegenheiten nachzugehen; dann fliegt das Mitglied von zwei Aufsichtsräten Klaus Ernst auf unsere, der Steuerzahler, Kosten dorthin, wo diese tagen.

    Unappetitlich; wenn es stimmt. Aber nun gut, warum soll es nicht auch bei den Kommunisten Spesenritter geben, so wie überall.



    Nicht mehr nur unappetitlich, sondern entlarvend ist hingegen die Rechtfertigung, die Ernst laut der Vorabmeldung gegenüber dem "Spiegel" zum Besten gegeben hat:
    Ernst verteidigte gegenüber dem SPIEGEL die Kostenübernahme durch den Bundestag: Er wirke in den genannten Gremien nicht nur als Gewerkschafter, sondern auch als Bundestagsabgeordneter. "Daran ändert auch eine Vergütung nichts."
    Man stelle sich vor, ein Abgeordneter, der Arzt ist, würde sich mit einer solchen Begründung Flüge zum Ärztetag bezahlen lassen. Oder ein Abgeordneter, im Hauptberuf Rechtsanwalt, die Flüge zu den Orten, an denen er vor Gericht auftritt.

    Sie würden das nicht tun, solche Abgeordnete; denn die Schutzbehauptung, sie seien als MdB sozusagen immer im Dienst, auch wenn sie sich in der Paradontologie fortbilden oder einen Prozeß ausfechten, würde ihnen niemand abnehmen.

    Klaus Ernst aber möchte, daß man ihm die analogen Behauptungen abnimmt. Er findet offenbar nichts dabei, seine Berufstätigkeit als Gewerkschafter mit seiner Tätigkeit als Mitglied der Fraktion von "Die Linke" zu vermischen.

    Und man kann das ja auch umgekehrt sehen: Nicht nur geht er dann auf Kosten des Steuerzahlers seiner Berufstätigkeit nach, sondern die Mitglieder der IG Metall, die ihm ein - nicht geringes - Gehalt zahlen, wissen nicht, ob sie damit eigentlich seine Arbeit als Gewerkschafter oder seine politische Tätigkeit finanzieren.

    Linke können nicht mit Geld umgehen? Oh doch.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.

    21. Mai 2010

    Bild des Tages: Ahmadinedschad, das Weltkind in der Mitten. Krauthammer über Obamas Schwäche und ihre Folgen

    Schauen Sie sich bitte einmal dieses Foto an; ich kann es aus urheberrechtlichen Gründen leider nur verlinken. Den Text dazu finden Sie hier bei msnbc.

    Die drei, die da händchenhaltend dastehen wie Prinz, Bauer und Jungfrau in der köllschen Fassenacht, sind links der Präsident Brasiliens Luis Inacio Lula da Silva, rechts der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan und, als strahlendes Weltkind in der Mitten, der iranische Präsident Mahmoud Ahmadinedschad. Im Vordergrund sieht man die drei zugehörigen Außenminister Celso Amorim, Manouchehr Mottaki und Ahmet Davutoglu.

    Dokumentiert ist in dem Foto die Unterzeichnung des Abkommens zwischen den drei Staaten, mit dem am vergangenen Montag, dem 17. Mai, vereinbart wurde, daß der Iran 1.200 kg Uran in der Türkei aufbereiten lassen wird.

    Auf dieses Ereignis bin ich bereits am Dienstag eingegangen. Dort habe ich unter Berufung auf den französischen Experten François Géré darauf aufmerksam gemacht, daß diese Übereinkunft eine Mogelpackung ist. Denn sie sieht nur den einmaligen Transport von 1.200 kg auf 3,5% angereicherten Urans in die Türkei vor; zwecks weiterer Anreicherung. Inzwischen darf der Iran neues Uran anreichern und könnte - so die Schätzung des französischen Experten - bereits in einem halben Jahr wieder über eine Tonne angereichertes Uran verfügen.

    Ich komme jetzt noch einmal auf dieses Abkommen zurück, weil Charles Krauthammer ihm heute seine wöchentliche Kolumne in der Washington Post widmet; und zwar unter einem Aspekt, den ich am Dienstag nicht berücksichtigt hatte: Was sagt dieses Abkommen über die außenpolitische Lage der USA aus?



    Krauthammer sieht die Aussagekraft des Fotos so:
    That picture -- a defiant, triumphant take-that-Uncle-Sam -- is a crushing verdict on the Obama foreign policy. It demonstrates how rising powers, traditional American allies, having watched this administration in action, have decided that there's no cost in lining up with America's enemies and no profit in lining up with a U.S. president given to apologies and appeasement.

    Dieses Bild - ein herausforderndes, triumphierendes "Da hast du's, Uncle Sam!" - ist ein vernichtendes Urteil über die Außenpolitik Obamas. Es zeigt, wie aufsteigende Mächte, traditionelle Alliierte Amerikas, diese Regierung in Aktion beobachtet haben und dann zu dem Schluß kamen, daß es nichts kostet, sich mit den Feinden Amerikas zusammenzutun, und daß es nichts bringt, sich auf die Seite eines US-Präsidenten zu stellen, der zu Entschuldigungen und Beschwichtigung neigt.
    Und dann zählt Krauthammer alle die Konflikte auf, in denen Obama beschwichtigt und sich schwach gezeigt hat - die Appeasement-Politik gegenüber dem Iran und gegenüber Syrien, gegenüber dem in Osteuropa seine Macht festigenden Rußland, die Passivität gegen Hugo Chávez und seine linken Freunde in Lateinamerika; ganz zu schweigen von der, wie Krauthammer es formuliert, "verächtlichen Behandlung" Israels. Das sei nicht nur ein Amerika im Niedergang, sondern ein Amerika, das auf dem Rückzug ist.

    Wie verhalten sich rationale Staatsmänner im Anbetracht einer solchen Politik des amerikanischen Präsidenten?
    Given Obama's policies and principles, Turkey and Brazil are acting rationally. Why not give cover to Ahmadinejad and his nuclear ambitions? As the United States retreats in the face of Iran, China, Russia and Venezuela, why not hedge your bets? There's nothing to fear from Obama, and everything to gain by ingratiating yourself with America's rising adversaries. After all, they actually believe in helping one's friends and punishing one's enemies.

    In Anbetracht von Obamas Prinzipien und politischen Entscheidungen verhalten sich die Türkei und Brasilien rational. Warum nicht Ahmadinedschad Deckung geben; seinen nuklearen Ambitionen? Warum nicht sich auf die sichere Seite begeben, wenn die Vereinigten Staaten sich gegenüber dem Iran, China, Rußland und Venezuela auf dem Rückzug befinden? Von Obama ist nichts zu befürchten; aber es ist alles zu gewinnen, wenn man sich die aufstrebenden Feinde Amerikas zu Dank verpflichtet. Die nämlich glauben schließlich daran, daß man seinen Freunden helfen und seine Feinde bestrafen sollte.
    "The fruits of weakness" hat Krauthammer diese Kolumne überschrieben, die Früchte der Schwäche. Ich kann mich in der Tat an keinen amerikanischen Präsidenten erinnern, der so wie Obama nachgerade ostentativ Schwäche gezeigt hätte. Der vielgeschmähte Jimmy Carter war gegen ihn ein Ausbund an machtpolitischer Entschlossenheit. Barack Obama betreibt Außenpolitik so, wie er seinen Wahlkampf geführt hat: Mit gewinnendem Lächeln; immer bemüht, jedermanns Darling zu sein.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.

    Zitat des Tages: "Den Tiger reiten". Die Volksfront aus Sicht des "Neuen Deutschland"

    Dass sie der SPD mit 5,6 Prozent auch nur das hätte abhandeln können, was in Berlin mit 16 und in Brandenburg mit 27 Prozent immerhin möglich war, wäre naiv zu glauben. Den Tiger zu reiten, braucht es Kraft – und die ist im ersten Anlauf noch zu schwach.

    Der Chefredakteur des kommunistischen "Neuen Deutschland" Jürgen Reents heute in seinem Blatt über "Die Linke" in NRW. Überschrift: "Den Tiger reiten".


    Kommentar: Eine interessante Sichtweise. Man muß ja fragen, warum sich die Zwölf in der Delegation der Kommunisten gestern in Düsseldorf offenbar so verhalten haben, daß Kraft und Löhrmann der Abbruch des Gesprächs leicht fiel; ja daß dieser ihnen, so hat es den Anschein, nachgerade von der Gegenseite aufgedrängt wurde. Und dies, obwohl doch ein Instrukteur aus Berlin, der Genosse Maurer, nach Düsseldorf entsandt worden war.

    Mag sein, daß die Elf in der Fraktion sich nicht hatten instruieren lassen wollen. Mag aber auch sein, daß die Berliner Zentrale ihrer Partei ähnliche Überlegungen angestellt hatte wie wohl Sigmar Gabriels SPD (siehe Düsseldorfer Koalitions-Turnübungen; ZR vom 21. 5. 2010): Eine ständig streitende, eine möglicherweise wacklige Volksfront in Düsseldorf wäre keine Empfehlung für die angepeilte Volksfront nach den Bundestagswahlen 2013 gewesen.

    Wenn es andererseits nun in Düsseldorf zu einer Großen Koalition kommen sollte, dann können die Kommunisten im Landtag ihre Lieblingsrolle "Soziales Gewissen" spielen und einer SPD, die Kompromisse mit der CDU schließen muß, auf den Pelz rücken. Parole: "Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!"; so hatte man es ja schon im jetzigen Wahlkampf plakatiert.

    Das könnte die Rolle sein, für die der Instrukteur Ulrich Maurer aus Berlin die Instruktionen mitbrachte. Mit dem Ziel, daß die Kommunisten in fünf Jahren so gestärkt in den Landtag einziehen werden, daß sie dann auf dem Rücken des Tigers Platz nehmen können.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.

    Marginalie: "... und steigt, fast möcht man sagen, heiter und vollbefriedigt von der Leiter". Düsseldorfer Koalitions-Turnübungen

    Das Gedicht "Das Sprungbrett" von Eugen Roth beginnt so:
    Ein Mensch, den es nach Ruhm gelüstet,
    Besteigt, mit großem Mut gerüstet,
    Ein Sprungbrett - und man denkt, er liefe
    Nun vor und spränge in die Tiefe,
    Mit Doppelsalto und dergleichen
    Der Menge Beifall zu erreichen.
    Man kann sich denken, wie die Chose endet: Der Mann macht, vom Publikum bestaunt, allerlei körperliche Übungen, genießt den Beifall. Dann dreht er sich gelassen um, ...
    ... und steigt, fast möcht man sagen, heiter
    Und vollbefriedigt von der Leiter.
    Das, was sich in Düsseldorf seit den Wahlen am 9. Mai abspielt, gleicht solchen folgenlosen Turnübungen.

    Erst stieg FDP-Pinkwart auf die Leiter, turnte und stieg wieder herab; siehe Wie die FDP in NRW eine Chance vergab; ZR vom 15. 5. 2010.

    Daß es ihm Hannelore Kraft nachmachen würde, hatte ich nicht erwartet. Aber sie hat. Nur war das Gehabe, bevor sie wieder zur Leiter eilte, kürzer als bei Pinkwart.

    Der hatte ungefähr zwei Tage gebraucht, bis das Schauturnen vorbei war. Hannelore Kraft schaffte es in viereinhalb Stunden. Man traf sich, zusammen mit einer Delegation der Grünen, mit einer nicht weniger als zwölf Mann starken Delegation der Partei "Die Linke". Und - surprise, surprise! - die Kommunisten entpuppten sich als Kommunisten. Die "Welt":
    Dann, nach viereinhalb Stunden, traten Kraft und Löhrmann um 18.35 Uhr vor die Kameras. (...)

    Es sei in der Diskussion um Demokratieverständnis sowie das Verhältnis zur DDR und um Verfassungsfestigkeit gegangen. Dort habe es "sehr viele" relativierende Äußerungen gegeben, "die uns zu der Einschätzung gelangen lassen, dass dies ein wesentlicher Punkt ist, der für eine Koalition ein großes Hindernis darstellen würde".
    Ja, was hat Hannelore Kraft, was hat die SPD in NRW denn erwartet? Daß die Kommunisten in den Verhandlungen mitteilen würden, sie hätten es sich noch einmal überlegt, und nun seien sie keine Kommunisten mehr?

    Gewiß, es hätte sein können, daß sie Kreide fressen. Kommunisten machen mancherlei, um ein Schrittlein in Richtung Macht zu tun. Aber was hätte das denn geändert? Hätte denn ein verbaler Kotau vor dem Grundgesetz die Kommunisten weniger kommunistisch gemacht? Leben wir denn in einer Zeit, wo man abschwören muß, wie einst der Galileo Galilei?

    Oder wußte Hannelore Kraft nicht, mit wem sie es zu tun hatte? Wußte sie nicht das, was beispielsweise jeder Leser von ZR weiß? (Siehe Über die Mitglieder der Fraktion von "Die Linke"; ZR vom 13. 5. 2010).



    Natürlich wußte Hannelore Kraft und wußte ihre Mitstreiterin Sylvia Löhrmann von den Grünen, mit wem sie es zu tun hatten. Das herauszufinden hätte nun wahrlich keiner "Sondierung" bedurft.

    Was die elf kommunistischen Hanseln im Landtag von NRW von ihren Genossen anderswo unterscheiden mag, ist eine gewisse brutale Direktheit; man könnte auch sagen: Ehrlichkeit. Aber die Partei, der sie angehören, ist ja in ihrer Gesamtheit keinen Deut anders.

    Gerade erst hat sie, diese Partei, Sahra Wagenknecht zu ihrer stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Sahra Wagenknecht, die Josef Wissarionowitsch Stalin und Walter Ulbricht pries und die der Meinung ist, daß die DDR "jedenfalls nicht weniger demokratisch" war als die Bundesrepublik; siehe Das Ergebnis der Vorstandswahlen bei der Partei "Die Linke"; ZR vom 17. 5. 2010.

    Daß es sozusagen gute und schlechte Kommunisten gibt, "Chaoten" und "Reformer", ist ein Mythos. Gewiß gibt es bei den Kommunisten unterschiedliche Auffassungen über die beste Strategie. Die einen wollen den Sozialismus eher mit Hilfe der Straße erreichen, die anderen setzen auf die parlamentarische Strategie. Die einen sind also laut, die anderen leise. Den Sozialismus wollen sie beide.



    Die SPD muß sich entscheiden, ob sie mit den Feinden unserer staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung paktieren will oder nicht.

    Bisher sprach alles dafür, daß die Entscheidung auf der Bundesebene längst zugunsten einer Zusammenarbeit gefallen ist. In "Spiegel-Online" hat Veit Medick beschrieben, daß man dabei zu verschiedenen taktischen Ergebnissen kommen kann; ich habe das in Zettels kleinem Zimmer ein wenig erläutert.

    Auch jetzt liegt es nahe, die Entscheidung der SPD in NRW als taktisch bedingt zu interpretieren. Man wollte, so lautet diese Interpretation, nicht das Risiko einer Volksfront eingehen, die scheitert, und die damit die Chancen für eine Volksfront im Bund 2013 verschlechtern würde. Das ist die Gabriel-Linie.

    Aber wie auch immer - ich gebe zu, daß ich mich geirrt habe. Ich habe mit einer Volksfront jetzt schon in Düsseldorf gerechnet; und zwar deshalb, weil die "Basis" sowohl der SPD als auch der Grünen das verlangt. Man wird sehen, wie sie reagiert.

    Sollte sich hinter der jetzigen Entscheidung in NRW nicht nur ein taktischer Schachzug, sondern eine grundsätzliche Weichenstellung der SPD verbergen, nicht mit Feinden unserer Verfassung zu paktieren, dann hätte ich mich grundlegend geirrt und würde mich freuen. Ich glaube aber nicht, daß es zu dieser Freude kommen wird.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.