30. September 2011

Zettels Meckerecke: Der Tod des Anwar Al-Awlaki. Wie Barack Obama sich dessen rühmt, was George W. Bush vorgeworfen wurde. Ein Lehrstück in Heuchelei

Als Barack Obama zum Präsidenten gewählt worden war, versprach er eine Welle strikter und unbedingter Rechtsstaatlichkeit in den USA.

Beispielsweise kündigte er an, das Gefangenenlager in Guantánamo zu schließen (Von Bush zu Obama (3): Guantánamo schließen. Prima! Und dann?; ZR vom 21. 11. 2008). Es ist bis heute unverändert im Betrieb; und es gibt keinen Hinweis darauf, daß Obama es bis zum Ende seiner Amtszeit schließen will.

Marginalie: Karikaturenstreit jetzt auch in der Türkei. Erdoğan entthront Kemal Pascha

Es wird immer deutlicher, daß Recep Tayyip Erdoğan im Begriff ist, ein zweiter Kemal Pascha zu werden. Freilich mit umgekehrten Vorzeichen.

Atatürk wollte die Türkei verwestlichen und sie zu einem säkularen Staat machen; Erdoğan will sie wieder zu einer orientalischen Nation machen. Die Türkei soll nicht mehr ein Land am südöstlichen Rand Europas sein, sondern das Zentrum eines neuen Osmanentums.

Marginalie: Warum spricht eigentlich niemand von der "Gier" der Griechen? Eine Anmerkung zu Erklärungsmustern

In der New York Times ist heute ein Artikel von Graham Bowley und Liz Alderman zu lesen, in dem (wieder einmal) auf die Parallelen zwischen der jetzigen Eurokrise und der Finanzkrise von 2008 hingewiesen wird: Wie in den USA wurden in Europa in den vergangenen Jahrzehnten Billionen von Schulden aufgehäuft. Der Unterschied ist nur, daß sich in den USA vor allem Unternehmen und Konsumenten verschuldeten, in Europa hingegen Regierungen.

Tiangong-1, der "Himmlische Palast". Chinas Pläne in der Königsklasse der Raumfahrt und sein Aufstieg zur Supermacht

Während die Entsendung unbemannter Satelliten in den Orbit und von Sonden in den erdfernen Weltraum der Forschung dient, der Kommunikation und anderen technischen und wirtschaftlichen Zwecken, war die bemannte Raumfahrt nie von großem praktischem Nutzen (siehe Der Mond und der Pony-Express; ZR vom 6. 12. 2006).

Die immensen Kosten für die Flüge von Astronauten und Kosmonauten wurden aufgebracht, nicht um einen wissenschaftlichen oder wirtschaftlichen Gegenwert zu erhalten, sondern wegen des internationalen Prestiges.

Die Gemeinsamkeiten der jungen Deutschen Mark mit den Target-Salden

Nach Einführung der Deutschen Mark 1948 hat es über 10 Jahre gedauert, bis die neue Währung frei konvertierbar war. Man konnte in dieser Zeit nicht einfach so wie heute beliebig die Inlandswährung in eine andere tauschen, sondern sie wurde vom Staat bewirtschaftet, der sich dazu der Notenbank und spezieller Außenhandelsbanken (AHB) bediente. Die Devisenzwangswirtschaft war nicht neu, sondern die Erfindung des damaligen Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht war ab 1931 auch schon für die Reichsmark gültig. Damit wurden zwei Formen der Mark eingeführt: freie Mark und Sperrmark.

29. September 2011

Zitat des Tages: "Wir sind wirklich ziemlich blöd. Das ist ein Vermögenspoker". Hans-Werner Sinn über den Euro-Rettungsschirm. Nebst einem Nachtrag

Sinn: Die französischen Banken (...) haben sich konzentriert auf die spanischen Anlagen, auf die portugiesischen und sehr stark auf die griechischen Anlagen. Und wenn nun diese Länder in Schwierigkeiten kommen, dann kommen die französischen Banken auch in Schwierigkeiten. Es geht also darum, sie zu retten.

Die Franzosen könnten sie auch alleine retten, aber billiger wird die Sache, wenn Deutschland mitrettet. Das ist genau das Thema. Das heißt, Herr Sarkozy drängelt Frau Merkel, sie müsse das machen. Die City of London drängelt auch, denn dort gibt es viele reiche Leute, die ihr Vermögen in diesen Ländern investiert haben und die das Problem sehen, dass sie nicht wissen, an wen sie die Staatspapiere, die sie in Händen halten, nun verkaufen sollen.

Und dann wird eben gesagt, Deutschland müsse das übernehmen, weil Deutschland als potent genug angesehen wird. Wenn man also die Wertpapiere dieser südlichen Länder über diese neuen Gemeinschaftseinrichtungen sozusagen sukzessive an Deutschland übertragen kann, dann ist man aus dem Schneider und kann sich retten.

Wolf: Das wäre ja ganz schön blöd für uns.

Sinn: Wir sind in gewisser Weise wirklich ziemlich blöd. Das ist einfach ein Vermögenspoker.
Der Leiter des Ifo-Instituts, Prof. Hans-Werner Sinn, am Montag in BR Alpha im Gespräch mit der Redakteurin Sabina Wolf. Informationsmaterial zu dieser Sendung finden Sie hier; den Wortlaut bietet der BR als PDF-Datei an.

Kommentar: Als ich das Gespräch in BR Alpha gesehen habe, erschienen mir die Ausführungen Sinns sehr verständlich und leicht nachvollziehbar.

Marginalie: Was spielte sich wirklich bei der Erstürmung der israelischen Botschaft in Kairo am 9. September ab?

Nach der Erstürmung der israelischen Botschaft in Kairo vor knapp drei Wochen habe ich darauf aufmerksam gemacht, daß sich in diesem Vorfall die Machtverhältnisse in dem Ägypten nach Mubarak ausdrückten: Die stärkste politische Kraft sind die Moslembrüder; die noch radikaleren Salafiten befinden sich im Aufstieg. In dieser Lage konnten oder wollten die ägyptischen Sicherheitskräfte die Botschaft nicht schützen (Israel zwischen der Machtpolitik der Türkei und einem instabilen Ägypten; ZR vom 15. 9. 2011).

Gestern hat Daniel Pipes im National Review Online beschrieben, wie sich die Vorgänge nach seinen Informationen abgespielt haben. Danach war es noch schlimmer, als es bekannt gewesen war, als ich den Artikel schrieb.

Marginalie: 523 zu 85 für den Euro-Rettungsschirm. Die Kommunisten mißbrauchen das Instrument der "Persönlichen Erklärung". Kanzlermehrheit erreicht

Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Euro-Rettungsschirm ist soeben bekanntgegeben worden. Sie können es im Titel lesen. Enthaltungen gab es interessanterweise nur drei. Wer diejenigen aus den Koalitionsfraktionen waren, die mit "nein" gestimmt haben, ist im Augenblick noch nicht bekannt.

Der Bundestag war, als Vizepräsident Thierse das Ergebnis mitteilte, nahezu leer. Kein Wunder, denn was sich im Augenblick abspielt, zeigt wieder einmal, was die Kommunisten vom Parlamentarismus halten.

28. September 2011

Zitate des Tages: Muschi und Klitoris. Bälle und Blasen. Drei kichernde Backfische bei Sandra Maischberger

Ich will mit Alice Schwarzer über meine Muschi reden.
Die Doktorandin Reyhan Sahin, die auch in der Rolle der Rapperin Lady Bitch Ray auftritt, gestern bei Sandra Maischberger. Thema der Sendung: "Machofrauen – Müde Männer: Letzte Runde im Geschlechterkampf?"
Ich bin doch die Erfinderin der Klitoris.
Alice Schwarzer in derselben Sendung.
Ich zeige ganz einfach meine Bälle. Blasen ist Macht.
Sonya Kraus, Moderatorin bei Prosieben, in derselben Sendung.

Kommentar: Ja schau. Welch eine Offenheit! Welche Unbefangenheit im Umgang mit der eigenen Sexualität! Endlich dürfen auch Frauen in der Öffentlichkeit die Dinge beim Namen nennen!

Ach wirklich? Auf mich wirkten diese drei Frauen wie, wenn man mir das altmodische Wort verzeiht, Backfische, die sich in der Ecke des Schulhofs im Schweinigeln üben und sich vor Kichern gar nicht einkriegen können.

Zettels Meckerecke: Was geht es die EU an, wer in Estland oder Sizilien zum Sehtest muß? Alptraum Europa

Jeder Staat der EU hat ein Ministerium, das für den Straßenverkehr zuständig ist. Jeder hat in seinem nationalen Parlament Fachleute, die auf Fragen des Verkehrs spezialisiert sind. Sie entscheiden, in Abhängigkeit von den nationalen Gegebenheiten, wie die Sicherheit im Straßenverkehr am besten erhalten und, wenn möglich, verbessert werden kann.

Sie entscheiden? Sie entschieden. Denn jetzt hat sich das Europaparlament auch dieses Themas angenommen.

Mal wieder ein kleines Quiz: Sind Sie historisch bewandert?

Diesmal besteht das kleine Quiz nur aus einer einzigen, kurzen Frage: Was bezeichnet man als das "Weimarer Dreieck"?

27. September 2011

Zitat des Tages: Parlamentarische Demokratie? - Folklore aus vergangenen Zeiten. Die FAZ über die Krise der EU und die "Dikatur des Kommissariats"

Denn die Fiskalkrise bedeutet für Staaten, die sich über den Lebensstandard ihrer Bevölkerung definieren, den Ausnahmefall, der ihre politische Struktur bloßlegt. Die älteren politischen Konzepte von Volkssouveränität, parlamentarischer Demokratie, Subsidiarität und Partizipation, die dagegenstehen, sind, wenn es Ernst wird, Folklore aus vergangenen Zeiten.
Jürgen Kaube heute in der FAZ über die Zukunft Europas; Überschrift: "Die absolutistische Demokratie".

Kommentar: Die Zwischenüberschriften des Artikels lauten "Die Diktatur des Kommissariats", "Wir sind zu klein für die Welt" und "Der Preis des Wachstums". Damit ist Kaubes These zusammengefaßt:

Zettels Meckerecke: Internetsperre bei Verstoß gegen das Urheberrecht? Die Rotweinidee des Siegfried Kauder

"Internetsperren - CDU-Politiker will Filesharern das Netz wegnehmen" ist ein Artikel überschrieben, den man seit gestern Abend bei "Zeit-Online" lesen kann.

Der CDU-Politiker ist Siegfried Kauder, Bruder des CDU-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder und Vorsitzender des Rechtsausschusses des Bundestags. Sein Vorschlag: Verletzung des Urheberrechts im Internet soll mit einer Sperre des Zugangs zum Internet bestraft werden.

Neues aus der Forschung (11): Neutrinos, schneller als das Licht. Ist Einstein jetzt überholt? Zum Umgang mit wissenschaftlichen Anomalien (Teil 2)

Gute Wissenschaftler sind revolutionäre Konservative. Sie geben einerseits das Bewährte nur ungern auf. Denjenigen Messungen, die immer wieder bestätigt wurden, vertraut man; Theorien, die sich in vielen Überprüfungen bewährt haben, läßt man nicht leichtfertig fallen. Andererseits ist kaum etwas aufregender als ein überraschender Befund, welcher den theoretischen Erwartungen widerspricht. Er ist eine Herausforderung, ein Stimulans. Zumal wenn es sich - wie im ersten Teil dieses Artikels beschrieben - um eine Anomalie handelt.

26. September 2011

Marginalie: Was würde eigentlich aus den Juden in einem selbständigen Staat Palästina werden? Die Antwort der PLO ist kristallklar

Heute befaßt sich der Weltsicherheitsrat erstmals mit dem Antrag der Palästinensischen Autonomiebehörde, Palästina als Staat in die UNO aufzunehmen; begleitet von, wie die "Financial Times Deutschland" schreibt, "diplomatischen Drohgebärden" der Palästinenser.

Angenommen, Mahmud Abbas wäre erfolgreich, und es käme zu einem selbständigen Staat Palästina - was würde dann eigentlich aus den Juden werden, die jetzt dort leben? Seltsamerweise wird diese Frage selten bedacht und in die Kommentierung mit einbezogen.

25. September 2011

Zitat des Tages: "Migranten bringen ihre Kulturen mit". Thilo Sarrazin ist kein Rassist, sondern ein Kulturalist

Frage: Und Muslime sind dümmer als andere Einwanderer?

Sarrazin: Das steht nirgendwo in meinem Buch, und das habe ich auch nicht gesagt. In meinem Buch führe ich die durchschnittlich niedrigere Bildungsleistung der muslimischen Migranten auf ihren durch den Islam geprägten kulturellen Hintergrund zurück. Die Einstellung zu Bildung und Wissen, Eigenschaften wie Fleiß und Genauigkeit und Pflichtbewusstsein vererben sich kulturell. Wir übernehmen zu ganz großen Teilen die Werte und Einstellungen der Kultur und der Schicht, in der wir aufwachsen.
Aus einem Interview des Wiener "Kurier" mit Thilo Sarrazin.

Kommentar: Zu den größten Ungerechtigkeiten, die Thilo Sarrazin in der heftigen Diskussion vor einem Jahr widerfuhren, gehörte der Vorwurf des Rassismus.

Neues aus der Forschung (11): Neutrinos, schneller als das Licht. Ist Einstein jetzt überholt? Zum Umgang mit wissenschaftlichen Anomalien (Teil 1)

Am 22. September veröffentlichten 174 (ja, 174) Autoren auf der wissenschaftlichen Internetplattform arXiv.org einen Artikel, der eine wissenschaftliche Sensation enthielt. Auf S. 19 findet sich der entscheidende Satz: "Therefore, the measurement indicates an early arrival time of CNGS muon neutrinos with respect to the one computed assuming the speed of light in vacuum". Somit zeige die CNGS-Messung eine frühere Ankunftszeit der Muonen-Neutrinos als diejenige, die berechnet wurde, legt man die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum zugrunde. (CNGS - CERN Neutrinos to Gran Sasso - ist der Name dieses Forschungsprojekts).

Warum dieser Befund sensationell ist, haben Sie im Lauf der vergangenen Tage gelesen: Weil die Spezielle Relativitäts-theorie es ausschließt, daß ein Teilchen mit einer höheren als der Lichtgeschwindigkeit fliegt.

Zitat des Tages: "Wohin soll ich die Männer aussortieren?" Probleme mit der Frauenquote

Vielleicht ist der Ministerin nicht bewusst, was die Umsetzung ihrer Ziele in der Praxis bedeuten. Wenn ich höre, dass in drei, vier Jahren 40 Prozent auf den Führungsposten Frauen sein sollen, dann verraten Sie mir bitte: Wohin soll ich all die Männer aussortieren? Alle zwangsweise in Rente schicken, damit überhaupt so viele Stellen frei werden?
Daimler-Chef Dieter Zetsche gegenüber der F.A.S. zu den Plänen der Ministerin von der Leyen zur Einführung einer Frauenquote in Unternehmen.

Kommentar: Zetsche, ein pragmatischer Mann, weist auf die praktische Seite des Ansinnens hin, in den Unternehmen Frauenquoten einzuführen. Aber es hat ja auch eine grundsätzliche Seite:

24. September 2011

Kurioses, kurz kommentiert: Meistgelesen bei "Zeit-Online" - der Absturz eines NASA-Satelliten

Den heutigen Tag über war bei "Zeit-Online" die Meldung "US-Forschungssatellit ist auf Erde gestürzt" zeitweilig der meistgelesene Artikel; im Augenblick ist er auf Platz drei.

Woher dieses Bedeutung? Erwacht da plötzlich ein technisches Interesse, das sonst ja in Deutschland eher gering ausgeprägt ist?

Vierundzwanzig Jahre Macht für Putin? Dann würde er Stalin fast erreichen

Stalin herrschte 26 Jahre lang, von 1927 bis zu seinem Tod 1953. Das wird Wladimir Putin wahrscheinlich nicht ganz schaffen; aber auf 24 Jahre könnte er es bringen, weit mehr als Nikita Chruschtschow (11 Jahre), mehr auch als Leonid Breschnew, der immerhin 18 Jahre Generalsekretär der KPdSU war.

Wladmir Putin war acht Jahre lang Staatspräsident; danach konnte er laut Verfassung bekanntlich nicht wiedergewählt werden. Daß dies das Ende seiner Macht bedeuten würde, konnte man füglich bezweifeln. Leser von ZR haben über solche Zweifel schon im Februar 2007 erfahren, und dann immer einmal wieder.

Zitat des Tages: "Dreiste Selbstbedienungsmentalität der Intendanten". Das Ärgernis öffentlich-rechtlicher Rundfunk

Die Anmeldung eines Mehrbedarfs von rund 1,5 Milliarden Euro für die neue Gebührenperiode 2013 bis 2016 zeigt die dreiste Selbstbedienungsmentalität der Intendanten. Bereits jetzt leisten wir uns den mit rund 7,5 Milliarden Euro teuersten öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Welt. Zusätzliche Gelder würden die Vielfalt unserer Medienlandschaft gefährden, die von einem fairen Wettbewerb des Privaten und des öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sowie der Printverlage lebt. Dies gilt insbesondere für die Konkurrenzsituation im Internet.
Der medienpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Burkhard Müller-Sönksen, in einer Presseerklärung zu den Anmeldungen im Vorfeld der Umstellung auf das neue Gebührensystem zum 1. Januar 2013).

Kommentar: Der deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein klassisches Beispiel für das, was passiert, wenn eine Institution sich nicht durch den Verkauf ihrer Leistungen zu finanzieren braucht, sondern Mittel einfach dadurch erhält, daß sie ihren jeweiligen "Bedarf anmeldet"; der dann in der Regel (wenn auch nach Verhandlungen) so gedeckt wird.

Mehrbedarf hat man immer; zumal in den behördenähnlich organisierten Mammutinstitutionen, die unsere öffentlich-rechtlichen Sender sind.

23. September 2011

Zitat des Tages: Wofür kämpfen reiche Linke?

Like most of the neighborhood, she was a fighting liberal, fighting to have her money taken from her.

(Wie die meisten in diesem Wohnviertel war sie eine kämpferische Linke. Sie kämpfte dafür, daß man ihr ihr Geld wegnimmt).
Der verstorbene amerikanische Schriftsteller John Updike, zitiert von Charles Krauthammer in seiner heutigen Kolumne in der Washington Post.

Kommentar: In dieser Kolumne geht es - wie so oft bei Krauthammer - um Barack Obama. Was er schreibt, paßt gut zu der Analyse George Friedmans, die Sie heute in ZR lesen können: Obama, meint Krauthammer, versucht für den kommenden Wahlkampf seine linke Basis zu mobilisieren. Dazu schlägt er jetzt linke Töne an.

Aber nicht deshalb ist Updikes Bonmot mein Zitat des Tages; sondern, weil es etwas trifft, das ja auch in Deutschland nicht unbekannt ist und über das ich seit langem nachdenke:

Stratfors Analysen: "Die USA werden bestenfalls noch reagieren können". George Friedman über Obamas Dilemma (mit deutscher Zusammenfassung)

Zusammenfassung: Die Väter der amerikanischen Verfassung wollten ein politisches System, das keine plötzlichen Veränderungen erlaubt. Der Macht des Präsidenten steht diejenige des Kongresses gegenüber, in dem jeder Senator auf mindestens sechs Jahre gewählt ist. Veränderungen sind nur allmählich und nur im Konsens möglich. US-Präsidenten neigen deshalb oft dazu, sich auf die Außenpolitik zu konzentrieren, wo ihr Spielraum größer ist.

Obama gewann die Präsidentschaft zum einen durch die Finanzkrise, die im September 2008 ausbrach. Zuvor hatte John McCain knapp in Führung gelegen. Zum anderen führte Obama einen geschickten Wahlkampf, in dem er große, aber zugleich vage Versprechungen machte.

Zitat des Tages: Aus der Rede von Papst Benedikt XVI. Wer ist unbelehrbar?

Lesen Sie bitte diese Kernsätze aus der gestrigen Rede des Papsts im Bundestag:
  • Die Politik muss Mühen um Gerechtigkeit sein und so die Grundvoraussetzung für Friede schaffen. Natürlich wird ein Politiker den Erfolg suchen, ohne den er überhaupt nicht die Möglichkeit politischer Gestaltung hätte. Aber der Erfolg ist dem Maßstab der Gerechtigkeit, dem Willen zum Recht und dem Verstehen für das Recht untergeordnet.

  • Wir haben erlebt, dass Macht von Recht getrennt wurde, dass Macht gegen Recht stand, das Recht zertreten hat und dass der Staat zum Instrument der Rechtszerstörung wurde – zu einer sehr gut organisierten Räuberbande, die die ganze Welt bedrohen und an den Rand des Abgrunds treiben konnte. Dem Recht zu dienen und der Herrschaft des Unrechts zu wehren ist und bleibt die grundlegende Aufgabe des Politikers.

  • Die Frage, wie man das wahrhaft Rechte erkennen und so der Gerechtigkeit in der Gesetzgebung dienen kann, war nie einfach zu beantworten, und sie ist heute in der Fülle unseres Wissens und unseres Könnens noch sehr viel schwieriger geworden.

  • Im Gegensatz zu anderen großen Religionen hat das Christentum dem Staat und der Gesellschaft nie ein Offenbarungsrecht, nie eine Rechtsordnung aus Offenbarung vorgegeben. Es hat stattdessen auf Natur und Vernunft als die wahren Rechtsquellen verwiesen – auf den Zusammenklang von objektiver und subjektiver Vernunft, der freilich das Gegründetsein beider Sphären in der schöpferischen Vernunft Gottes voraussetzt.

  • Für die Entwicklung des Rechts und für die Entwicklung der Humanität war es entscheidend, dass sich die christlichen Theologen gegen das vom Götterglauben geforderte religiöse Recht auf die Seite der Philosophie gestellt, Vernunft und Natur in ihrem Zueinander als die für alle gültige Rechtsquelle anerkannt haben.

  • Von der Überzeugung eines Schöpfergottes her ist die Idee der Menschenrechte, die Idee der Gleichheit aller Menschen vor dem Recht, die Erkenntnis der Unantastbarkeit der Menschenwürde in jedem einzelnen Menschen und das Wissen um die Verantwortung der Menschen für ihr Handeln entwickelt worden. Diese Erkenntnisse der Vernunft bilden unser kulturelles Gedächtnis. Es zu ignorieren oder als bloße Vergangenheit zu betrachten, wäre eine Amputation unserer Kultur insgesamt und würde sie ihrer Ganzheit berauben. Die Kultur Europas ist aus der Begegnung von Jerusalem, Athen und Rom – aus der Begegnung zwischen dem Gottesglauben Israels, der philosophischen Vernunft der Griechen und dem Rechtsdenken Roms entstanden. Diese dreifache Begegnung bildet die innere Identität Europas.
  • Ich habe jetzt einige Passagen aus dieser großen Rede zitiert, denen ich zustimme. Es gibt andere, denen ich nicht zustimme.

    Der "Spiegel" hat in dieser Woche den Papst auf dem Titel, mit der Zeile "Der Unbelehrbare". Mir scheint, daß die ungebildeten, die historisch ahnungslosen, die ideologisch bornierten Journalisten des "Spiegel" die Unbelehrbaren sind.
    Zettel



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    22. September 2011

    Marginalie: Welches Amt wird Wladimir Putin für sich wählen?

    Bis zur Wahl eines neuen amerikanischen Präsidenten ist es noch mehr als ein Jahr. Aber schon in weniger als einem halben Jahr wird der Präsident Rußlands gewählt; am 4. März 2012. Unsere Medien scheint das wenig zu interessieren.

    In gewisser Weise zu Recht. Denn daß Wladimir Putin der Herrscher aller Reußen ist und bleiben wird, liegt auf der Hand.

    US-Präsidentschaftswahlen 2012 (3): Ron Paul for President? Nein. Er wäre eine Katastrophe

    Keiner der republikanischen Kandidaten für die Präsidentschaft ist mir als Mensch so sympathisch wie Ron Paul. Auch nach Jahrzehnten in der Politik wirkt er ehrlich, ja ein wenig kindlich-naiv. In der ersten Folge dieser Serie habe ich seine liberalen (in der amerikanischen Terminologie libertarian) Ziele skizziert: Weniger Staat, mehr Freiheit für den Einzelnen; mehr Selbstverantwortung für alle. Über die Person Ron Paul schrieb ich in diesem Artikel:
    Ein ungemein sympathischer, origineller, inzwischen freilich etwas schusselig und fahrig wirkender Mann, der physiognomisch sehr an Karl Valentin erinnert. (...) Oft verblüfft er mit kühnen Forderungen wie zum Beispiel derjenigen, die Sicherheitskontrollen an Flughäfen doch einfach den Fluggesellschaften in deren eigener Verantwortung zu überlassen.

    Zettels Meckerecke: Soll denn nun alles politisiert werden? Peter Handke und DDR light

    Ich schätze Peter Handke nicht besonders. Seine Feinsinnigkeit, seine Attitüde des Propheten mag ich nicht. Aber andere schätzen ihn. Er wird von ihnen als einer der großen deutschen Schriftsteller der Gegenwart eingestuft.

    Vielleicht haben sie Recht und ich Unrecht; wer will das beurteilen? Jedenfalls wurden und werden ihm Preise verliehen.

    21. September 2011

    Marginalie: Die bevorstehende Hinrichtung von Troy Davis. Einige Anmerkungen

    In der Nacht zum morgigen Donnerstag (MEZ) wird wahrscheinlich im Gefängnis von Jackson im US-Bundesstaat Georgia der wegen Mordes verurteilte Troy Davis hingerichtet werden.

    Es gibt dagegen in den USA und international einen Sturm des Protests.

    Marginalie: Die Bombe im Turban. Eine Erinnerung an die Mohammed-Karikaturen von vor sechs Jahren. Nebst Anmerkungen zur Lage in Afghanistan

    Erinnern Sie sich noch an die Mohammed-Kariktaturen, die im Herbst 2005 Aufsehen erregten? Sie können sie in der internationalen Wikipedia ansehen.

    Oben in der Mitte rechts sehen sie eine der bekanntesten (und meines Erachtens auch besten) dieser Karikaturen; sie stammt von Kurt Westergaard.

    20. September 2011

    Zitat des Tages: Bundespräsident Wulff zur Assimilation von Einwanderern. Wieder einmal ein deutscher Sonderweg?

    "Niemand will die Assimilation", versicherte der Bundespräsident seinem Staatsgast.
    Bundespräsident Wulff laut "Welt-Online" gegenüber dem türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül, der gerügt hatte, daß seit 2007 aus der Türkei nach Deutschland nachziehende Ehegatten einen Sprachtest absolvieren müssen.

    Kommentar: Deutschland dürfte das einzige Land der Welt sein, dessen Staatsoberhaupt die Assimilation von Einwanderern ablehnt. Überall ist sie das selbstverständliche Ziel der Einwanderungspolitik; das Ziel nämlich, aus Fremden Einheimische zu machen. Die Haltung Wulffs ist, milde gesagt, eine internationale Absonderlichkeit.

    Mormonen, Palin, Bauarbeiter. Drei Meldungen aus den USA, die Sie vielleicht interessant finden werden

    Bei Durchsicht der Presse stoße ich meist auf Meldungen, die ich nicht sofort für ZR verwende, die ich mir aber für einen eventuellen späteren Artikel notiere.

    Mitunter kommt dieser Artikel dann aber nicht zustande - etwa, weil die Aktualität über das Thema hinweggeht, bevor ich es bearbeiten konnte; nicht selten auch, weil es sich bei weiteren Recherchen als zu unergiebig erweist. Aber ganz wegwerfen möchte ich solche Meldungen nicht immer. Hier sind drei aus den USA, die Sie vielleicht interessieren.

    19. September 2011

    Marginalie: Deutsche Götterdämmerung. Wie man Atomstrom wäscht, und wie man seine Wirtschaft vor die Wand fährt

    Für regelmäßige Leser von ZR ist es nichts Neues: Als Deutschland in einem Akt kollektiver Besoffenheit den "Ausstieg aus der Atomenergie" beschloß, hat es damit keineswegs den Ausstieg aus der Nutzung von Atomstrom beschlossen; weder kurz- und mittelfristig noch langfristig.

    Vielmehr hat die Aussteigernation beschlossen, ihren Atomstrom nicht mehr im bisherigen Umfang aus eigenen, im international Vergleich ungewöhnlich sicheren KKWs zu beziehen, sondern aus überwiegend weniger sicheren KKWs im Ausland - in Frankreich, in Tschechien, demnächst vielleicht in der russischen Enklave Kaliningrad

    Zitat des Tages: "Die Türkei ist so einflußreich wie die ganze EU zusammen". Abdullah Gül zeigt keine falsche Bescheidenheit

    Der Wirtschaftsboom und der politische Aufstieg der Türkei in Nahost verbessern nach den Worten von Präsident Gül das Ansehen seines Landes in der Europäischen Union. Die EU sei derzeit schwach und verhalte sich wie ein Fahrradfahrer, der nicht mehr in die Pedale trete und deshalb sturzgefährdet sei, sagte Gül nach Zeitungsberichten auf dem Flug zum Staatsbesuch in Deutschland zu mitreisenden türkischen Reportern. (...) Inmitten der Krise in der EU lege die Türkei wirtschaftlich zu, politisch sei die Türkei heute in der internationalen Arena so einflussreich wie die ganze EU zusammen.
    FAZ-NET heute in einer Zusammenfassung von Agenturmeldungen zum Deutschland-Besuch von Staatspräsident Abudllah Gül.

    Kommentar: Wenn Gül Recht hat, dann würde eine Aufnahme der Türkei in die EU logischerweise dazu führen, daß dieses neue Mitglied - da so einflußreich wie alle anderen Mitglieder zusammen - die EU dominieren würde. Ein besseres Argument gegen eine Aufnahme der Türkei läßt sich schwerlich vorstellen.

    Marginalie: Der Osten ist rot, der Westen schwarz, das Zentrum grün. Die politische Geographie Berlins. Eine Besonderheit in Marzahn

    In der Online-Ausgabe des "Tagesspiegel" gibt es eine sehr schöne interaktive Grafik, die alle gestrigen Berliner Wahlergebnisse im Detail - bis hin zu jedem einzelnen Wahllokal - erschließt.

    Sieht man sich das gesamte Stadtgebiet an, dann fällt etwas auf, das man oft bei der Analyse von Wahlergebnissen sehen kann: Kein Faktor ist so wichtig für den relativen Erfolg oder Mißerfolg der Parteien wie die geographische Lage. Fast nie findet man einen Fleckenteppich, sondern es gibt zusammenhängende Regionen, in denen ähnlich gewählt wird.

    18. September 2011

    Marginalie: Piraten entern Berlin

    Der eigentliche Wahlsieger in Berlin ist die sogenannte "Piratenpartei"; die einzige deutsche Partei, die sich nach Verbrechern benennt.

    Wenn Sie jetzt neugierig auf diese Partei sind; dann finden Sie hier ihre WebSite.

    Bemerkenswert ist, daß nach gegenwärtigen Hochrechnungen diese Partei im Osten sogar noch besser abgeschnitten hat als im Westen.
    Zettel



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    Marginalie: Warum wird heute in Berlin die Linke siegen? Eine Anmerkung zum Athen an der Spree

    Zur heutigen Wahl des Abgeordnetenhauses in Berlin liegen drei Umfragen vor, die nicht älter als zehn Tage sind. Danach kann die Linke (SPD, Kommunisten, Grüne) auf zusammen mehr als 60 Prozent der Stimmen rechnen. Das, was man gern das "bürgerliche Lager" nennt, also CDU und FDP, kommt auf maximal 25 Prozent, eher weniger. Der Rest der Stimmen entfällt auf diverse populistische oder radikale Parteien, von denen die "Piratenpartei" nach diesen Umfragen die größte ist.

    Wie kann es sein, daß die deutsche Hauptstadt derart von der Linken dominiert wird?

    Ein Staatsbesuch, eine Apostolische Reise. Abdullah Gül und Papst Benedikt XVI in Deutschland. Eine Handreichung zur Würdigung der beiden Besuche












    Heute kommt der türkische Staatspräsident Abdullah Gül nach Deutschland. Morgen wird ihn Bundespräsident Wulff in Schloß Bellevue begrüßen; "mit allen militärischen Ehren". Am Abend wird er in der Humboldt-Universität zu dem Thema "Türkisch-deutsche Beziehungen - vom Deutschen Bund zur Europäischen Union" sprechen. Gül bleibt bis Mittwoch.

    Einen Tag später, am Donnerstag um 10.30 Uhr, trifft Papst Benedikt XVI. in Berlin ein. Er bleibt bis Sonntag, besucht nach Berlin noch Erfurt und Freiburg und wird zahlreiche Gespräche und Begegnungen haben; unter anderem am Freitag mit Vertretern des Islam.

    Beide Besuche sind nicht unumstritten.

    17. September 2011

    Stratfors Analysen: Die Krise Europas und der europäische Nationalismus. Europa, wie George Friedman es sieht (mit deutscher Zusammenfassung)

    Zusammenfassung: In diesem Artikel wirft George Friedman einen sehr subjektiven Blick auf die Geschichte und Gegenwart Europas. Ich fasse ihn unkommentiert zusammen:

    Europas Aufstieg begann, als man die Hochseeschiffahrt zu beherrschen lernte. Aber dieser Aufstieg ging nicht einher mit einer Einigung Europas. Alle Versuche von Mächten wie Spanien, Frankreich und Deutschland, eine Hegemonie über Europa zu gewinnen, schlugen fehl.

    Das lag an verschiedenen Faktoren, von denen der entscheidende der Ärmelkanal ist: Keine Kontinentalmacht konnte England besiegen; England konnte aber auch nicht über Kontinentaleuropa herrschen. Englands eigene Macht hingegen basierte auf seiner Beherrschung der Meere.

    Die Spannungen, die zu den beiden Weltkriegen führten, begannen mit dem deutschen Sieg 1871 und dem darauf folgenden Aufstieg Deutschlands. Am Ende stand 1945 nicht nur ein geschlagenes Deutschland, sondern auch ein seelisch zusammengebrochenes Europa. Seinen Wiederaufstieg erreichte es mit amerikanischer Hilfe. Die Politik einer Einigung ergab sich zum einen aus der kommunistischen Bedrohung; zum anderen war sie von dem Wunsch bestimmt, die eigene unheilvolle Geschichte zu überwinden.

    16. September 2011

    Kurioses, kurz kommentiert: Helle Thorning-Schmidt, die Wahlsiegerin, die ihre Partei aus dem Chaos führte? Überhaupt nicht

    In der Partei war die Sozialdemokratin umstritten. Aber jetzt ist sie Wahlsiegerin. (...)

    Respekt verschaffte sie sich aber nicht in erster Linie mit ihrer Schlagfertigkeit, sondern weil sie eine Partei wieder einte, die das Wahldebakel des Jahres 2005 in tiefes Chaos gestürzt hatte. Damals hatten die Sozialdemokraten, zu dem Zeitpunkt bereits in der Opposition, ihr schlechtestes Wahlergebnis seit dreißig Jahren erzielt.
    "Zeit-Online" über die Vorsitzende der dänischen Sozialdemokraten, Helle Thorning-Schmidt.

    Kommentar: Bei den letzten Wahlen hatten die Sozialdemokraten ihr schlechtestes Ergebnis seit dreißig Jahren erreicht. Jetzt ist die Vorsitzende der Sozialdemokraten die Wahlsiegerin. Um wieviel hat sie denn wohl das Ergebnis ihrer Partei gegenüber 2005 verbessert?

    Zitat des Tages: Europas Kulturhauptstadt feiert den Eroberer von Byzanz

    Seit Istanbul von der AKP regiert wird, gedenkt die Stadt jedes Jahr am 29. Mai mit einem Festakt der Eroberung Konstantinopels durch Mehmed II. 1453. Und als Istanbul im vergangenem Jahr europäische Kulturhauptstadt war, renovierte man mit dem dafür ausgewiesenen Budget vor allem osmanische Bauten. Istanbul wurde nicht mehr nur als Brücke zwischen Orient und Okzident inszeniert, sondern auch als Zentrum der osmanischen Zivilisation.
    Karen Krüger heute in der FAZ in einem Artikel über den "Neu-Osmanismus" der Türkei.

    Kommentar: Augenfälliger läßt sich die Naivität Europas gegenüber dem türkischen Nationalismus, der zunehmend imperialistische Züge trägt, kaum illustrieren. Die Hauptstadt eines Landes, das ungefähr so europäisch ist, wie die Finnen mediterran sind, wird zur Kulturhauptstadt Europas befördert. Und dieses Land bedankt sich freundlich für die Ehrung, indem es Europa ins Gesicht schlägt und das Osmanische Reich feiert.

    Der Somst. Nebst einer Anmerkung über Portmanteau-Wörter

    In diesen Tagen beginnt meine Lieblings-Jahreszeit. Sie ist keine der "Vier Jahreszeiten", sondern eine Zeit weit minderen Rangs - nur eine Zwischenzeit, eine Zeit des Übergangs. Im Deutschen heißt sie erst Spätsommer und dann, wenn sie fortschreitet, Frühherbst. Ein anderer Name ist Altweibersommer (Das ist, wie wir der Wikipedia entnehmen können, gemäß Urteil des Landgerichts Darmstadt keine ältere Damen diskriminierende Bezeichung).

    In England nennt man sie ganz gleichartig Old Wives' Summer. Der Indian Summer in den USA und in Canada (dort also auch Été Indien) umspannt unseren Frühherbst, ja ragt teilweise bis spät in den Herbst hinein; denn bis in den November findet man dort in bestimmten Gegenden das, was diese Zeit des Jahres ausmacht: Das spezifische Wetter, den spezifischen Zustand der Vegetation.

    Wie also diese Zeit nennen? "Somst", schlage ich vor. Zusammengezogen aus Sommer und Herbst. Wie der smog aus smoke und fog.

    15. September 2011

    Aufruhr in Arabien (20): Israel zwischen der Machtpolitik der Türkei und einem instabilen Ägypten

    In den vergangenen Jahrzehnten gab es im Nahen Osten drei Staaten, mit denen Israel gute, jedenfalls zufriedenstellende Beziehungen hatte: die Türkei, Ägypten und Jordanien. Davon ist jetzt noch Jordanien geblieben.

    Weder in Kairo noch in Istanbul befindet sich im Augenblick der israelische Botschafter an seinem Dienstsitz. Der eine wurde von einem Mob vertrieben, gegen den ihn die ägyptische Polizei nicht schützen konnte oder wollte; der andere wurde am 2. September aus der Türkei ausgewiesen.

    Die Ursachen für diese drastische Verschlechterung der Beziehungen Israels zu den beiden Staaten sind sehr verschieden. Bei Ägypten resultieren sie aus der gegenwärtigen Schwäche dieses Landes, bei der Türkei aus dessen wachsender Stärke.

    Marginalie: Was geht uns Tadschikistan an? Wie Rußland Energiepolitik als Außenpolitik betreibt. Vestigia terrent.

    Vestigia terrent sagte man im alten Rom, die Spuren schrecken. Auch etwas, das uns nicht unmittelbar betrifft, kann für uns bedeutsam sein durch die Spuren, die ablesbar sind.

    Über Tadschikistan berichtete gestern Stratfor (Artikel nur Abonnenten zugänglich); genauer: über Tadschikistans Verhältnis zu Rußland.

    14. September 2011

    Marginalie: Philipp Röslers gefährliche Taktik. Frank Schäfflers bemerkenswerter Auftritt. Anmerkungen zur Lage der FDP

    Als Anfang der Woche der Bundeswirtschaftsminister in einem Beitrag für die "Welt" schrieb:
    Um den Euro zu stabilisieren, darf es auch kurzfristig keine Denkverbote mehr geben. Dazu zählt notfalls auch eine geordnete Insolvenz Griechenlands, wenn die dafür notwendigen Instrumente zur Verfügung stehen,
    da war ich überzeugt, daß die Bundesregierung einen Schwenk in ihrer Griechenland-Politik vorbereitete. Die Börsen sahen es offenbar ähnlich.

    Ich hatte mir nicht vorstellen können, daß der deutsche Wirtschaftsminister Rösler eine so schwerwiegende Aussage machen würde (die er danach im TV bekräftigte), ohne daß dies mit der Kanzlerin und dem Finanzminister abgestimmt gewesen war. Aber ich hatte mich geirrt.

    13. September 2011

    Schöner die Statistik der Gemeinde - Mach mit! Ein Gastbeitrag von Stefanolix

    Anfang der achtziger Jahre sprach Günter Gaus über die DDR als Nischengesellschaft. Dieser Begriff beschreibt einen Rückzug ins Private und in kleinere Gemeinschaften. Ich hörte von der Nischengesellschaft zum ersten Mal in der Evangelischen Studentengemeinde, als uns Studenten aus Karlsruhe besuchten. Dieser Begriff verbreitete sich in unseren Kreisen sehr schnell.

    Wer in der DDR zur Schule gegangen ist und die ersten Jahre des Berufslebens erlebt hat, kennt auch noch viele Begriffe, Schlagworte und Parolen der sozialistischen Planwirtschaft. Damals gab es z.B. den unfreiwilligen Arbeitseinsatz "Subbotnik", die Initiative "Schöner unsere Städte und Gemeinden — Mach mit!" oder die Bewegung "Messe der Meister von morgen".

    Wie konnte die DDR diese Bewegungen aufrechterhalten, obwohl sich das Land doch zweifellos zur Nischengesellschaft entwickelt hatte?

    Zitat des Tages: "Mit fast schon arroganter Unbescheidenheit unrealistische Ziele gesetzt". Der Insider Steiner über die deutsche Afghanistan-Politik

    Wir hatten uns mit einer fast schon arroganten Unbescheidenheit, mit unangemessenen Mitteln unrealistische Ziele gesetzt und unerfüllbare Erwartungen geweckt. Wir brauchten fast ein Jahrzehnt, die nötige Demut vor der Realität zu erlernen. Aber das haben wir jetzt getan.
    Michael Steiner, derzeit Sonderbeauftragter der deutschen Bundesregierung für Afghanistan und Pakistan und bei Beginn des Afghanistan-Kriegs außen- und sicherheitspolitischer Berater von Bundeskanzler Schröder, gegenüber dem "Spiegel" über die deutsche Afghanistanpolitik.

    Kommentar: Die Titelgeschichte des "Spiegel" "Ein deutscher Krieg", in der sich dieses Zitat findet, ist zwar schon in der vergangenen Woche erschienen; aber erst seit Beginn dieser Woche ist das Heft (36/2011 vom 05.09.2011) im Internet frei zugänglich.

    Ich empfehle Ihnen dringend, diesen Artikel zu lesen. Er schildert (ab S. 77), wie amateurhaft, wie wirklichkeitsfern, wie ganz auf die Innenpolitik fixiert die Regierung Schröder agierte, als sie Deutschland in den Afghanistan-Einsatz verstrickte. Die zentralen Punkte:

    12. September 2011

    Marginalie: Die französische Behörde für nukleare Sicherheit ASN zu dem Unfall in Marcoule

    Heute um 16.20 hat die französische Nationale Behörde für nukleare Sicherheit (Autorité Nationale de Sûreté Nucléaire, ASN) die folgende Pressemitteilung zum Unfall in der Nuklearanlage Marcoule veröffentlicht:

    Zitat des Tages: Afghanistan, Jauchs Einstand bei der ARD und die klaren Gedanken der Elke Heidenreich

    So war es eher Elke Heidenreich zu verdanken, dass überhaupt ein paar klare Gedanken geäußert wurden, die über das tausendfach bereits Gesagte hinauswiesen ("Es passierte ja nicht umsonst, dass diese Türme in die Luft gesprengt wurden - so grausam das auch ist.").
    Ruth Schneeberger in sueddeutsche.de über Günther Jauchs gestrige Premiere als ARD-Moderator.

    Kommentar: Der Artikel ist überschrieben "TV-Kritik: Jauch in der ARD - Unfreiwillige Loriot-Komik zur Premiere". Was Ruth Schneeberger schreibt, ist vielleicht keine unfreiwillige Komik, aber unfreiwillige Amnesie.

    11. September 2011

    US-Präsidentschaftswahlen 2012 (2): Die Wirtschaftslage, Obamas Chancen und das North Dakota-Paradox. "It's the economy, stupid". Wirklich?

    It's the economy, stupid gehört zu den geflügelten Worten der amerikanischen Politik - "Es geht um die Wirtschaft, du Depp". Die Redensart entstand im Wahlkampf 1992, als Bill Clinton als Herausforderer gegen den amtierenden, außenpolitisch erfolgreichen Präsidenten George H.W. Bush antrat. Sein Berater James Carville impfte dem Kandidaten Clinton ein, daß er immer wieder auf die (sich damals gerade verschlechternde) Wirtschaftslage eingehen müsse und hängte ihm zur ständigen Erinnerung ein Schild in sein Arbeitszimmer, auf dem u.a. dieses It's the economy, stupid stand.

    Wenn auch 2012 diese Maxime gilt, dann wird der Kandidat Barack Obama einen schweren Stand haben. Anders als damals Bush hat er keine außenpolitischen Erfolge vorzuweisen, und der amerikanischen Wirtschaft geht es erheblich schlechter als vor zwanzig Jahren.

    Zum Jahrestag von 9/11: Persönliche Erinnerungen. Verschwörungstheorien, Antiamerikanismus. Naivität und Selbstbehauptung


    In diesen Tagen werden in unseren Medien die Anschläge vom 11. September 2001 unter allen ihren Aspekten beleuchtet. Auch in ZR konnten Sie solche Analysen lesen ("Schock und Angst waren die vernünftige Antwort"; ZR vom 6. 9. 2011, und "Amerikas Demoralisierung liegt nicht am Krieg gegen den Terror"; ZR vom 9. 9. 2011). Inzwischen ist, so scheint es, alles gesagt und diskutiert, was die Hintergründe der Anschläge angeht, was ihre gesellschaftlichen, machtpolitischen, ihre militärischen und wirtschaftlichen Folgen betrifft. Zum Jahrestag heute statt solcher Analysen deshalb einige persönliche Anmerkungen; Reflexionen aus subjektiver Sicht.

    10. September 2011

    Marginalie: Der "Rettungsschirm" ESM und der bemerkenswerte (bisher aber bei uns kaum beachtete) Rutte-Plan. Entscheiden die Mitglieder der FDP?

    In die Diskussion über den geplanten europäischen Rettungsschirm ESM hat sich jetzt die niederländische Regierung mit einem bemerkenswerten Vorschlag eingeschaltet, der aber in Deutschland noch kaum Beachtung gefunden zu haben scheint. Wie u.a. Reuters meldete, soll nach diesem Plan bei der Kommission der EU ein Kommissariat für Budgetdisziplin geschaffen werden, dessen Chef als ein "Zar" weitgehende Befugnisse hätte:

    9. September 2011

    Zitat des Tages: "Amerikas Demoralisierung liegt nicht am Krieg gegen den Terror". Charles Krauthammer zur Befindlichkeit der USA

    Our current difficulties and gloom are almost entirely economic in origin, the bitter fruit of misguided fiscal, regulatory and monetary policies that had nothing to do with 9/11. America’s current demoralization is not a result of the war on terror. On the contrary. The denigration of the war on terror is the result of our current demoralization, of retroactively reading today’s malaise into the real — and successful — history of our 9/11 response.

    (Unsere momentanen Schwierigkeiten und Beklemmungen liegen fast alle in der Wirtschaft begründet, die bittere Frucht fehlgeleiteter Fiskal-, Regulierungs- und Geldpolitik, die nichts mit 9/11 zu tun hatte. Die gegenwärtige Demoralisierung Amerikas ist nicht Folge des Kriegs gegen den Terror. Im Gegenteil. Die Abwertung des Kriegs gegen den Terror ist Folge unserer gegenwärtigen Demoralisierung; davon, daß wir im Rückblick die heutige Malaise in die tatsächliche - und erfolgreiche - Geschichte unserer Reaktion auf 9/11 hineinlesen).
    Charles Krauthammer in seiner heutigen Kolumne in der Washington Post unter der Überschrift "The 9/11 'overreaction'? Nonsense" (Die "Überreaktion" auf 9/11? Unsinn).

    Kommentar: Die USA waren und sind mit ihrer Reaktion auf 9/11 erfolgreich - auf eine Attacke, die eine ähnliche Kriegserklärung gewesen war wie der Angriff Japans auf die US-Flotte in Pearl Harbor im Dezember 1941.

    US-Präsidentschaftswahlen 2012 (1): Der lange Vorlauf. Ein erster Eindruck von den republikanischen Kandidaten

    Präsidentschaftswahlen in den USA haben einen nach europäischen Maßstäben ungewöhnlich langen Vorlauf. Das liegt an dem langwierigen, mehrstufigen Verfahren, durch das die Kandidaten ermittelt werden, die ihre Partei schließlich ins Rennen um das Amt des Präsidenten schickt.

    Da sind zum einen die primaries (Vorwahlen) und caucuses (Wähler-versammlungen), in denen die Republikaner und die Demokraten in den einzelnen Bundesstaaten ihre personellen Präferenzen festlegen. (Im Einzelnen ist das sehr kompliziert und - ganz amerikanisch - von Staat zu Staat verschieden). Die Serie der primaries und caucuses beginnt am Anfang des Wahljahrs, im Januar oder Februar.

    Aber es gibt zu diesem Vorlauf wiederum einen Vorlauf; nämlich Wahlkämpfe der Kandidaten bereits ab dem Sommer des Vorjahrs, in denen sie versuchen, aus einer möglichst guten Position heraus in die Vorwahlen zu gehen. Diese erste Runde auf dem Weg zur Präsidentschaft ist jetzt in vollem Gang.

    8. September 2011

    Marginalie: Vorläufiges zum Thema ESM (Heißt das: "Exekutive sucht Macht?")

    Ich verstehe wenig von der Juristerei und nichts von Ökonomie. Zu Themen aus diesen Bereichen finden Sie deshalb selten Artikel von mir.

    Nun gibt es aber ein Thema, das einerseits an der Schnittstelle zwischen diesen beiden Feldern liegt, das andererseits aber eminent wichtig zu werden verspricht: der "Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitäts-mechanismus (ESM)", der im Entwurf vorliegt; dazu das gestrige Urteil des BVerfG über die Verfassungsbeschwerde zum "Rettungsschirm", dessen Krönung der ESM sein soll.

    Notizen zu Sarrazin (13): Ein Jahr nach Sarrazin - hat sich das Diskussionsklima verändert? Das Beispiel der Gewalt türkischstämmiger Jugendlicher

    Hat die Sarrazin-Debatte vor einem Jahr eigentlich unser Land verändert?

    Damals scheiterte der Versuch des Medienkartells, Sarrazins Thesen als nicht diskussionswürdig zu brand-marken und ihn selbst in die Position einer Unperson zu befördern. Hat uns dieser Erfolg freier gemacht? Kann man seither offener über Sachverhalte schreiben und reden, die bis dahin verharmlost, wenn nicht tabuisiert oder schlicht geleugnet worden waren? Die katastrophale demographische Entwicklung in Deutschland zum Beispiel; die Probleme, die mit der Einwanderung aus dem islamischen Kulturraum einhergehen?

    Ich habe eine solche positive Entwicklung damals erwartet; der Verlauf der Debatte selbst legte das nahe (Sarrazin und die Folgen. Haben wir in Deutschland noch eine Demokratie?; ZR vom 6.9. 2010, und Die dritte Phase in der Geschichte der Bundesrepublik geht in diesen Tagen zu Ende. Eine These; ZR vom 14. 9. 2010). Es scheint mir, daß es auch so gekommen ist.

    7. September 2011

    Marginalie: Einige Meldungen, die Sie vermutlich nicht überall lesen werden

    Hier sind einige Meldungen, die Sie vermutlich nicht überall lesen werden:

    6. September 2011

    Zitat des Tages: NPD zweitstärkste Partei bei den Erstwählern in MV. Nur "auf den ersten Blick" alarmierend?

    Die Statistik liest sich auf den ersten Blick alarmierend: Laut einer Erstwählerbefragung von infratest-dimap war die NPD in dieser Gruppe bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern zweitstärkste Kraft: 15 Prozent der Wahlneulinge wählten die Rechtsradikalen, nur die SPD hatte mit 23 Prozent stärkeren Zuspruch. Ebenfalls auffällig: Fünf Parteien lagen nahezu gleichauf, die CDU erreichte mit 14 Prozent knapp weniger als die NPD, Grüne, Linke und Piratenpartei lagen bei jeweils 13 Prozent.
    "Zeit-Online" über eine Wahlanalyse zu den vorgestrigen Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern.

    Kommentar: Eine in der Tat alarmierende Meldung. Wieso nur "auf den ersten Blick", ist allerdings das Geheimnis des "Tagesspiegel"-Autors Johannes Schneider.

    Stratfors Analysen: "Schock und Angst waren die vernünftige Antwort". George Friedman über den Krieg gegen die Kaida (mit deutscher Zusammenfassung)

    Zusammenfassung: Kriege verlaufen fast nie wie geplant. Beim Krieg gegen die Kaida ist noch nicht einmal klar, ob dies überhaupt ein Krieg ist. Nach der Genfer Konvention sind die Kaida-Kämpfer keine Kombattanten, sondern Kriminelle. Aber das Strafrecht eignet sich nicht zu ihrer Bekämpfung; schon deshalb nicht, weil es erst greift, wenn eine Tat bereits geschehen ist. Beim Kampf gegen den Terrorismus gilt es aber Taten zu verhindern.

    Das Völkerrecht erfaßt den Terrorismus schlicht nicht. Man warf den USA vor, gegen das Völkerrecht zu verstoßen - aber welches Völkerrecht hätte denn greifen sollen? Das mußte auch Barack Obama lernen, der seine Anhänger enttäuschte, weil er den Kampf gegen die Kaida so fortsetzte, wie George W. Bush ihn begonnen hatte.

    Zitat des Tages: Wir psychisch kranken Europäer. Der Glaser schmeißt die Scheiben ein ...

    Die Zahl der Jugendlichen mit einer voll ausgeprägten Depression ist in den vergangenen Jahren in Europa um 400 Prozent gestiegen.
    Beginn eines Artikels in der heutigen "Welt", der sich mit "erschreckenden Zahlen" bei den psychischen Erkrankungen in Europa befaßt.

    Kommentar: Als Kinder sangen wir den Spottvers:
    Was ham wir doch für'n Glaser
    in unsrer alten Stadt.
    Der Glaser schmeißt die Scheiben ein
    und sagt: "Da müssen neue rein".
    Was ham wir doch für'n Glaser
    in unsrer alten Stadt.
    Der Glaser wollte Bedarf schaffen, damit er seine Dienstleistung verkaufen konnte.

    4. September 2011

    Zettels Meckerecke: Die 2,8-Prozent-Partei. Es gibt keine Bestandsgarantie für die FDP. Kann sie jetzt noch etwas retten?

    Es liegt ja nicht an Mecklenburg-Vorpommern, daß die FDP dort jetzt eine Splitterpartei ist, noch halb so stark wie die Neonazis.

    Wie auch in anderen Neuen Bundesländern spiegelt das Wahlverhalten der dortigen Bevölkerung, die in der kommunistischen Diktatur logischerweise keine Bindung an eine Partei erwerben konnte, die Tagesform der Parteien wider. Vor vier Jahren hatte die FDP mit 9,6 Prozent hervorragend abgeschnitten; aber vier Jahre zuvor war sie unter 5 Prozent geblieben, und acht Jahre zuvor hatte sie gerade einmal 1,6 Prozent erreicht.

    Die Tagesform der FDP ist miserabel; aber es ist mehr als die Tagesform. Diese Partei ist in akuter Gefahr zu verschwinden.

    Marginalie: Warum enthielt sich Deutschland bei der Libyen-Resolution der Stimme? Jetzt gibt es eine plausible Erklärung

    Vor einer Woche habe ich mich mit der Frage befaßt, aufgrund welcher Überlegungen die Bundesregierung die Entscheidung traf, sich bei der Abstimmung über die Libyen-Resolution (Resolution 1973) im UN-Sicherheitsrat der Stimme zu enthalten (Guido Westerwelle sollte seinen Hut nehmen. Aber nicht wegen Libyen; ZR vom 29. 8. 2011).

    In dem Artikel habe ich darauf aufmerksam gemacht, daß dies eine Entscheidung der Bundesregierung gewesen war; nicht ein Alleingang des Außenministers Westerwelle. Es gab gute Gründe, sich nicht an dem Militäreinsatz gegen Libyen zu beteiligen. Warum aber hat man nicht, wie es zum Beispiel Burkhard Hirsch befürwortete, dennoch der Resolution zugestimmt?

    Genealogie (3): Woher weiß man, wer seine Vorfahren sind, und wann wird Familiengeschichte interessant?

    Das Prinzip ist einfach: Zu einer nur namentlich bekannten Person (bei Anfängern sind es oft die Ur- oder Ururgroßeltern, über die in der Familie keine genauen Angaben mehr vorliegen) sucht man – möglichst in dieser Reihenfolge – zuerst die Heiratsurkunde und anschließend die Geburts- und Sterbeurkunde. Diesen Urkunden – vor allem der Heirats- und Geburtsurkunde – lassen sich dann die ersten Informationen zu den jeweiligen Eltern, d.h. zur Vorgeneration entnehmen, wenigstens deren Namen, den Heiratsurkunden oft auch deren Wohn- oder Sterbeort.

    Marginalie: Googles "Frühjahrsputz im Herbst". Eine Schwalbe flog davon, und jetzt folgt das große Gemetzel

    Einige von Ihnen, liebe Leser, werden es gemerkt haben; aber im Internet las man nicht viel darüber: Kürzlich, Anfang August, hörte die Chrome-Extension Vocabbi plötzlich, ohne jede Vorankündigung, auf zu funktionieren; ein sehr nützliches Hilfsmittel zur Online-Übersetzung von Vokabeln.

    Ich hatte einst Vocabbi gerühmt, als ich im Februar 2010 überhaupt Chrome rühmte (Chrome - glänzend. Die Leser dieses Blogs sind Individualisten). Was war passiert? Vocabbi basierte auf dem Google Dictionary; und das war Knall auf Fall eingestellt worden. Ich habe das damals in Zettels kleinem Zimmer kurz kommentiert.

    Seit gestern wissen wir, daß dieses Abschalten des Google Dictionary nur eine Schwalbe war, die sehr wohl einen Winter macht. Indem sie nämlich davonzieht.

    3. September 2011

    Marginalie: Eine ernüchternde Umfrage zu "Vereinigten Staaten von Europa"

    "Zeit-Online" veröffentlichte gestern das Ergebnis einer Umfrage des Instituts YouGov, die parallel in Frankreich, Großbritannien und Deutschland durchgeführt wurde. Sie erbrachte ein bemerkenswertes Ergebnis.

    2. September 2011

    Zwei Wochen bei ALDI

    Von der "Servicewüste" Deutschland ist ja oft die Rede. Wobei das meist nicht am Service-Personal liegt. Da gibt es natürlich auch mal "interessante" Typen, aber in der Regel habe ich die Erfahrung gemacht, daß man freundlich und hilfsbereit bedient wird. Solange man selber halbwegs höflich bleibt.

    Aber die Rahmenorganisation, in der dieser Service erbracht wird, ist oft erschütternd kundenunfreundlich. Und das besonders - manche Vorurteile haben eben doch einen wahren Kern - im öffentlichen Dienst.

    Zitate des Tages: Scharia im neuen Libyen

    Der Islam wird eine Quelle der Gesetzgebung sein, aber eine Islamisierung des Justizwesens muss man nicht befürchten.
    Dr. Tilmann Röder, der als juristischer Berater mit Mitgliedern des Nationalen Übergangsrats (NTC) in Bengasi gesprochen hat, gegenüber der "Zeit" vom 25. 8. 2011 über seinen Eindruck von diesen Gesprächen.

    Libya is a democratic, independent state with Tripoli its capital, Islam its religion, sharia, Islamic law as the main source of legislation and Arabic as its official language.

    (Libyen ist ein demokratischer, unabhängiger Staat mit der Hauptstadt Tripolis, mit dem Islam als Religion, mit der Scharia, dem islamischen Gesetz, als Hauptquelle der Gesetzgebung und Arabisch als Amtssprache.)
    Aus der Verfassungserklärung (Constitution Declaration) des NTC, die am 31. 8. 2011 von Reuters verbreitet wurde.

    Kommentar: Dr. Röder ist Mitarbeiter eines Drittmittelprojekts am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Seine Informationen gehen offenbar auf eine "Erkundungsmission" zurück, die im Juni 2011 Institutsmitarbeiter nach Bengasi führte, "wo sie erste Informations- und Beratungsgespräche führten".

    1. September 2011

    Zitat des Tages: Nässe im Bodensee entdeckt. Leck bei WikiLeaks

    Datenleck bei WikiLeaks
    Aktuelle Schlagzeile bei "Spiegel-Online", fortgesetzt mit "Depeschen-Desaster in sechs Akten"

    Kommentar: "Datenleck bei Wikileaks" - das ist eine Schlagzeile ungefähr wie "Nässe im Bodensee entdeckt". Der einzige Zweck von WikiLeaks war und ist, wie der Name es besagt, das Datenleck. Es werden Daten gestohlen, die deren Besitzer unter Verschluß halten wollen, und sie werden von den Wikileaks-Hehlern der Öffentlichkeit übergeben.

    Die Datengangster behaupteten, sie hätten die Daten aus Depeschen an die US-Regierung vor der Veröffentlichung so verändert, daß keine Personen - etwa Informanten der US-Regierung - zu Schaden kommen könnten.

    Das war immer eine Lüge gewesen; es wurden beispielsweise Namen von Afghanen preisgegeben, die mit den USA zusammengearbeitet hatten.

    Warum eigentlich keine Kabinettsumbildung? Das Problem Westerwelle, der "Koalitionsvertrag" und unsere verkrustete Demokratie

    Wenn eine Regierung in Schwierigkeiten ist, dann gibt es die Möglichkeit der Kabinettsumbildung, eines sogenannten Revirements. Es kann sehr unterschiedlich umfangreich ausfallen. Sein Kennzeichen ist, daß der Regierungschef (in einigen Ländern der Staatschef) Herr des Verfahrens ist. Es werden Ressorts getauscht; erfolglose Minister werden entlassen, Politiker aus dem Nachwuchs werden vom Regierungschef neu ins Kabinett geholt.

    Ein Beispiel ist die Kabinettsumbildung in Frankreich vom 13./14. November 2010.